Читать книгу Wildfell Hall - Anne Bronte, Anne Brontë, The Bronte Sisters - Страница 15
Zwölftes Kapitel.
Ein tête-à-tête und eine Entdeckung.
ОглавлениеIch machte den Weg in weniger als zwanzig Minuten. An der Gartenthür blieb ich stehen, um meine schweiß triefende Stirn abzuwischen, zu Athem zu kommen und einige Fassung zu erlangen. Von dem schnellen Gehen war meine Aufregung bereits ein wenig gemildert worden, und ich schritt festen, geraden Ganges über den Gartenweg hin. Als ich an dem bewohnten Theile des Hauses vorüberkam, erblickte ich durch das offene Fenster Mrs. Graham, die langsam in ihrem einsamen Zimmer auf und ab ging. Sie schien von meiner Ankunft bewegt und selbst erschreckt zu werden, als denke sie, daß auch ich komme, um sie anzuklagen. Ich war in der Absicht in ihr Zimmer getreten, ihr über die Gottlosigkeit der Welt zu kondolieren und ihr beizustehen, auf den Vikar und seine gemeinen Gewährsleute zu schimpfen — jetzt schämte ich mich aber geradezu, den Gegenstand zu erwähnen, und beschloß, mich nicht darauf zu beziehen, wenn sie nicht selbst den Weg dazu bahnte.
»Ich komme zu einer unpassenden Stunde,« sagte ich, eine Heiterkeit heuchelnd, die ich nicht fühlte, um ihr ihre Fassung wiederzugeben, »aber ich werde nicht lange da bleiben.«
Sie lächelte mich an, zwar schwach, aber äußerst gütig — ich hätte beinahe gesagt, dankbar, als ich ihre Befürchtungen entfernte,
»Wie trübe Sie sind, Helene! warum haben Sie kein Feuer?« sagte ich, mich in dem düsteren Zimmer umschauend.
»Es ist noch Sommer,« antwortete sie.
»Aber wir haben des Abends immer Feuer, wenn wir es ertragen können — und Sie besonders bedürfen in diesem kalten Hause und traurigen Zimmer der Wärme.«
»Sie hätten etwas eher kommen sollen, dann würde ich für Sie Feuer haben anzünden lassen, aber es ist jetzt nicht der Mühe werth — Sie werden, wie Sie sagen« nicht lange bleiben, und Arthur ist zu Bett gegangen.«
»Aber ich habe das Feuer gern; wollen Sie befehlen, das eins angezündet wird, wenn ich klingle?«
»Ei, Gilbert, Sie sehen doch nicht aus, als ob Sie frieren,« sagte sie, indem sie lächelnd mein Gesicht betrachtete, welches ohne Zweifel warm genug aussah.
»Nein, aber ich möchte Sie behaglich sehen, ehe ich gehe.«
»Ich, behaglich!« wiederholte sie mit bitterem Lachen, als ob in der Idee etwas lächerliches, absurdes liege. »Es paßt so besser für mich,« fügte sie im Tone kummervoller Resignation hinzu.
Ich war aber entschlossen, meinen Willen zu haben, und zog die Klingel.
»Da, Helene,« sagte ich, als die sich nahenden Schritte Rahels hörbar wurden. Sie konnte jetzt weiter nichts thun, als sich umwenden und die Magd auffordern, Feuer anzuzünden.
Ich habe noch heut zu Tage auf Rahel einen Groll für den Blick, welchen sie auf mich warf, ehe sie hinaus ging, um ihren Auftrag zu verrichten — den sauern, argwöhnischen, inquisitorischen Blick, der deutlich fragte: »Ich möchte wissen, was Du hier willst.« Ihre Herrin ermangelte nicht, denselben ebenfalls zu bemerken, und ihre Stirn wurde durch einen Schatten von Unruhe bewölkt.
»Sie dürfen nicht lange bleiben, Gilbert,« sagte sie, als sich hinter Jener die Thür schloß.
»Das werde ich auch nicht,« sagte ich mürrisch, wiewohl ohne einen Gran von Zorn in meinem Herzen gegen irgend Jemanden, außer dem seinen Rath aufdringenden alten Weibe, »aber, Helene, ich habe Ihnen, ehe ich gehe, noch etwas zu sagen.«
»Was ist dies?«
»Nein, jetzt nicht — ich weiß noch nicht genau, was es ist, noch wie ich es sagen soll,« antwortete ich, wahrer als klug und hierauf begann ich, in der Furcht, von ihr aus dem Hause gewiesen zu werden, und um Zeit zu gewinnen, von gleichgültigen Gegenständen zu sprechen. Unterdessen kam Rahel herein, um das Feuer anzuzünden, was bald dadurch geschehen war, daß sie ein rothglühendes Schürreisen zwischen die Kaminstäbe steckte, wo das Holz zum Anzünden bereits aufgehäuft war. Sie beehrte mich beim Hinausgehen wieder mit einem zweiten ihrer harten, ungastlichen Blicke — ich ließ mich davon aber wenig rühren, sondern fuhr fort, zu sprechen, setzte auf die eine Seite des Kamins einen Stuhl für Mrs. Graham und auf die andere einen für mich und wagte mich zu setzen, obgleich ich halb und halb vermuthete, daß sie es lieber sehen würde, wenn ich ging
Nach einiger Zeit versanken wir Beide in Schweigen und blickten mehrere Minuten lang zerstreut in das Feuer sie mit ihren eigenen, trüben Gedanken beschäftigt und ich denkend, wie herrlich es sein würde, so neben ihr zu sitzen, ohne daß uns die Gegenwart eines Andern störte selbst nicht die Arthurs, unseres gemeinschaftlichen Freundes, ohne, den wir noch nie zusammengekommen waren — wenn ich es nur wagen könnte, mich auszusprechen und mein volles Herz der Gefühle zu entlasten, die es so lange gedrückt hatten und welche es mit einer Anstrengung, die noch länger fortzusetzen unmöglich zu sein schien, es zu behalten strebte — und überlegte die Pro’s und Contra’s des Eröffnens meines Herzens in diesem Augenblicke und an diesem Orte und Flehens um eine Erwiederung meiner Liebe, der Erlaubniß, sie von nun an als die Meine betrachten zu dürfen, und des Rechtes und der Macht, sie gegen die Verläumdungen boshafter Zungen zu vertheidigen; andererseits fühlte ich ein neues Vertrauen auf meine Ueberredungskraft — eine starke Ueberzeugung, daß die Gluth meines Geistes mir Beredtsamkeit gewähren würde, — daß meine Entschlossenheit selbst — die absolute Nothwendigkeit des Gelingens, die, wie ich fühlte, mir das erringen mußten, was ich suchte«, während ich andrerseits fürchtete, den mit so vieler Mühe und Geschicklichkeit gewonnenen Grund und Boden zu verlieren und durch eine voreilige Anstrengung alle künftigen Hoffnungen zu vernichten, wenn Zeit und Geduld mir den Sieg verschafft haben würden. Es war, als ob ich mein Leben auf den Würfel setze, und doch war ich bereit, den Versuch zu wagen. Auf alle Fälle wollte ich sie um die Erklärung bitten, die sie mir früher halb und halb zu geben versprochen hatte. Ich wollte nach dem Grunde der verhaßten Schranken, des geheimnißvollen Hindernisses meines Glücks, und, wie ich überzeugt war, auch des ihren fragen.
Während ich aber noch überlegte, auf welche Weise ich meinen Besuch am besten fassen könne, erwachte meine Gefährtin mit einem hörbaren Seufzer aus ihren Träumen, blickte nach dem Fenster, wo der blutrothe Erntemond, der sich so eben hinter einem der phantastischen, immergrünen Bäume erhoben hatte, zu uns hereinschien, und sagte:
»Gilbert« es wird spät.«
»Ich sehe es,« sagte ich, »Sie werden wünschen, daß ich gehe.«
»Ich denke, Sie sollten es thun; wenn meine guten Nachbarn diesen Besuch erfahren — was ohne Zweifel geschehen wird — so werden sie ihn nicht sehr zu meinem Vortheil auslegen.«
Sie sagte dies mit einem Lächeln, was der Vikar ohne Zweifel ein wildes genannt haben würde
»Sie mögen es auslegen, wie sie wollen,« sagte ich, »was gehen ihre Gedanken Ihnen oder mir an, so lange wir mit uns und mit einander zufrieden sind. Sie mögen mit Ihren gemeinen Auslegungen und lügnerischen Erfindungen zum Kuckuk gehen!«
Dieser Zornesausbruch brachte ein tiefes Erröthen auf ihr Gesicht.
»Sie haben also gehört, was man von mir sagt?«
»Ich habe einige abscheuliche Lügen gehört, aber kein Mensch, der nicht ein Narr ist, wird sie auch nur einen Augenblick glauben.«
»Ich hielt Mr. Milward für keinen Narren und doch glaubt er das Alles; aber wie wenig Sie auch die Ansichten Ihrer Umgebungen schätzen — wie gering Sie dieselben als Individuen halten mögen, so ist es doch nicht angenehm, für einen Lügner und Heuchler gehalten zu werden, im Rufe zu stehen, das zu thun, was man verabscheut, und die Laster, welche man verdammt, zu üben, — zu finden daß alle guten Absichten durch die geargwöhnte Unwürdigkeit vereitelt und die Grundsätze, zu denen man sich bekennt, geschmäht werden.«
»Ganz richtig, und wenn ich durch meine Gedankenlosigkeit und egoistische Rücksichtslosigkeit in Bezug auf den äußern Schein auch nur im geringsten dazu beigetragen habe, Sie diesen Uebeln auszusetzen, so flehe ich Sie an, mir nicht nur zu verzeihen, sondern mich auch in den Stand zu setzen, Sühnung zu üben, mich zu ermächtigen, Ihren Namen von jeder Beschuldigung zu reinigen, mir das Recht zu geben, Ihre Ehre, als mit der meinen gleich bedeutend zu betrachten, und Ihren Ruf, als kostbarer, wie mein eigenes Leben, zu vertheidigen.«
»Sind Sie Held genug, um sich mit einem Mädchen zu verbinden, von dem Sie wissen, daß es von allen Ihren Umgebungen beargwöhnt und verachtet wird, und Ihre Interessen und Ihre Ehre mit der seinen zu verschmelzen? Bedenken Sie, es ist eine ernste Sache.«
»Ich würde stolz sein, es zu thun, Helene! — höchst glücklich — unaussprechlich entzückt! — und wenn dies alle Hindernisse unsrer Vereinigung sind, so enden dieselben hiermit und Sie müssen, — Sie sollen mein werden!« —
Ich sprang in leidenschaftlicher Gluth von meinem Stuhle auf, bemächtigte mich ihrer Hand, und wollte sie an meine Lippen drücken; sie riß dieselbe aber ebenso plötzlich hinweg und rief mit bitterem Schmerze:
»Nein, das ist nicht Alles!«
»Was ist es denn? Sie haben mir versprochen, daß ich es dereinst erfahren solle und —«
»Sie sollen es erfahren — aber jetzt nicht, — der Kopf schmerzt mir fürchterlich« — sagte sie, ihre Hand an die Stirne drückend, »und ich muß etwas Ruhe haben. Ich bin doch sicherlich heute schon elend genug gewesen,« fügte sie fast wild hinzu.
»Aber es könnte Ihnen nichts schaden, wenn Sie es sagen; es würde Ihren Geist beruhigen, und ich wüßte dann, wie ich Sie trösten solle.«
Sie schüttelte verzweifelnd den Kopf. »Wenn Sie Alles wüßten, so würden auch Sie mich tadeln — vielleicht mehr noch, als ich verdiene — obgleich ich Ihnen schweres Unrecht zugefügt habe,« fügte sie murmelnd, als ob sie laut dächte hinzu.
»Sie, Helene? Unmöglich!«
»Ja, nicht absichtlich, denn ich kannte die Stärke und Tiefe Ihrer Liebe nicht — ich dachte, — wenigstens bemühte ich mich zu denken, — daß Ihre Zuneigung so kalt und brüderlich sei, wie sie vorgaben.«
»Oder wie die Ihre?«
»Oder wie die meine — hätte sein sollen — von so leichter und selbstsüchtiger, aber flüchtiger Natur, daß —«
»Da haben Sie mir wirklich Unrecht gethan!«
»Ich weiß, daß ich das gethan habe, und zuweilen argwöhnte ich es damals; aber ich dachte, daß es im Ganzen keinen großen Schaden thun könne, wenn ich Ihren Phantasieen und Hoffnungen überließ, sich auszuträumen, oder zu einem geeigneteren Gegenstande hinwegzuflattern, während ich Ihre freundschaftliche Zuneigung bewahrt hatte. Würde ich aber die Tiefe Ihrer Neigung, die edle, uneigenützige Liebe gekannt haben, welche Sie zu fühlen scheinen —«
»Scheinen, Helene?«
»Nun, die Sie fühlen, so hatte ich anders gehandelt.«
»Wie? Sie konnten mir nicht weniger Aufmunterung geben, noch mich mit größerer Strenge behandeln, als Sie es thaten. Und wenn Sie denken, daß Sie mir dadurch Unrecht gethan, daß Sie mir Ihre Freundschaft gewahrt, und zuweilen den Genuß Ihrer Gesellschaft und Unterhaltung gestattet haben, wenn alle Hoffnungen auf eine innigere eitel waren — wie sie mir in der Zeit stets zu Verstehen gegeben haben — wenn Sie denken, daß Sie mir dadurch Unrecht zugefügt, so irren Sie sich, denn solche Begünstigungen sind an sich schon nicht nur meinem Herzen köstlich, sondern auch reinigend, erhebend, veredelnd für meine Seele, und ich möchte lieber Ihre Freundschaft, als die Liebe irgend eines anderen Weibes auf der Welt genießen.«
Hierdurch wenig getröstet, faltete sie ihre Hände auf dem Kniee, blickte nach oben, und schien in schweigender Qual den Beistand des Himmels anzurufen; woraus sie sich zu mir wendete und ruhig sagte:
»Wenn Sie mich morgen gegen Mittag auf dem Moore treffen wollen, so werde ich Ihnen Alles sagen, was sie zu wissen wünschen, und dann sehen Sie vielleicht, die Nothwendigkeit ein, unsern Verkehr einzustellen, wenn Sie mich nicht gern als Eine, die nicht länger Achtung verdient, aufgeben sollten.«
»Ich kann hierauf zuversichtlich mit Nein antworten. Sie können nicht so schwere Bekenntnisse zu machen haben — Sie müssen meine Treue auf die Probe setzen, Helene.«
»Nein, nein, nein,« rief sie ernstlich, »ich wollte, daß dem so wäre; dem Himmel sei Dank,« fuhr sie fort, »ich habe kein grobes Verbrechen zu beichten, aber ich habe mehr, als Ihnen zu hören angenehm sein wird, oder Sie vielleicht zu entschuldigen bereit sein werden — und mehr, als ich Ihnen jetzt sagen kann, — lassen Sie sich also bewegen, mich zu verlassen!«
»Ich will; beantworten Sie mir aber erst eine Frage: Lieben Sie mich?«
»Ich werde darauf nicht antworten.«
»Dann werde ich schließen, daß Sie es thun, und nun gute Nacht!« — Sie wendete sich von mir ab, um die Bewegung, welche sie nicht gänzlich zu beherrschen vermochte, zu verbergen. Aber ich ergriff ihre Hand und küßte sie glühend.
»Gilbert, ich bitte, verlassen Sie mich!« rief sie in einem Tone so tiefer Qual, daß ich fühlte, es würde grausam sein, wenn ich ihr den Gehorsam versagen wollte.
Ehe ich die Thür schloß, warf ich aber noch einen Blick nach rückwärts und sah sie mit gegen die Augen gepreßten Händen convulsivisch schluchzend; sich am Tische vorlehnen. Ich entfernte mich jedoch schweigend, ich fühlte, daß ich durch Aufdringen meiner Tröstungen in diesem Augenblicke ihre Leiden nur vergrößern würde.
Wenn ich Ihnen alle die Fragen und Conjekturen, die Befürchtungen und Hoffnungen und milden Regungen erzählen wollte, die einander in meinem Geiste drängten und jagten, so könnte ich damit allein schon einen Band füllen; ehe ich aber noch halb herabgekommen war, hatte ein Gefühl von der Theilnahme an der, welche ich so eben Verlassen, alle übrigen verdrängt, und schien mich gebieterisch zurückzurufen. Ich begann zu denken:
»Warum eile ich so schnell nach dieser Richtung hin? Kann ich zu Hause Trost, Frieden, Gewißheit, Zufriedenheit, alles oder irgend etwas von dem, was mir noth thut, finden? Und kann ich dort alle Unruhe, Sorge und Bekümmernisse hinter mir zurücklassen?«
Und ich wendete mich um und schaute nach der alten Halle. Ueber meinem engen Horizonte war außer dem Schornstein nur wenig davon sichtbar, — ich schritt zurück, um eine bessere Aussicht zu erhalten, als sie sich vor meinen Blicken erhob, blieb ich einen Moment stehen, um darauf hin zu schauen und schritt dann nach dem düstern Gegenstande, welcher mich anzog, weiter. Ein gewisses Etwas rief mich näher — immer näher — und warum nicht? Konnte ich nicht mehr Nutzen aus der Betrachtung des ehewürdigen Gebäudes, über das der volle Mond am wolkenlosen Himmel so ruhig mit dem einer Augustnacht eigenthümlichen warmen, goldenen Glanze herabschien, und in dem sich die Herrin meiner Seele befand, als wenn ich nach meiner Heimath zurückkehrte, wo Alles verhältnißmäßig hell und lebensvoll und heiter und mir das her bei meiner gegenwärtigen Stimmung feindlich war — umso mehr, als alle Bewohner derselben mehr oder weniger von dem verabscheuungswürdigen Glauben angesteckt waren, bei dem bloßen Gedanken an welchem schon das Blut in meinen Adern kochte — und wie konnte ich ertragen, ihn offen kund geben, oder was schlimmer noch, vorsichtig insinuiren zu hören, — da ich so schon Mühe genug mit einem geschwätzigen Satan hatte, — der mir fortwährend in das Ohr flüsterte: »Es kann doch wahr sein,« — bis ich laut schrie: »»Es ist eine Lüge, ich biete dir Trotz, mich zum Glauben daran zu bewegen!««
Ich konnte den rothen Feuerschein in ihrem Zimmer glimmen sehen, ich ging bis an die Gartenmauer, lehnte mich darüber, heftete meine Augen auf das Fenster und dachte, was sie wohl jetzt thun, denken oder leiden möge und wünschte, daß ich jetzt nur ein Wort zu ihr sprechen oder auch unreinen Blick von ihr erhaschen könne, ehe ich ging.
Ich hatte noch nicht lange so hingeblickt, und gewünscht und gedacht, als ich unfähig, der Versuchung, noch einen Blick in das Fenster zu werfen, um zu sehen ob sie gefaßter sei, als bei unsrem Scheiden — und wenn ich sie noch in tiefem Kummer finde, vielleicht ein Wort des Trostes zu versuchen — einem von den vielen Dingen Worte zu geben, die ich früher hätte sagen sollen, statt ihre Leiden durch meine einfältige Heftigkeit zu vergrößern — zu widerstehen, über die Mauer sprang. — Ich sah hinein, ihr Stuhl war leer und ebenso das Zimmer. In diesem Augenblicke öffnete aber Jemand die Hausthür und eine Stimme — ihre Stimme — sagte:
»Komm heraus, ich möchte den Mond sehen und die Abendlust einathmen, dies wird mir wohlthun, wenn es irgend etwas vermag.«
Sie kam also mit Rahel heraus, um einen Spaziergang im Garten zu machen! Ich wünschte mich wohlbehalten über die Gartenmauer zurück — blieb jedoch im Schatten des hohen Stechpalmenbusches stehen, welcher sich zwischen dem Fenster und der Thür befand, und mich für den Augenblick vor Bemerkung schützte, aber nicht verhindern konnte, daß ich zwei Gestalten in dem Mondschein herauskommen sah.
Mrs. Graham, welcher eine andre folgte, nicht — Rahel, sondern ein junger, schlanker, ziemlich langer Mann. O Himmel! wie meine Schläfe pochten! Die furchtbarste Qual verdunkelte meine Augen, aber ich dachte — und die Stimme bestätigte es —— daß es Mr. Lawrence sei.
»Du solltest Dich nicht so sehr davon beängstigen lassen, Helene,« sagte er, »ich werde künftig vorsichtiger sein und mit der Zeit —«
Ich hörte das Uebrige des Satzes nicht, denn er ging dicht neben ihr, und sprach so sanft, daß ich die Worte nicht vernehmen konnte. Mein Herz wollte mir vor Hast zerspringen, aber ich lauschte aufmerksam auf ihre Antwort. Ich hörte sie deutlich genug.
»Aber ich muß diesen Ort verlassen, Friedrich,« sagte sie, »ich kann hier nie glücklich sein — noch irgendwo anders; was das betrifft,« fügte sie mit einem Lachen ohne Heiterkeit hinzu, »aber ich kann hier nicht bleiben.«
»Aber wo könntest Du einen bessern Ort finden,« antwortete er, »so abgeschieden — so nahe bei mir — wenn Du darauf Werth legst.«
»Ja,« antwortete sie« »er ist Alles, was ich wünschen kann, wenn man sich nur nicht um mich kümmern wollte.«
»Aber Du magst gehen, wohin Du willst, Helene, überall wirst Du dieselben Quellen des Aergernisses finden. Ich kann nicht zugeben, daß ich Dich verliere; ich muß mit Dir gehen, oder zu Dir kommen, und es giebt an andern Orten eben so gut aufdringliche Narren, wie hier.«
Unter diesen Reden waren sie langsam den Gartengang hinab an mir vorbei gekommen und ich hörte von ihrem Gespräch weiter nichts, sah aber, wie er seinen Arm um ihren Leib schlang, während sie liebevoll ihre Hand auf seiner Schulter ruhen ließ — und dann verdunkelten sich meine Blicke, das Herz that mir weh und der Kopf brannte mir wie Feuer. Ich stürzte halb, halb schwankte ich von der Stelle hinweg, an die mich das Entsetzen gefesselt hatte, und sprang oder fiel über die Mauer — welches von beiden, weiß ich selbst kaum — aber ich weiß, daß ich mich nachher wie ein erzürntes Kind auf den Boden warf und dort in einem Paroxysmus von Wuth und Verzweiflung liegen blieb — wie lange, kann ich nicht wohl sagen — aber es muß eine bedeutende Zeit gewesen sein, denn als ich, theilweise durch einen Thränenstrom erleichtert, zum Monde hinauf sah, der so ruhig und sorglos, von meinem Elende so wenig berührt wie ich durch sein friedliches Strahlen — herabschien und eifrig um Tod oder Vergessen gebetet hatte. — Als ich mich darauf erhob und, ohne aus den Weg zu achten, aber instinktmäßig von meinen Füßen nach Hause getragen, hinwegging, fand ich die Thür verriegelt und verschlossen und Alles im Bette, außer meiner Mutter, die sich beeilte, auf mein ungeduldiges Klopfen herabzukommen und mich mit einem Regen — von Fragen und Vorwürfen überschüttete.
»O« Gilbert, wie konntest Du das thun? Wo bist Du gewesen! Komm herein und iß Dein Abendbrot — es steht Alles bereit, obgleich Du es nicht verdient hast, da Du mich nach der sonderbaren Art, in der Du heute Abend das Haus verließest, so in Schrecken zurückgelassen hast. Mr. Milward war ganz — um Gotteswillen, Junge, wie krank Du aussiehst! O gütiger Himmel, was ist Dir geschehen!«
»Nichts, nichts — geben Sie mir ein Licht.«
»Aber willst Du nicht erst etwas zu Abend essen?«
»Nein, ich will zu Bett gehen, sagte ich, indem, ich ein Licht nahm, welches sie in ihrer Hand hielt, und es anzündete.
»O, Gilbert, wie Du zitterst,« rief meine Mutter besorgt. »Wie weiß Du aussiehst! — sage mir, was es giebt? Ist Dir etwas zugestoßen?«
»Es ist nichts!« rief ich, vor Aerger, weil das Licht nicht anbrennen wollte, fast mit den Füßen stampfend. Hierauf fügte ich, meine Reizbarkeit unterdrückend, hinzu: »Ich bin zu schnell gegangen, das ist Alles; gute Nacht! und marschierte zu Bett, ohne das mir von unten nach gerufene:
»Zu schnell gegangen, — wo bist Du gewesen?« zu achten
Meine Mutter folgte mir mit ihren Fragen und Rathschlägen über meine Gesundheit und mein Benehmen bis an die Thür meines Zimmers. Aber ich flehte sie an, mich bis zum Morgen ungeschoren zu lassen, und sie entfernte sich und endlich hatte das Vergnügen, sie ihre eigene Thür schließen zu hören. Ich dachte jedoch, daß mir diese Nacht keinen Schlaf bringen werde und schritt, statt denselben zu suchen schnell im Zimmer auf und ab, nachdem ich die Stiefeln ausgezogen hatte, damit mich meine Mutter nicht hören sollte; aber die Dielen knarrten und sie war wachsam. Ich hatte es noch keine Viertelstunde so getrieben, als sie sich schon wieder an der Thür befand.
»Gilbert, warum bist Du nicht im Bette? — Du sagtest doch, daß Du gehen wolltest?«
»O, zum Kuckuk, ich gehe schon,« sagte ich.
»Warum machst Du aber so lange daran? Es muß Dir etwas im Kopfe herumgehen —«
»Um Himmelswillen, lassen Sie sich um mich unbekümmert, und gehen Sie selbst zu Bett!« —
»Ist es etwa die Mrs. Graham, die Dich so bekümmert?«
»Nein, nein, ich sage Ihnen, es ist nichts.«
»Wollte Gott, es wäre so,« murmelte sie mit einem Seufzer, als sie nach ihrem Zimmer zurückkehrte, während ich mich selbst auf das Bett warf und mich mit großem Mangel an kindlicher Liebe über sie ärgerte, weil sie mich des einzigen Schattens von Trost, welcher mir noch geblieben zu sein schien, beraubt, und an das elende Dornenlager gefesselt hatte.
Ich habe noch nie eine so lange, so elende Nacht verlebt, wie diese, und doch war sie nicht ganz schlaflos. Gegen Morgen begannen meine Gedanken alle Prätensionen auf Zusammenhang zu verlieren und sich zu verwirrten, fieberischen Träumen zu bilden und endlich folgte ein Zwischenraum bewußtlosen Schlafes; aber dann das Aufdämmern bitterer Erinnerungen, welches diesem folgte, — das Erwachen, — und das Leben als eine Einöde, und schlimmer als dies, da es von Pein und Elend überströmte, zu erkennen, — nicht als eine bloße nackte Wüste, sondern mit Dornen und Disteln gefüllt, — mich getäuscht, betrogen, hoffnungslos, meine Gefühle mit Füßen getreten, meinen Engel nicht als Engel, und meinen Freund als eingefleischten Teufel zu finden — es war schlimmer, als wenn ich gar nicht geschlafen hätte. —
Es war ein trüber, bleigrauer Morgen, das Wetter hatte sich geändert, wie meine Aussichten, und der Regen schlug an die Fenster. Ich stand jedoch auf und ging aus, nicht sowohl, um nach dem Gute zu sehen, obgleich ich dies zum Vorwand nahm, sondern um meinen Kopf zu kühlen, und wo möglich wieder Fassung genug zu erlangen, um beim Frühstück mit der Familie zusammentreffen zu können, ohne mir unbequeme Bemerkungen zu erregen. Wenn ich durchnäßt wurde, so konnte dies in Verbindung mit vorgeblicher, zu großer Anstrengung, bei dem Frühstück meinen plötzlichen Verlust des Appetites entschuldigen, und wenn ich mir eine Erkältung zuzog — je schlimmer, desto besser — so konnte diese die mürrische Laune und brütende Melancholie, welche mein Gesicht wahrscheinlich auf lange genug bewölken würde, erklären helfen.