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1. Primärrecht

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Zum Primärrecht der EU gehören neben den Gründungsverträgen, deren Protokollen, Anhängen und Erklärungen, allgemeine Rechtsgrundsätze und das Gewohnheitsrecht. Auch wenn es lange keinen geschriebenen Katalog an Grundrechten gab, waren diese daher bereits als allgemeine Rechtsgrundsätze Bestandteil des Unionsrechts. Gewonnen durch Rechtsvergleichung der gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie aus den völkerrechtlichen Verträgen über den Schutz der Menschenrechte, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind,[61] hatte der EuGH in seiner Rechtsprechung schon vor Gründung der Europäischen Union mit dem Vertrag von Maastricht die Meinungsfreiheit als Gemeinschaftsgrundrecht anerkannt.[62] Nach der Rechtsprechung des EuGH stellt insbesondere die EMRK eine sog. Rechtserkenntnisquelle für die Ausgestaltung der Gemeinschaftsgrundrechte dar.[63] Ausdrücklich nimmt der EUV in der Fassung von Lissabon in Art. 6 Abs. 3 die Grundrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Bezug und bekennt sich damit zu der in Art. 10 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Meinungs- und Informationsfreiheit.[64]

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Die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit in Art. 11 Abs. 1 EU-Grundrechtecharta, welche seit dem Vertrag von Lissabon durch Art. 6 Abs. 1 EUV verbindlich ist und primärrechtlichen Rang erhalten hat, ist hieran angelehnt.[65] Weitergehend als in Art. 10 EMRK wird in Art. 11 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta ausdrücklich auf die Freiheit der Medien und deren Pluralität Bezug genommen, die es zu achten gilt.[66] Offen ist, ob hiermit eine dienende Medienfreiheit i.S.d. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder eine Medienunternehmerfreiheit gemeint ist.[67]

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Medien können Dienstleistungen (z.B. Rundfunksendung) oder Waren (z.B. Buch, Tonträger) sein. Aus diesem Grund sind bei grenzüberschreitenden Sachverhalten primärrechtlich die Grundfreiheiten der Art. 28 ff. AEUV, insbesondere die Dienstleistungs- und die Warenverkehrsfreiheit, von Relevanz. Geht es um die Wahl des Unternehmenssitzes, findet zudem die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV Anwendung. Bedeutung erlangen die Grundfreiheiten vor allem dadurch, dass sie zugunsten der EU-Bürger unmittelbar anwendbar sind und diese mit subjektiven Rechten gegenüber dem jeweiligen Mitgliedstaat ausstatten. Ergänzung finden sie im allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV.

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Der Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 ff. AEUV, welche den unbeschränkten Handel über Grenzen hinweg gewährleisten soll, unterfallen nach der Rechtsprechung des EuGH alle körperlichen Gegenstände, die als Teil eines Handelsgeschäfts über eine Grenze verbracht werden können. Dies sind Medienprodukte wie Zeitungen und Zeitschriften, Bücher, Tonträger und Filmträgermedien ebenso wie Sende- und Empfangsgeräte. Anders unterfallen der gegenüber der Warenverkehrsfreiheit subsidiären Dienstleistungsfreiheit grundsätzlich etwa Software, die Erstellung von Filmen und Musikwerken oder auch die Ausstrahlung von Fernsehsendungen.

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Die Dienstleistungsfreiheit der Art. 56 ff. AEUV regelt Hörfunk- und Fernsehproduktionen genauso wie eine Vielzahl neuer Mediendienste, soweit sie entsprechend der Definition der Dienstleistung des Art. 57 AEUV selbstständige Leistungen darstellen, die üblicherweise gegen Entgelt erbracht werden. Im Gegensatz zu früheren Stimmen im deutschen Schrifttum[68] hat der EuGH das Ausstrahlen von Fernsehsendungen bereits früh als Dienstleistung qualifiziert. Hieraus folgten zum einen das Verbot ungerechtfertigter Beschränkungen und zum anderen die Bestätigung, dass sich die Kompetenzen der Gemeinschaft, jetzt der Union, auch auf den Rundfunksektor erstrecken. Die im Fall Sacchi[69] 1974 ohne besondere Begründung angenommene Feststellung, dass auch frei empfangbares Fernsehen die Kriterien einer Dienstleistung i.S.d. damaligen EG-Vertrages erfüllt, wurde 1980 im Fall Debauve auf die Übertragung von Fernsehsendungen im Kabel erstreckt.[70] 1988 erörterte der EuGH die vorliegenden Dienstleistungen in dem Fall, dass ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Betreiber von Kabelnetzen Fernsehprogramme verbreitet, die von Sendern in anderen Mitgliedstaaten angeboten werden und Werbemitteilungen enthalten, welche sich an das Publikum im Staat des Kabelnetzbetreibers richten.[71] Eine grenzüberschreitende Dienstleistung sah er hier sowohl gegenüber den Fernsehsendern im Hinblick auf die Weiterverbreitung der Programme durch den Kabelnetzbetreiber als auch gegenüber den Werbekunden im Ausland durch die Sendetätigkeit der Rundfunkveranstalter erbracht. Mitgliedstaatliche Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit, mithin alle Maßnahmen, die ihre Ausübung „unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen“,[72] bedürfen der Rechtfertigung. Der EuGH hat insoweit anerkannt, dass die Aufrechterhaltung eines pluralistischen Rundfunkwesens als ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen kann.[73] In der Entscheidung ERT[74] von 1991 hat er, soweit es den Begrenzungen des gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsrechts entspricht, auch ein Fernsehmonopol als mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere den Grundfreiheiten, vereinbar angesehen.

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Neben den Grundfreiheiten spielen für den Medien- und Rundfunkbereich vor allem auch das Wettbewerbs- und Beihilferecht der Europäischen Union eine wichtige Rolle. Medienunternehmen werden durch europäisches Primärrecht nicht nur rundfunkrechtlich, sondern in wachsendem Maß auch wettbewerbsrechtlich gesteuert. Ausgehend von Art. 3 Abs. 3 EUV ist die Wettbewerbsfreiheit wesentliche Grundlage des Unionsrechts. Es erfordert einen hohen Grad an Wettbewerbsfähigkeit und verlangt nach einem System zur Stärkung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes, das vor Verfälschungen schützt. Diesem Schutz privatwirtschaftlichen Verhaltens dienen das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV[75] und das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung gem. Art. 102 AEUV. Gegen die Mitgliedstaaten ist das Verbot unzulässiger Beihilfen gerichtet, die über Art. 107 AEUV kontrolliert werden.[76] Sekundärrechtlich werden diese Vorschriften durch die Kartell- und Fusionskontrollverordnungen[77] ergänzt, denen angesichts zahlreicher auch transnationaler Fusionen eine große Bedeutung für Rundfunkunternehmen zukommt. Für den Schutz des Wettbewerbs vor unternehmerischen Absprachen ist insbesondere die Europäische Kommission zuständig (vgl. etwa Art. 105 AEUV). Vor diesem Hintergrund ist auch die Frage nach einer europaweiten Konzentrationskontrolle im Rundfunksektor zu sehen. Nach der Fusionskontrollverordnung (VO (EG) Nr. 139/2004) besteht eine Kontrollbefugnis der Kommission nur bei gemeinschaftsweiter Bedeutung eines geplanten Zusammenschlusses. Fehlt es daran, sind die nationalen Wettbewerbsbehörden zuständig.[78] Im audiovisuellen Bereich kommt der Fusionskontrollverordnung besondere Bedeutung vor allem deshalb zu, weil Medienunternehmen vermehrt transnational fusionieren und sich durch Kooperationen international im Markt zu positionieren versuchen.[79] Die Verordnung erlaubt den Mitgliedstaaten, weitergehende Regelungen zum Schutz der Meinungsvielfalt zu treffen.

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Das Verbot unzulässiger Beihilfen nach Art. 107 AEUV ist namentlich in Mitgliedstaaten mit einem dualen Rundfunksystem relevant.[80] So hatte das Beihilferecht weitreichende Auswirkungen etwa auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland.[81] Vor dem Hintergrund des Art. 106 Abs. 2 AEUV (ex Art. 86 Abs. 2 EG) war kontrovers diskutiert worden, ob die Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks[82] als gemeinschaftswidrige Beihilfe einzuordnen ist.[83] Von deutscher Seite war bereits das Vorliegen einer Beihilfe bestritten worden; die Finanzierung über Rundfunkgebühren stelle weder eine staatliche oder aus staatlichen Mitteln finanzierte Maßnahme noch eine Vorteilsgewährung dar. Als Ergebnis eines letztlich mit der Europäischen Kommission erzielten Kompromisses[84] wurde schließlich der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit dem 12. RÄStV neu definiert, um die Vereinbarkeit mit den europäischen Wettbewerbsvorschriften herzustellen.[85]

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