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Die Auswirkungen veralteter Management-Mindsets
ОглавлениеHierarchiegeprägte Top-down-Organisationen schaffen ein Mindset, also eine Denk- und Handlungslogik, die genau das Verhalten hervorbringt, das zu diesem Mindset passt: Man erzieht sich lauter Mündel, die meinungslos auf Anweisungen warten. Mit anderen Worten: Man macht seine Mitarbeiter führungsbedürftig. Vorgezeichnete Wege hemmen die Fantasie und zerstören damit die Möglichkeit, eigene, andere, bessere Wege zu einer Zielerreichung zu finden. Und das ist verheerend. Denn die Zukunft ist unklarer als jemals zuvor. Der Planungshorizont wird immer enger, die Vorhersagbarkeit geht gegen null. In allen Branchen wird es nun Pioniere geben, die die Digitalisierung für völlig neue, noch nie dagewesene Anwendungen nutzen. Wir wissen nicht, ob sie kommen oder wann sie kommen, doch wenn sie kommen, dann kommen sie schnell.
Veraltete Mindsets machen Mitarbeiter führungsbedürftig.
Der Chef als Leitstern, der alles weiß und alles kann? Tempi passati. Vorbei. Früher war sein Machtwort sicher oft brauchbar. In einem unantizipierbaren Umfeld jedoch wird es schnell zum Irrlicht im Moor. Besser, man schafft einen lebendigen Rahmen, der das Wissen und Können von vielen, möglichst der Besten, rege miteinbezieht. »Früher habe ich versucht, gute Antworten zu geben. Heute versuche ich, gute Fragen zu stellen«, erzählt uns ein Manager. Bingo! Genauso aktiviert man dezentrale Intelligenz.
Als traditionelle Unternehmen entstanden, war die Komplexität niedrig. Insofern war Planung gut machbar. Entscheidungen »von oben« passten zum damaligen Zeitgeist. Top-down-Konstrukte waren eine logische Folge. Doch sie haben auch eine Menge Kollateralschäden erzeugt. Weil Effizienz im Vordergrund stand, ist die Menschlichkeit schnell auf der Strecke geblieben. Managerwichtigkeit wurde in »Kontrollspanne« gemessen. Schlechte Führung? Wurde wissentlich toleriert, solange die Ergebnisse stimmten. Despoten, Menschenschinder, autoritäre Walzen? Keine Seltenheit. Hinter vorgehaltener Hand wurde von »Chefs aus der Hölle« gesprochen.
Ein ganzes Arsenal dirigistischer Managementmoden hielt unhinterfragt Einzug, »weil es alle so machen«. Man kannte es eben nicht anders. So wurden ganze Managergenerationen sozialisiert: »Wir sind nur den Anteilseignern verpflichtet, alle anderen Anspruchshaltungen interessieren uns nicht.« Ansichten wie diese waren zu Shareholder-Value-Zeiten völlig normal. Die brachiale Egomanie vieler Konzerne und ihrer Spitzenmanager hält leider bis heute an. Dies wird aufgrund einer einseitig auf Kapitalperformance ausgerichteten Unternehmensbewertung durch Analysten auch noch begünstigt. Profitmaximierung wird zum alles überstrahlenden Selbstzweck.
Externalitäten bedeutet: Profit wird auf Kosten Dritter erzielt.
Das Erzeugen von Externalitäten ist in solchen Systemen gängige Praxis. Externalitäten sind unkompensierte Effekte, die auf Bereiche außerhalb des Unternehmens abgewälzt werden und dort erhebliche Schäden verursachen, ohne dass jemand dafür die Verantwortung übernimmt. So wird Profit auf Kosten Dritter oder des Allgemeinwohls erzielt, oft auf dem Rücken der Ärmsten und Schwächsten. Denken wir nur an Kinderarbeit, moderne Sklaverei, erschütternde Produktionsbedingungen, das Plastikdesaster, den Pestizidwahnsinn, das Palmöldrama, die Elektroschrottberge, die Giftmülldeponien, die Massentierhaltung, das Artensterben, die Plünderung von Bodenschätzen, den ungebremsten Raubbau an der Natur, die Abermillionen von Toten durch Umweltsünden. Margen, Preisdruck und Gier lassen Ethos, Anstand und Achtung der Menschenwürde manchmal völlig versanden. Und nein, ein bisschen Corporate-Social-Responsibility-Aktionismus wäscht einen ganz sicher nicht rein. Wer auf solche Art modernen Ablasshandel betreibt, wird sehr schnell durchschaut.
Auch der sogenannte Homo oeconomicus, der seine Entscheidungen rein vernunftmäßig trifft und selbstsüchtig seinem Nutzen frönt, fällt in die alte Businesszeit. Er ist eine traurige Erfindung weltfremder Wirtschaftsökonomen. In Wahrheit hat es ihn nie gegeben. Doch das ehemals vorherrschende Menschenbild spukt als Poltergeist noch immer in vielen Köpfen herum. Es geht zum Beispiel davon aus, dass Mitarbeiter träge und arbeitsunwillig seien, anspruchslose Aufgaben bevorzugten und Verantwortung scheuten, weshalb sie gefügig gemacht und zur Arbeit angetrieben werden müssten. Dies entspricht der weitläufig bekannten Theorie X von Managementprofessor Douglas McGregor, die er 1960 in seinem Buch The Human Side of Enterprise beschrieb. Darin hat er Gott sei Dank auch seine Theorie Y entwickelt. Sie steht für die Hypothese vom grundsätzlich engagierten Mitarbeiter, der Arbeit als Möglichkeit zur Selbstverwirklichung sieht und Freude daran hat, Leistung zu bringen. Befruchtendes Führen und gute Rahmenbedingungen ermöglichen seine volle Entfaltung. Tatsache ist: Von Haus aus gibt es keine Theorie-X-Menschen. Schlechte Führung lässt sie so werden. Ed Catmull, Leiter der überaus erfolgreichen Pixar Animation Studios, hat das einmal so ausgedrückt: »Wir beginnen mit der Annahme, dass unsere Mitarbeiter talentiert sind und einen Beitrag leisten wollen. Wir akzeptieren, dass unser Unternehmen ungewollt dieses Talent auf unzählige Weisen einengt. Aber wir versuchen, diese Hindernisse zu finden und zu beseitigen.«13
Tatsächlich lassen sich Mitarbeiter auf ganz andere Weise unterscheiden: Einerseits gibt es die erfahrenen Mitarbeiter, die Könner. Das sind jene, die sich in ihrem Bereich sehr gut auskennen. Andererseits gibt es weniger erfahrene Leute. Dementsprechend sollte Führung ausschließlich nach diesem Kriterium unterscheiden: entweder begleitend oder Freiraum schaffend. Den erfahrenen Mitarbeitern muss Freiheit gegeben werden, damit sie ihre eigenen Lösungen entwickeln können. Demgegenüber ist es wichtig, die noch wenig erfahrenen Einsteiger an die Hand zu nehmen. Führungskräfte müssen ihnen Zeit geben, damit diese Mitarbeiter aus ihren Fehlern für die Zukunft lernen und so zu Könnern werden. Wie schon Albert Einstein sagte: »Alles wirklich Große und Inspirierende wird von Menschen geschaffen, die in Freiheit arbeiten können.«