Читать книгу Gedanken in Zeilen - Annika Gehrt - Страница 5
Drei
Оглавление„Alles Gute zum Geburtstag“, gratulierte ich Elias erneut, als ich sein Geschenk auf den Tisch stellte. Ich gab ihm einen Kuss, bevor ich das kleine Päckchen zu ihm herüber schob.
Mein Freund bedankte sich und kämpfte ungeduldig mit dem Schleifenband. Amüsiert beobachtete ich ihn dabei. Seine Neugier war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben und sein Ärger darüber, dass das Innere der Verpackung nicht schnell genug zum Vorschein kam auch. Schon beim Einpacken war mir klar gewesen, dass meine Bemühungen das Geschenk schön zu verpacken, bei ihm nicht auf Begeisterung stoßen würde. Da war er ein typischer Mann. Einfaches Geschenkpapier reichte für ihn. Zu meinem Geburtstag hatte er mir ein Päckchen überreicht, das in Papier mit roten und goldenen Christbaumkugeln eingeschlagen war. Und das, obwohl ich im Mai Geburtstag habe. Ich liebte es die Geschenke zu kleinen Kunstwerken umzuwandeln und so hatte ich es mir nicht nehmen lassen, das braune Packpapier mit zwei Schleifen und einem Geburtstagsstempel zu verzieren. Happy birthday stand dort in blauen Buchstaben. Als Elias schließlich den Kampf gegen die Bänder gewonnen hatte, riss er das Papier einfach auf, ohne sich die Mühe zu machen, das Tesafilm abzuknibbeln. Endlich kam das Geschenk zum Vorschein: Er zog den kleinen Fußball heraus, an dem ein Schlüsselring hing. Daran hatte ich eine Papierrolle befestigt.
„Gutschein“, las er meine geschwungene Handschrift. „Wir schauen uns zusammen ein Spiel von Hertha BSC an. Du darfst die Begegnung wählen. Ich zahle. Getränke inklusive.“ Ein breites Grinsen legte sich auf sein Gesicht. „Das ist genial! Danke Mia!“ Er stand auf und nahm mich in den Arm. Er drückte mich fest, hielt mich dann ein kleines Stück von sich weg und schaute mich an. „Vielen Dank. Dass du mich zum Fußball begleitest ist echt das beste Geschenk.“ Ich freute mich über seine Reaktion. Natürlich kannte ich Elias gut genug, um zu wissen, dass ich mit diesem Geschenk nicht falsch liegen konnte, aber dass er sich so sehr darüber freute, damit hatte ich nicht gerechnet. Normalerweise weigerte ich mich immer, meinen Freund ins Stadion zu begleiten. Aber da er mich schon so oft gefragt hatte, hatte ich mir gedacht, es wäre ein gutes Geburtstagsgeschenk. Elias küsste mich lange. Zwischendurch hauchte er mir ein „Danke“ auf die Lippen. Erst als ein seltsames Zischen aus Richtung des Herdes ertönte, löste ich mich von ihm. Verdammt! Das Wasser war übergekocht und lief auf das Ceranfeld. Dort verbrannte es, wobei es einen ekelhaften Geruch und schwarze Flecken auf der Herdplatte hinterließ. Ich senkte die Temperatur und probierte eine Nudel. Sie war genau richtig. Ich rührte noch einmal die Sauce um, die köstlich nach Taccogewürz duftete. So gut, dass ich mich am liebsten gleich hinein gesetzt hätte. Schnell füllte ich das Hühnchen mit der Taccossauce in eine Schüssel und stellte sie auf den Tisch. Daneben platzierte ich die Spaghetti und eine Schale mit grünem Salat.
„Oh, das sieht aber gut aus.“
„Ich hoffe, es schmeckt auch so.“ Das Rezept hatte ich zwar vorher schon einmal ausprobiert und es hatte wunderbar geschmeckt, aber für Elias' Geburtstag hatte ich mir besonders viel Mühe geben wollen. Das konnte dann auch schief gehen. Als Elias probierte und mein Essen lobte, atmete ich erleichtert auf und konnte mir auch selbst etwas auf meinen Teller füllen.
„Wie war dein Tag bisher? Hast du auf der Arbeit wenigstens etwas gefeiert?“
Elias machte gerade eine Ausbildung zum Graphikdesigner.
„Ein bisschen. Ich hatte Kuchen mitgebracht, den haben wir in der Mittagspause gegessen. Deswegen hatte ich heute immerhin mal ein paar Minuten Pause.“
Ich schaute in seine dunklen Augen. Die vielen Überstunden der letzten Wochen hatten Spuren hinterlassen.
„Na immerhin, besser als nichts. Was machen wir gleich noch?“
„Ich dachte, wir könnten erstmal was trinken und danach vielleicht noch etwas feiern gehen.“
Mir gefiel es, dass wir seinen Geburtstagsabend alleine verbringen würden. Die Party mit seinen Kumpels würde erst am Wochenende starten.
„Hallo Elias!“ Meine Mutter kam in die Küche. Ihre Haare waren zerzaust und ihre runde Brille saß ziemlich schief auf der Nase. „Ich brauche mal eine kurze Pause.“ Momentan verbrachte sie jeden Abend und oft auch die halbe Nacht damit, die Klausuren ihrer Abiturienten zu korrigieren. Sie schaute von Elias zu mir und dann auf das Essen und die Kerzen auf dem Tisch. Dadurch schien es bei ihr Klick zu machen.
„Elias, du hast ja heute Geburtstag! Alles Gute!“ Meine Mutter nahm ihn in den Arm. Wenn sie am Arbeiten war, vergaß sie oft alles um sich herum. Ich konnte froh sein, dass ihr wieder eingefallen war, dass mein Freund Geburtstag hatte. Das hätte sonst ziemlich peinlich werden können.
„Ich will euch nicht länger stören.“ Sie nahm sich ein Glas Wasser und verschwand wieder aus der Küche.
Nach zwei Cocktails für mich und mehreren Flaschen Bier für Elias, zogen wir weiter. Ohne weiteren Plan liefen wir durch Kreuzberg, auf der Suche nach einem Club, in dem wir noch etwas feiern und den Abend ausklingen lassen konnten.
„Hier scheint doch was los zu sein. Sollen wir rein gehen?“ Elias hatte mich schon zum Eingang gezogen. Eine kleine Schlange hatte sich davor gebildet. Doch er spürte mein Zögern und blieb stehen.
„Hast du keine Lust?“
„Weiß nicht“, wich ich aus.
„Du magst das Crystal doch, oder? Warst du hier nicht letztens mit Paula auf einem Konzert?“ Damit hatte Elias genau ins Schwarze getroffen. Hier hatte ich mit Paula vor kurzem einen absolut genialen Abend verbracht. Und Nick kennengelernt. Keine Ahnung warum, aber irgendwie wollte ich genau aus diesem Grund nicht mit Elias hierher.
„Die Musik klingt doch gut“, versuchte mein Freund mich weiter zu überzeugen, als er keine Antwort bekam. Zugegeben sie klang nicht schlecht, aber es war eben keine Livemusik. In dem Club schien ordentlich Stimmung zu sein, aber etwas in mir sträubte sich dennoch dagegen ihn zu betreten. Doch Elias blickte mich erwartungsvoll an und wartete auf eine Reaktion. Ich nickte also geschlagen und reihte mich in die Schlange ein. Was hätte ich auch sonst tun sollen? Ich konnte ja schlecht sagen, dass ich nicht hier rein wollte, weil ich letztens einen Musiker kennengelernt hatte, der leider heute nicht hier sein würde. Die Schlange wurde schnell kürzer und eine von Elias' Zigarettenlängen später betraten wir das Crystal. Hitze, grelles Licht und laute Musik empfingen uns. Die tanzenden Menschen verschluckten uns und ließen uns an ihrer Party teilhaben. Wir tanzten ein paar Songs durch. Mit jedem Lied fühlte ich mich müder und wünschte mir eigentlich auf der Stelle nach Hause zu fahren. Eine Strähne klebte auf meiner verschwitzen Stirn und ich strich sie mir aus dem Gesicht. Im Discolicht schimmerten meine mandelbraunen Haare leicht rötlich.
„Willst du was trinken?“, schrie Elias mir zu.
„Einen Apfelcaipi bitte“, rief ich ihm zu.
Er schaute mich fragend an, zuckte mit den Schultern und zeigte auf seine Ohren. Ich versuchte noch lauter zu schreien, aber er verstand mich wieder nicht.
„Wie immer?“ Seine tiefe Stimme übertönte die Musik.
Ich nickte. Gut, dass er mein Lieblingsgetränk kannte. Leider gab es diesen Cocktail nur in wenigen Locations. Einer von vielen Gründen, warum ich das Crystal eigentlich sehr mochte. Erschöpft lehnte ich mich an die Wand und beobachtete Elias, wie er sich durch die tanzenden Menschen einen Weg zur Bar bahnte. Elias und ich waren schon öfter hier gewesen. Es war also absolut nichts Seltsames daran mit ihm hier feiern zu gehen. Und trotzdem fühlte es sich nicht richtig an. Mein Blick fiel auf die lila Wand neben der winzigen Bühne. Und augenblicklich konnte ich Nick genau vor mir sehen. Wie er lässig an dieser Wand lehnte, seine Füße, die in blauen Chucks steckten, überkreuzt, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Dabei bewegte er den Kopf im Takt. Der Rest seines Körpers war unbeweglich. Verrückt, dass ich mir dieses Bild so detailliert eingeprägt hatte. So als würde er wirklich dort stehen. Doch das tat er nicht. Seine Band war längst weitergezogen. Etwas Eiskaltes an meinem Arm ließ mich zusammenzucken.
„Bitte schön.“ Elias überreichte mir meinen Cocktail.
„Danke.“ Durstig nahm ich einen großen Schluck. Die Flüssigkeit brannte in meinem trockenen Hals. Ich knabberte an einem Apfelstückchen an einem glitzernden Spieß und nahm dann einen weiteren Schluck. Auch wenn ich es nicht wollte, sah ich Nick dabei immer noch vor mir. Die Musik hörte ich nur im Hintergrund. Die Discokugel über mir sorgte dafür, dass mir leicht schwindelig wurde. Warum musste sie sich auch so schnell drehen?
„Hörst du mir überhaupt zu?“
„Was?“ Hatte jemand etwas gesagt?
„Scheinbar nicht. Woran denkst du?“
„Ich bin ziemlich müde“, versuchte ich mich herauszureden. Elias schaute mir in die Augen. Er stützte sich mit einer Hand links neben meinem Kopf an der Wand ab und gab mir einen Kuss. Seine Lippen schmeckten nach Baccardi. Einen Geschmack, den ich überhaupt nicht ausstehen konnte. Leider war Baccardi Cola neben Bier Elias' Lieblingsgetränk. Schnell nahm ich einen Schluck meines Caipirinhas und benetzte meine Lippen mit dem säuerlichen Apfelgeschmack.
„Tanzen wir?“, fragte Elias direkt in mein Ohr, als ich meinen Cocktail ausgetrunken hatte und auf einem Eiswürfel rumkaute. Ich wusste, dass Elias es überhaupt nicht leiden konnte, wenn ich das tat. Aber es war eben eine Angewohnheit von mir. Ich machte es automatisch, oft ohne es zu merken. Allerdings machte ich es diesmal schon etwas absichtlich. Elias nahm mir das Glas aus der Hand, stellte es auf einem Tisch in der Nähe der Bar ab und zog mich dann wieder auf die Tanzfläche. Ich fühlte mich etwas wackelig auf den Beinen. Beinahe stolperte ich über meine eigenen Füße, doch Elias hielt mich fest. Er zog mich eng an sich und wiegte mich im Takt der Musik.
„Ich bin wirklich müde.“ Ich nutzte die Stille zwischen zwei Liedern.
„Möchtest du schon nach Hause?“ Mein Freund klang enttäuscht.
„Ich bin echt fertig.“ Auch wenn es mir leid. Schließlich war es sein Geburtstag, aber ich war einfach zu müde. Die Woche war richtig stressig gewesen und den letzten Cocktail hätte ich mir wohl besser verkniffen.
„Okay, nur noch ein Lied ja?“
Meine Antwort war ein Nicken. Was blieb mir auch schon anderes übrig? Ich konnte mich nicht mehr so schnell bewegen, wie der Takt des Liedes es eigentlich verlangt hätte. Elias Bewegungen waren viel dynamischer als meine. Ich bewegte nur geringfügig meine Hüften und ließ den Blick immer wieder zu der grellen Wand neben der Bühne schweifen. Es hatte so lässig und entspannt ausgesehen, wie Nick dort nach seinem Auftritt gestanden und der Hauptband zugehört hatte. Als das Lied zu Ende war, ging ich auf den Ausgang zu und Elias folgte mir widerstrebend. Erleichtert atmete ich die klare Luft ein. Eine herrlich warme Sommernacht empfing uns. Ganz ohne diese schwüle Gewitterluft, die in den letzten Tagen oft über der Stadt gehangen hatte. Langsam schlenderten wir zur Haltestelle.
„Kommst du noch mit zu mir?“, fragte Elias mich.
„Gerne!“ In der Bahn schlief ich an seine Schulter gelehnt schon nach wenigen Stationen ein.