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1.3.2 Fehlende Staatsferne

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Brisanz erlangte das Thema im Fall Brender. Eine von der Intendanz begrüßte Vertragsverlängerung des ZDF-Chefredakteurs wurde durch den ZDF-Verwaltungsrat abgelehnt.[28] Dieser Entscheidung wurde deutliche Kritik entgegen gebracht, da sie allein politisch motiviert gewesen sei.[29] Der Chefredakteur galt als keinem politischen Lager zugehörig, daher soll sich der Verwaltungsrat für eine Neubesetzung der Personalie ausgesprochen haben. Von Seiten des Verwaltungsrates wurde die Entscheidung jedoch mit dem Rückgang der Quoten der ZDF-Informationssendungen begründet.[30] Nachdem zunächst die Bundestagfraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN angekündigt hatte, im Nachgang zu dieser Entscheidung ein Normenkontrollverfahren beim BVerfG zu initiieren, um die Zusammensetzung der ZDF-Aufsichtsgremien, die sich aus dem ZDF-Staatsvertrag ergibt, überprüfen zu lassen,[31] strengte sodann das Bundesland Rheinland-Pfalz ein Normenkontrollverfahren vor dem BVerfG an.[32]

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Mit dem Normenkontrollantrag wurde geltend gemacht, dass im ZDF-Fernsehrat aufgrund seiner Zusammensetzung „ein disfunktionaler und gegen das Gebot funktionsadäquater Staatsferne verstoßender Staats- und Parteieneinfluss“ bestehe. Angesichts der höchst programmrelevanten Aufgaben und Befugnisse des Fernsehrates (§§ 20, 26 Abs. 1 ZDF-RStV) sowie der Regeln zur Beschlussfähigkeit und den jeweiligen Mehrheitserfordernissen (§ 22 ZDF-StV), sei der Anteil von 35 Staats- und Parteivertretern bei einer Gesamtzahl von 77 Mitgliedern erheblich.[33] Dieser bestehende dysfunktionale Staatseinfluss im Rahmen des Fernsehrates wirke zugleich auf dessen Wahl eines Großteils der Mitglieder des Verwaltungsrates gem. § 24 Abs. 1 lit. b) ZDF-StV fort. Da die verbleibenden Mitglieder des Verwaltungsrates ohnehin von staatlicher Seite berufen werden (§ 24 Abs. 1 lit. a) und c) ZDF-StV), sei durch die Überwachungstätigkeit (§§ 23, 28 ZDF-StV) und die personellen Mitwirkungsrechte (§§ 26 Abs. 3, 27 Abs. 2 ZDF-StV) dieses Gremiums jedenfalls eine mittelbare staatliche Einflussnahme auf das Programm des ZDF eröffnet.[34] Die beanstandeten Zustimmungsgesetze und -beschlüsse der Bundesländer zum ZDF-Staatsvertrag verstießen daher gegen den Grundsatz der Staatsferne, soweit sie sich auf bestimmte Vorschriften über die Zusammensetzung des Fernseh- und Verwaltungsrates gem. §§ 20 ff. ZDF-StV[35] beziehen.[36]

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Mit Urteil v. 25.3.2014 hat das BVerfG bestätigt, dass die Zusammensetzung und die Beschlussfassung der Aufsichtsgremien des ZDF zum Zeitpunkt der Entscheidung einen übermäßig großen staatlichen Einfluss ermöglicht haben. Das Gebot der Staatsferne verlange eine Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die staatsfernen Mitgliedern in Rundfunk- und Verwaltungsrat einen bestimmenden Einfluss einräume. Die Besetzung der Aufsichtsgremien sei demnach so zu gestalten, dass eine Beeinflussung der Beschlussfassung durch staatliche und staatsnahe Akteure zur Durchsetzung eigener, parteipolitischer Interessen verhindert werde.[37] Neben Mitgliedern, die von gesellschaftlichen Gruppen entsandt werden, könne zwar auch staatlichen Vertretern – in engen Grenzen auch Exekutivvertretern[38] – ein Anteil innerhalb der Gremien eingeräumt werden.[39] Absprachen im Rahmen informeller Gremien (die sog. Freundeskreise) seien jedoch durch konsequente Begrenzung des Anteils staatlicher und staatsnaher Mitglieder auf 1/3 der gesetzlichen Mitglieder des jeweiligen Gremiums zu unterbinden.[40] Allerdings sei der Anteil politischer Vertreter nicht lediglich zu verringern. Vielmehr müsse die Auswahl der verbleibenden staatlichen und staatsnahen Mitglieder den aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG folgenden Anforderungen der Vielfaltsicherung genügen.[41] In Anbetracht der weitreichenden Einflussmöglichkeiten beider Gremien auf die Gestaltung der Berichterstattung seien diese Voraussetzungen sowohl durch den Fernseh- als auch den Verwaltungsrat zu erfüllen.[42]

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Die Entscheidung über die Größe der Gremien, die Festlegung der Kriterien der Vielfaltssicherung und deren Zuordnung zueinander, stellt das BVerfG dagegen in den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.[43] Gebunden ist er lediglich insoweit, als die konkrete Zusammensetzung der Gremien auf Vielfaltsicherung angelegt und dabei geeignet sein muss, die Rundfunkfreiheit zu wahren.[44] Bis zum 30.6.2015 hatten die gesetzgebungsbefugten Länder Zeit, eine Neuregelung zu schaffen, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG entspricht. Um den Aufsichtsgremien des ZDF nicht die Legitimationsgrundlage zu entziehen, hat das BVerfG allerdings die bisherigen Regelungen (§§ 21 und 24 ZDF-StV) nicht für nichtig erklärt, sondern lediglich ihre Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz festgestellt.[45] Weil die tragenden Gründe einer Entscheidung des BVerfG Bindungswirkung auch über den konkreten Fall hinaus entfalten (§ 31 Abs. 1 BVerfGG), betrifft die Entscheidung indessen nicht nur das ZDF, sondern ist für den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk von grundlegender Bedeutung.[46]

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Der in Umsetzung dieses BVerfG-Urteils am 1.1.2016 in Kraft getretene ZDF-Staatsvertrag[47] regelt nunmehr eine Verkleinerung des ZDF-Fernsehrates von 77 auf 60 Sitze. Dort sollen 20 statt der bisherigen 34 Sitze an Parteivertreter gehen. Die Landesregierungen der beteiligten Länder entsenden hierfür je einen Vertreter, § 21 S. 1 lit. a ZDF-StV; darüber hinaus werden je zwei Vertreter von Bund und Kommunen gestellt, § 21 Abs. 1 S. 1 lit. b, c ZDF-StV. Zudem werden 24 Vertreter von Verbänden und Organisationen gesandt, § 21 Abs. 1 S. 1 lit. d–p ZDF-StV), 16 Sitze werden von Vertretern aus den Ländern zugeordneten gesellschaftlichen Bereichen entsendet, § 21 Abs. 1 S. 1 lit. q ZDF-StV.[48]

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Für den Verwaltungsrat gilt: Die Mitglieder werden bis zum Sommer 2017 teils gemeinsam von den Ministerpräsidenten der Länder berufen und teils vom Fernsehrat gewählt. Letztere dürfen weder einer Regierung noch einer gesetzgebenden Körperschaft angehören. Hinzu kommt ein Vertreter des Bundes, der von der Bundesregierung berufen wird. Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrates ist der ehemalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Beck. Als Vertreter der Länder sind weitere Mitglieder der ehemalige Ministerpräsident Brandenburgs, die Ministerpräsidenten Sachsens und Bayerns sowie der Erste Bürgermeister der Hansestadt Hamburg. Für den Bund gehört dem Gremium ein ehemaliger Staatsminister an.[49] Als Folge des Urteils des BVerfG vom März 2015[50] wird sich der Verwaltungsrat zu Beginn der Amtsperiode im Sommer 2017 nach den neuen Regelungen des ZDF-StV vom 1.1.2016[51] zusammensetzen, um so der Vorgabe des BVerfG nach einer Senkung der Zahl der „staatsnahen“ Mitglieder des Verwaltungsrates auf maximal ein Drittel nachzukommen.[52] Nach § 24 Abs. 1 ZDF-StV besteht der Verwaltungsrat dann aus zwölf Mitgliedern, nämlich vier Vertretern der Länder, die von den Ministerpräsidenten gemeinsam berufen werden und acht weiteren Mitgliedern, die vom Fernsehrat mit einer Mehrheit von drei Fünfteln seiner gesetzlichen Mitglieder gewählt werden. Nicht wählbar sind die Mitglieder des Fernsehrates nach § 21 Abs. 1 S. 1 lit. a) bis c) ZDF-StV.

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