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Der Krieg von 1294–98
ОглавлениеIN BEIDEN DIESER FÄLLE waren von den Franzosen erfundene Anschuldigungen der maßgebliche Kriegsgrund. Philipp etwa provozierte Eduards Vasallen in Aquitanien dazu, Beschwerden gegen ihren englischen Lehnsherrn einzureichen. Der eigentliche Casus Belli erwuchs jedoch aus Streitereien zwischen Seeleuten aus der Normandie und der Gascogne, die im Mai 1293 in einem Überfall aus Bayonne stammender Matrosen auf die Hafenstadt La Rochelle gipfelten. Im Oktober zitierte Philipp Eduard zu sich: Der englische König sollte sich wegen Beschwerden über seine gaskognischen Untertanen und Amtsträger verantworten. Sein Nichterscheinen und das Scheitern der Verhandlungen insgesamt führten zur Konfiszierung des Herzogtums Guyenne durch die französische Krone im Mai 1294.
Die Franzosen waren bereits zur Invasion gerüstet. Nach einer ausgedehnten, letztlich aber erfolgreichen Belagerung fiel die Herzogsstadt Bordeaux, während Bourg und Blaye – dank der Unterstützung einer englischen Kriegsflotte – standhielten. Für kurze Zeit fiel auch Bayonne an die Franzosen, konnte aber bald zurückerobert werden – fortan diente es als Ausgangspunkt für überfallartige Vorstöße in das Languedoc hinein, die den chevauchées des Hundertjährigen Krieges schon sehr ähnlich waren. Toulouse, ein Ziel dieser Angriffe, war einer von mehreren Stützpunkten, an denen der französische König Rüstungsgüter und Mannschaften zusammenzog – und das nicht nur zum Krieg im eigenen Land: Bereits 1295 plante Philipp eine Invasion Englands.
Ländereien des englischen Königs nach dem Vertrag von Paris, 1259
Doch sind dies nicht die einzigen Aspekte, in denen sich der Krieg von 1294–98 als Vorbote des Hundertjährigen Krieges präsentiert. In beiden Kriegen ruhte die englische Verteidigung der Gascogne ganz maßgeblich auf der Beteiligung der Bevölkerung vor Ort, was den Vorteil hatte, dass nur vergleichsweise schwache zusätzliche Kontingente von der Insel dorthin verlegt werden mussten. Eduard I. hielt seine persönliche Anwesenheit bei den Kämpfen in der Gascogne für entbehrlich und übernahm stattdessen den Oberbefehl der englischen Flandernarmee – ganz wie Eduard III. es später handhaben sollte. Tatsächlich betrat während des ganzen Hundertjährigen Krieges kein einziger englischer König gaskognischen Boden.
Zweitens illustriert der Krieg von 1294–98 – obwohl es sich nicht um einen dynastischen Konflikt handelte – dass jeder Krieg zwischen England und Frankreich notwendigerweise ‚im großen Stil‘ ausgefochten werden würde: Schließlich standen sich hier zwei Kronen gegenüber, deren Monarchen sich, auch was das Ausmaß ihres Stolzes anging, durchaus ebenbürtig waren. Das führte dazu, dass die Kosten (bei vergleichsweise kurzer Kriegsdauer!) bereits jetzt immens waren. Philipp verausgabte mindestens 432.000 Pfund, was – je nach Berechnungsgrundlage – bis zu 61,5 % seiner gesamten Einnahmen für die Jahre 1294–98 entsprochen haben könnte. Insbesondere die Belagerung und Eroberung englisch besetzter Burgen verschlang Unsummen – und zeitigte dabei oft nur äußerst vorläufigen Erfolg: Viele dieser Burgen fielen im Kriegsverlauf einmal der einen, dann wieder der anderen Partei in die Hände, und dies entsprach schon ganz dem erschreckend schnellen Besitzwechsel, der nach 1337 für den Hundertjährigen Krieg so typisch werden sollte. Eduard gab etwa 400.000 Pfund aus, was seinen Gesamteinkünften aus Krongut und Steuern entsprach. Dies bewog ihn – unter heftigen Unmutsbekundungen der Betroffenen – zur Einführung einer extrem hohen Zollabgabe, der maltolte (,böse Steuer‘). Eduard benötigte dringend Geld, um seine Kriegskredite bedienen zu können – und wie bei seinen Nachfolgern war der Staatssäckel nie voll genug. Zudem regte sich Widerstand in Teilen des Ritteradels: Warum in der Gascogne Kriegsdienst leisten, wenn der Lehnsherr dort überhaupt nicht persönlich anwesend war? Am 5. November 1297 sah sich Eduard also gezwungen, in Gent die Magna Carta zu bestätigen, die maltote jedoch wieder abzuschaffen. Indem er so die Notwendigkeit parlamentarischer Bestätigung bei der Erhebung von Steuern bekräftigte, schuf Eduard einen Präzedenzfall, dessen Entstehen sich im weiteren Verlauf als Wendepunkt der englischen Geschichte herausstellen sollte.
Von nun an sollen dem Königreich nicht aufgebürdet werden Hilfsgeld [auxilium] noch Schildgeld [scutagium], es sei denn, dies beruht auf allgemeiner Zustimmung des gesamten Königreiches und dient dem allgemeinen Wohl des Königreiches.
(PROKLAMATION EDUARDS I. VOM 5. NOVEMBER 1297)
Drittens bemühte sich Eduard I., Philipp durch Feldzüge im nördlichen Frankreich abzulenken. Dazu griff er auf die Unterstützung niederländischer und deutscher Fürsten zurück, die sich ihre militärischen Dienst gern bezahlen ließen – und auch selbst oft genug eine Rechnung mit den Franzosen zu begleichen hatten. Im Sommer 1297 brachte die Saat dieser Strategie vor allem in Flandern reiche Ernte. In der Frühphase des Hundertjährigen Krieges verfolgte Eduard III. einen ganz ähnlichen Kurs, und die Aushandlung von Bündnissen sollte ihr großes taktisches Gewicht den ganzen Krieg hindurch behalten.
Auf noch einem weiteren, einem ‚internationalen‘ Schauplatz schuf der Krieg von 1294–98 die Voraussetzungen für die späteren Entwicklungen: Er förderte die Vertiefung der französisch-schottischen Beziehungen, der Auld Alliance. Schließlich waren es Eduards Bestrebungen, seine Herrschaft über Schottland auszudehnen – genauer gesagt hatte er John Balliol, 1291 von Eduard selbst zum schottischen König erkoren, zu militärischer Unterstützung, also Lehnsdienst, verpflichten wollen –, die nun zur völligen Zerrüttung des englisch-schottischen Verhältnisses führten. Der Abschluss eines französisch-schottischen Bündnisses im Jahr 1295 war die Konsequenz. Von diesem Zeitpunkt an befand sich Eduard auch mit der schottischen Krone im Krieg – einem Krieg, der sich ergebnislos bis in das neue Jahrhundert hineinzog. Obwohl es anfangs einige erfolgreiche englische Vorstöße gegeben hatte, gingen diese Gebietsgewinne unter Eduard II. wieder verloren, als die Schotten, nunmehr unter der Führung Roberts I. (genannt Robert the Bruce), den Engländern im Jahr 1314 bei Bannockburn eine empfindliche Niederlage beibrachten – bemerkenswert auch wegen der Überlegenheit ihrer Infanterie gegenüber der englischen Kavallerie – und Gegenangriffe nach England hinein folgen ließen. Schon jetzt zeichnete sich ab, dass ein zukünftiger Krieg zwischen England und Frankreich sich nicht auf diese beiden Königreiche beschränken lassen würde.
Im Jahr 1298 kam es zu einem Waffenstillstand zwischen England und Frankreich, und im Mai 1303 wurden Eduard in einem zweiten Vertrag von Paris seine Ländereien zurückerstattet. Die Peinlichkeit der Huldigungsverpflichtung gegenüber Philipp konnte er dadurch abmildern, dass er das Herzogtum ganz einfach seinem Sohn Eduard, dem Prinzen von Wales, übertrug, der beim Tod seines Vaters 1307 als Eduard II. selbst den Thron bestieg. Der jüngere Eduard war es also, der im Jahr 1308 dem französischen König huldigte, und auch seine im selben Jahr stattfindende Heirat mit Isabella, der einzigen überlebenden Tochter Philipps IV., sollte den Frieden zwischen den beiden Ländern stärken. Zu diesem Zeitpunkt dachte wohl niemand daran, dass diese Ehe eines der ihr entsprungenen Kinder – Eduard III. – zum französischen Thronprätendenten machen würde: Philipp IV. hatte drei Söhne, weshalb die französische Thronfolge gesichert schien.