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I.V Das Institut des Monsterprofessors

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Nach nur einem Monat Arbeitslosigkeit verfügte ich über einen neuen Arbeitsvertrag, auch wenn dieser erst einmal nur für eine Dauer eines Jahres galt. Die Freude und der Stolz ließen mich meinen Schock von der ersten postdoktoralen Anstellung vergessen, denn eine neue winkte mir verheißungsvoll zu. Sehr verlockend wirkte auch die wieder geschrumpfte Entfernung von unserer Wohnung zum Arbeitsort, welche ich in einer halbstündigen Radfahrroute statt der bisherigen einstündigen Autofahrt zurücklegen konnte. Wegen der zunächst nur einjährigen Vertragslaufzeit bastelte ich noch während meiner Arbeitslosigkeit als fleißiger, pflichtbewusster Wissenschaftler einen zwanzigseitigen Projektantrag zusammen, der mir eine Habilitationsfinanzierung über mehrere Jahre einbringen sollte. Zu diesem Zweck musste ich mich erneut in ein mir noch unbekanntes Thema zur Funktion spezifischer Proteinstrukturen einlesen und fachrelevante Literatur zusammentragen. Es gab gerade ein frisch ausgeschriebenes Programm der Universität für einige wenige Habilitationsstellen, um welche große Konkurrenz herrschte. Entschließt man sich, eine Habilitation in Angriff zu nehmen, tritt man in den nächsten Qualifikationsschritt über die Promotion hinaus. Während dieser fünf bis sechs Jahre währenden Zeitspanne etabliert man ein eigenes Forschungsgebiet und führt Lehrveranstaltungen für Studenten durch. Damit dient sie dazu, zu einer Hochschullehrerlaufbahn, also zu einer Professur, zu befähigen. Beginnt man mit einer Habilitation, garantiert dies keine Arbeitsplatzsicherheit, ganz im Gegenteil. Doch die nächste befristete Wissenschaftleranstellung winkt. Hoffnungsvoll wartet man darauf. Mein Antrag wurde von der Auswahlkommission abgelehnt; zum Glück, denn bald entpuppte sich meine neue Arbeitsstelle als Horrorkabinett. Im Januar startete ich mit voller Motivation am neuen Arbeitsplatz. Meine Hauptaufgabe bestand wiederum in der Betreuung und Bedienung eines brummenden Großgerätes. Die zahlreichen Diplomanden und Doktoranden der Arbeitsgruppe brachten mir ihre präparierten Proben, welche ich am Gerät vermessen sollte. Hier bestand von vornherein eine ungünstige Konstellation, denn die Doktoranden verfügten bezüglich ihrer Thematiken über längere Erfahrung als ich in meiner Rolle als Neueinsteiger in die mir wiederum noch weitgehend unbekannten Fachdetails. Obwohl ich dieselbe Messgerätekombination während meiner vorangegangenen Postdocphase am Institut des Drogenherstellers betrieben hatte, waren die Aufgabenstellung und die Beschaffenheit der Proben und der zu analysierenden Substanzen derartig anders, dass ich nur vereinzelt auf meine Errungenschaften zurückgreifen konnte. Ein hochkomplexes Gerätesystem bietet so viele Einstellungs- und Anwendungsmöglichkeiten, dass man in einem knappen halben Jahr bei weitem nicht alles beherrschen kann, zumal dann, wenn man in Eigenregie am Gerät bastelte. Mein neuer Vorgesetzter erwartete jedoch von mir, sofort mit erfolgreichen Messungen zu starten. Seine Arbeitsgruppe suchte seit längerem spezielle Bindungsstellen an Biomolekülen, und ich gewann den Eindruck, als hätten sie noch keine gefunden. Oftmals detektierte ich in den mir übergebenen Proben kaum verwertbare Signale, was das Auffinden etwaiger Bindungsstellen mit Hilfe eines vielfältig anklickbaren, das heißt, eine schier unendliche Auswahl an Einstellungen bietenden Auswerteprogrammes enorm erschwerte. Die winzigen Volumina der in die Messtabletts pipettierten Probelösungen trockneten oft schon während der Messreihen ein, weshalb nicht genügend Probevolumen in das Gerät gelangte. Die Problematik war schwierig und für mich als nun schon mehrere Jahre tätige Wissenschaftlerin teilweise undurchschaubar. Die Ursprungsproben, aus denen die Diplomanden und Doktoranden die Biomoleküle präparierten, stammten aus dem Schlachthof. Es waren Kalbshirne. Sie brachten keine gute Energie ins Haus, an der es so stark mangelte in allen Ecken der komplett verkunststofften und vermetallten Büros und Laborräume des vielgepriesenen, teuren Neubaus. Von Natur auch hier wieder keine Spur. Nicht mal vorm Fenster. Das Computerbüro, in dem sich die Schreibtische der Diplomanden und Doktoranden sowie der meinige befanden, besaß nur Fenster zum verglasten Innenhof des Gebäudes, weshalb Tageslicht fast gar nicht herein schien. Konnten in einem menschlichen Wesen, das sich Tag für Tag darinnen aufhielt, gute Gedanken gedeihen? Auch der Pausenraum war fensterlos. In einer Mikrowelle erwärmten die Mitarbeiter Fertiggerichte, die sie sich in einer benachbarten Kaufhalle besorgten. Moderne Bauwerke entsprechen Gefängnissen, die zwar das physisch-materielle Existenzminimum absichern, psychische Entfaltung, Gesundheit und geistige Entwicklung jedoch unterdrücken [13]. Naturwissenschaft sollte betrieben werden. Die Mitarbeiter waren Biochemiker, Chemiker und Biologen. Aber die Natur fehlte. Sie war komplett verschwunden. Nicht einmal einen einzigen winzigen Holzgegenstand konnte ich ausfindig machen. Welche Erkenntnis über die Natur erhoffte man sich hier zu finden, mit all der stromverbrauchenden Technik, den Chemikalien und den Geweben vom Schlachthof? „Man kann schwer begreifen, dass ein Mensch hier nicht sterben muss, dass er nicht vor Sehnsucht zum Vogel wird, ihm keine Flügel wachsen, damit er sich aufschwinge und dahin fliege, wo Luft und Sonne sind. Einige Menschen haben wohl viel Sehnsucht nach Wald und Sonne und viel Licht; aber dies wird allgemein als eine Krankheit angesehen, die man in sich niederkämpfen muss.“ [23]

Meine Haupttätigkeit spielte sich an diversen Computerbildschirmen ab, in die ich hinein starrte und auf verwertbare Strichhöhen (in wissenschaftlicher Sprache: Signalintensitäten) wartete. Meine rechte Hand umklammerte die verkabelte Kunststoffmaus: klick da, klick dort. Ab und zu stellte ich ein paar frische Lösungen für die Trennanlage her, welche ausnahmslos giftig und umweltschädlich waren und in energie- und rohstoffintensiven Verfahren von Chemiekonzernen produziert worden waren. Lebendige Naturwissenschaft: eine Wohltat für Körper, Geist und Seele. In dieser künstlichen Welt schlich mein neuer Professor, den ich im Folgenden wegen seiner für mich unerträglichen, monströsen Art kurz „MoP“ (Monsterprofessor) nennen möchte, um mich herum und verfolgte alle meine Handlungen. Aber nicht etwa, dass er mir ein einziges Mal eine Hilfestellung oder einen Hinweis gab. Nein. In aggressiver Aufdringlichkeit versuchte er, mich bloß zu stellen und mir Fehler zu unterstellen. Ich glaubte damals immer noch, dass man von einem Professor, dem leuchtenden Gipfel unserer Forschungs- und Bildungslandschaft, etwas lernen konnte. Aber man konnte nicht einmal ein wissenschaftliches Problem diskutieren. Seine Aggressivität nahm schon in den ersten Wochen rasant an Fahrt auf. Einmal holte er mich vom Mittagessen weg, wo ich bei meiner soeben erwärmten Mahlzeit im Kreise der Diplomanden und Doktoranden in lustigem Geplauder saß. Ich sollte unbedingt augenblicklich etwas am Gerät einstellen. Als ich mich wehrte, dass diese winzige Angelegenheit auch noch bis nach dem Essen Zeit hätte, spie er vor der versammelten Pausengesellschaft Feuer. Meinen freundschaftlichen Umgang mit den Diplomanden kritisierte er als für einen Postdoc nicht angemessen. Ein böser Kampf begann, weil ich nicht hinnahm, was er mir vorwarf. Im ersten Monat bekam ich wie in der Doktorandenzeit nur eine Halbtagsstelle bezahlt, aber er erwartete von mir, trotzdem den ganzen Tag im Labor zu verbringen mit der Begründung, dass für die Phase der Einarbeitung eine halbe Bezahlung genügt. Dabei erhielt ich aber gar keine Einarbeitung. Nach einer Weile bat ich den MoP, mir einen freien Tag zu genehmigen, nachdem ich trotz halbtägiger Bezahlung zwei Wochen ganztägig auf meiner neuen Arbeitsstelle zugegen gewesen war. Aber er lehnte meine Bitte ab, weil ich nach seiner Meinung das Messgerät noch nicht richtig zum Funktionieren gebracht hatte. Das Seltsame daran war, dass das Gerät vor meiner Ankunft bereits über ein Jahr „gelaufen“ war, ohne dass es verwertbare Ergebnisse ausgespuckt hätte. Ich sollte dies nun mittels Zauberhand in Windeseile bewerkstelligen. Der Naturwissenschaftler als Sklave von Geräten, Projekten und Professoren; etwas anderes schien er hier nicht zu sein. Da nützen kein fünfjähriges Studium, keine Promotion mit resultierendem Doktortitel, kein berufsbegleitendes Aufbaustudium, keine glänzenden Zeugnisnoten, keine Veröffentlichungen in internationalen Fachzeitschriften. Nichts.

Die Beschimpfungen und Beschuldigungen, die mir MoP besonders gern im Beisein der Doktoranden und Diplomanden zu schenken pflegte, nahmen groteske Züge an. So bezeichnete er mein im vorherigen Kapitel beschriebenes unglückliches und unverschuldetes Ende meiner vorherigen Postdoc-Anstellung als Rausschmiss, obwohl der Institutsleiter in meinem Arbeitszeugnis die von mir unverschuldeten Gründe exakt hervorgehoben hatte. Einmal musste sogar die Sekretärin schriftlich protokollieren, wie er mich beschimpfte. Als ich mich hinterher bei ihr erkundigte, was mit dem Protokoll geschieht, erwiderte sie, es würde offizielle Wege gehen. Bei diesem erquicklichen Zusammensein warf mir MoP unzählige Details vor, weswegen er mit meiner Arbeit nicht zufrieden war. Ein Hauptpunkt dabei war, dass ich ihm diverse Fragen zum Messgerät und dessen Software nicht beantworten konnte. Diesen Vorwurf hätte ich ebenso gut umkehren können, denn die offenen Fragen hätte ich auch gern von ihm beantwortet bekommen. Schließlich besaß er das betroffene Gerätesystem schon einige Jahre. Er hatte es sogar aus einer anderen Stadt mitgebracht, wo er vorher als Laborleiter gewirkt hatte. Doch auf Fragen, die ich ihm stellte, erwiderte er entweder „das weiß ich doch nicht“ oder er ignorierte sie völlig. Stattdessen warf er mir als Nächstes vor, ich wäre nicht in der Lage, sowohl die Spektren, die ich aufnehme, zu interpretieren als auch generell Ergebnisse zu produzieren. Das Ganze bezog sich auf einen Zeitraum weniger Wochen meiner Tätigkeit auf einem für mich völlig neuen Forschungsfeld. Und schließlich wäre ich seinen Aufforderungen, mit Ergebnissen zu ihm zu kommen, nie gefolgt. Wie sollte ich ihm seine ersehnten Ergebnisse auf seinem Schreibtisch servieren, wenn sein Konzept, das er mir auflud, keine hervorbrachte? Ich ließ mich von seinen Vorwürfen nicht in die Enge treiben, sondern legte ihm meine Unzufriedenheit und das Verständigungsproblem, das ich mit ihm hatte, in vollem Umfang dar. Dies trieb ihn zur Weißglut und mich an den Rand des Zusammenbruchs.

Eines Abends wagte ich es, die von MoP überwachten Räume eine halbe Stunde eher als erlaubt zu verlassen, da ich beabsichtigte, bei einer Nachwuchsgruppenleiterin fachlichen Rat zu ersuchen, die in einem anderen Gebäude tätig war. Doch zu allem Unglück passend, hatte sich mein MoP mit dieser jungen Dame, welche auf ähnlichem Fachgebiet wie wir tätig war, seit geraumer Zeit verstritten. Im Zuge der ursprünglichen Einrichtung ihrer Nachwuchsforschungsgruppe war es geplant gewesen, dass sie die in MoP`s Laboren vorhandenen Messgeräte für ihre Forschungszwecke mit benutzen dürfte. Dies aber wollte MoP nicht. Ein ordentlicher Professor duldet nämlich keine jüngere weibliche Konkurrenz in seinem Herrschaftsgebiet. Ganz ähnlich benahm sich viele Jahre später mein Habilitationsinitiator, wovon an anderer Stelle noch zu berichten sei. An jenem Abend auf dem Gang des Institutes versuchte MoP zu verhindern, dass ich die junge Frau besuchte. Zum Zwecke des wissenschaftlichen Austauschs ging ich trotzdem zur besagten Kollegin, welche mir an diesem Abend und auch zu späteren Gelegenheiten stets offen, hilfsbereit und freundlich gegenübertrat. Doch diesen fachlichen Kontakt verbot mir MoP, weshalb ich ihn verheimlichte. Als ich eine Weiterbildungsveranstaltung einer geräteproduzierenden Firma in einer anderen Forschungseinrichtung besuchte, traf ich dort eine ehemalige Mitarbeiterin meines MoP`s aus seiner Vergangenheit weit im Westen Deutschlands. Sie nahm auch am Seminar teil. Als ich ihr berichtete, dass ich seit Kurzem zum neuen Arbeitskreis des MoP gehöre, schaute sie mich entsetzt an und empfahl mir mit warnender Stimme: „Suchen Sie sich schnellstmöglich eine andere Stelle! Der macht Sie fertig!“ Dann berichtete sie mir noch von zwei seiner ehemaligen Doktoranden, die außer ihr unter ihm gelitten hatten. Die an mich gerichtete unglückliche Prophezeiung erfüllte sich recht bald. Ich hielt die täglichen Anfechtungen und Degradierungen nicht mehr aus und musste mich krankschreiben lassen. Wie mir die Diplomanden berichteten, verlautete MoP im Labor, dass er meine Krankschreibung nicht anerkennen werde. Zuvor hatte ich bei diversen Personen, welche verantwortungsvolle Funktionen an der Universität ausübten, um Hilfe gesucht. So erzählte ich meine gravierenden Probleme dem Ombudsmann für wissenschaftliches Fehlverhalten, welcher ein Physikprofessor war, der Gleichstellungsbeauftragten der Chemischen Fakultät, welche eine Chemieprofessorin war, und gar der Frauenbeauftragten der ganzen Universität. Auch stellte ich mich bei der Geschäftsführerin des Forschungszentrums vor, wozu MoP`s Abteilung gehörte. Doch alle von der Universität mit den genannten gewichtigen Ämtern betrauten Personen redeten nur einher. Die Frauenbeauftragte der Universität erzählte mir von ihrer gescheiterten Ehe und wie auch sie unter den Männern leiden musste. Die Gleichstellungsdame der Fakultät ermahnte mich, die ihr geschilderten Zustände bloß nicht weiter zu erzählen. Und der Ombudsmann riet mir tatsächlich, meine Freizeit mit den anderen Institutsangehörigen zu verbringen. Auf das ich mich der verdorbenen, feindseligen Atmosphäre auch nach der Arbeitszeit noch aussetzte! Ansonsten übernahm er weitgehend die Positionen des MoP, die ihm jener unter vier Augen zu übermitteln pflegte. Zwar hörten sich die genannten Ansprechpartner meine Sorgen an, aber eine echte Hilfestellung leistete mir keiner. Es wurde keine dringend notwendige Aussprache mit dem MoP einberufen. Niemand wagte sich an ihn heran. Also konnte er sich weiter austoben, und ich blieb ihm völlig unterstützungslos ausgeliefert, obwohl es in der Satzung der Universität zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis einen Paragraphen mit folgendem Wortlaut gab: „Nachwuchswissenschaftler haben Anspruch auf regelmäßige wissenschaftliche Betreuung, Beratung und Unterstützung.“ Das Gegenteil aber spielte sich ab. Ich nahm noch einmal Kontakt auf mit der ehemaligen Mitarbeiterin des MoP, die ich auf dem Firmenseminar kennen gelernt hatte. Sie warnte mich erneut, dass es dem MoP in keinster Weise daran gelegen sei, dass es für mich gut ausgeht und dass er alles versuchen wird, mich über den Tisch zu ziehen und mich in einem ganz schlechten Licht dastehen zu lassen. Sie kannte ähnliche Fälle...

Auf einer Tagung, die in einer anderen Forschungseinrichtung stattfand, ließ mich mein vorgesetzter Professor von einem extra dazu geschickten Kollegen aus einer Diskussion mit anderen Tagungsteilnehmern herausholen. Sein unwirsches Vorgehen begründete er damit, dringend einen Beisitzer für einige studentische Diplomprüfungen zu benötigen. Diese Aufgabe hätte zwar ebenso mein unfreundlicher Abholer übernehmen können, wobei er gleichzeitig noch das Benzin für die halbstündige Fahrt zum Tagungsort und zurück hätte sparen können. Aber er duldete keine Diskussion und raunzte mich an: „Komm jetzt!“ Der Anweisung meines Vorgesetzten folgend verließ ich die Tagung, für die ich immerhin meinen Tagungsbeitrag bezahlt hatte. Kaum im MoP-Institut angekommen, eilte ich zum Prüfungszimmer. Doch es kam nicht so weit, dass ich es betreten konnte. Die Sekretärin eilte mir entgegen, um zu verkünden, dass ein Professor aus einem Nachbarinstitut den Prüfungsbeisitz übernimmt. Das ganze eilige Theater, mich von der Tagung wegzuholen, schien umsonst zu sein; oder doch nicht, sondern um mich wieder einmal zu degradieren und zu schikanieren. Proben eines externen Kooperationspartners, die seit etwa einem Jahr in der Tiefkühltruhe lagerten, und an denen sich schon ein Doktorand die Zähne ausgebissen hatte, sollte ich augenblicklich und erfolgreich vermessen. Bis heute, das heißt neun Jahre nach meiner Flucht aus der Arbeitsgruppe des MoP, taucht keine einzige Veröffentlichung über die damals mir übergebene Thematik in der Publikationsliste des MoP auf. Dies bedeutet, dass auch nach mir niemand Erfolg damit hatte, was ich aufgrund der meinem Eindruck nach zum Scheitern verurteilten Herangehensweise auch erwartete. Aber bis zum Anschlag drangsalierte er mich deswegen, und dies angesichts meines einjährig befristeten Arbeitsvertrages. In einer unserer Diskussionen herrschte er mich an: „Merken Sie sich eines: was der Chef sagt, ist Gesetz.“ Eine wissenschaftliche Herangehensweise fehlte.

Übrigens hatte er zweieinhalb Jahre in den Vereinigten Staaten von Amerika verbracht, was, wie bereits erwähnt, für einen in die Führungspositionen des heutigen Wissenschaftssystems strebenden Wissenschaftler von großem Ansehen ist. Über Sinn und Zweck von Auslandsaufenthalten habe ich bereits an anderer Stelle ein paar Worte verloren. Obwohl der Professor in der Bildungshierarchie viel weiter aufgestiegen war als ich, lehrte und erklärte er mir nichts, sondern erwartete von mir, dass ich alles schon wusste über das für mich ganz neue Forschungsthema, welches er schon Jahre vor mir bearbeitete. Wenn ich eigene Vorschläge bezüglich der experimentellen Vorgehensweise unterbreitete, weigerte er sich, diese anzunehmen und negierte sie meist völlig kommentarlos. Im wöchentlich stattfindenden Literaturseminar, worin alle Arbeitsgruppenmitglieder abwechselnd zu ihren Forschungsthemen passende Fachartikel vorstellten, verließ er den Raum, als ich an der Reihe war. Dazu behauptete er noch, ich hätte in zwei aufeinander folgenden Seminaren zweimal Dasselbe erzählt. Tatsächlich aber hatte ich zwei verschiedene Literaturartikel mit wechselndem Inhalt vorgestellt. Man ersieht daraus, welch konstruktive wissenschaftliche Diskussionen man mit MoP führen konnte.

Irgendwann landete die Geschichte beim Personaldezernat, denn MoP beabsichtigte, mich schnellstmöglich zu entsorgen. Er behauptete sogar, dass er das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bewilligte Projekt, auf welchem ich für ein Jahr eingestellt worden war, zurückgeben wird, wenn ich aufhöre. Kein Wissenschaftler, geschweige denn einer aus dem Professorenstand, gibt jemals ein schwer erkämpftes DFG-Projekt zurück, das ihm Finanzmittel schenkt. Nach meiner Entlassung hätte er jederzeit einen neuen, auf Projekten herumirrenden Wissenschaftler einstellen können, denn das Projekt war nicht personengebunden. In meinem Arbeitsvertrag war dieses Mal aufgrund der kurzen Gesamtdauer keine Probezeit eingetragen worden, weshalb mich der MoP nicht so leicht eliminieren konnte. Also fuhr er schwere Geschütze auf. Beim Personalchef der Universität beschwerte er sich, ich würde seine professorale Autorität in der Arbeitsgruppe untergraben. Mein ehemaliger Arbeitsgruppenleiter aus meiner Promotionszeit, dem ich mein Leid klagte, verfasste ein Schreiben an den Personaldezernenten, in dem er seine Überzeugung ausdrückte, dass ich vollkommen unschuldig war an der unangenehmen Situation. Er schilderte, dass ich während meiner Tätigkeit in seinem Arbeitskreis „eine außerordentlich engagierte, fleißige und überlegte Arbeit geleistet hatte, die zu Recht in einer sehr guten Promotion mündete“. Weiterhin bat er die Personalstelle, die Umstände aufzuklären, die seiner Meinung nach zu meiner vollständigen Entlastung führen würden. Der Personalchef antwortete ihm nie. Allerdings ordneten die Personaldezernenten die Angelegenheit letztendlich einer persönlichen Unverträglichkeit zwischen mir und MoP zu, was mich wenigstens teilweise entlastete. Schließlich hatte ich mir nichts vorzuwerfen. Ohne Hinweise und Hilfestellungen des Professors, der schon jahrelang auf der für mich völlig neuen Thematik arbeitete, versuchte ich, mich in das Messen seiner eigentlich in dieser Weise unmessbaren Proben einzuarbeiten. Jeden Tag telefonierte ich mit Firmen, Servicetechnikern und Fachkollegen, um irgendwie voranzukommen. Wenn MoP mir wieder etwas vorwarf, wehrte ich mich. Mehr nicht. Die Krönung seiner Schikanen gipfelte darin, dass ich mir als promovierte Mitarbeiterin meinen kleinen Schreibtisch einschließlich des darauf stehenden Computers mit einer Studentin teilen sollte, die neu ans Institut kam; und dies im selben Büroraum, wo alle geringer qualifizierten Diplomanden und Doktoranden einen eigenen Schreibtisch besaßen. Zu MoP`s Strategie gehörte eben auch Degradierung. Im Nachhinein ist es mir ein Rätsel, wie ich all diese schrecklichen Tage, die vor Psychoterror nur so strotzten, überhaupt aushielt. Oft schleppte ich mich vom Mittagessen in der Mensa durch den wunderschönen, alten Park zurück und wollte eigentlich nicht mehr in das Horrorlabor zurückkehren. Munter pickende Stare mit perlenbesetztem schwarzem Kleid spazierten auf den Parkwiesen umher und verbreiteten einen Hauch einer natürlichen Welt. Aber ich hörte nicht auf meine Seele. Ein Naturwissenschaftler darf keine Seele haben. Er muss funktionieren wie seine Geräte, und wehe, wenn nicht. Dann hilft auch kein Servicetechniker mehr. Leg ab deine Sehnsucht nach Wiesen und Wald. Geh hinein in das große Haus aus Glas, Beton und Stahl. Schalte das künstliche, blendende Röhrenlicht an. Lass die Jalousien herunter, damit kein Sonnenstrahl das Computerlicht stört. Setz dich nieder und klicke. Klicke bis zum Abend, wenn du die Jalousien hoch lassen kannst, weil die Sonne flacher steht oder untergegangen ist. Die Computerabhängigkeit des Berufsalltags in der Naturwissenschaft trägt nicht nur zur vollendeten Naturentfremdung der Naturwissenschaftler bei, sondern begünstigt das Entstehen einer speziellen Form der Demenz, vor welcher Mediziner warnen [24]. Manfred Spitzer nennt sie „digitale Demenz“.

An meinem letzten Arbeitstag in den Räumen des MoP packte ich meine Sachen im Büro zusammen und löschte meine Dateien vom Computer. Dabei wurde ich von einer Laborantin beobachtet, die sich unmittelbar hinter meinem Rücken aufstellte. Als sie nicht entwich und mir unablässig zuschaute, fragte ich sie, was dies zu bedeuten hätte. „Der Professor hat mich beauftragt“, lautete ihre knappe Antwort. Fürchtete er, dass ich ihm seine missglückten Messdaten zu entführen beabsichtigte? Wo ich doch heilfroh war, mich damit nicht mehr quälen zu müssen!

Im Arbeitszeugnis übernahm er exakte Formulierungen aus der verschlüsselten, aber allgemein bekannten Zeugnissprache. Da er die Sätze nicht einmal ansatzweise phantasievoll abwandelte, konnte man in entsprechenden Broschüren direkt die Bedeutungen ablesen. In allen Punkten mit Ausnahme der Fachkenntnis erteilte er mir die schlechtesten Prädikate. Wohl merkte er, dass er aufgrund meiner vorangegangenen erfolgreichen Promotion und meiner bisherigen Fachveröffentlichungen unglaubwürdig erscheinen könnte, wenn er meine fachliche Qualifikation zu sehr herabwürdigte. Ebenso wie zum abrupten, von mir unverschuldeten Ende meiner Postdoktorandenanstellung am ungrünen Pflanzeninstitut quälten mich auch jetzt wieder anhaltende Magenschmerzen.

Die Personalleitung strebte eine Umsetzung für mich an, innerhalb der Universität, jedoch zu einem anderen Professor. Für diese Aktion mussten zur Gewährung der Restlaufzeit meines einjährigen Arbeitsvertrages Finanzen zur Verfügung gestellt werden. Aus welcher Quelle diese stammten, wurde mir nicht mitgeteilt. Es war eine zunächst gerechte Idee. Auch sollte ich von der Chemischen Fakultät in die Biologisch-Pharmazeutische Fakultät wechseln, um größeren Abstand zum MoP zu bekommen. Der damalige Dekan, ein aus den westlichen Bundesländern eingewanderter Pharmazie-Professor, und der damalige Dekanatsrat, ein alteingesessener Doktor der Tierphysiologie, der in meiner Studienzeit sehr beliebte Vorlesungen hielt, empfingen mich zu einem Gespräch. Sofort spürte ich die energetische Lage des Treffens: während mir der aus Richtung des Sonnenunterganges entstammende Dekan arrogant und zynisch gegenübertrat, zeigte der heimattreue Altvordere Verständnis und Humor. Allerdings war Letzterer Ersterem untergeordnet. Meine Bitte, im botanischen oder pflanzenphysiologischen Bereich, in dem ich mich bereits im Studium qualifiziert hatte, unterzukommen, fand trotz des mehrfach vom Dekanatsrat geäußerten Verständnisses beim Dekan kein Gehör. Im Gegenteil, ich sollte in eine pharmazeutisch orientierte Arbeitsgruppe wechseln und mich an Tierversuchen beteiligen. Dies lehnte ich ab. Der Dekan wetterte, ob ich mich ins gemachte Nest setzen wolle. Die geplante Umsetzung scheiterte. Im Nachhinein erwies es sich als gut, dass ich nicht in diese Arbeitsgruppe übersiedelte, denn kurz darauf geriet die leitende Professorin in Misskredit wegen vermuteten wissenschaftlichen Betruges.

Also meldete ich mich wieder arbeitslos. Während dieser Zeit bastelte ich einen eigenen Projektantrag zusammen, mit Hilfe ideeller und fachlicher Unterstützung meiner alten Kollegen aus der Doktorandenzeit. Das Verfassen eines Projektantrages gestaltet sich stets sehr aufwändig. Zunächst benötigt man ein Konzept, welche Fragen man auf welche Weise zu erforschen gedenkt. Dies muss neuartig, also noch nicht von anderen Wissenschaftlern versucht worden sein, was mit ausreichend Literatur zu belegen ist. Dann muss man eigene Vorarbeiten zur Thematik auflisten, welche möglichst bereits in der Fachliteratur publizierte Resultate hervorbrachten. Zu Beginn ist der allgemeine Stand der Forschung zum speziellen Gebiet ausführlich darzulegen. Um die geschilderten Dinge auf 20 Seiten in einen die späteren Gutachter überzeugenden Zusammenhang zu bringen, verbringt man ohne arbeitsrechtliche Anstellung viele Tage vorm Computerbildschirm. Stille Abende und hereinbrechende Nachtstunden, an denen man weiter darüber brütet, sind keine Ausnahme. Oftmals verteilte ich die zu sortierenden Antragszettel spätabends in meinem Bett.

Als ich während des Bastelns an den Formulierungen meines Projektantrages in meiner alten Arbeitsgruppe zu Gast war, klingelte das Telefon und ein emeritierter, aber noch aktiver Professor aus der Chemischen Fakultät der Universität, wo ich gerade herausgeflogen war, lud mich zu einem Vorstellungsgespräch ein. Er hatte noch ein Forschungsprojekt laufen, für welches er einen Naturwissenschaftler mit Kenntnissen in genau dem Gebiet suchte, worin ich mehr oder weniger unfreiwillig vielfältige Erfahrungen gesammelt hatte. Ich kannte diesen Professor noch vom Aufbaustudium. Natürlich hatte ich Interesse. Etwas skeptisch fragte er mich, ob ich denn mit der Kollegin zu Recht kommen würde, die auch auf dem Projekt tätig war. Wohl hatte hier MoP im Hintergrund verbreitet, dass ich allen das Leben schwer machen würde. Dabei war ich ein lustiger, offener Mensch, der niemandem Böses wollte und eine große wissenschaftliche Motivation mitbrachte, aber es fiel mir schwer, falsche Autoritäten und gemeinste Vorwürfe an mich zu akzeptieren. Dieser Charakterzug wurde mir immer wieder zum Verhängnis. Wo sich hier wohl die hochgepriesene Demokratie versteckt? Und wo die offene wissenschaftliche Diskussion? Im Reich der neuen Professoren gibt es keine Demokratie und kaum offene Diskussionen. Professoren erheben einen Anspruch auf totalitäre Machtausübung. Wie treffend formulierte jener liebenswerte Professor, dessen Autorität ich auf ganz natürliche Weise anerkannte, weil er ganz einfach eine kluge, fachlich und menschlich vernünftige Persönlichkeit darstellt, die Starallüren seiner zumeist jüngeren Kollegen: „Die Institute gehören dem Staat. Aber ganz viele Professoren betrachten die Institute als ihr Privateigentum und benehmen sich auch so.“ Dies rührt auch daher, dass der Staat, seine Politiker, Bürger und Institutionen, ihre Professoren zwar gut bezahlen, sie jedoch in keinerlei Weise weder fachlich noch hinsichtlich ihres Sozialverhaltens kontrollieren. Gleichzeitig mit ihrer Erhebung in den Professorenstuhl erhalten sie einen Freibrief auf Lebenszeit. Die Angestellten eines wissenschaftlichen Institutes dagegen reflektieren den Typ des braven Staatsbürgers, „des kleinen ängstlichen Menschen, der nie aufbegehrt, immer wartet, sich einrichtet, keinen Widerstand leistet“ [3]. In einer aktuellen Ausgabe einer deutschsprachigen naturwissenschaftlichen Zeitschrift fragt ein Autor, warum Wissenschaftler nicht streiten, nicht einmal dann, wenn es um eine große Sache geht (im zitierten Fall geht es um die Zugrunderichtung der Erde durch die vielfältigen menschlichen Aktivitäten) [25]. Ich habe in meiner gesamten, fast fünfzehnjährigen wissenschaftlichen Laufbahn nicht ein einziges Mal erlebt, wie Wissenschaftler um eine große Sache stritten. Wenn es denn mal um etwas Großes ging, und das kam äußerst selten vor, begegnete mir entweder die blanke Ignoranz oder dieses verächtliche, von Kopfschütteln begleitete „mmh“. Meine Wissenschaftlerkollegen stritten sich ständig um die Beherrschung von Laborräumen und Geräten, um die Verteilung von Institutsfinanzen und Arbeitsaufgaben, aber niemals um große Sachen, denn ihr Horizont endet ganz nah an der Grenze des eigenen Erfolgs und des Ansehens und der Angst vor dem Ende des Arbeitsvertrages, und um Ersteres zu erlangen und Letzteres zu vermeiden, muss der Wissenschaftler absolut konform gehen mit der öffentlichen Meinung über Fortschritt, Wohlstand und Marktwirtschaft.

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