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Unser Schloss Gripsholm

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Stürmisch brauste der Frühling durchs Land. Mit jedem neuen Tag mehrte er das frische Grün und schmückte den Park mit leuchtenden Blüten der Tulpenbäume.

Langsam hatte ich mich an meine neue Rolle als „Schlossfräulein“ gewöhnt. In der Klasse war ich freundlich aufgenommen worden, niemand lästerte über mein Stottern in Russisch. Mein Pate büffelte nachmittags mit mir die anspruchsvollen Texte.

Nett und freundlich kam eines Tages Karin auf mich zu:

„Na, hast du dich schon etwas eingelebt?“

„Na ja, geht so.“

„Und“, fügte sie flüsternd hinzu, „hast du schon einen Jungen gesehen, der dir gefällt?“

Sollte ich ihr die Wahrheit sagen?

Tatsächlich hatte ich einen gesehen. Kraftvoll war er über den Hof geschritten, groß, stark, kein kleiner Junge mehr, Augen und Haare schwarz wie die Nacht.

Naiv wie ich war, verriet ich ihr mein Geheimnis und prompt wussten es fast alle:

„Du mit deinen Rehaugen wirst ihn schon betören.“

Das war mir peinlich. Falls es Armin auch erfahren hatte, sollte er sich nicht zu viel einbilden. Statt sich in seine Nähe zu drängen, wie es andere Mädchen taten, machte ich mich so weit wie möglich unsichtbar.

Eines Tages prangte an der Tafel der Besten mein Name im Hoch- und Weitsprung. Systematisch zu üben, gar in der Trainingsgruppe, in der auch mein Schwarm trainierte, hatte ich nicht vor. So groß war mein sportlicher Ehrgeiz nicht.

Eines Sonnabends jedoch, wir feuern gerade unsere Jungs beim Fußball an, die Auswärtigen sollen nicht gewinnen, schlendert Armin auf mich zu. Mein Herz beginnt zu rasen, schlägt mir bis zum Hals, meine Hände, mein ganzer Körper scheinen zu vibrieren. Ich traue mich kaum, ihm in die Augen zu sehen.

Er hält einen Sportausweis in der Hand, m e i n e n gültigen Sportausweis bei Traktor Wiesenburg:

„Du bist so gut im Hochsprung, du kannst an den Meisterschaften teilnehmen. Ich hab` dir schon mal einen Ausweis besorgt.“

Ich versuche, möglichst gelassen zu bleiben: „Wie geht das?“

„Den Aufnahmeantrag habe ich für dich ausgefüllt und auch gleich für dich unterschrieben. Ohne Sportverein kannst du nicht starten.“

Staunend folge ich seinem Redefluss.

„Bei den Kreismeisterschaften hast du keinerlei Konkurrenz und als Kreismeister kannst du bei den Bezirksmeisterschaften starten. Also los.“

Lange Bedenkzeit brauche ich nicht. In einer Mannschaft mit Armin zu starten, waren prima Aussichten.

„Na klar, warum nicht?“

Einen Wettbewerb im Hochsprung musste ich nicht fürchten. Nicht so elegant wie heute kämpften wir uns damals über die Latte, sondern einfach mittels Schersprung. Die Profis stellten gerade ihre Technik um, in den Schulen war das noch nicht angekommen.

Tatsächlich werde ich Kreismeister und erhalte eine Einladung zu den Bezirksjugendmeisterschaften in Falkensee. Dort habe ich echte Konkurrenten aus der Sportschule. Schon die Anfangshöhe im Wettbewerb imponiert mir. Die anderen Sportlerinnen überspringen sie lässig im Trainingsanzug. Sie kennen sich alle von der Schule oder vorherigen Wettkämpfen. Ich bin krasser Außenseiter. Schon meine Teilnahme ist etwas Besonderes. Ohne zu hohe Erwartungen konzentriere ich mich auf die Sprünge, springe, wenn mein Name aufgerufen wird. Ich komme immer öfter an die Reihe, das Feld wird kleiner. Schließlich lande ich auf Platz 3 und habe für mich und die Schule Punkte gesammelt.

Armin nahm an mehreren Wettkämpfen teil, besonders toll fand ich den Stabhochsprung. Unser erstes gemeinsames Foto zeigt uns mit der Sportdelegation in Falkensee. Fortan werde ich mich nicht mehr verstecken.

Im September war die Rückrunde in Treuenbrietzen angesagt. Für mich bedeutete das Heimvorteil. In den Ferien hatten auch die Sportschüler nicht trainiert. Ich schlug sie tatsächlich und erhielt einen Siegerkranz aus Eichenlaub. Für mich und mein Selbstvertrauen eine längst fällige Spritze. Ein Ehrenplatz über meinem Bett war der gebührende Ort für diese Trophäe.

Nach einem Abendessen fing mich Armin ab. Mit strahlenden Augen überraschte er mich mit einem Gedicht. Ebenso glücklich, aber sprachlos, von meinen Gefühlen überrannt, konnte ich es nur entgegen nehmen. Auf die Verabredung im Park hatte ich schon lange gewartet. Jetzt wuchsen mir große Flügel, trugen mich in die Welt meiner schönsten Träume. Vielleicht würden sie ja wahr werden.

Am nächsten Tag schwebte ich wie auf Wolken in den Park, Armin entgegen. Ein angenehmes, warmes Kribbeln durchströmte meinen Körper. Es schien zu explodieren, als er vorsichtig meine Hand ergriff.

Wir sprachen nicht viel. Oder doch? Es war ja so unwichtig.

Der Park wurde Zeuge und Begleiter vom Werden, Wachsen und Reifen unserer Gefühle füreinander. Im ebenerdigen Speiseraum befand sich ein präpariertes Fenster, das sich nicht ganz schließen ließ. Für Eingeweihte war es das Tor in den Park, wenn abends das Schlosstor schon verschlossen war. Wir waren eingeweiht.

So wurde das Wiesenburger zu unserem Schloss Gripsholm.

Vor den Lehrern mussten wir uns verstecken, sie sahen die Schülerpärchen nicht gern. Mit Ausnahme von Herrn Holtorff, unserem Deutschlehrer. Er lächelte uns freundlich zu, wenn er uns zusammen traf. Er war einer der wenigen älteren Lehrer an unserer Schule. Vernarrt in die Literatur, besonders in Goethe, und ein Kavalier der alten Schule. Er grüßte uns junge Damen stets zuerst, drohte jedoch, es nicht zu tun, wenn wir auf der Straße Eis essen würden.

„Jemanden mit herausgestreckter Zunge grüße ich nicht.“

Bis heute verkneife ich es mir, Eis auf der Straße zu essen, obwohl ich gerne nasche.

Er konnte auch böse werden, wenn jemand seine Leidenschaft für die Literatur nicht teilte. Als ihm aus der ersten Reihe Hartmut keck entgegen grinste, ergriff er ihn am Kragen und zischte ihm ins Gesicht:

„Sie verdammter Lümmel Sie, Sie werden es nie begreifen!“

Die Zeit in Wiesenburg verging schneller als uns lieb war. Langsam mussten wir uns entscheiden, für welches Studium wir uns bewerben wollten. Wer das Abitur ablegte, wollte auch studieren. Wir konnten drei Studienwünsche äußern. An erster Stelle stand für mich die Medizin, die Saat meines Blankenfelder Biolehrers war aufgegangen. Außerdem bestanden hier die höchsten Hürden. Würde ich sie nicht nehmen können, wollte ich mich an der Theaterhochschule in Leipzig bewerben.

Meine Großmutter, einst Königliche Schauspielerin in Wiesbaden, hatte mir ein Theater-Gen vererbt. Und durch ein Schüler-Abo hatte ich Gelegenheit, in die faszinierende Berliner Theaterwelt einzutauchen. Viele eindrucksvolle Abende klingen noch heute in mir nach:

Im Deutschen Theater Eduard von Winterstein als weiser Nathan, unmittelbar nach dem großen Inferno. Nur wenige Jahre zuvor stand er auf dem Index. Jetzt ließ er uns innehalten, nachdenken und machte Mut für einen Neuanfang. Erwin Geschonnek erlebte ich als Richter Adam, Wolf Kaiser als Mackie Messer. Noch heute höre ich die Stimme von Ernst Busch, schneidend scharf, wie klingendes Metall, wie sie bis zu uns in die Ränge dringt:

„Ich bin der Geist, der stets verneint…

Und nicht zuletzt Helene Weigel.

Sie alle hatten für mich Maßstäbe gesetzt.

Mich interessierte besonders die Regie, selbst musste ich nicht im Rampenlicht stehen. Ich wusste, dass es in Leipzig einer Aufnahmeprüfung bedarf, also bereitete ich mich vor und lernte fleißig Texte.

Armin bewarb sich aus der naturwissenschaftlichen Parallelklasse für Medizin, er hatte von hier bessere Chancen

Wir hatten beide Glück und erhielten unsere Studienplätze an der Humboldt-Uni. Ein großes Ziel war erreicht, ein Traum Wirklichkeit geworden. Gemeinsam würden wir an der Charitè in Berlin studieren.

Das sommerliche Ferienlager in Boltenhagen war in diesem Jahr ein Fest.

Abends schlendere ich sonnendurchtränkt

mit Armin den Strand entlang,

barfuß,

im kühlen Sand flüchtig Spuren hinterlassend.

In einem Strandkorb, eng beieinander,

verfolgen wir,

wie der Abend sich neigt, die Sonne langsam sinkt.

Der Duft von See und Tang durchdringt die Luft,

Welle um Welle flüstert in den Sand.

Winzige Punkte am Horizont,

Schiffe, so weit, so fern.

Wo mögen sie wohl hinfahren?

Die Dämmerung senkt sich nieder.

Die Wellen werden lauter,

die Möwen leiser,

zarte Sterne scheinen uns zu winken

Die Weite des Universums zieht uns in seinen Bann,

wir spüren seine Unendlichkeit,

fühlen uns magisch mit ihm verbunden.

Anschließend an das Ferienlager ging Armin malochen. In gleißender Hitze verlegte er auf trockenen Feldern die Rohre zur Bewässerung. Täglich schrieben wir uns Briefe, so blieben wir uns nah.

Das erarbeitete Geld reichte für Verlobungsringe.

Ja. Aber...

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