Читать книгу Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht - Anne Hahn - Страница 83

1. Klassischer Programmauftrag

Оглавление

23

Nach § 11 Abs. 1 S. 1 RStV haben die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten „durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen.“[63] Im dualen System tritt die in § 11 Abs. 1 S. 2–6 und Abs. 2 RStV niedergelegte und dynamisch interpretierte Aufgabe der Grundversorgung[64] hinzu. Hier besteht für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Pflicht, im Interesse von Informationsfreiheit und Demokratie, ein vielfältiges, umfassendes und ausgewogenes mediales Angebot zu sichern.[65] Um dieser Aufgabe nachkommen zu können, sieht § 12 RStV einen Finanzgewährleistungsanspruch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor. Die frühere Gebühren- und nunmehrige Beitragsfinanzierung verpflichtet ihn, ein umfassendes Programm anzubieten, das die Bereiche Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung zu beinhalten hat (§ 11 Abs. 1 S. 4 RStV). Es muss die gesamte Bandbreite des gesellschaftlichen Lebens und der kulturellen Vielfalt[66] widerspiegeln, sich an jeden richten und technisch für jeden erreichbar sein.

24

Im dualen System bedingen Funktionsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Freiräume der privaten Veranstalter. Der umfassende Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten rechtfertigt die geringeren Programmanforderungen an nicht beitragsfinanzierte private Veranstalter, die lediglich ein Mindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung bieten müssen. Grund hierfür ist, dass sie aufgrund ihrer Werbefinanzierung zielgerichtet besonders kapitalkräftige Zielgruppen bedienen müssen und dabei nur bedingt auf Breite, Ausgewogenheit und Vielfalt achten können.[67] Diese geringeren Anforderungen können aber wiederum nur akzeptiert werden, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Maßgaben des Rundfunkstaatsvertrages für seinen Programmauftrag erfüllt.[68] Betrachtet man indes die Anforderungen in den Bundesländern[69] an Programmauftrag und -grundsätze im Hinblick auf private Vollprogramme, so dürfte jedenfalls in der Praxis die Abweichung weit weniger deutlich sein.

25

Durch den 12. RÄStV wurde § 19 RStV neu gestaltet. Danach steht es den in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, dem ZDF und dem Deutschlandradio frei, zur Erfüllung ihres Auftrags nach § 11 RStV geeignete Übertragungswege zu nutzen. Erfasst werden von der Vorschrift alle Angebote, die im Rahmen des gesetzlichen Auftrags erbracht werden.[70] Zu den Übertragungswegen zählen analoge und digitale Satellitenverbreitung, analoge und digitale Kabelverbreitung sowie die analoge und digitale Terrestrik. Außerdem fällt die Verbreitung von Rundfunkprogrammen über das Internet in den Anwendungsbereich von § 19 S. 1 RStV.[71]

Die Regelung trägt also einerseits den durch die Digitalisierung sowohl der Fernseh- (DVB-T bzw. seit 2017 DVB-T2[72]) als auch der Hörfunksignalübertragung (DAB) bewirkten Veränderungen Rechnung, indem sie den Normadressaten hinsichtlich der Auswahl der zur Verbreitung genutzten Übertragungswege Ermessen einräumt. Andererseits begrenzt sie das Ermessen durch eine Bindung an die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§ 19 S. 2 RStV). Das heißt, es wird nicht ein Übertragungsweg (z.B. digitale Terrestrik) bevorzugt, sondern an erster Stelle stehen wirtschaftliche Erwägungen. Um einen Rückschritt hin zur analogen terrestrischen Verbreitung aus Kostengründen zu vermeiden, bestimmt § 19 S. 3 RStV, dass bereits in digitaler Form verbreitete Programme nicht mehr analog verbreitet werden dürfen. Das Ermessen erstreckt sich folglich darauf nicht.

26

Unter Bezugnahme auf die in § 19 RStV normierte Wahlfreiheit waren mehrere unterinstanzliche Klagen verschiedener Kabelnetzbetreiber gegen die ARD auf Entgeltzahlung für die Einspeisung von öffentlich-rechtlichen Programmen abgewiesen worden.[73] Der Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schreibt den Veranstaltern keine Signalweiterleitung speziell durch die Einspeisung in Kabelnetze vor, sondern weist ihnen im Gegenteil ein Auswahlermessen hinsichtlich der Übertragungswege zu.[74] Dies hat im Juni 2015 und im April 2016 auch der BGH entschieden.[75]

27

Die in Deutschland geltenden Bestimmungen über die Belegung analoger und digitaler Kabelnetze beruhen auf der Richtlinie 2002/22/EG (Universaldienstrichtlinie (UDRL). Die Bestimmung des § 31 Abs. 2 UDRL sieht insoweit keine grundsätzliche Entgeltpflicht für Rundfunkveranstalter vor, sondern ermöglicht es den Mitgliedstaaten lediglich, unter bestimmten Voraussetzungen ein Entgelt zugunsten der übertragungspflichtigen Netzbetreiber festzulegen. Im Rahmen der nationalen Gesetze bzw. Staatsverträge besteht indes keine Vorschrift i.S.d. Art. 31 Abs. 2 UDRL, die ein angemessenes Entgelt als Äquivalent für die Übertragungspflicht der Netzbetreiber vorschreibt. Aus den unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen ergibt sich nur, dass die für das jeweilige Bundesland gesetzlich bestimmten Rundfunkprogramme vorrangig in die Kabelanlagen eingespeist werden müssen. Zwar erklärt etwa § 18 Abs. 10 LMG NRW im Hinblick auf Tarife und Entgelte die Vorschriften des RStV in der jeweils geltenden Fassung für entsprechend anwendbar.[76] Allerdings beschäftigt sich § 52d RStV lediglich mit der diskriminierungsfreien Ausgestaltung von zivilrechtlich vereinbarten Entgelten und Tarifen, ohne jedoch einen rundfunkrechtlichen Kontrahierungszwang zugunsten der Netzbetreiber zu statuieren.[77] Da ein Anspruch auf Zahlung eines Einspeiseentgelts somit weder aus dem Rundfunk- oder Telekommunikationsrecht, noch aus dem allgemeinen kartellrechtlichen Missbrauchsverbot abzuleiten ist, können die öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter die Einspeiseleistung auf Grundlage der Must-carry-Pflicht[78] unentgeltlich in Anspruch nehmen.[79] Die den Kabelnetzbetreibern insoweit entstehenden Kosten können diese an ihre Endkunden weitergeben. Anders als bei Anbietern von Satelliten- und Terrestrikübertragung, welche lediglich eine technische Dienstleistung gegenüber den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erbringen, nutzt ein Kabelbetreiber die öffentlich-rechtlichen Programme zugleich als Vorprodukte zu seinem Kabelangebot an die Endkunden.[80] Dies hat der BGH 2015[81] und erneut 2016[82] unter Zurückverweisung an die Vorinstanzen[83] bestätigt. Der klagenden Kabelnetzbetreiberin steht demnach gegenüber der beklagten Rundfunkanstalt kein Anspruch auf Fortsetzung des Einspeisevertrages bzw. auf Neuabschluss eines solchen Vertrages zu unveränderten Bedingungen zu. Eine solche Kontrahierungspflicht lasse sich weder den Regelungen des Rundfunkrechts noch Art. 14 GG und Art. 12 GG entnehmen. Aus der bestehenden Pflicht der beklagten Rundfunkanstalt, die Programmsignale zur Verfügung zu stellen und der Pflicht der klagenden Kabelnetzbetreiberin zur Einspeisung dieser Signale aus § 52b RStV folge nicht eine Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung eines bestimmten Entgelts als Gegenleistung für die Einspeisung der Programmsignale. Auch ein Rückgriff auf kartellrechtliche Bestimmungen komme nicht in Betracht, da zwar von einer marktbeherrschenden Stellung der Beklagten auszugehen sei, nicht jedoch von einem missbräuchlichen Verhalten i.S.d. § 19 Abs. 2 GWB. [84] Der BGH hat die Sache 2015 zurückverwiesen weil eine ausreichende Feststellung dazu fehlte, ob die Beklagten zusammen mit den anderen beteiligten Rundfunkveranstaltern unter Verstoß gegen § 1 GWB die Beendigung dieses Vertrages vereinbart und die Kündigung Folge einer solchen Absprache war.[85]

Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht

Подняться наверх