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3. Recht des Europarates

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Im europäischen Raum kommt dem Recht des Europarates eine tragende Rolle zu. Als internationale Organisation verfügt der Europarat über einen weit über die Grenzen der Europäischen Union hinausgehenden Einfluss, da ihm insbesondere nahezu alle mittel- und osteuropäischen Staaten angehören, einschließlich der Türkei und Russland. Grundlegendes multilaterales Vertragswerk ist die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Sie enthält einen ausführlichen Menschenrechtskatalog, dessen Anerkennung für alle Mitgliedstaaten des Europarates verpflichtend ist. Ein Beitritt auch der EU zur EMRK wird erwogen, ist bisher jedoch nicht umgesetzt.[27] Mit einem Beitritt würde die EU an die Konventionsgarantien unmittelbar gebunden und grundsätzlich auch der gerichtlichen Kontrolle durch den EGMR unterworfen.[28] Der von der Europäischen Kommission auf der Grundlage des Art. 218 Abs. 11 AEUV zu konkreten Vertragsentwürfen für einen Beitritt angerufene EuGH hat u.a. deswegen Bedenken gegen deren Vereinbarkeit mit EU-Recht erhoben und damit das Verfahren vorerst angehalten.[29]

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Neben der EMRK gibt es die Medien betr. eine Reihe spezifischer Übereinkommen des Europarates. Im Rundfunkbereich enthält das „Europäische Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen“ von 1989 in der Fassung von 2002[30] maßgebende Vorgaben zur grenzüberschreitenden Verbreitung von Rundfunkprogrammen. Das Abkommen entstand zeitgleich zur Fernsehrichtlinie der Europäischen Union und war inhaltlich mit ihr zuletzt weitgehend deckungsgleich. Parallel zu der Reform der europäischen Fernsehrichtlinie in eine Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste war eine erneute Überarbeitung der Konvention avisiert.[31] Diese wurden jedoch – auch wenn die Notwendigkeit einer Aktualisierung aufseiten des Europarates gesehen wird – mangels eines Verhandlungsspielraums eingestellt.[32] Weiteres Abkommen betr. den Rundfunk ist das seit 1967 geltende „Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Rundfunksendungen, die von Sendestellen außerhalb der staatlichen Hoheitsgebiete gesendet werden“ (Rundfunkpiraterie-Übereinkommen). Darüber hinaus existieren zu einzelnen medienrelevanten Themen weitere spezielle Übereinkommen. Als erstes Abkommen seiner Art im internationalen Kontext besitzt das seit 2004 in Kraft befindliche Übereinkommen über Computerkriminalität (Cyber-Crime-Convention) eine Vorreiterrolle.[33] Es regelt die Verfolgung computerbezogener Straftaten und bestimmt Kooperationspflichten der Vertragsstaaten bei der Strafverfolgung. Des Weiteren zu nennen sind etwa das 1985 in Kraft getretene „Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten“ (Datenschutz-Übereinkommen) und das „Europäische Übereinkommen über Rechtsschutz für Dienstleistungen mit bedingtem Zugang und der Dienstleistungen zu bedingtem Zugang“, welches seit 2003 in Kraft ist.[34] Neben rechtlichen Fragen im digitalen Umfeld widmet sich die Arbeit des Europarates u.a. auch der Förderung und Erhaltung kultureller Güter. Zu nennen sind hier das „Europäische Übereinkommen über die Gemeinschaftsproduktion von Kinofilmen“ von 1992 und das „Europäische Übereinkommen zum Schutze des audiovisuellen Erbes“ von 2001.[35]

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Zentrale Bedeutung für das Medienrecht hat die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), namentlich die von Art. 10 EMRK gewährleistete Meinungs- und Informationsfreiheit sowie die in diesem Bereich ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.[36] Art. 10 EMRK ist zum einen für die Mitgliedstaaten eine verbindliche und im innerstaatlichen Recht zu berücksichtigende Vorgabe.[37] Zum anderen entfaltet die Bestimmung aber auch im Rahmen der Grundrechte der Europäischen Union Wirkung,[38] unmittelbar aufgrund der Einbeziehung in das Unionsrecht nach Art. 6 Abs. 3 EUV und mittelbar, da Art. 10 EMRK Vorbild für Art. 11 EU-Grundrechtecharta war.[39]

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Art. 10 Abs. 1 EMRK schützt die Kommunikation in ihren vielfältigen Formen. Gewährleistet werden die allgemeine Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit wie auch der Kommunikationsprozess in seinen speziellen Ausprägungen der Presse- und der Rundfunkfreiheit, der Kunst- und der Wissenschaftsfreiheit.[40] Die Reichweite des gewährten Schutzes bedingt sich durch die Bedeutung, die den Freiheiten aus Art. 10 Abs. 1 EMRK beigemessen sind. Sie werden als einer der Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft angesehen, als eine der Grundvoraussetzungen für ihren Fortschritt und für die Entfaltung jedes Einzelnen.[41] Schutz finden daher grundsätzlich auch Informationen und Werturteile, die verletzen, schockieren oder beunruhigen können. Einschränkungen sind nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig und müssen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zur Verfolgung eines der in Art. 10 Abs. 2 EMRK niedergelegten Ziele für eine demokratische Gesellschaft notwendig sein. Hierbei wird berücksichtigt, dass jeden, der sein Recht auf freie Meinungsäußerung ausübt, auch „Pflichten und Verantwortung“ treffen.

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Die Auslegung der Konvention insbesondere im Fall von Rechtsstreitigkeiten obliegt dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der seit Inkrafttreten des 11. Zusatzprotokolls als ständiger Gerichtshof tagt. Eine Verletzung von Art. 10 EMRK kann auf Beschwerde von jedermann, der möglicherweise durch einen Vertragsstaat in seinen Menschenrechten verletzt wird, im Wege einer Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK überprüft werden.[42] Die ergehenden Entscheidungen des Gerichtshofs sind nach Art. 46 EMRK für die an dem jeweiligen Verfahren beteiligten Vertragsparteien verbindlich. Aufgrund der „faktischen Orientierungs- und Leitfunktion“, die das BVerfG der Rspr. des EGMR für die Auslegung der EMRK zuweist, sind die Konventionsstaaten jedoch auch über den konkret entschiedenen Einzelfall hinaus an die Judikatur des Gerichtshofs gebunden.[43]

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Der EGMR vertritt ein dezidiertes Verständnis der Kommunikations- und Medienfreiheit im Sinne von Pluralismusgarantie, das sich nicht nur in Entscheidungen zum Fernsehen niedergeschlagen hat, sondern die Bedeutung der Massenmedien insgesamt betrifft. Ihnen wird die Funktion eines „public watchdog“ zugemessen, soweit es um Themen von politischer oder gesellschaftlicher Relevanz geht. Hieraus leiten sich weitreichende Freiräume etwa auch betr. den Informantenschutz ab.[44] Wegen der Bedeutung der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR in der Rundfunkordnung des europäischen Rechtskreises sind die zu Art. 10 EMRK getroffenen Entscheidungen[45] grundlegend für die nationale und europäische Rundfunkordnung.[46]

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Insbesondere in seinem Verständnis der Rundfunkfreiheit weicht der EGMR in Teilen nicht nur von dem des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), sondern auch von dem des BVerfG ab. Dabei ist im Hinblick auf die der deutschen Verfassungsrechtsprechung zugrunde liegende Konstruktion der „dienenden Freiheiten“ des Art. 5 GG zu berücksichtigen, dass der EGMR in seiner Rspr. zur Garantie des Art. 10 EMRK nicht von einer objektiv-rechtlichen Funktion, sondern von der Gewährleistung einer individuellen Medienfreiheit ausgeht, deren Beschränkung durch nationale Vorgaben stets der Rechtfertigung bedarf. Ausdrücklich anerkannt hat er gleichwohl eine aus Art. 10 EMRK abgeleitete staatliche Pflicht zum Schutz des Medienpluralismus, die im Rahmen des Schrankenvorbehalts des Art. 10 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen ist. Die Pflicht des Staates zum Schutz der individuellen Meinungsfreiheit erschöpfe sich, so der EGMR, nicht in der Enthaltung des Staates vor Eingriffen in dieses Recht, sondern beinhalte ebenso die positive Pflicht des Staates zur aktiven Garantie dieser Freiheit, zu der die Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen gehört.[47]

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Konkret erachtete der EGMR in der Entscheidung zum Österreichischen Rundfunk[48], anders als der EuGH in der zuvor ergangenen ERT-Entscheidung[49], ein öffentlich-rechtliches Fernsehmonopol nicht als grundsätzlich zulässig. Während das Bundesverfassungsgericht bislang offen gelassen hat, ob der Gesetzgeber dazu verpflichtet ist, privaten Rundfunk zuzulassen, entnahm der EGMR im Fall Groppera[50] aus dem Jahr 1990 aus Art. 10 Abs. 1 EMRK die Freiheit zur Veranstaltung von privatem Rundfunk. Im Fall Autronic[51] leitete das Straßburger Gericht aus Art. 10 Abs. 1 S. 1 und 2 EMRK die Empfangsfreiheit ab. Hierbei wird das Recht, Empfangseinrichtungen zu betreiben, geschützt, um unmittelbar von einem Telekommunikationssatelliten Programme empfangen zu können.[52] Neuere Entscheidungen im Rundfunkbereich betreffen insbesondere die Grundrechtsfähigkeit öffentlich-rechtlicher Rundfunkveranstalter[53] und das Gebot der Staatsferne des Rundfunks[54], den zu gewährleistenden Rechtsrahmen für die Frequenzvergabe[55] und die gerichtliche Kontrolle der Medienaufsicht.[56]

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