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I.VI Ein kurzes Aufflammen guter wissenschaftlicher Arbeit

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Nun durfte ich wieder einen neuen Arbeitsvertrag unterschreiben. Dieser umfasste eine Dauer von neun Monaten, denn diese begrenzte Zeitspanne entsprach der noch verfügbaren Restlaufzeit des Projektes, welches wie dereinst am ungrünen Pflanzeninstitut vom BMBF finanziert wurde. Das Thema war wieder ein ganz anderes, womit ich bisher noch nie in Berührung geraten war. Es ging um Grundwasserkontaminationen von Rüstungsaltlasten. Zu einem solchen belasteten Standort fuhren wir ab und zu zur Besichtigung einer Wasserreinigungsanlage sowie zum Abholen von Proben. Zwei kleine umwelttechnologische Firmen waren mit in diesem Projekt involviert. Vom ersten Tag an fühlte ich mich sehr wohl. Die fachliche Aufgabenstellung gefiel mir sehr gut, so dass ich mich auch schnell einfinden konnte. Kaum zu glauben: die Arbeit machte wieder Spaß. Nach Extraktions- und Anreicherungsschritten der interessierenden Analyten aus Rohwässern und aus technisch aufbereiteten Wasserproben führte ich flüssigchromatografische Trennungen mit anschließender massenspektrometrischer Detektion durch. Wir suchten nach Art, Struktur und Eigenschaften der enthaltenen Sprengstoffe und ihrer Umwandlungsprodukte. Viele der Substanzen entfalten umwelttoxikologisches und krebserregendes Potential. Ich entwickelte und optimierte die genannten analytischen Verfahren hinsichtlich quantitativer Konzentrationsbestimmungen.

Mit der Zeit stieg mein Ehrgeiz, den alten und neuen Kollegen zu zeigen, dass ich nicht der unmögliche Trottel war, wie es MoP überall verkündete. Irgendwie lief es auch gut. Der Umgang in der kleinen Arbeitsgruppe war sehr freundschaftlich und erinnerte mich an meine angenehme Doktorandenzeit. Der emeritierte Professor wie auch die anderen Kollegen waren nicht aus den westlichen Bundesländern eingewandert, sondern stellten allesamt DDR-Relikte dar. (Im Kapitel I.III versuchte ich die Problematik der von westdeutschen Kollegen verursachten Veränderungen des Wissenschaftssystems zu erläutern.) Ein guter Geist wehte in den Räumen, der geprägt war von Kollegialität, Humor und fachlicher sowie menschlicher Aufgeschlossenheit. Ein wenig wehte dieser Geist auch in das mit Großgeräten voll gestopfte Messlabor herein, in welchem ich eingezwängt zwischen brummenden Maschinen meine Tage fernab von Sonnenlicht und frischer Luft verbrachte.

Im Hintergrund agierten noch immer MoP und seine manipulierten Handlanger. Die psychologischen oder besser psychotischen Strukturen an einem Institut können außerordentlich verworren sein. So gab es eine Kollegin in der sogenannten Serviceabteilung, welche MoP zugeordnet war, aber mit ihrer brummenden Gerätesammlung in einem anderen Gebäude Unterschlupf gefunden hatte. Vor dieser ebenfalls promovierten, etwa 40-jährigen Dame warnten mich meine alten Kollegen aus der Doktorandenzeit, dass der Umgang mit ihr nicht einfach sei. Da aber auch sie genau wie ich unter MoP litt, vereinten wir uns noch während meiner Zugehörigkeit zum vom MoP geleiteten Institut zu gemeinsamen Mittagspausen, und ich wiegte mich in dem Glauben, wir verstünden uns gut. Sie erzählte mir ellenlange Geschichten aus ihrem privaten und sonstigen familiären Umfeld in größter Ausführlichkeit und Vertrautheit, weshalb ich oftmals Mühe hatte, unsere Mittagspause rechtzeitig zu beenden, um mich wieder in die vom MoP bewachten Labore zurück zu begeben. Diese vermeintlich gute Beziehung hielt auch noch eine Weile an, als ich in die neue Arbeitsgruppe gewechselt war. In meinem Vertrauen wandte ich mich gern an die im Umgang mit den Geräten erfahrenere Kollegin. Sie betreute auch das Gerät, an welchem ich die mit diversen Chemikalien belasteten Umweltproben messen sollte. Doch nach nicht allzu langer Zeit spürte ich ein seltsames Kippen ihrer Gesinnung. Gerade so, als wäre sie von der charmanten Art des MoP angesteckt worden, legte sie mir meine fachlichen Fragen als Unkenntnis und Ungeeignetheit zur Last. Durch solche, sich überall wiederholende, zeit- wie nervenraubende Sticheleien hinderte man mich immer wieder am wissenschaftlichen Arbeiten statt dieses zu unterstützen. Überall wird die so wichtige fachübergreifende Diskussion zwischen hochspezialisierten Wissenschaftlern gelobt. Mir aber entschleierte sich auf meiner Irrfahrt durch Institute und Arbeitsgruppen verschiedenster Ausrichtung ein ganz anderes Bild: wenn du Neuling bist an einem Institut -und das bist du bei dem üblichen Stellenhüpfen ständig- wage nicht, alteingesessene Kollegen um Rat zu fragen, und erst recht nicht den Professor. Dein Fragen könnte Verdacht erregen, du seiest nicht qualifiziert genug und darum ungeeignet für die Besetzung der Stelle. Dabei ist es schier unmöglich, bei der extremen Spezialisierung, die man sich gezwungenermaßen auf den üblichen Forschungsprojekten erwirbt, das komplette, für eine nachfolgende Arbeitsaufgabe notwendige Spezialwissen von Vornherein mitzubringen. Bereits andere Autoren bemerkten, dass das wissenschaftliche System jeden einzelnen Wissenschaftler zu extremem Spezialistentum zwingt und ihm die Zeit raubt, sich mit anderen Spezialgebieten zu beschäftigen, die nicht zu seinem aktuellen Fachgebiet gehören. Versuchte er Letzteres dennoch, so wird ihm dies sogar übel genommen und man wirft ihm „unwissenschaftlichen Dilletantismus“ vor [12]. Ganz besonders kriminell wird es, wenn man – und dieser Trend verstärkt sich mit der Geräteabhängigkeit der Naturwissenschaft – zum Gerätebediener degradiert wird. Jedes Gerätesystem erfordert eine komplett neue Einweisung für den Benutzer. Tage- bis wochenlang quält man sich mit dicken Benutzerhandbüchern und erlangt doch nicht die Sicherheit, die man durch direktes Demonstrieren eines erfahrenen Nutzers hätte in viel kürzerer Zeit erwerben können. Wenn Großgeräte wie diverse Spektrometer oder deren Kopplungen mit Trennanlagen (ebenfalls große Kästen mit Flaschen obendrauf oder unten drin) von einem Institut neu angeschafft werden, bieten die Gerätehersteller in der Regel eine mehrtägige Schulung für die zukünftigen Gerätenutzer an. Kommt man nun zu späteren Zeiten als neuer Mitarbeiter ans Institut, bekommt man die wichtigsten Anklicksymbole am Steuerungscomputer und ein paar Regulierungsknöpfe an den Instrumenten gezeigt, und wehe, man wagt viel nachzufragen. Erlaubte man sich gar, einige Tage nach der missmutig gewährten Einweisung noch einmal einen erfahrenen Kollegen um Rat zu fragen, weil man unsicher war oder sich etwas hinsichtlich der Gerätebedienung nicht gleich gemerkt hatte, riskierte man, gleich komisch angeschaut und hinter dem Rücken als unfähig bezeichnet zu werden. Pädagogische Freude, als erfahrener Gerätebediener neuen Kollegen Auskunft zu geben, geht gesamten Wissenschaftlergenerationen verloren. Wissen und Erfahrungsschätze zu teilen, weiter zu geben, gemeinsam ungezwungen und offen zu diskutieren, gehört nicht mehr zum wissenschaftlichen Miteinander. Es gibt drei wesentliche Gründe dafür:

1.) Der neue Mitarbeiter wird von Anfang an als Konkurrent wahrgenommen, weshalb es besser ist, ihn nicht in die eigenen, mühsam errungenen Spezialkenntnisse einzuweihen.

2.) Die vom neuen, um Einarbeitung flehenden Mitarbeiter um Auskunft und Hilfe gebetenen Wissenschaftler fühlen sich angesichts ihres ebenfalls hohen Arbeitsdruckes gestört und in ihrer eigenen Tätigkeit unterbrochen.

3.) Das Bedienen der Computer und Geräte macht keine Freude, denn nur was ein Mensch mit Hingabe und Begeisterung tut, erzählt er auch gern seinen Mitmenschen.

Übrigens gibt es ein erschlagendes, weil für den Verunglimpften nur schwer zu entkräftendes Argument im Umgang unter Wissenschaftlern: wenn man jemanden unter den Kollegen nicht leiden mag, verbreitet man über ihn ganz einfach, er habe „keine Ahnung“ von diesem oder jenem in der Labor- und Messszene. Wie oft hörte ich von verschiedensten Kollegen an verschiedensten Instituten diesen bösen Spruch über einen ihnen unbeliebten Mitwissenschaftler. Die Suche nach Menschlichkeit, einer liebenswürdigen Geste, einem heiteren Gespräch erstickt in technischen Geräten und Geräuschen und in der allgegenwärtigen Konkurrenz. Wie kann in solcher Atmosphäre Gutes, Förderliches gedeihen? „Das Karriereprinzip ist Krieg: Ich muss den anderen übertrumpfen, ich muss ihn unterdrücken, dann bin ich der Sieger. Dann bin ich wer! Überlegen wir uns doch einmal, wie die psychischen Strukturen eines Menschen aussehen müssen, dessen Lebensziel darin besteht, den anderen ständig übertrumpfen zu müssen.“ [1]

Das Geschehen am Institut entwickelte sich so, dass mir meine einst vertraute Kollegin aus der MoP-Gruppe diverse Schandtaten unterschob, wozu als bösester Vorwurf gehörte, dass ich das teure Messgerät verschmutzt hätte. Dabei war ich bei weitem nicht die einzige Nutzerin des Gerätes, und es war offensichtlich seit geraumer Zeit nicht richtig gesäubert worden. Nun durfte ich den ganzen angesammelten, regelrecht festgefressenen Schmutz abscheuern. Diese Arbeit entehrte mich keineswegs, wohl aber Art und Ton der Vorwürfe. Zur gleichen Zeit trat ein ernstes Problem auf, was aus einer bloßen Unwissenheit des MoP resultierte. Sein am selben Gerät wie ich messender Doktorand setzte seinen Proben eine Substanz zu, welche riesige Signale verursachte und die Nachweisempfindlichkeit für alle anderen Substanzen, so auch für meine Verbindungen, welche in den Umweltproben herumschwammen, stark unterdrückte. Die schädliche Substanz persistierte im System. Dabei wurde seit langem überall in der Fachliteratur darauf hingewiesen, dass diese Substanz aus den genannten Gründen für die Art von Messungen, die wir unternahmen, tunlichst zu vermeiden ist. Nur bei MoP war dieser Sachverhalt nicht angekommen, so dass er und sein Doktorand durch ihre unüberlegten Messansätze nun auch noch unseren Arbeiten schadeten. Eines der Hauptanliegen der neuen Professoren aber ist, pausenlos vorzugeben, alles zu wissen und zu können und gleichzeitig anderen Wissenschaftlern Versagen und Unkenntnis vorzuwerfen.

Sogar zum Institutsdirektor wurde ich berufen, weil sich besagte Dame bei ihm über mich beklagte. Glücklicherweise einigte ich mich mit ihm, dass die aktuell aufgetretenen Ungereimtheiten als Folge der angespannten Situation in meiner vergangenen Arbeitsgruppe anzusehen sind. Da meine neuen Kollegen und mein neuer Professor den Ärger gut abpufferten, überstand ich das neuerliche Theater unbeschadet. Mein durch die bösen Hetzereien und die straffe, insgesamt nur neun Monate umfassende Befristung angeheizter Arbeitseifer steigerte sich ins Grenzenlose und Unverantwortliche, als ich von einem Magen-Darm-Infekt heimgesucht wurde. Nachdem ich in einer Nacht keinen Schlaf fand, weil mich starke Bauchkrämpfe plagten, und ich zum Frühstück nur etwas Zwieback und Tee verzehrte, schleppte ich mich trotzdem ins Labor, weil ich mir auf gar keinen Fall einen Fehltag zubilligte. Allerdings beendete ein heftiges Erbrechen in das Ausgussbecken diesen Arbeitstag bereits am Vormittag. Eine Kollegin fuhr mich nach Hause, weil sich zur Übelkeit nun auch noch Schwindel und Schwäche hinzugesellten. Kaum konnte ich im Laufe des nächsten Tages einigermaßen wieder aufrecht stehen, schleppte ich mich am Nachmittag ins Institut, um ein paar Dinge zu erledigen. Ich wackelte über die Gänge, angetrieben vom Befristungsunwesen des deutschen Wissenschaftssystems. Noch wochenlang blieb mein Magen verstimmt, weil ich mir keine Ruhe gönnte. Der Infekt heilte sehr schwer aus.

Als die alljährliche große Institutsversammlung mit Vorträgen von Doktoranden und Nachdoktoranden näher rückte, sollte auch ich meine Arbeiten vorstellen. Forschungsergebnisse zum Präsentieren hatte ich zum Glück in ausreichendem Umfang angesammelt. Schier auswendig lernte ich den auf Englisch zu haltenden zwanzigminütigen Vortrag. Noch am Abend zuvor lief ich in unserer kleinen Dachwohnung auf und ab und betete englischsprachige Sätze einher. Die Nacht blieb schlaflos. Doktoranden einer benachbarten Arbeitsgruppe hatten mich gewarnt, dass mir MoP`s Leute böse Fragen stellen wollen, und rieten mir, mich gut vorzubereiten. Zwar fühlte ich mich in meinem derzeitigen Thema sehr sicher, aber ich wollte mich auf keinen Fall vor meiner Ex-Arbeitsgruppe blamieren. Am nächsten Tag fuhren wir zum Tagungsort, einem schlossähnlichen Gebäude auf dem Lande. Die im Hof umher laufenden Hühner trösteten mich. Wieder einmal spürte ich das Vertrauen und die Sicherheit, die mir ein dörfliches Umfeld vermittelte. Wie kalt und feindselig wirkt dagegen unsere hochwissenschaftliche Labor- und Computeratmosphäre! Völlig unerwartet verließ MoP unmittelbar vor dem Beginn meines Vortrages den Saal, nachdem er sich alle vorangegangenen Vorträge angehört hatte. Konnte er mein Auftreten nicht ertragen? Freilich hinterließ es keinen guten Eindruck für ihn, dass die von ihm wegen Unfähigkeit und unmöglichen Benehmens verstoßene Mitarbeiterin vor den versammelten Arbeitsgruppen ihre nunmehr gelungene Arbeit vorstellte. Dieser Umstand passte nicht zu seinem Bild, das er von mir in der gesamten Fakultät gezeichnet hatte. Fachliche Fragen aus seinem professoralen Munde brauchte ich also nicht zu fürchten. Mein Vortrag lief gut in seiner Abwesenheit. Ich war zufrieden damit. Auch die im Vortragssaal verbliebenen Doktoranden aus MoP`s Umkreis stellten mir keine einzige Frage. Große Dankbarkeit empfinde ich gegenüber dem damals schon emeritierten Professor, der mich aus meiner misslichen, verstoßenen Lage befreite und mich trotz der schlechten Beurteilung des MoP in seine Arbeitsgruppe aufnahm. Umso mehr bemühte ich mich um die Erfüllung meiner Aufgaben, so dass wir das Projekt gut zu Ende führten. An der Erstellung des umfangreichen Abschlussberichtes für das BMBF beteiligte ich mich später in erheblichem Umfang, obwohl ich bereits an einem anderen Arbeitsort wirkte. Auch brauchte ich mich nicht zu scheuen, Fragen zu stellen. Es ging eben auch auf andere Weise – damals noch, als letztes Aufkeimen einer vergangenen, abgeschlossenen Zeit. Längst haben die Menschen, die jenen Geist in sich trugen, die unheiligen Hallen der Naturwissenschaft verlassen. Zurückgeblieben sind die elektronische Kälte, das Heer giftiger Chemikalien und die überall vorherrschende Gier nach Messergebnissen. Ein großes Herz muss derjenige haben, der diese Welt zu erwärmen vermag.

Nach einigen Monaten der Projektbearbeitung kam das Gerücht auf, dass die noch zur Verfügung stehenden Projektmittel nicht mehr zur Zahlung meines Gehaltes bis zum Ende der ursprünglich in Aussicht gestellten Dauer von neun Monaten genügen. Dieser Umstand trieb meine Anspannung noch einmal an den Anschlag eines Nervenzusammenbruchs. Wie sollte ich meine Aufgaben beenden? Was passiert, wenn ich die Messreihen jetzt abbrechen muss, ohne Möglichkeit einer Zusammenfassung der Ergebnisse? Nachdem mein Professor mit der das Forschungsprojekt finanzierenden Institution telefoniert hatte, wurden die restlichen Gelder gewährt. Meine zerstörten Nerven aber heilten nicht. Meine altbekannten Angst- und Unruhezustände gewannen wieder an Macht über mich.

Als das Ende des von mir sehr gemochten Umweltprojektes näher rückte und ich mit dem Messen der letzten Proben beschäftigt war, meldete sich völlig unerwartet die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in meinem kleinen Labor. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft verteilt als eines der zentralen Organe des nationalen Wissenschaftsbetriebes auf Antrag Finanzmittel an Wissenschaftler. Die beantragten Forschungsvorhaben werden in einem strengen Begutachtungssystem geprüft. Mein Projektantrag war genehmigt worden. Und dies angesichts einer Bewilligungsrate von etwa 20%. Was dies bedeutete, erfasste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die Schicksalsträchtigkeit jenes Augenblicks offenbarte sich mir erst Jahre später. Damals überschnitt sich die unerwartete Projektbewilligung mit einer Bewerbung, die ich auf eine in einer anderen Stadt ausgeschriebene Laborleiterstelle an einem geologischen Institut geschickt hatte. Dorthin lud man mich zum Bewerbungsgespräch ein und erteilte mir auch eine Zusage. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass diese Stelle selbstverständlich befristet war auf drei Jahre. Die Laborleiterstelle für das chemisch-analytische Labor der Hydrogeologen, mit denen ich zuvor noch nie etwas zu tun gehabt hatte, übte eine große Anziehungskraft auf mich aus, denn mir wehte ein Atemzug Freiheit entgegen. Mich reizte die Herausforderung, als Spezialist für analytische Aufgaben unter weitgehend Fachfremden endlich eigene Ideen und Vorstellungen umsetzen zu können, wie es meiner Qualifikation angemessen wäre. Das vom Professor mehr oder weniger straff gehaltene Gängelband der postdoktoralen Ära, so hoffte ich, würde ich endlich zerschneiden können. Der Leiter des geologischen Institutes, der nächste Professor in meiner Sammlung, versprach mir auch völlige Freiheit in der Wahl der Forschungsthemen neben meinen Aufgaben als Laborverantwortlicher und einigen Lehrtätigkeiten. Die implizierte Befristung auf immerhin drei Jahre eröffnete zudem eine länger anhaltende Beschäftigungsdauer, als es mir bisher vergönnt gewesen war. Ich freute mich riesig, MoP`s versmogtem Dunstkreis endgültig zu entschweben. Mein guter Emeritus konnte mir über sein auslaufendes Projekt hinaus sowieso keine Zukunft bieten. Aber jenes neunmonatige Intermezzo in einem guten, wissenschaftlich anregenden Arbeitsklima bleibt mir in dankbarer Erinnerung, selbst wenn es genau wie alle anderen Tätigkeiten in der naturwissenschaftlichen Szenerie sehr gerätelastig und ohne Bezug zu irgendetwas Natürlichem war. Das war die Promotionszeit auch schon. Aber beide, die Promotionszeit und die Zeit beim Emeritus, boten ehrliches menschliches Miteinander, das ich nicht missen möchte und das die Naturentfremdung der Naturwissenschaften teilweise überdeckte. Intakte zwischenmenschliche Beziehungen können aber nicht bestehen im modernen Wissenschaftssystem, und sie sind mir außer in den Rudimenten der ostdeutschen Vergangenheit nirgends wieder begegnet.

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