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Kapitel 4

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›Haha.‹ Ich versuchte die Situation in meinem Kopf ins Lächerliche zu ziehen, damit ich aufhörte, wie eine erstarrte Eisstatue dazustehen. › Da war ja tatsächlich ein großes Tier auf Beerenjagd gewesen.‹ Ich schluckte den großen Kloß, der mir die Luftzufuhr abschnürte, so gut es ging herunter. Theoretisch war es jetzt noch nicht zu spät zu flüchten, um dieser äußerst peinlichen Situation zu entgehen. Einfach weglaufen, denjenigen würde ich bestimmt nie wiedersehen. ›Komm schon, lauf! LAUF!!!‹ Ich schrie es mir regelrecht im inneren an den Kopf.

Noch nie war mir ein so peinlicher Moment untergekommen und ich wollte gar nicht wissen, wie knallrot ich gerade war. Dieser Mann vor mir war etwa in meinem Alter, also um die dreißig Jahre alt, auch wenn er weiße Haare hatte. Wieso stand er einfach nur da und beobachtete mich still und nachdenklich? Das machte es nur noch viel schlimmer. Er legte den Kopf leicht schief, wie ein neugieriges Tier, dem etwas Interessantes untergekommen war.

Meine Beine bebten noch immer und meine Augen hatte ich tellergroß aufgerissen. Ob er wohl genauso überrascht war, wie ich?

Ich atmete noch einmal tief durch, taxierte ihn und glaubte auf einmal zu sehen, wie er die Augenbrauen zusammenzog. Anscheinend brauchte er auch noch einen Moment, um die Situation zu analysieren.

Natürlich konnte es auch sein, dass man hier doch öfters auf andere Menschen traf und er nur auf einen Gruß wartete, um sich seiner Arbeit wieder zu widmen. Ich fühlte mich irgendwie verloren.

»Ich wollte Sie nicht erschrecken«, nuschelte er dann doch leicht zaghaft zwischen den zusammengepressten Lippen hervor. Das war sowas von peinlich !

Ich blinzelte ein paar Mal verwundert und musste immer wieder schlucken, da der Kloß noch immer präsent war. Dieser Mann entschuldigte sich gerade tatsächlich bei mir, was schon irgendwie süß war.

War er menschlich oder ein Wesen? Ich wusste es nicht, was eine angemessene Reaktion schwierig machte. Zumindest seine schneeweißen Haare mit schwarzen Spitzen waren eher ein Indiz dafür, dass er nicht menschlich war, da die Haarfarbe schon sehr speziell und aufwändig zu färben wäre.

Wenn er also theoretisch ein Wesen war, gehörte er eindeutig nicht zu diesen Hochnäsigen. Denn noch nie war mir ein so charmantes unterkommen, dass sich entschuldigte und einen so verboten lieb anstarrte.

»Haben Sie sich verlaufen?«, versuchte der weißhaarige Schönling – anscheinend einem Märchen entsprungen – es ein weiteres Mal, doch diesmal mit einer schon viel kräftigeren Stimme, um mir anscheinend einen Laut zu entlocken, weil er wohl glaubte, ich hätte ihn nicht gehört. Vielleicht hatte er auch erst so leise gesprochen, da er mich mit einem verängstigten Reh verglich, denn er setzte sehr vorsichtig einen Fuß nach vorne und schien mir näher kommen zu wollen. »Wissen Sie, Sie sind den falschen Weg gegangen, hier geht es nicht zur Aussichtsplattform.«

Meine Wangen wurden glühend heiß. Fabelhaft, jetzt hielt er mich natürlich auch noch für eine Touristin, aber was kreidete ich ihm das auch an? Ich war naturblond und hatte eine dicke Spiegelreflexkamera um meinen Hals. Zumindest konnte ich ausschließen, dass er ein Wesen war, so normal, wie er mit mir redete. Wesen waren nicht nett, waren nicht so höflich, sondern sahen auf Menschen herab und würden sich kein Bein ausreißen, einem Touristen den Weg zu erklären. Doch hübsch war er und sehr nett, was vielleicht auch einfach an der ländlichen Gegend lag.

»Ah… hm… Wlong whai«, stotterte er sich dann auf einmal ab, was meine Mundwinkel zucken ließ. Kurz dachte ich, dass er mit mir chinesisch reden wollte, bis er in die andere Richtung deutete und ich begriff, was er da versucht hatte zu sagen. Nicht chinesisch, sondern – kläglich, miserables – Englisch. Sehr wahrscheinlich hatte er wrong way , also falscher Weg, sagen wollen. Ich wusste ja, dass viele Japaner Probleme mit der Aussprache hatten, doch meist legte es sich mit ein wenig Übung, die er anscheinend nicht gehabt hatte. Für mich war das gerade echt schwer gewesen, es zu verstehen, da ich ein paar Jahre in Amerika verbracht hatte, weswegen ich oft die Interviews mit den Ausländern übernommen hatte.

Ich versuchte zu lächeln, er war irgendwie süß auf seine eigene Art und Weise in diesen altertümlichen Tempeldiener Gewändern. Die weite rote Hose, auch Hakama genannt und das weiße Oberteil, welches er wie einen Kimono darunter trug. Die Ärmel hatte er mit einem Band nach hinten gebunden, was mir noch mehr klar machte, dass er kein Wesen sein konnte.

Noch ein weiteres Mal deutete er auf den Weg zurück, während ich ihn unter die Lupe nahm. Von oben bis unten musterte ich meinen Gegenüber und leckte mir innerlich die Lippen. Vom Beuteschema her, würde er mir gefallen. Dieser Mann war augenscheinlich ein Stück größer als ich. Ich tippte etwa auf fünf Zentimeter, aber das reichte mir schon und dann sein Gesicht… ohne Zweifel war es männlich, aber nicht zu kantig, sondern eher abgerundet und zart. Das Karma hatte mich hart erwischt. In meiner Trockenzeit so einem Mann zu begegnen, auf so eine peinliche Art und Weise. Fast war ich versucht, zu glauben, ich befände mich in einem dieser kitschigen Liebesromane. Ein Mann und eine Frau, allein – Nein! Pause. Erst schob ich Panik und jetzt, vom Adrenalin getrieben, kamen mir solch dumme Ideen in einer so misslichen Lage? Am liebsten hätte ich mir selbst eine verpasst über mein frevelhaftes Verhalten, einen Tempeldiener so schamlos anzustarren.

»Miss?«, fragte er sacht nach und war mir definitiv zu nahegekommen. Es waren fünfzig Zentimeter, die mir immer kürzer erschienen. Seine Lippen glänzten leicht im Sonnenlicht, dass sich vereinzelt durch die Blätter kämpfte. Insgesamt gab es ihm etwas Mystisches, nur warum konnte ich meine Augen nicht von seinen Lippen lösen, die so zart, aber auch weich erschienen und dann auch noch leicht geöffnet von den kühnsten Träumen kündeten? Nein, nein, nein! Stopp, Stopp, Stopp

Geschwind machte ich einen Ausfallschritt nach hinten, um dem vermeintlichen Kuss zu entrinnen, der mich in seinen Bann ziehen könnte, doch war mein Tun verflucht. Ich blieb an einer herausschauenden Wurzel hängen und stolperte nach hinten. Ungeschickt ruderte ich, wie eine Verrückte, mit den Armen, damit ich nicht nach hinten fiel. Wenn nämlich das passierte, würde ich bestimmt den steilen Hang wieder herabrollen und könnte mir dabei etwas brechen. Doch meine Sorge war unbegründet. Der Mann mir gegenüber schien schneller als ich die Lage gepeilt zu haben und überwand in Windeseile die kurze Distanz zwischen uns und nagelte mich – wahrscheinlich unabsichtlich – an den nächsten Baum.

Hochrot keuchte ich auf und sah ihm direkt in seine unbeschreiblich schönen smaragdgrünen Augen. Die Liebesromane hatten mir den Kopf auf der Zugfahrt vernebelt, sodass ich mich dafür schämte, mehr als nur eine reine Rettung in dieser Aktion zu sehen. Wie erniedrigend, einem so netten Mann eine perverse Ader anzudichten, doch trotzdem konnte ich nicht verhindern, dass ich mich in diesen freundlichen Augen, umrandet von weißen Wimpern, verlor. Dieser Moment könnte gerne ewig andauern, denn ich wusste, was jetzt käme, wäre äußerst peinlich, da ich so ein Tollpatsch gewesen war.

»Miss… ahh… allufan?«

Ich starrte ihn kurz verunsichert an, bevor meine Mundwinkel stark zuckten und ich einfach nicht anders konnte und lachte. Peinlich hin oder her, dass war einfach zu komisch. Meine Röte verschwand und jetzt war er es, der schockiert erstarrte und sich einen Kopf über sein Handeln machte.

»Ich kann japanisch sprechen«, klärte ich ihn kichernd auf und schüttelte mich etwas, während er sich von mir löste und rot um die Nase wurde. Zumindest machte sein schlechtes Englisch meinen peinlichen Auftritt ein wenig wett. Wir legten beide nicht gerade unsere besten Seiten zur Schau.

»Was habe ich denn gesagt, dass Sie so lachen müssen?«, fragte er leise nach und grübelte angestrengt, wenn ich die Falte zwischen den Augen richtig interpretierte.

»Ehrlich? Wenn ich das nur wüsste… Ihr Englisch ist überaus … miserabel, wenn ich das einmal bemerken darf. Das würde niemand verstehen«, schmunzelte ich ihn charmant an und konnte nur noch beobachten, wie er sich beschämt von mir abwandte. Überaus süß.

»Sie sind leider nicht die erste, die mir das vorhält. Wieso haben Sie mir dann nicht vorher geantwortet, als ich es mit japanisch versucht habe?«

Ich biss mir kurz auf die Unterlippe, bevor ich mich dafür entschied, einfach ehrlich zu sein, denn es würde uns beiden guttun, wenn wir über diese verkorkste Situation lachten: »Nun, dass kam daher, dass ich so überrascht war, dass das vermeintliche Kaninchen oder der Wolf oder natürlich auch der Yeti in Wirklichkeit ein Mensch war. Ich hatte mit so ziemlich allem gerechnet, nur nicht mit einem Mann.«

Er lauschte meinen Worten, bevor er sich zu Wort meldete: »Yeti?« Er schien mir dadurch sehr verwirrt zu sein, was mich aufatmen ließ. So peinlich, wie unser Gespräch auch gerade war, es war wie Balsam für meine Seele und wirkte erfrischend nach dieser unerträglich langen Reise. Irgendwie konnte ich mich auch gar nicht mehr für meinen falschen Verdacht schämen, so komisch, wie er sich zwischenzeitlich benommen hatte.

Natürlich wollte ich ihn nicht ganz dumm sterben lassen und klärte ihn deshalb über den Yeti auf: »Ein Monster, welches angeblich auf Bergen, in Wäldern, lebt. Die Legende kommt aus Amerika. Es handelt sich hierbei um ein großes weißes oder auch braunes Tier, mit dichtem, langem Fell.« Der Mann legte noch einmal den Kopf schief und schien erstmal alles zu verarbeiten, bevor ich dann weiterredete, da ich schon so eine dumme Vermutung hatte, wenn er mir sagte, dass ich hier falsch wäre: »Übrigens bin ich auch keine Touristen, die sie in der Not retten müssen, sondern womöglich ihre neue Nachbarin…«

Jetzt hob er erstaunt eine Augenbraue, während der weißhaarige Mann mich schon fast neugierig von oben bis unten Musterte, da er bestimmt überlegte, zu welcher Familie ich gehören könnte.

Kurz wurden meine Augen groß, als ich ein Glitzern in seinen Augen vernahm. Bestimmt Einbildung. Für einen Moment glaubte ich, dass seine Augen von sich ausleuchteten, doch sie hatten bestimmt nur das Sonnenlicht reflektiert, welches immer wieder Lichtpunkte auf uns warf.

»Dürfte ich nach Ihrem Namen fragen? Sie müssen wissen, hier oben wohnen nicht viele Menschen, aber ich kann Sie nicht zuordnen.«

Ich schmunzelte leicht, hatte ich mir schon irgendwie gedacht, dass er mich niemals mit meiner Großmutter in einen Topf werfen könnte, dafür war ich durch meine amerikanische Seite, viel zu fremdartig im Aussehen. Natürlich könnte er mich auch für ein Wesen halten, da er expliziert von Menschen redete. Wer wusste, als Tempeldiener besaß er vielleicht die Gabe, welche zu sehen?

»Freut mich Sie kennenzulernen, ich heiße Suzuki, Arisu. Sehr erfreut. Vielen Dank nochmal für Ihre Hilfe, ich wäre bestimmt den halben Hang herabgerollt«, hauchte ich schon liebevoller und verbeugte mich tief, was er sofort imitierte, nur dass er sich merkwürdiger Weise tiefer verbeugte, als ich es tat, dabei war ich eine Frau. Es verwirrte mich, was man mir bestimmt ansah. Der Mann benahm sich, als wäre er mir unterstellt oder ich etwas Besseres. Wenn ja, würde spätestens dies ein Keil zwischen meine notgeilen Fantasien und der Wirklichkeit rammen.

»Herrin Su-Suzuki, Ich bin hocherfreut, Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen. Ich habe Sie erst nicht erkannt, da sie der verstorbenen Hausdame in keiner Weise ähneln.« Der Mann schien leicht eingeschüchtert, was mir einen Schauer über den Rücken jagte. Auf was hatte ich mich nur eingelassen? Ich seufzte laut. Natürlich hatte er mich nicht erkannt. Wer wusste, ob man ihm überhaupt etwas über mein Aussehen gesagt hatte.

»Ich habe sehr viel von meinem Vater geerbt, darunter zählt die Augen- und Haarfarbe, deswegen ist es nicht verwerflich, dass Sie mich nicht sofort erkannt haben. Sie können mir nicht zufällig den Weg weisen oder mich begleiten? Es verhält sich nämlich so, dass ich aus der Stadt komme, aus Tokyo und dieser Wald ist ein wenig beängstigend. Man weiß leider nicht, ob nicht doch aus dem nächsten raschelnden Busch eine menschenfressende Bestie springt.«

Der Mann nickte freundlich, doch leider verschwand sein herzerwärmendes Lächeln, was mich traurig stimmte. Was ihn wohl so sehr betrübte? Es lag bestimmt nicht daran, dass ich seine neue Nachbarin werden würde, was auch merkwürdig gewesen wäre. Eigentlich blieb nur eine Lösung übrig für seinen Sinneswandel. Es musste im Zusammenhang mit meiner Großmutter stehen. Wer sie wohl gewesen war? Ich hatte keinerlei Informationen, was mir anscheinend gerade das Genick brach.

»Geht es Ihnen gut?«, fragte ich vorsichtig nach, da er etwas bleich geworden war und das obwohl seine Haut von dem Leben hier draußen leicht gebräunt schien. Doch er schüttelte ganz leicht den Kopf, während er fast schon den direkten Augenkontakt mit mir mied.

»Es ist nichts. Sie waren sehr lange nicht mehr hier. Es tut mir leid, ich war in Gedanken und wollte Ihnen keine Sorgen bereiten. Es ist übrigens schade, dass sie Ihre werte Großmutter nicht mehr besuchen kamen, nach…«, murmelte er und hörte mitten im Satz auf, bevor er auf einen Weg deutete und das Thema wechselte. »Es gibt übrigens auch einen anderen Weg nach oben. Wenn Sie möchten, werde ich ihn Ihnen später zeigen. Dieser hier ist – nun, wie soll ich sagen – eher zum Beerensammeln geeignet, als um zur Pension zu kommen.«

Ich nickte und folgte ihm, während mein Kopf die neuen Fakten überschlug. Keinesfalls wollte ich mir etwas einbilden, aber es schien mir fast so, als würde er mich kennen. Wenn er natürlich gleichalt war und immer hier gelebt hatte, wäre das durchaus möglich. Auch hatte es sich so angehört, als wäre er traurig über meine jahrelange Abwesenheit gewesen. Ob er vielleicht wusste, was mir damals passiert war? Wobei wahrscheinlich nicht. Ich glaubte kaum, dass die Eltern eines Kindes einem erklärten, was gerade passiert war, wenn es mich so traumatisiert hatte.

Ein wenig neugierig beobachtete ich ihn trotzdem noch. Auch wenn er es nicht wusste, was war er wohl für mich gewesen? Ein Sandkastenfreund? Ein Spielkamerad? Oder einfach der freundliche Junge von nebenan, der womöglich ein schüchterner Bube gewesen war?

»Kennen wir uns vielleicht von früher?«, fragte ich nach einiger Zeit des Schweigens fast zu energisch, als ich zu ihm aufgeholt hatte und mein Kopf schon zu rauchen begann. Sein Gesicht drehte sich ruckartig zu mir um, als hätte ich ihn fürchterlich erschreckt. Wir starrten einander in die Augen und hielten beide den Atem an. Seine grünen Augen schienen mir auf einmal trüb und verloren, was mir gar nicht behagte. Jetzt war er traurig, was meine Frage beantwortete. Anscheinend hatten wir uns gekannt, wahrscheinlich sogar näher und ich, ich hatte ihn vergessen, wie auch alles andere. Ob er mich wohl gemocht hatte?

»Nein«, verkündete er dann auf einmal schnell und wendete sich ab. Er hatte mir gerade direkt ins Gesicht gelogen!

Ich seufzte und rollte mit den Augen. Wie konnte er glauben, dass er mit dieser Lüge durchkam? Er war wie ein offenes Buch und fast schon unschuldig. Ich hatte schon vor vielen Jahren gelernt, die Mimik anderer zu deuten, was mir als Journalistin viele gute Geschichten beschert hatte. Mir hatte man beigebracht, mit dem Bohrer genau dort anzusetzen, wo die Leute verletzlich waren. So ein hundsmiserabler Lügner.

Hatte er womöglich etwas mit meinem Gedächtnisverlust zu tun, weswegen er zu dieser billigen Lüge griff?

Doch vorerst würde ich mich mit der Lüge zufriedengeben, denn es würde nichts nützen, hier, mitten im Wald, darüber zu diskutieren, was wirklich gewesen war. Mir reichten zurzeit auch diese angsteinflößenden Albträume, da musste ich nicht noch einen Zusammenbruch in einem Wald herausfordern. Des Weiteren konnte ich nicht mal ausschließen, dass er vielleicht damals dabei gewesen war und genauso wie ich ein Trauma erlitten hatte, über das er ungern reden wollte.

›Egal.‹ Ich schüttelte die düsteren Gedanken ab, die mich in die Tiefe reißen wollten. Zwei Monate lagen vor mir, in denen ich noch genug Zeit hätte, um meine Vergangenheit zu ergründen.

Als der Weg bei einer Schneise zu eng wurde, ließ ich ihn vorsichtshalber vorgehen, da er sich besser auskannte und erhaschte einen fabelhaften Blick auf sein einladendes Hinterteil. Unglaublich, dass er trotz dieser lockeren und weitsitzenden Hose so verboten gut aussah. Sein weißes Haar endete knapp über seinem Hintern und ließ mich regelrecht erschaudern. Überhaupt diese schwarzen Haarspitzen, die regelrecht wie Pfeile auf seinen Po deuteten. Dieser Mann war bestimmt verheiratet oder hatte den Frauen abgeschworen und diente nur den Göttern. Das war so was von ungerecht, so einem Mann zu begegnen. Jedoch war es wahrscheinlich sowieso besser, wenn er nicht an einer festen Beziehung mit mir interessiert war, denn das würde mir ersparen, ihm sein Herz zu brechen, was spätestens dann geschehen würde, wenn er mit mir über meine seelische Last reden wollte, wie eigentlich jeder Mann. Es war einfach schwer, es zu verbergen, wenn man immer wieder mal schreiend aus dem Schlaf erwachte.

»Ari…, ich meine, Herrin Suzuki – bleiben Sie ab jetzt für immer hier?«, fragte er vorsichtig nach, während ich keine Möglichkeit hatte, sein Gesicht dabei zu sehen, doch ich hörte in seiner Stimme etwas, was wie eine unterschwellige Bitte klang. Wer war dieser Mann nur, der mir unverschämter Weise nicht mal seinen Namen nannte? Auch hatte er mich fast beim Vornamen genannt, was normal nur sehr miteinander Vertraute taten. Wirklich merkwürdig.

»Oh, naja für den Anfang bleibe ich ganze zwei Monate zur Probe. Danach soll ich mich laut dem Testament meiner Großmutter entscheiden, ob ich weiter dort leben möchte, oder das Erbe ausschlage. Leben Sie schon lange an diesem Ort?«, versuchte ich die Situation mit einem liebevollen Lächeln zu entschärfen, da ich ihn nicht einschätzen konnte, warum sein Gemüt so umgeschlagen war. Doch meine Sorge verflüchtigte sich, als der Mann vor mir das Wort ergriff.

»Ja, ich lebe hier schon fast mein ganzes Leben. Hoffentlich gefällt es Ihnen. Zu meinem Bedauern ist es etwas chaotisch in der Pension geworden, nachdem ihre werte Großmutter von uns gegangen war.«

»Was meinen Sie mit chaotisch?«, bohrte ich nach, während ich eine Augenbraue hob. Anscheinend kannte er sich mit meinem Zielort aus.

»Nun, wie soll ich es Ihnen nur schonend beibringen…«, grübelte er nachdenklich, was mir nicht behagte. War etwas Schlimmes passiert?

»Das Haus steht aber noch oder?« Meine Stimme rutschte schon wieder eine Oktave höher und ließ sie panisch klingen, denn seine Stimme klang so schuldbewusst, als wäre es etwas Unverzeihliches, was dort vor sich ging.

»Ja! Natürlich steht es noch!«, antwortete er geschwind und drehte sich sofort um, als er die enge Passage überwunden hatte und der Weg wieder breiter wurde. Leider fand ich es nur halb so gut, denn jetzt starrte er mich wieder mit diesen fabelhaften, wunderschönen smaragdgrünen Augen an, die mich vollkommen aus der Fassung brachten. Später würde ich ihn bitten müssen, für mich für einige Fotos zu posieren. Dieser Mann eignete sich zum Model. Es war kaum vorstellbar, wie er sich bei Hausarbeiten machen würde oder wenn er den Weg fegte… »Es ist nur so, dass es die Hausbewohner im Augenblick übertreiben, da ihre strenge Großmutter nun nicht mehr da ist und jetzt…«

»…nutzen sie die Situation schamlos aus«, beendete ich seinen Satz und lächelte leicht verschmitzt. »Solange sie nicht viel Schaden im Haus anrichten, soll es mir recht sein. Ehrlich? Ich bin mir selbst noch nicht einmal sicher, was meine Aufgaben und Pflichten als neue Hausverwalterin sind. Bisher habe ich in einer Mietwohnung in einer Großstadt gelebt, was wahrscheinlich nicht vergleichbar ist.«

Der weißhaarige Mann nickte und schluckte kurz, sodass sein Adamsapfel zuckte, während seine Hand über sein Haar an der Stelle strich, wo seine Ohren sich versteckten und schwärzliche Strähnen waren. »Sie wissen also gar nicht, was auf Sie zukommen wird?«

»Nein, ich habe keinerlei Informationen erhalten. Könnten Sie mir vielleicht ab und an unter die Arme greifen und hätten einen Rat, wie ich alles handhaben muss? So wie es scheint, gehören Sie bestimmt nicht zu den Chaoten, die zurzeit in dem Haus verrücktspielen«, bat ich hilfesuchend und checkte sein Haar noch ab, da diese schwarzen Haarspitzen, die am Ende jeder Strähne waren, mich in den Bann zogen.

Wie er die wohl gefärbt hatte? Vielleicht hatte er sie ja in einen Eimer Tinte gehalten.

»Gerne«, flüsterte er und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf sein Gesicht. Seine Augen funkelten wieder so merkwürdig, sodass mein Bauchgefühl mir den Gedanken aufdrängte, dass dieser Mann womöglich mehr erhoffte, als mir nur unter die Arme zu greifen, was mir die Hitze in den Kopf trieb. Ich bildete mir zu viel ein und konnte das gar nicht gebrauchen. Es käme nicht in die Tüte, dass ich es mir mit so einem Mann verscherzte, wenn er mir schon klar machte, dass meine neuen Mieter eine reine Katastrophe waren.

Der Zauber des Mt. Kamui

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