Читать книгу Wildfell Hall - Anne Bronte, Anne Brontë, The Bronte Sisters - Страница 12

Neuntes Kapitel.

Eine Schlange im Grase.

Оглавление

Obgleich meine Liebe jetzt gänzlich von Elise Milward abgezogen war, stellte ich meine Besuche im Pfarrhause doch noch nicht ganz ein, weil ich sie, so zu sagen, allmählig fahren lassen wollte, ohne viel Kummer zu erregen oder mich vieler Rachsucht auszusetzen — oder mich zum Gegenstande des Gespräches im Kirchspiel zu machen und weil übrigens, wenn ich ganz ausgeblieben wäre, der Vikar, welcher glaubte, daß meine Besuche hauptsächlich, wo nicht gänzlich ihm galten, sich durch die Vernachlässigung entschieden beleidigt gefühlt haben würde. Als ich aber am Tage nach meinem Gespräch mit Mrs. Graham dort einen Besuch machte, war er zufällig nicht zu Hause — ein Umstand, der mir jetzt keineswegs mehr so angenehm war, als früher. Allerdings befand sich Miß Milward zu Hause, sie galt aber natürlich wenig mehr, als gar nichts; ich entschloß mich jedoch, meinen Besuch kurz zu machen und mit Elisen auf brüderliche, freundschaftliche Art zu sprechen, wie sie durch unsre lange Bekanntschaft gerecht fertigt wurde und die meiner Ansicht nach weder kränken, noch zu falschen Hoffnungen aufmuntern konnte.

Ich war nie gewohnt gewesen, mit ihr oder sonst Jemandem von Mrs Graham zu sprechen, ich saß aber noch keine drei Minuten da, ehe sie die Dame selbst auf etwas auffallende Weise aufs Tapet brachte.

»O, Mr. Markham,« sagte sie mit entsetztem Ausdruck und fast flüsternder Stimme — »was halten Sie von den entsetzlichen Gerüchten über Mrs. Graham? — Können Sie uns veranlassen, ihnen den Glauben zu versagen?« —

»Welche Gerüchte?«

»Ach, Sie wissen es gewiß!« sie lächelte schlau und schüttelte den Kopf

»Ich weiß nichts davon; was in aller Welt meinen Sie, Elise?«

»Ach, fragen Sie mich nicht, ich kann es Ihnen nicht erklären!«

Sie nahm das Batisttaschentuch, welches sie mit einer breiten Spitzkante zu verschönern angefangen hatte, und that äußerst beschäftigt.

»Was gibt es, Miß Milward? was meinen Sie?v sagte ich, mich an ihre Schwester wendend, die vom Säumen eines großen, groben Hemdes ganz in Anspruch genommen zu werden schien.

»Ich Weiß es nicht,« antwortete sie — »wahrscheinlich eine müßige Verleumdung, die Jemand erfunden hat; ich habe selbst nicht eher davon gehört, als neulich, wo mir Elise davon vor schwatzte — wenn mir aber auch das ganze Kirchspiel in den Ohren lüge, so würde ich kein Wort davon glauben — ich kenne Mrs. Graham zu gut.«

»Ganz recht, Miß Milward! — so geht es auch mir — was es auch immer sein mag.«

»Nun,« bemerkte Elise mit einem sanften Seufzen, »es ist gut, eine so tröstliche Sicherheit über den Werth derjenigen, welche wir lieben, zu besitzen, — ich wünsche nur, daß Sie Ihr Vertrauen nicht am Ende doch noch übel angebracht finden.«

Und sie erhob ihr Gesicht und richtete einen solchen Blick bekümmerter Zärtlichkeit auf mich, daß mein Herz wohl davon hätte gerührt werden können. In diesen Augen lauerte aber etwas, das mir nicht gefiel, und ich wunderte mich, wie ich sie je hatte bewundern können, das ehrliche Gesicht und die kleinen grauen Aeuglein ihrer Schwester erschienen mir bei weitem angenehmer — aber ich war in diesem Augenblicke auf Elisen wegen ihrer Infinuationen gegen Mrs. Graham — was sie auch sein mochten — böse; denn diese mußten erlogen sein.

Ich sagte damals jedoch nichts weiter über den Gegenstand und nur wenig über einen andern; denn da ich fand, daß ich meinen Gleichmuth nicht wohl wiedererlangen konnte, stand ich bald nachher auf, und nahm unter dem Vorwande von Geschäften auf dem Gute, Abschied — und nach dem Gute begab ich mich, ohne mich im mindesten über die mögliche Wahrheit dieser geheimnißvollen Gerüchte zu beunruhigen, sondern nur verlangend, zu wissen, worin sie bestanden, von wem sie ausgingen und auf welchen Gründen sie beruhten — und wie sie am besten zum Schweigen gebracht, oder als falsch erwiesen werden könnten.

Wenige Tage nachher hatten wir wieder eine von den prunklosen, kleinen Gesellschaften, zu denen die gewöhnlichen Freunde und Nachbarn eingeladen wurden, und unter ihnen befand sich auch diesmal Mrs. Graham. Sie konnte sich jetzt nicht mehr unter dem Vorwande finsterer Abende oder unfreundlichen Wetters zurückziehen, und erschien zu meinem großen Troste auch wirklich. Ohne sie würde mir die ganze Sache unerträglich langweilig gewesen sein; mit dem Augenblicke ihrer Ankunft kam ein neues Leben in das Haus, und obgleich ich die übrigen Gäste unsertwillen nicht vernachlässigen, noch einen zu großen Theil ihrer Unterhaltung für mich in Anspruch nehmen durfte, so erwartete ich doch einen ungewöhnlich angenehmen Abend.

Mr. Lawrence kam ebenfalls; er langte erst einige Zeit, nachdem die Uebrigen versammelt waren, an. Ich war neugierig, wie er sich gegen Mrs. Graham benehmen würde. Eine leichte Verbeugung war Alles, was bei seinem Eintritt zwischen ihnen gewechselt wurde, und nachdem er die übrigen Mitglieder der Gesellschaft höflich gegrüßt, setzte er sich fern von der jungen Witwe zwischen meine Mutter und Rosa.

»Haben Sie wohl je solche Schlauheit gesehen,« flüsterte Elise, die meine Nachbarin war, »sollten Sie nicht sagen, daß sie einander vollkommen fremd wären?«

»Fast so — aber was wollen Sie damit sagen?« —

»Was ich damit sagen will? — Sie können doch nicht thun, als ob Sie unwissend darüber wären?« —

»Unwissend, über was?« fragte ich so scharf, daß sie zusammenschrak und antwortete: »O still und sprechen Sie nicht so laut!«

»Nun, so sagen Sie mir es denn,« sagte ich mit leiserer Stimme, »was meinen Sie? ich hasse die Räthsel.«

»Nun, Sie wissen, ich kann mich für die Wahrheit nicht verbürgen — in der That, weit davon entfernt, — haben Sie aber nicht gehört?« —

»Ich habe nichts gehört, außer von Ihnen.« —

»Dann müssen Sie absichtlich taub sein, denn jedermann kann Ihnen sagen, daß — aber ich sehe, daß ich Sie nur erzürne, indem ich die Sache wiederhole, und will daher lieber den Mund halten.«

Sie schloß die Lippen und faltete die Hände, mit der Miene gekränkter Unschuld, vor sich.

»Wenn Sie mich nicht zu erzürnen wünschen, so hätten Sie gleich von Anfang an den Mund halten, oder Alles, was Sie zu sagen hatten, deutlich und ehrlich aus sprechen sollen.«

Sie wendete sich ab, zog ihr Taschentuch heraus, stand auf und ging an das Fenster, wo sie, offenbar in Thränen zerfließend, eine Zeitlang stehen blieb. Ich war erstaunt, ärgerlich, beschämt — nicht so wohl über meine Härte, als über ihre kindische Schwachheit; sie schien jedoch von Keinem beachtet zu werden, und kurz nachher wurden wir zum Theetisch berufen, da es in unserer Gegend gebräuchlich war, sich zum Thee um den Tisch zu versammeln und das Teetrinken als eine Mahlzeit zu betrachten; denn wir aßen zeitig zu Mittag.

Als ich Meinen Stuhl nahm, fand ich auf der einen Seite Rosa und auf der andern einen leeren Platz.

»Darf ich mich neben Sie setzen«i fragte eine sanfte Stimme hinter mir.

»Wenn Sie wollen,« war die Antwort, und Elise schlüpfte auf den leeren Stuhl, blickte dann mit halb trübem, halb schelmischem Lächeln in mein Gesicht auf und sage:

»Sie sind so streng, Gilbert.«

Ich reichte ihr den Thee mit etwas verächtlichem Lächeln hin, und sagte nichts, denn ich hatte nichts zu sagen.

»Womit habe ich Sie beleidigt?« sagte sie klagender, »ich wollte, ich wüßte es.«

»Da, trinken Sie Ihren Thee, Elise, und seien Sie keine Thörin,« antwortete ich, indem ich ihr den Zucker und Rahm hinhielt.

In diesem Augenblicke entstand auf meiner andern Seite einige Bewegung, welche dadurch veranlaßt wurde, daß Miß Wilson kam und Rosa einen Stuhltausch antrug.

»Wollen Sie so gut sein, mit mir den Platz zu vertauschen, Miß Markham,« sagte sie, »denn ich möchte nicht gern neben Mrs. Graham sitzen; wenn Ihre Mama es für pressend hält, solche Personen in ihr Haus zu laden, so kann sie auch nichts dagegen einzuwenden haben, wenn ihre Tochter denselben Gesellschaft leistet.«

Den letzten Satz fügte sie in einer Art von Selbstgespräch hinzu, nachdem Rosa fort war, ich war jedoch nicht höflich genug, ihn so durchschlüpfen zulassen.

»Wollen Sie so gut, sein, mir zu sagen, was Sie damit meinen, Miß Wilson?« fragte ich.

Sie erschrack etwas über die Frage, aber nicht bedeutend.

»Ei, Mr. Markham,« antwortete sie kaltblütig, nach dem sie schnell ihre Fassung wieder erlangt hatte, »ich bin sehr erstaunt, daß Mrs. Markham eine Person, wie Mrs. Graham, in ihr Haus ladet; vielleicht weiß sie aber nicht, daß man ihren Ruf nicht für den besten hält.«

»Sie weiß es nicht, ebensowenig wie ich, und Sie würden mich daher verbinden, wenn Sie sich etwas deutlicher erklärten.«

»Das ist kaum eine Zeit, oder ein Ort, wie sie sich für dergleichen Erklärungen eignen; ich glaube aber nicht, daß Sie so unwissend sind, wie Sie vorgeben, Sie müssen sie eben so gut kennen, wie ich.«

»Ich denke, das thue ich, und vielleicht auch noch etwas besser, und wenn Sie mir daher mittheilen wollen, was Sie gegen die Dame gehört haben, oder sich über, sie vorstellen, so werde ich vielleicht im Stande sein, Sie zu berichtigen.«

»Nun, können Sie mir etwa sagen, wer ihr Gatte gewesen ist, oder ob sie je einen gehabt hat?« —

Die Indignation schloß mir den Mund — ich konnte mir zu einer solchen Zeit und an einem solchen Orte, kaum eine Antwort, wie sie es verdiente, erlauben.

»Haben Sie,« fragte Elise, »nie die auffallende Aehnlichkeit bemerkt, welche zwischen ihrem Kinde und —«

»Und wem? herrscht,« fragte Miß Wilson mit kalter, aber schneidender Strenge.

Elise erschrack, die schüchtern gesprochene Muthmaßung war für mein Ohr allein bestimmt gewesen.

»O, ich bitte um Entschuldigung,« sagte sie, »ich kann mich irren — vielleicht habe ich mich geirrt.« —

Aber sie begleitete die Worte mit einem schlauen, spöttischen Blick aus dem Winkel ihres unaufrichtigen Auges.

»Es ist unnöthig; mich um Verzeihung zu bitten,« antwortete ihre Freundin, »aber ich sehe hier Keinem der dem Kinde ähnlich wäre, außer seiner Mutter, und wenn Sie böswillige Gerüchte hören, Miß Elise« so werde ich Ihnen dankbar sein — das heißt, ich denke, Sie werden wohl thun, dieselben nicht weiter zu tragen; ich vermuthe, daß die Person, worauf Sie sich beziehen, Mr. Lawrence ist, aber ich glaube, Ihnen versichern zu können, daß Ihr Verdacht, (wenigstens in dieser Beziehung) jeder Begründung entbehrt, und wenn er überhaupt mit der Dame in besonderer Verbindung steht ( was zu behaupten Niemand ein Recht hat), so besitzt er wenigstens ( was mehr ist, als man von gewissen Leuten sagen kann) Anstandsgefühl genug, um in Gegenwart respektabler Personen seine Bekanntschaft durch nichts, als eine Verbeugung kundzugeben — er war offenbar erstaunt und ärgerlich, sie hier zu finden.«

»Nur immer zu,« rief Fergus, der auf der andern Seite Elisens saß, und das einzige Individuum war, welches sich außer uns auf dieser Seite des Tisches befand, »nur immer zu, und hütet Euch, einen Stein auf dem andern zu lassen!«

Miß Wilson richtete sich mit einem Blicke eisiger Verachtung in die Höhe, sagte aber nichts; Elise wollte antworten, ich that ihr aber Einhalt, indem ich so ruhig, als möglich, wenn auch in einem Tone, der ohne Zweifel etwas von dem verrieth, was in meinem Innern vorging, sagte:

»Wir haben von diesem Gegenstande genug gesagt, wenn wir nur sprechen können, um bess’re Menschen, wie wir, zu verleumden, so wollen wir lieber den Mund halten.«

»Das wird wohl das Beste sein,« bemerkte Fergus, »und so denkt auch unser guter Pastor, der die Gesellschaft die ganze Zeit über auf das Glänzendste unterhalten und Euch von Zeit zu Zeit mit Blicken strengen Unwillens betrachtet hat, während Ihr dasaßet und unehrerbietig zusammen flüstertet und murmelten und einmal hielt er so gar mitten in einer Erzählung oder Predigt — was es war, weiß ich nicht recht, inne, als wollte et sagen: »Wenn Mr. Markham aufgehört haben wird, mit diesen Damen zu liebeln, so will ich weiter sprechen.«

Ich kann mich weder erinnern, was weiter am Theetische gesprochen wurde, noch wie ich Geduld fand, so lange sitzen zu bleiben, bis das Mahl vorüber war; ich entsinne mich jedoch, nur mit Mühe den Thee, welcher sich noch in meiner Tasse befand, hinuntergeschluckt und nichts gegessen zu haben, und daß ich erst Arthur Graham anstarrte, der auf der andern Seite des Tisches neben seiner Mutter saß, und den Mr. Lawrence, der seinen Stuhl am unteren Ende hatte; nur anfänglich fiel es mir auf, daß wirklich eine Aehnlichkeit vorhanden sei, dann aber bei weiterer Betrachtung schloß ich, daß diese nur in der Einbildung liege. Beide besaßen allerdings zartere Züge und kleinere Knochen, als sie gewöhnlich Individuen vom rauheren Geschlechte zu Theil werden, und Lawrence’s Teint war blaß und hell und der Arthurs äußerst zart und weiße aber Arthurs kleine, etwas aufgestülpte Nase konnte nie so lang und gerade werden, als die Mr. Lawrence’s, und der Umriß seines Gesichtes konnte, obgleich er nicht voll genug war, um rund und nach dem kleinen Grübchenkinn zu hübsch convergirte, um viereckig zu sein, nie zu dem langen Oval Jenes auseinander gezogen werden, während das Haar des Kindes offenbar eine hellere, wärmere Färbung besaß, als das des Mannes je gehabt, und seine großen, hellen, blauen Augen, wenn auch zuweilen vorzeitig ernsthaft, den scheuen, haselbraunen Augen Mr. Lawrence’s, aus denen die schüchterne Seele so mißtrauisch hervorlugte, daß sie immer bereit war, sich vor den Eingriffen einer zu rauhen, zu unfreundlichen Welt ins Innere zurückzuziehen, ganz und gar unähnlich waren. Wie konnte ich Elender diesen verabscheuungswürdigen Ideen auch nur einen Augenblick Raum geben? Kannte ich nicht Mrs. Graham? hatte ich sie nicht gesehen, mit ihr zu wiederholten Malen gesprochen? war ich nicht sicher, daß sie an Verstand, Reinheit und Hochsinn ihren Verläumdern unermeßlich überlegen war:, daß sie in der That die Edelste, die Anbetungswürdigste ihres Geschlechtes, welche ich je gesehen, oder mir selbst vorgestellt, sei? Ja, und ich wollte mit Mary Milward (welch ein verständiges Mädchen sie war) sagen, daß, wenn auch das ganze Kirchspiel, ja die ganze Welt diese entsetzlichen Lügen in meine Ohren schreien sollte, ich sie doch nicht glauben würde, denn ich kannte sie besser, als Jene. Unterdessen glühte mein Kopf von Indignation und mein Herz schien von kämpfenden Leidenschaften aus seinem Kerker gedrängt werden zu wollen. Ich betrachtete meine beiden schönen Nachbarinnen mit einem Gefühle von Abscheu und Ekel, das ich mich, kaum zu verbergen bemühte; ich wurde von verschiedenen Seiten her über meine Zerstreutheit, und ungalante Vernachlässigung der Damen geneckt, aber daraus machte ich mir wenig. Alles, worum ich mich außer dem Hauptgegenstand meiner Gedanken kümmerte, war, die Tassen zum Theebrette hinauf und nicht wieder herab kommen zu sehen. Ich dachte, Mr. Milward werde nie aufhören, uns zu sagen, daß er keinen Thee trinke, und daß es äußerst ungesund wäre, den Magen mit solchem Gemisch vollzufüllen, und dadurch gesündere Stoffe aus demselben fernzuhalten — um ihm selbst dadurch Zeit zum Trinken seiner vierten Tasse zu geben.

Endlich war es vorüber und ich stand auf und verließ, ohne ein entschuldigendes Wort, den Tisch und die Gäste — ich konnte ihre Gesellschaft nicht länger ertragen. — Ich stürzte hinaus, um mein Gehirn in der balsamischen Abendluft abzukühlen und mich zu fassen, oder meinen leidenschaftlichen Gedanken in der Einsamkeit des Gartens nachzuhängen.

Um nicht vom Fenster aus erblickt zu werden, ging ich eine stille, kleine Allee hinab, welche an der einen Seite des Gartens hinlief, und an deren Ende sich eine Rosen und Geisblattlaube fand. Hier setzte ich mich nieder, um über die Tugenden der Dame von Wildfell Hall und das Unrecht, welches sie erlitten, nachzudenken; ich war aber noch keine zwei Minuten so beschäftigt gewesen, als schon Stimmen und Gelächter und sich zwischen den Bäumen bewegende Gegenstände mir sagten, daß die ganze Gesellschaft herausgekommen sei, um ebenfalls die frische Luft im Garten zu genießen. Ich schmiegte mich jedoch in eine Ecke der Laube und hoffte vor Beobachtungen und unwillkommenem Eindrängen gleich sicher, Besitz davon zu behaupten, aber nein — zum Henker, es kam Jemand die Allee herab; warum konnten sie nicht die Blumen und den Sonnenschein offnen Gartens genießen und mir und den Mücken den sonnenlosen Winkel überlassen?

Als ich aber durch meinen duftigen Schirm von verschlungenen Zweigen blickte, um zu entdecken, wer die Hereingedrungenen seien (denn Stimmengemurmel theilte mir mir, daß es mehr als Einer wäre), verschwand mein Aerger augenblicklich und meine noch immer bewegte Seele wurde von ganz andern Gefühlen bestürmte denn es war Mrs. Graham, die mit Arthur an ihrer Seite langsam auf dem Gange herankam, und weiter Niemand. Warum waren sie allein? Hatte sich das Gift verleumderischer Zungen durch die ganze Gesellschaft verbreitet, und hatten sie ihr Alle den Rücken gewendet. Ich erinnerte mich nun, daß ich gesehen, wie Mrs. Wilson zu Anfange des Abends ihren Stuhl dicht an den meiner Mutter gerückt, und sich, offenbar um eine wichtige, vertrauliche Nachricht mitzutheilen, vorgebeugt, und nach dem unablässigen Nicken ihres Kopfes, den häufigen Verzerrungen ihres runzligen Gesichtes und dem boshaften Funkeln und Blinzeln ihrer kleinen, häßlichen Augen geschlossen, daß sie von einer hochgewürzten Verläumdung in Anspruch genommen werde, so wie nach der vorsichtigem geheimnißvollen Art derselben vermuthet, daß eine von den gegenwärtigen Personen der unglückliche Gegenstand ihrer Mittheilungen sei, und glaubte jetzt allen diesen Zeichen, so wie den entsetzten und ungläubigen Blicken und Geberden meiner Mutter entnommen, daß dieser Gegenstand Mrs. Graham gewesen sei. Ich trat aus meinem Versteck nicht eher, als bis sie fast an das Ende des Ganges gekommen war, um sie nicht durch meinen Anblick zu verscheuchen, und selbst so blieb sie, als ich heraustrat, stehen und schien geneigt zu sein, sich zurück zuwenden.

»O, lassen Sie sich nicht stören, Mr. Markham,« sagte sie, »wir sind selbst herausgekommen, um die Einsamkeit zu suchen, nicht um in die Ihrige zu dringen.«

»Ich bin kein Einsiedler, Mrs. Graham,« sagte ich — »obgleich ich gestehen muß, daß es aussieht, als ob ich, einer wäre, da ich mich auf diese unhöfliche Weise von meinen Gästen entferne.«

»Ich fürchtete, daß Sie unwohl seien,« sagte sie mit wahrhaft besorgten Blicken:

»Ich war es ein wenig, jetzt ist es aber vorüber; ich bitte, setzen Sie sich, ruhen Sie aus, und sagen Sie mir, wie Ihnen diese Laube gefällt,« sagte ich, erhob Arthur an den Schultern und setzte ihn auf die Mitte der Bank, um mich seiner Mama zu versichern, die gestand, daß es wirklich ein lockender Zufluchtsort sei und sich in eine Ecke warf, während ich von der andern Besitz nahm. —

Aber das Wort Zufluchtsort, berührte mich unangenehm. Hatte die Unfreundlichkeit der Gesellschaft sie wirklich herausgetrieben, um in der Einsamkeit Frieden zu suchen?

»Warum hat man Sie allein gelassen?« fragte ich

»Ich bin es vielmehr, die die Gesellschaft verlassen hat,« war die lächelnde Antwort. »Ich war von dem Geschwätz drinnen todmüde — es gibt nichts Ermüdenderes, als dies — ich kann nicht begreifen, wie man es so aus halten kann

Ich konnte mich des Lachens über die ernsthafte Tiefe ihrer Verwunderung nicht enthalten

»Halten sie es denn für eine Pflicht, fortwährend zu sprechen?« fuhr sie fort, »und deshalb nie inne zu halten, um nachzudenken, sondern ihre Reden mit nichtssagenden Kleinigkeiten und eiteln Wiederholungen auszufüllen, wenn sich ihnen keine Gegenstände von wahrem Interesse bieten? oder finden sie wirklich Vergnügen an einer solchen Unterhaltung?«

»Höchst wahrscheinlich thun sie das,« sagte ich, »ihr seichter Geist ist nicht im Stande, große Ideen zu fassen, und ihre kleinen Köpfe werden von Kleinigkeiten mit fortgerissen, die ein besser mit Gedanken versehenes Gehirn nicht berühren würden — und die einzige Abwechselung von solchen Reden, welche sie sich erlauben, besteht darin, sich köpflings in den Pfuhl der Medisance zu stürzen, was ihr Hauptvergnügen ist.«

»Doch sicherlich nicht bei Allen?« rief die Dame über die Bitterkeit Meiner Bemerkung erstaunt.

»Nein, gewiß nicht, ich spreche meine Schwester von so entwürdigten Neigungen frei, und meine Mutter ebenfalls, wenn Sie diese in Ihren Tadel mit einschließen.

»Ich habe Niemand zu tadeln beabsichtigt, und keinesfalls achtungswidrige Anspielungen auf Ihre Mutter machen wollen. Ich habe einige sehr verständige Personen gekannt, große Adepten in dieser Art von Unterhaltung waren, wenn sie durch die Umstände dazu gedrängt wurden; es ist aber eine Gabe, mit deren Besitz ich nicht prahlen kann. Ich habe heute meine Aufmerksamkeit bewahrt, so lange ich konnte, als aber meine Kraft erschöpft war, stahl ich mich hinweg, um auf einige Minuten Ruhe in diesem einsamen Gange zu suchen; ich hasse das Sprechen, wenn kein Austausch von Ideen oder Empfindungen dabei stattfindet und nichts Gutes zu geben oder zu empfangen ist.«

»Nun,« sagte ich, »wenn ich Sie je mit meiner Geschwätzigkeit belästige, so bitte ich Sie, mir dies sogleich mitzutheilen, und ich verspreche Ihnen, mich nicht davon beleidigt fühlen zu wollen, denn ich besitze die Fähigkeit, mich der Gesellschaft Derjenigen, welche ich meine Freunde nenne — sowohl im Schweigen wie im Gespräche zu erfreuen.«

»Ich glaube Ihnen nicht ganz; wenn dem aber so wäre, so würden Sie gerade zur Gesellschaft für mich passen.«

»Bin ich denn in anderer Beziehung Alles, was Sie wünschen?«

»Nein, das meine ich nicht. Wie schön diese kleinen Laubenmassen aussehen, wenn die Sonne durch sie scheint,« sagte sie, um das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu bringen.

Und sie sahen wirklich schön aus, wo in Zwischenräumen die schiefen Strahlen der Sonne durch die dichten Bäume und Gebüsche auf der gegenüberliegenden Seite des Weges vor uns drangen und in ihr dunkles Grün durch den glänzenden Goldschein, welchen sie erzeugten, eine köstliche Abwechselung waren.

»Ich möchte fast wünschen, daß ich keine Malerin wäre,« bemerkte meine Gesellschafterin.

»Warum? man sollte denken, daß Sie zu einer solchen Zeit gerade am meisten über das Privilegium triumphieren würden, die verschiedenen Tinten und köstlichen Malereien der Natur nachzuahmen?«

»Nein, denn statt mich dem vollen Genusse derselben hinzugeben, wie Andere. zerbreche ich mir immer den Kopf mit Nachdenken, wie sich derselbe Effekt darstellen lasse und da dies nie geschehen kann, so ist es weiter nichts, als Eitelkeit und Aerger.«

»Vielleicht können Sie es nicht so thun, um sich selbst Genüge zu leisten, wenn es Ihnen auch gelingt, Andre mit dem Resultate Ihrer Bestrebungen zu entzücken.«

»Nun, ich sollte mich eigentlich allerdings nicht beklagen; es giebt wenige Menschen, die ihr Brot mit so viel Freude an ihrer Arbeit erwerben, wie ich, — da kommt Jemand.«

Sie schien über diese Unterbrechung ärgerlich zu sein.

»Es ist nur Mr Lawrence und Miß Wilson,« sagte ich, »die kommen um einen ungestörten Spaziergang zu machen; sie werden uns nicht stören.«

Ich konnte den Ausdruck ihres Gesichts nicht vollkommen entziffern, war aber überzeugt, daß keine Eifersucht darin liege. Welches Recht hatte ich, mich darnach umzusehen?

»Was für eine Person ist Miß Wilson?« fragte sie.

»Sie ist eleganter und gebildeten als die meisten Personen ihrer Geburt und ihres Standes, und Manche sagen, daß sie fein und angenehm im Umgange sei.«

»Ich hielt sie für etwas kalt und heute für etwas hochmüthig.«

»Das konnte sie gegen Sie recht wohl seine ich glaube, daß sie ein Vorurtheil gefaßt hat, und denke, daß sie Sie als eine Rivalin betrachtet.«

»Mich? Unmöglich, Mr. Markham,« sagte sie, offenbar erstaunt und ärgerlich.

»Nun, ich weiß nichts davon,« antwortete ich etwas versteckt, da ich glaubte, daß ihr Aerger hauptsächlich gegen mich gerichtet sei.

Das Pärchen hatte sich uns jetzt bis aus wenige Schritte genähert; unsre Laube stand in einem Winkel, vor dem die Allee sich an ihrem Ende nach dem helleren Gang an der unteren Seite des Gartens hin abwendete. Als sie sich diesem näherten, bemerkte ich an dem Gesichtsausdrucke Jane Wilsons, daß sie die Aufmerksamkeit ihres Begleiters auf uns lenke, und erkannte sowohl aus ihrem kalten, sarkastischen Lächeln, wie aus den wenigen, vereinzelten Worten ihres Gespräches, welche mein Ohr erreichten, daß sie ihm die Idee beibringe, daß zwischen uns ein Liebesverhältniß existiere. Ich sah, daß er bis an die Schläfe erröthete, uns im Vorübergehen einen verstohlenen Blick zuwarf und mit ernstem Gesichte, wie es schien, aber ohne Antwort auf ihre Infinnationen, weiter ging.

Es war also richtig, daß er Absichten auf Mrs. Graham hatte und würde, wenn sie ehrenhaft gewesen wären, sich nicht so viele Mühe gegeben haben, sie zu verhehlen Sie war natürlich tadellos, er jedoch über alle Maßen verabscheuenswert.

Während diese Gedanken durch meinen Geist zuckten erhob sich meine Gesellschafterin hastig; rief ihrem Sohn, sagte, daß sie jetzt die Gesellschaft aufsuchen wolle, und entfernte sich die Allee hinauf. Ohne Zweifel hatte sie von Miß Wilsons Bemerkungen etwas gehört oder errathen und es war, daher natürlich genug, daß sie keine Lust hatte, das tête-à-tête, fortzusetzen, besonders da in diesem Augenblicke mein Gesicht von Indignation gegen meinen früheren Freund glühte, was sie für ein Erröthen dummer Verlegenheit halten konnte. Dies hatte Miß Wilson eben falls zu verantworten, und je mehr ich über ihr Benehmen nachdachte, desto mehr haßte ich sie.

Es war spät am Abend, ehe ich wieder zur Gesellschaft kam; ich fand Mrs. Graham bereits zum Scheiden gerüstet und mit Abschiednehmen von den Uebrigen, welche jetzt nach dem Hause zurückgekehrt waren, beschäftigt. Ich erbot mich — ja bat, sie heimbegleiten zu dürfen. Mr. Lawrence stand dabei und unterhielt sich mit einer andern Person; er sah sich nicht nach uns um, hielt aber, als er meine Bitte hörte, mitten in einem Satze ein, um ihre Antwort anzuhören, und fuhr mit einem Blicke ruhiger Zufriedenheit in seinem Gespräche fort, sobald er fand, daß sie mir es abschlug.

Es war, eine Weigerung, entschieden, wenn auch nicht unfreundlich; sie konnte sich nicht überreden lassen, zu denken, daß für sie oder ihr Kind Gefahr darin liege, wenn sie ohne Begleitung über die einsamen Hecken- und Feldwege nach Hause gehe. Es war noch hell und sie würde keinem Menschen begegnen, oder wenn sie es that, so waren die Leute ruhig und harmlos, davon war sie überzeugt.

In der That wollte sie nichts davon hören, daß sich irgend Jemand bemühen solle, um sie zu begleiten, obgleich Fergus geruhte, »ihr seine Dienste anzubieten, falls sie annehmbarer sein sollten, als die meinen, und meine Mutter bat, einen von den Gutsknechten mitschicken zu dürfen. Sobald sie fort war, erschien mir alles Uebrige öd und leer, oder noch schlimmer. Lawrence versuchte es, mich in ein Gespräch zu ziehen, aber ich fertigte ihn kurz ab, und begab mich nach einem anderen Theile des Zimmers. Kurz nachher brach die Gesellschaft auf, und er nahm ebenfalls Abschiede als er zu mir kam, war ich blind für seine aus gestreckte Hand, und taub für seine »gute Nacht«. — bis er es wiederholte und dann brummte ich, um ihn los zu werden, eine von einem mürrischen Kopfnicken begleitete, unverständliche Antwort.

»Was haben Sie, Markham,« flüsterte er.

Ich antwortete nur durch ein zorniges und verächtliches Anstarren.

»Sind Sie erzürnt, weil Sie Mrs. Graham nicht mit nach Hause gehen lassen wollte?« fragte er mit einem schwachen Lächeln, welches mich so erbitterte, daß ich mich fast nicht mehr beherrschen konnte.

Ich schluckte jedoch die wüthende Antwort, welche ich ihm geben wollte, hinab, und sagte blos:

»Was geht das Ihnen an?«

»Allerdings nichts,« antwortete er mit mich fast zur Verzweiflung dringender Ruhe, »nur « — und hier erhob er die Augen, zu meinem Gesichte, und sprach mit ungewöhnlicher Feierlichkeit — »nur lassen Sie sich sagen, Markham daß, wenn Sie Absichten auf die Dame haben, dieselben sicherlich erfolglos bleiben werden und es mir leid thut, Sie falsche Hoffnungen nähren und Ihre Kräfte mit nutzlosen Anstrengungen verschwenden zu sehen, denn —« »Heuchler!« rief ich, und er hielt den Athem an und sah sehr verwirrt aus, erbleichte und ging fort, ohne weiter ein Wort zu sprechen.

Ich hatte ihn tief verwundet und freute mich darüber.

Wildfell Hall

Подняться наверх