Читать книгу Dienstmädchen und Leichtmatrose - Anneliese Klumbies - Страница 3

Dienstmädchen und Leichtmatrose Dienstmädchen und Leichtmatrose

Оглавление

Familienabgründe

Anneliese Klumbies

Vorwort / Exposé

Dies ist die Geschichte von Anna Jordan, ihrer Kindheit, ihrer Jugend in dem großen Dorf Olvenstedt. Sie zieht als „Perle Anna“ in die Welt hinaus, vorerst ist das Magdeburg; man braucht nur ein kurzes Stück mit der Straßenbahn zu fahren, schon ist man da. In der ersten Stellung ist sie Dienstmädchen und Gesellschafterin der vornehmen alten Dame. Die ist Anna wohlgesonnen, denn sie vermisst ihre eigene verstorbene Tochter. Anna vermag sie zu trösten, es gibt wieder Leben im Haus, und Frau Doktor lacht mit Anna und freut sich, wenn diese zur Leierkastenmusik mit dem Teller durch die Küche tanzt.

Dann macht sie im Hause des Majors die damals durchaus typischen Erfahrungen mit dem Hausherrn. Sie haut ab und geht nach Frankfurt an der Oder. Dort hat sie es gut bei ihren Herrschaften, aber sie verliebt sich – unglücklich.

Nun endlich zieht es sie in eine Weltstadt, und die heißt Hamburg. Als Kind war sie mal bei Onkel Franz und Tante Amanda zu Besuch. Den Hafen, die Schiffe und die nahe Reeperbahn fand sie aufregend. Dort wollte sie wieder hin.

Zehn Jahre arbeitet sie im Altenheim Norderstraße in Altona. Die Arbeit ist schwer, aber die Arbeitszeit und die Entlohnung sind günstiger als im Privathaushalt. Jetzt kommt der Bekannte meiner Mutter ins Spiel, der mein Vater werden sollte. Anna und Hans-Werner lernen sich 1930 kennen, beim Tanz im „Oberbayern“ auf der Reeperbahn. Da ist mein Vater noch Leichtmatrose.

Sie bekommen zuerst zwei Söhne, der erste ist 1932 unehelich geboren, der zweite war schon ein Kriegskind. Hans-Werner ist leider auch als Vater ein Luftikus und Abenteurer, die tüchtige Anna muss ihn durchs Leben geleiten. Das schafft sie, sie hält die Familie zusammen und sorgt dafür, dass alle was werden.

Anna erlebt zwei Weltkriege, den zweiten sozusagen in der ersten Reihe. Während Hans-Werner auf See ist, vernichtet das schwere Bombardement vom 24. auf den 25. Juli 1943 ihre materielle Existenz, beinahe auch ihr Leben und das ihres zweitgeborenen Sohnes. Aber sie ist noch einmal davon gekommen. Es wird für Hamburg noch schlimmer, als ein paar Nächte später der Osten der Stadt von einem Feuersturm vernichtet wird.

Immer wieder ist Hamburg das Ziel der Bomben. In der Bülowklinik Altona werde ich 1944, fast genau ein Jahr nach dem Feuersturm, geboren. Meine Mutter teilt sich mit zwei Frauen das Bett. Die Ärzte sind überlastet, weil von draußen die Verwundeten hereinströmen, die sie nun zusätzlich versorgen müssen. Meine Mutter hat immer von den blutbefleckten Kitteln der Ärzte erzählt, die den Kindern ans Licht der Welt und den Verwundeten der Bombenangriffe gleichermaßen helfen mussten.

Endlich ist der Krieg zu Ende, das Ringen ums Überleben aber noch lange nicht. Zum Hunger kommen sibirische Winter. Das musste ja so kommen, Kalorien und Kohlen fehlen gleichermaßen. Hunderttausende sterben. Mit vereinten Kräften schafft die Familie es, nicht zu verhungern und auch nicht zu erfrieren. Hauptantriebskraft im Überlebenskampf ist nicht der Vater, sondern die Mutter. Der ältere Sohn ist den Eltern eine unentbehrliche Kraft beim Organisieren von Holz, Kohle und Kartoffeln. Immerhin hat der Vater mittlerweile einen Erwerb als Sägearbeiter und Kohlenträger.

Es geht langsam aufwärts. Aber Hans-Werner kommt mit sich und der Welt nicht ins reine. Von 1951 bis 1963 fährt er wieder zur See. Dann ist sein Leben vorbei. Er stirbt mit 52 Jahren den Seemannstod. Romantisch war das nicht. Meine Mutter überlebt ihn um beinahe vierzig Jahre. Als Kapitänswitwe ist sie versorgt, und sie ist begeisterte Großmutter. Mit 94 Jahren stirbt sie, mit dem Tod war sie gar nicht einverstanden.

Meine Mutter hat mir die ihr wichtigen Ereignisse ihres Lebens so häufig erzählt, dass ich sie nur aufzuschreiben brauchte. Der lustige Hund Max nimmt eine ebenso wichtige Stellung ein wie der liebevolle Großvater, die lieblosen Eltern, der geliebte Bruder. Alle Menschen - und Tiere -, die sie durch ihre Kindheit begleitet haben, verewigt sie in ihren Erzählungen. Die kurzen Episoden aus Kindheit und Jugend meiner Mutter folgen ihrem Erzählfluss. Hinzugefügt habe ich Deutungen ihrer Geschichte. Warum bloß hat sie ihr unehelich geborenes erstes Kind weggegeben? Was hatte sie gegen die Kommunisten? Später kommen meine eigenen Erlebnisse hinzu. Schließlich habe ich in den fünfziger Jahren zusammen mit meinem Vater die Wettbüros im zerstörten Altona erkundet, und ich habe mit ihm die Meere befahren.

Eigentlich wollte ich nur die Geschichte meiner Mutter aufzeichnen, aber nun ist es auch die Geschichte meines Vaters geworden. Und hier und da auch meine eigene. Den Namen meiner Mutter habe ich so benutzt, wie sie selbst es getan hat. Ihre Freundinnen haben sie Anni genannt, der Lehrer hat Anna gesagt.

Dienstmädchen und Leichtmatrose

Подняться наверх