Читать книгу Der Zauber des Mt. Kamui - Annette Droste - Страница 7
Kapitel 3
ОглавлениеNicht einmal eine ganze Woche war vergangen, als ich schon alles für mein kleines Abenteuer vorbereitet hatte. Es konnte aus meiner Sicht gar nicht schnell genug gehen, um dieser tristen Wohnung und meinem zurzeit armseligen Leben zu entfliehen.
Für ganze zwei Monate würde ich in einer richtigen Residenz auf einem Berg in Hokkaido probewohnen. Natürlich hatte ich schon längst damit abgeschlossen, dass es sich um eine topmoderne Anlage handelte, so lange wie diese Residenz zusammen mit dem Grundstück in Familienbesitz war. Doch auch etwas Altes hatte seinen eigenen, verführerischen Charme.
Außerdem war einfach alles besser, als dieser Krach vor dem Apartment meines Vaters. Tokyo war ein lauter Ort, der mich manchmal um den Verstand brachte. Dahingegen wäre die Stille an diesem abgelegenen Berg, welche nur vom Zwitschern der Spatzen und den Geräuschen der Natur unterbrochen würden, himmlisch. Zumindest glaubte ich, dass er abgelegen war, denn ich hatte mir eine Karte zu Gemüte geführt und nach besagtem Berg gesucht, welcher fernab der nächsten Stadt lag. Doch zu meinem Glück gab es in der Nähe eine Bushaltestelle für eine Aussichtsplattform.
Ich strich sanft über mein Handgepäck. Kein Urlaubsstress war in Sicht, denn wenn ich wollte, könnte ich ewig dort bleiben.
Nur eine Frage hatte mich in dieser Woche weiter beschäftigt. Man wollte, dass die Residenz im Besitz der Familie blieb, weswegen ich sie haben sollte, doch was geschah wohl mit ihr, wenn ich ablehnen würde? Ich war nach Angaben des Anwalts die einzige Nachfahrin. Kurz schüttelte ich den Kopf, darüber würde ich mir erst Gedanken machen, sollte ich ablehnen. Probieren ging bekanntlich vor Studieren.
Der Bildband von der Landschaft war schon vorgemerkt, doch wer wusste, vielleicht kam mir eine Idee für einen Roman oder ich würde einen Reiseführer schreiben. Es gab viele Möglichkeiten, denen ich allen in diesen zwei Monaten eine Chance geben wollte.
Als ich in den Spiegel blickte, sprang mich mein breites Grinsen regelrecht an, was mir verkündete, dass meine Depression vorerst ein Ende hatte. Ich bürstete mein goldenes Haar noch einmal, um es in Form zu bringen. Die Wellen schimmerten im Sonnenlicht, welches durch das offene Fenster hereinströmte, während meine Lippen in einem zarten Rosa erstrahlten. Für die lange Reise hatte ich mir eine sehr bequeme Bermudahose in Khaki ausgesucht und trug dazu ein weißes T-Shirt. Zusätzlich wählte ich Wanderschuhe in einem hübschen Braun. Denn wenn ich der Wegbeschreibung Glauben schenkte, würde ich den Berg voraussichtlich über einen unbefestigten Weg erklimmen, weswegen ich abends erschöpft in ein hoffentlich gemachtes Bett fiele, so unsportlich, wie ich war.
Wie viele Bewohner Tokyos besaß ich kein Auto, wozu auch, wenn die U-Bahnen einen an jeden Ort brachten. So konnte man sich das Geld für einen teuren Autostellplatz sparen. Dafür müsste ich jetzt aber mit einem Zug fahren, wie auch mit einem Bus, was mich mehr als elf Stunden kostete, wie auch noch eine Wanderung zum Domizil von einer guten Stunde. Zumindest wäre die Fahrt mit dem Auto nicht schneller gewesen, sondern noch länger. Einzig ein Flug brauchte wenige Stunden, doch ich war dafür zu knauserig.
Mit etwas Glück gab es dort zumindest ein Auto, damit ich die nächsten Orte erreichen könnte. Denn irgendwie musste meine Großmutter an Essen und Trinken kommen, außer es gab natürlich einen Lieferservice. Leider wusste ich dies, wie so vieles anderes nicht. Ich hatte definitiv nicht genug Informationen.
Der einzige Anhaltspunkt war die einen Kilometer entfernte, gut besuchte Aussichtsplattform, doch sonst gab es einfach nichts. Ob sie wohl für solche Touristen auch Zimmer anboten?
Seufzend schielte ich zu meiner Tasche, die ich gewählt hatte. Es war nur eine Reisetasche, aber die würde fürs erste reichen. Ich hatte mit meinem Vater abgesprochen, dass er mir mehr Kleidung nachschicken würde, sofern ich meinen Aufenthalt verlängerte, denn es wäre unpraktisch mit zu viel Gepäck einen Berg hinaufzuwandern. Schlimmstenfalls, wenn auch dies nicht möglich wäre, könnte ich mir noch in der nächsten Stadt Kleidung kaufen, falls es mir in einer Woche noch nicht zuwider wäre. Des Weiteren hatte ich natürlich auch keine schicken Schuhe eingepackt, was mein Gepäck sehr leicht machte. Es handelte sich hier auch um eine Pension auf einem Berg mit viel Wald, sodass ein Hackenschuh lebensgefährlich werden könnte. Wenn es ein älteres Gebäude war, trug ich wahrscheinlich sowieso nur traditionelle Sandalen, was ein dickes fettes Kontra auf meiner imaginären Liste war. Dort zu leben, hieße, nie wieder in den Genuss meiner Hackenschuhe zu kommen und noch schlimmer, nur noch traditionelle Kleidung… grässlich.
Kurz schmollte ich, bei dem Gedanken an mein zukünftiges Leben, bevor ich grinsen musste. Ach was. In diesem Apartment hing ich sowieso seit einer Woche wie der letzte Penner rum, warum stellte ich mich nur so an? Ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass ich mich sowieso jetzt auf den Weg machen musste, wenn ich den Zug erreichen wollte.
Kurz ließ ich meinen Blick noch einmal zum Abschied durch das kleine Zimmer wandern. Fast zwei Wochen hatte ich hier verbracht und ich würde es sehr wahrscheinlich nicht vermissen. Selten fiel mir ein Abschied so leicht.
Geschickt ergriff ich meine weiße Reisetasche und schulterte sie. In ihr hatte ich alles an Kleidung verstauen können, wie auch meine Spiegelreflexkamera, die recht weit oben zusammen mit meiner Geldbörse in einer gepolsterten Tasche lag. Schnell blickte ich noch einmal hinein, kontrollierte und stellte zufrieden fest, dass nichts fehlte. Des Weiteren wusste mein Vater auch Bescheid, dass ich heute abfuhr, auch wenn er sich dagegen ausgesprochen hatte. Er musste einfach mal akzeptieren, dass ich jetzt mein eigenes Leben führte.
Am Bahnhof angekommen, begab ich mich sofort in den Shinkansen, einen Langstreckenzug, um mein Abteil in Augenschein zu nehmen. Mein Vater hatte dafür gesorgt, dass ich zumindest für mich sein könnte, was ich dankend angenommen hatte, wenn man bedachte, dass dieser Trip einige Stunden dauern würde.
Ich holte meine Kamera raus, machte Fotos von meiner Kabine und einige von der Landschaft, während die Tour durch halb Japan stattfand. Stunden über Stunden vergingen, in denen ich mich auf verschiedene Arten ablenkte. Mal las ich, mal aß ich in dem Speiseabteil oder ich ruhte meine Augen etwas aus.
So überwand ich die Stunden fast wie im Nu, da endlich Hokkaido in Sicht kam. Geschwind schnappte ich mein Gepäck und verließ den Zug, glücklich darüber, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren.
Ein paar Mal atmete ich die smogfreie Luft ein und blickte in den strahlenden Himmel, bevor ich mich auf die Suche nach dem Bus machte, der mich an mein Ziel bringen würde. Es dauerte etwas, doch ich fand ihn und schaffte es sogar nebenher ein paar Fotos von der Landschaft zu schießen.
Es war schon unglaublich, wie anders es hier war. Die Luft so sauber und rein. Ich zog, bevor ich in den Bus einstieg, noch einmal die Luft ein. Sie roch etwas salzig, was durch das Meer kam und dem Ganzen eine unverkennbare Note verlieh. Es war nur schade, dass nicht hier die Residenz stand, sondern weiter mittig von Hokkaido.
Aber man konnte nicht alles haben und bestimmt wäre es irgendwann langweilig, wenn man jeden Tag am Strand wäre. Des Weiteren würde das Salz meiner Kamera bestimmt nicht guttun, also sollte ich den Gedanken verwerfen.
Ich grinste noch leicht, bevor ich in den Bus einstieg. ›Weiter geht’s!‹
Die Busfahrt kostete mich dann eine weitere Stunde meines Lebens, während ich ein paar Fotos schoss und ungeduldig die Landschaft verfolgte. Wie es wohl dort aussehen würde? Mein Herz schlug immer schneller bei dem Gedanken, endlich meine Vergangenheit ergründen zu können. Bald wäre ich da und wer wusste, vielleicht käme alles auf einmal zurück, obwohl das eher unwahrscheinlich war.
Ich seufzte leise und atmete tief durch, als der Bus endlich anhielt. Ein Blick bestätigte mir, dass es sich um den Anfang des Trampelfades für den Bergaufstieg zur Plattform handelte.
Ohne Umschweife verließ ich meinen Sitzplatz und passierte die Tür, nur um draußen einen anderen Weg, als die Touristen einzuschlagen. Ich musste genau auf der anderen Seite nach oben.
Nach kurzem Suchen, fand ich auch den besagten Weg, zumindest hoffte ich das. Dieser Pfad sah nicht so aus, als könnte ihn ein Auto passieren und schlimmer noch, er war teilweise mit wilden Sträuchern zugewachsen, was mir den Aufstieg erschwerte.
Es wollte mir nicht in den Sinn kommen, wie man so abgelegen leben konnte, beziehungsweise nicht für eine angemessene Anreise sorgte. Mich graute es schon davor, oben in der Pension zu erfahren, dass es nur diesen einen Weg gab und ich jedes Mal die Nahrung hochschleppen müsste.
Wie hatte das meine Großmutter nur geschafft? Hatte sie vielleicht eine Art Bauernhof oder zog sie das Gemüse selbst? Und wie war das mit den Bewohnern, die Kleidung brauchten oder arbeiten gehen mussten? Ich wusste es ehrlich gesagt nicht und würde es auch erst oben erfahren, weswegen ich den Gedanken beiseiteschob.
Um auch wirklich alles zu verscheuchen, schüttelte ich den Kopf und atmete tief durch.
›Abwarten, es ist bestimmt alles anders, als es aussieht!‹
Kurzerhand zückte ich meine Kamera, als mir die Natur wieder mit ihren wunderschönen weißen Blüten ins Auge stach, die überall wuchsen. Es war eine märchenhafte Landschaft, die fast vollkommen unberührt lag, da keine Touristen auf Erinnerungssuche durchpreschten.
Behutsam kniete ich mich auf die Höhe der Blüten und schoss ein paar Fotos von der traumhaften Blütenpracht. Für einen Bewohner Tokyos, wie mich, war dies die reinste Wonne. So viele Farben. Ja, manchmal hatte ich es zumindest geschafft, in einen Park zu gehen, aber der war meist brechend voll, sodass es keine richtige Erholung brachte. Hinzu kam, dass ich bei der Arbeit meist nur Fotos von Gebäuden oder Menschen für die Zeitung gemacht hatte, sodass dies hier eine Wohltat für die Seele war.
Immer wieder schoss ich Fotos, während mich mein Weg über Stock und Stein zum Berg heraufführte. Der Anstieg war sehr steil und anstrengend. Aber eine Frau wie ich, die in High Heels laufen konnte, für die dürfte doch ein Berg in Turnschuhen kein Hindernis sein! Natürlich konnte ich nicht verhindern, dass ich nach einer gewissen Zeit außer Atem war, aber ich kam meinem Ziel immer näher, bis nach einer halben Stunde mich etwas aufschrecken ließ. Überrascht schnellte mein Gesicht herum, als ich ein Rascheln vernahm.
Ich verfluchte mich im selben Moment, dass ich so töricht gewesen war. Weder in einen Reiseführer noch im Internet hatte ich mich über wilde Tiere schlau gemacht. Wer wusste, welche Tiere diese Wälder ihre Heimat nannten. Mein Herz fing an zu rasen. Teilweise erinnert es mich an meinen Albtraum. Genau solche Situationen wollte ich immer vermeiden und jetzt trat es ein, sodass mein Verstand beinahe aussetzte.
Was war das nur für ein Rascheln? Ich versuchte meinen Kopf anzustrengen. Entweder ein wildes Tier, dass es nicht gewohnt war, dass Menschen hier langliefen oder es könnte noch viel schlimmer sein – ein Waldgeist!
Auch wenn ich nicht abergläubisch war, schickte ich ein Stoßgebet an Gott, dass ich überleben möge, um meine Vergangenheit ergründen zu können. Vielleicht hatte mir mein Vater den Glauben an Götter nähergebracht, jedoch glaubte ich normaler Weise nur an das, was ich auch sehen konnte. Aber die verzwickte Lage, ließ mich einfach nur auf das Existieren einer höheren Gottheit hoffen.
Knister, knister …
Ein Schauer lief mir eiskalt über den Rücken, während sich meine Muskulatur immer mehr verkrampfte. Zitternd atmete ich tief ein und hielt die Luft an. Da war etwas, nicht weit von mir entfernt und so laut, wie es war, war es eindeutig KEIN , ich meine bestimmt KEIN Kaninchen!
Ein weiteres Knistern offenbarte mir dann auch endlich den Aufenthaltsort des Monsters, das mir aufgelauert hatte.
Ein Beerenbusch, direkt vor mir, der heftig erbebte und zitterte. Kein Kaninchen würde so viel Unruhe in einen Busch bringen und auch kein Vogel. Wie groß war es und könnte ich es vertreiben? Ich schluckte und fixierte den Busch mit meinen Augen.
Ob dieses Tier vor mir vielleicht Angst bekäme und weglief, wenn ich nur monströs genug erschien? Doch so selten, wie anscheinend Menschen hier vorbeikamen, wäre es möglich, dass dieses Tier weder scheu noch ängstlich sein könnte. Womöglich wäre es sogar neugierig, da es nicht wusste, dass Menschen viele Tiere jagten und erlegten. In diesem Moment fühlte ich mich so schutzlos.
Fest umklammerte ich meine Kamera – meine einzige Waffe. Sie wog etwa ein Kilo und mit dem Band um meinen Hals könnte sie als ein sehr primitiver Morgenstern durchgehen, doch es wäre schade um sie und ich wusste nicht, wie groß es war. Doch es stand in meinem Weg, ich müsste da lang und… ich wollte jetzt nicht mit eingezogenem Schwanz zurücklaufen.
So wagte ich den Versuch, plusterte mich so gut es ging auf, zog die Luft ein und setzte das erste Mal an: »Kusch, kusch. Ich tu dir auch nichts!« Meine Stimme sollte eigentlich fest klingen und vielleicht noch etwas freundlich, doch in meinen Ohren klang es eher verzweifelt und ängstlich.
Meine Stimme war eine Oktave hochgerutscht und klang wie eine verängstigte Maus, was nicht gerade für mein Vorhaben positiv war. Fast hoffte ich, dass es kein Wesen war, dass sich jetzt über meinen kläglichen Versuch ins Kämmerchen lachte. Doch auch ein Wolf war nicht besser, denn dieser hätte bestimmt meine Angst gewittert und dachte sich, dass ich ein perfektes Essen abgab. Verdammt.
Ich spitzte die Ohren. Wie würde es sich entscheiden? Meine Hände zitterten heftig, während ich die Kamera fest umklammert hielt. In meinen Ohren rauschte das Blut, weswegen ich kurz brauchte, um zu bemerken, dass der Busch still blieb.
Verwirrt hob ich eine Augenbraue, immer noch zum Zerreißen gespannt und blickte ungläubig zu dem Busch, besetzt mit vielen saftigen Beeren. Er raschelte nicht mehr und ich hörte auch keine Geräusche, wie Tierlaute.
Hatte ich ihm doch mit meiner piepsigen Stimme Angst gemacht? War es vielleicht weggelaufen, als ich kurz durch mein rasendes Herz abgelenkt gewesen war? Konnte es sein, dass ich siegreich aus dieser kleinen Schlacht gegangen war?
Ich fasste Mut und meine Mundwinkel zuckten kurz nach oben. Arisu, du hast es geschafft! Doch sicherheitshalber sprach ich sanft noch ein paar beruhigende Worte, sollte es nur ein Kaninchen gewesen sein: »So ist es brav, ich will nur vorbei und zum Berg hinauf. Ich werde dich also nicht weiter stören.«
Langsam machte ich mich auf und umrundete den fragwürdigen Busch, darauf gefasst, sofort loszurennen, sollte auf der anderen Seite doch etwas anderes, als ein Kaninchen auf der Lauer liegen. Doch mein Weg endete jäh.
Erschrocken sprang ich zur Seite, als urplötzlich ein riesiges, weißes Monster, vermutlich ein Yeti, auf der Bildfläche erschien. Natürlich war das unmöglich, einen weißen Yeti hier anzutreffen, doch etwas anderes fiel mir beim besten Willen nicht ein.
Mein Herz setzte regelrecht aus, während ich wie am Boden gefesselt dastand und auf sein langes weißes Fell starrte, dass an seinem Körper herabfiel. Sein Unterleib schien purpurrot und groß und…
Ungläubig fiel mir die Kinnlade herab, als ich erkannte, was da vor mir am Boden kauerte, das sich vorsichtig erhob. Die Schamesröte stieg mir blitzartig ins Gesicht, als ich immer wieder von oben nach unten die Gestalt vor mir taxierte. Ich konnte es nicht fassen, was mir da gerade passiert war. Das war eindeutig KEIN Yeti, sondern eine Frau oder… warte, war es ein Mann? Grüne Augen starrten mich aus dem weißen Vorhang an, was wohl seine Haare waren, welche es, mich währenddessen fixierend, gerade über die Schulter nach hinten schob. Dann erkannte ich auch, dass es sich um einen Mann handelte und er trug in der rechten Hand einen Korb mit … Beeren.