Читать книгу Wenn Gott zum Kaffee kommt - Annette Jantzen - Страница 7
Ein dickes Brett
Оглавление„Boah, das hat aber lange gedauert“, sagt Gott, als ich in die Küche komme, und prostet mir mit einer Flasche Alt zu.
Ich lege das Handy ab und massiere mir mein Ohr.
„Ich hab mich schon mal bedient“, sagt Gott.
„Hast du nachgelegt?“, frag ich.
„Klar“, sagt Gott. „Worum ging es denn so lange?“
„Ach, kirchliche Veränderungsprozesse“, sag ich und fange an, das Geschirr neben der Spüle einzuräumen.
Gott legt sich eine Hand über die Augen.
„Nicht schon wieder“, sagt Gott. „Beziehungsweise nicht immer noch. Ist euch langweilig?“
„Wir versuchen deine Kirche gerechter zu machen“, sag ich. „Das ist halt ein dickes Brett.“
„Das ist kein dickes Brett, das ist ein ewiger Stuhlkreis*“, sagt Gott. „Dabei geht es doch eigentlich nur um die Fähigkeit zum Brotbrechen, oder? Das solltest du doch können.“
„Darf ich aber nicht“, sag ich, stelle Gottes Lieblingskaffeebecher in den Küchenschrank und schließe die Tür.
„Warum nicht?“, fragt Gott.
„Ich habe doch Blutgruppe 0“, sag ich über die Schulter, während ich mir auch ein Bier hole.
„Du redest wirr“, sagt Gott und verschluckt sich fast.
„Na ja“, sag ich, „das ist ein bisschen kompliziert“, und setze mich zu Gott auf den Küchentisch.
„Davon gehe ich aus“, sagt Gott.
„Du kennst doch Hostienwunder“, fange ich an. „Prost.“
Gott guckt verwirrt.
„Da klingelt leise was“, sagt Gott. „Aber das ist eher etwas für die Bühne der großen peinlichen Erinnerung von der Betriebsweihnachtsfeier.“
„Hostienwunder sind, wenn die Hostie in der Messe anfängt zu bluten“, sag ich.
„Das ist ein bisschen eklig“, sagt Gott. „Muss das sein?“
„Ich glaub nicht“, sag ich. „Aber die Kirche hat solche Wunder untersucht und als Wunder anerkannt.“
„Wunder untersuchen“, sagt Gott kopfschüttelnd. „So was kriegt auch nur ihr hin. Entweder ihr glaubt an ein Wunder oder ihr untersucht es. Aber ein Wunder untersuchen, wozu soll das denn gut sein? Wollt ihr Beweise? Und wenn ihr sie habt, braucht ihr dann nicht mehr zu glauben?“
„Also“, sag ich, „bei allen Hostienwundern hatte das Blut die Blutgruppe AB. Die ist voll selten, nur 4 Prozent der Menschen laufen damit rum. Und das kann ja nur heißen, dass Jesus die Blutgruppe AB hatte. Und dann können auch nur Menschen mit der Blutgruppe AB an seiner Stelle das Brot brechen.“
„Das ist nicht dein Ernst“, sagt Gott.
„Nein, nein“, sag ich.
„Boah, echt mal“, sagt Gott. „Mir so einen Schreck einzujagen. Du hast mich echt voll hochgenommen, was?“
„Nicht ganz“, sag ich. „Die Blutgruppe muss nicht stimmen, aber der Chromosomensatz. Menschen mit zwei X-Chromosomen dürfen nicht Priester sein. Nur die mit XY. Weil Jesus auch XY hatte. Und ich hab halt zwei X.“
„Ich habe das dumpfe Gefühl“, sagt Gott, „dass dieses Argument weniger zwingend wäre, wenn ich mit zwei X Mensch geworden wäre.“
„Warum bist du nicht?“, frag ich.
„Heimatland“, sagt Gott. „Menschwerden ist kompliziert genug und irgendwer meckert hinterher immer.“
„Das mag sein“, sag ich.
„Chromosomensätze“, grummelt Gott vor sich hin. „Das ist doch alles völlig abgespaced.“
„Es ist ja wohl deine Kirche“, setze ich an.
„Ja, ja“, sagt Gott. „Wirf mir nicht schon wieder vor, dass ich mich halt mehr hätte kümmern müssen. Ich weiß es doch. Ich dachte halt, ihr seid selber groß und kriegt das schon hin. Aber ehrlich, ihr seid auch echt gut drin, komplett zu ignorieren, was sehr eindeutig in der Bibel steht, und euch dafür minutiös an das zu halten, was nicht drinsteht.“
„Meinst du das mit dem ‚Ihr sollt keinen Eid schwören‘?“, frag ich.
„Zum Beispiel“, sagt Gott. „Oder dass ihr immer so tut, als sei ich als Mensch ein Einzelkind gewesen, dabei steht in der Bibel, dass Maria mindestens siebenfache Mutter war. Aber ‚du sollst keine Frauen weihen‘ steht da nirgendwo, und was ist? Da werdet ihr dann auf einmal ganz-ganz genau.“
„Hm“, sag ich.
„Weißt du, was ich nicht verstehe?“, fragt Gott.
„Sag an“, sag ich.
„Warum arbeitet ihr euch daran noch ab?“, fragt Gott.
„Wer wir?“, frag ich.
„Ihr Ladys“, sagt Gott. „Ihr könntet so froh sein, dass ihr wählen dürft und selbst entscheiden könnt, ob und wann ihr Kinder bekommt, ob und wen ihr heiraten wollt, welchen Beruf ihr haben wollt. Ihr könntet Bundeskanzlerin werden oder Kapitänin auf einem Seenotrettungsboot. Und dann lasst ihr euch in der Kirche auf die hinteren Plätze verweisen.“
„In der Kirche sitzen immer alle zuerst auf den hinteren Plätzen“, sag ich.
„Ja, ja“, sagt Gott ungeduldig. „Ich weiß. Das ist übrigens ziemlich nervig. Aber echt mal, ihr könnt so viel mehr sein als die drei Aggregatzustände, die die Jungs für euch vorgesehen haben.“
„Häh?“, frag ich.
„Die Intelligenz eines Menschen erkennt man daran, wie sie ihre Fragen stellt“, sagt Gott.
„Na du bist heute ja mal ein Sonnenschein“, sag ich. „Was für Aggregatzustände?“
„Jungfrau, Braut und Mutter“, sagt Gott. „Mehr gibt’s da doch nicht für euch, so offiziell.“
„Ey, es gibt auch voll berühmte Frauen in der Kirche, die echt was erreicht haben“, sag ich. „Katharina von Siena, Theresa von Avila …“
Gott macht ein Geräusch zwischen Husten und Lachen.
„Da weiß man echt nicht, ob man lachen oder weinen soll“, sagt Gott. „Wenn es danach geht, wer in solchen Aufzählungen vorkommt, dann gab es in den letzten 2000 Jahren in der Kirche ungefähr fünf Frauen! Und ihr feiert es ab, wenn mal versehentlich eine sechste ausgegraben wird.“
Gott holt sich ein neues Alt aus dem Kühlschrank.
„Nachlegen!“, sag ich.
„Jaja“, sagt Gott und setzt sich zurück auf den Tisch.
„Meinst du echt, wir sollten sie vor die Wand fahren lassen?“, frag ich.
„Ich weiß nicht, ob ihr eine Wahl habt“, sagt Gott, „wenn ihr bei einem großen Tanker den Kurs ändern wollt, ohne auf die Brücke zu dürfen. Um es mal einfach auszudrücken, ihr seid echt voll co-abhängig von diesem Männerzirkus in Frauenkleidern.“
Gott fischt einen zerbrochenen Keks aus der fast leeren Packung, die auf dem Tisch liegt.
„Vielleicht hat das was mit der religiösen Muttersprache zu tun“, sag ich. „Versuch mal erst, aus einer Sprache auszuziehen.“
„Wie meinst du das?“, fragt Gott kauend.
„Katholisch ist die Sprache, in der ich mit dir reden kann“, sag ich. „Und das lass ich mir nicht wegnehmen.“
„O.k.“, sagt Gott. „Das ist ein Geltungsbereich.“
Gott steht auf und legt tatsächlich ein Alt nach in den Kühlschrank. Ich gucke anerkennend, das tut Gott nämlich nur sehr selten.
„Aber die Welt ist so groß und es gibt so viel zu entdecken“, sagt Gott und nimmt den letzten Schluck aus der Flasche. „Und ich rede mit dir auch echt gern über anderes als immer nur über mich und meine Kirche.“
Unter dem Fenster fängt ein Straßenmusiker an zu spielen. Gott hält inne.
„Das ist aber schön“, sagt Gott und stellt die Flasche ab. „Komm, das will ich mir aus der Nähe anhören.“
Gott ist so schnell, dass ich mich beeilen muss, um hinterherzukommen, nachdem ich die Tür zugezogen habe. Unten steht tatsächlich ein Flügel, den der Pianist mit einem umfunktionierten Tandem transportiert hatte. Wir hören zu, wie er bekannte Melodien improvisiert. „Das Leben ist so schön“, sagt Gott nach einer Weile leise. „Weißt du, ich wünsch mir für euch eigentlich nichts mehr, als dass ihr das Leben lieben könnt.“
„Manchmal wäre es halt gut, wenn wir mehr davon wüssten, dass du an unserer Seite bist“, sag ich.
„Dann macht euch doch gegenseitig Mut“, sagt Gott. „Bildet Banden! Tanzt, tretet in eine Partei ein oder redet wenigstens mit anderen mal über das, was euch wirklich wichtig ist. Und feiert einfach, egal wo. Da bin ich dann auch dabei, da hab ich nämlich voll Lust drauf.“
„Aber es wäre doch auch schön, wenn wir damit auch in deiner Kirche Platz hätten“, sag ich.
„Jo“, sagt Gott. „Dann besorg dir mal einen großen Vorrat an richtig, richtig guten Bohrköpfen zum Wechseln.“
„Du meinst, für ein richtig, richtig dickes Brett?“, frag ich.
„So ist es“, sagt Gott. „Und bitte, wenn du schon dabei bist, sage deinen Leuten, dass es keinen Spaß macht, immer nur mit ‚Herr‘ angesprochen zu werden. Sie möchten mal ein bisschen kreativer werden, sie haben es schließlich mit mir zu tun.“
„Puh“, sag ich. „Du hast vielleicht Nerven.“
„Ja“, sagt Gott. „Weil ihr meine Ladys seid und zu meinem Team gehört. Ihr macht das schon.“
„Meinst du?“, frag ich.
„Aber so was von“, sagt Gott. „Mach’s mal gut, ich muss weiter. Danke für das Alt.“
„Bitte, gern“, sag ich. „Bis bald mal wieder. Und Amen.“
*Hier hat Gott zitiert: Werner Kleine, Der ewige Stuhlkreis, veröffentlicht bei www.dei-verbum.de am 01. 10. 2018.