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Vier

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Was für ein Sommer! Schon seit mindestens zwei Wochen knallte die Sonne erbarmungslos vom nahezu dauerhaft wolkenlosen Himmel.

„Was machen wir heute?“, wollte Paula wissen. Ich lag auf dem Rücken in meinem Bett und schwitzte schon, ohne mich auch nur einen einzigen Millimeter zu bewegen. Zu großen Aktionen war ich also definitiv nicht mehr zu überreden. Schon den Hörer an mein Ohr zu halten war bei dieser Hitze fast zu viel Anstrengung.

„Nicht so viel. Es ist viel zu heiß. Vielleicht ein Eis essen?“, schlug ich vor.

„Wie die letzten drei Tage?“ Paula klang gelangweilt. „Ich werde bald selber aussehen wie eine Eiskugel.“

„Andere Vorschläge?“

„Ein Fotograf, den ich letztens auf einer Party kennengelernt habe, hat auf seiner Facebookseite gepostet, dass heute eine Wasserschlacht stattfindet. Am Fernsehturm. Also da an dem Brunnen. Das hört sich doch richtig cool an. Bist du dabei?“

Wasserschlacht? Das klang etwas zu verrückt. Andererseits eine Abkühlung konnte bei diesen Temperaturen wirklich nicht schaden.

„Warum nicht“, antwortete ich zwar nicht ganz überzeugt, aber Paula freute sich trotzdem riesig, dass ich dabei war. Ich nahm einen Schluck Cola aus meinem Glas, in dem sich mehr Eiswürfel als Cola befanden. Trotz der eisigen Flüssigkeit, die durch meinen Hals lief, fühlte ich mich wie kurz vor einem Hitzeschlag.

„Cool! Das wird super. Kannst du ein paar Flaschen mitbringen? Oder Eimer? Oder Becher? Was immer du zu Hause hast. Treffen wir uns in einer Stunde am Alex?“ Ich musste über ihre Euphorie lachen. Wasserschlacht klang eher nach einer Aktion nach Paulas Geschmack, aber ich wollte ihr den Spaß nicht verderben. Und eine gehörige Portion kaltes Wasser war wirklich mehr als verlockend. Wir verabschiedeten uns und legten auf. Schnell schlüpfte ich in ein dunkles Sommerkleid, das konnte wenigstens nicht durchsichtig werden, falls ich geduscht wurde.

Paula stand schon unter der großen Weltzeituhr, als ich die Rolltreppe hochfuhr. Auch wenn wir keine Touristen waren, trafen wir uns oft hier, wenn wir etwas in Mitte unternehmen wollten. Wir beide liebten unseren Alex. Außerdem lag er so zentral, dass wir von hier aus viele unserer Unternehmungen starteten. Touristenmassen tummelten sich bei diesem herrlichen Sonnenschein in unserer Stadt. Unzählige Kameras waren auf die Uhr und natürlich auf den Fernsehturm dahinter gerichtet. Verständlich. Ich würde es als Touri sicherlich genauso machen. Gemeinsam schlenderten wir zum Neptunbrunnen, wo sich schon viele Verrückte versammelt hatten. Ausgerüstet mit Wasserpistolen, Wasserbomben und allen möglichen Behältern bespritzten und überschütteten sie sich mit Wasser. Fasziniert schauten wir uns diese Szene einen Moment an, dann nahm Paula meine Hand und zog mich einfach mitten ins Geschehen. Von überall landete Wasser auf uns. Paula schüttelte ihre Mineralwasserflasche und als sie sie öffnete, spritzte das Wasser mir genau ins Gesicht. Ich schrie erschrocken auf, bevor ich einen Plastikbecher nahm, ihn in den Brunnen tauchte und dann aus Rache über Paulas Kopf entleerte.

„Na warte“, rief sie. Paula schüttete ihre Flasche direkt über mir aus. Das Wasser lief mir durchs Gesicht und durchnässte mein Kleid. Doch das machte mir nichts. Im Gegenteil: es war eine herrliche Abkühlung. Mit dem restlichen Wasser erfrischte Paula ein Mädchen neben uns, die daraufhin laut kreischte und Paula mit einer Wasserpistole bespritzte. Als mich eine große Ladung eiskaltes Wasser im Nacken traf, zuckte ich leicht zusammen. Es fühlte sich ziemlich ekelhaft an, wie es mir den Rücken herunterlief. Ich drehte mich um und schaute zu meiner Verwunderung in ein bekanntes Gesicht. Es dauerte allerdings ein paar Sekunden, bis ich es zuordnen konnte. Der Typ trug eine Capy und sah irgendwie anderes aus, als auf der Bühne, doch sein Lächeln enttarnte ihn: Nick! Er schien ebenfalls zu überlegen, woher er mich kannte. Seine Augenbrauen zogen sich für einen kurzen Moment zusammen, dann lächelte er. Dieses Lächeln war nicht so schadenfroh wie das, das er mir zugeworfen hatte, direkt nachdem ich mich umgedreht hatte.

„Du warst doch letztens auf einem Konzert von uns, oder?“

Bevor ich antworten konnte, leerte jemand einen Eimer Wasser über uns aus.

„Tja, nicht aufgepasst“, sagte der Übeltäter grinsend. Er war aus Nicks Band, aber ich war mir nicht sicher, ob es der Bassist oder der Gitarrist war.

„Das kriegst du zurück.“ Nick füllte einen Eimer mit Wasser und jagte hinter seinem Bandkollegen her, wobei er allerdings einen Großteil des Wassers verlor. Ich schaute ihnen lachend hinterher und beobachtete, wie Nick den anderen Musiker schließlich fast erreichte und ihn mit dem restlichen Wasser auf dem Rücken traf. Dann beteiligte ich mich weiter an der Wasserschlacht. Als sich die Gruppe von bestimmt mehr als fünfzig Leuten langsam auflöste, war ich so nass, als hätte ich unter der Dusche gestanden oder als wäre ich kopfüber in das Brunnenbecken eingetaucht.

„Das war der Hammer!“ Paula lachte laut, geladen von Adrenalin. Sie wrang den unteren Teil ihres Kleides aus, wodurch das Wasser über ihre gebräunten Beine lief. Ich löste mein Haargummi und schüttelte meine triefenden Haare aus. Paula kniff die Augen zusammen, da einige Tropfen sie im Gesicht trafen. Als ich den Kopf wieder hob, sah ich Nick und seinen Bandkollegen auf uns zukommen.

„Na, ihr seid ja auch gut nass geworden.“ Nick grinste uns an. Er war ebenfalls von oben bis unten durchnässt. Er hatte seine Capy abgenommen und seine Haare klebten platt am Kopf. Jetzt wo sie so nass waren, sahen sie mehr braun als blond aus. Sein weißes Shirt war ziemlich durchsichtig geworden und ließ seine Muskeln und eine Tätowierung auf der Brust durchschimmern. „Hat voll Bock gemacht, oder?“

„Auf jeden Fall.“ Mehr fiel mir nicht ein. Irgendwie schien mein Gehirn das Denken einzustellen, wenn Nick mir gegenüberstand.

„Ich bin übrigens Nick“, sagte er zu Paula gewandt und reichte ihr die Hand. „Und das ist Jacob.“ Der Bassist oder Gitarrist reichte uns ebenfalls die Hand.

„Habt ihr hier schon mal mitgemacht?“, wollte Jacob wissen.

„Gab es das schon öfter? Das wusste ich gar nicht“, antwortete Paula, die von der Aktion ja nur zufällig gelesen hatte.

„Ja. Vor vier Jahren bin ich hier aus Versehen rein geraten und habe dort meine Freundin kennengelernt. Lena. Sie steht da hinten bei ihren Freundinnen.“ Er deutete auf eine Gruppe Mädchen, die kichernd über ein Handy gebeugt standen. Sicher schauten sie sich Fotos von der Wasserschlacht an. „Seitdem organisieren wir es jedes Jahr am gleichen Tag.“

„Das ist ja süß“, quietschte Paula begeistert. „Wir sind nächstes Jahr auf jeden Fall wieder dabei, oder Mia?“

„Klar.“ Wenn Nick auch wieder mitmacht auf alle Fälle.

„Naja, wir werden uns jetzt mal trocken legen“, erklärte Nick und schaute an sich herab. „Danach haben wir noch Probe.“

„Tretet ihr bald mal wieder auf?“, gelang es mir endlich einen vollständigen Satz herauszubringen.

„Nächsten Freitag im Caro.“

„Gehen wir dahin?“, fragte ich an Paula gewandt.

„Klar, warum nicht.“ Gut, dass meine Freundin für spontane Aktionen immer zu haben war.

„Cool. Dann bis nächste Woche.“

Nick und Jacob verabschiedeten sich von uns. Grinsend schaute ich ihnen hinterher. Was für ein Zufall, dass wir den beiden hier begegnet waren.

„Stehst du auf ihn?“ Paula stupste mir mit dem Ellenbogen in die Seite.

„Was? Nein? Wie kommst du darauf?“

„Weil du so grinst.“

„Ich finde es einfach cool, dass wir sie hier getroffen haben.“

„Kommst du noch mit zu mir?“

„Ich habe keine Wechselsachen dabei.“ Ich schaute an meinem durchnässten Kleid herab.

„Ich kann dir doch was leihen.“

Dann begleitete ich Paula natürlich gerne. In ihrer WG fühlte ich mich pudelwohl. Ich verbrachte dort so viel Zeit, dass ich mich dort schon wie zu Hause fühlte. Ich mochte Coco, ihre Mitbewohnerin, sehr. Zu dritt hatten wir schon viele Nächte in der WG-Küche durchgequatscht. Meistens mit leckerem Essen und einem Glas Wein.

„Kaffee?“, fragte Paula, als ich in ein Handtuch gewickelt aus dem Badezimmer kam.

„Sehr gerne. Was kann ich anziehen?“

„Such dir einfach was aus.“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. So gerne, wie ich in Paulas Bad ihre verschiedenen Shampoos, Duschgels und Cremes ausprobierte, die alle immer so wunderbar dufteten, so gerne bediente ich mich an ihrem Kleiderschrank. Ich entschied mich für ein blaues, kurzärmeliges Kleid mit weißen Punkten.

„Es steht dir viel besser als mir“, stellte Paula fest. Sie platzierte zwei Kaffeetassen auf dem Küchentisch. Zufrieden ließ ich mich auf die alte Küchenbank fallen und atmete den köstlichen Duft ein. Ich mochte diese Küche sehr. Die hellblauen Tassen, die dazu passenden Blumen auf dem Tisch. Die Wimpelkette im Fenster und der Kräutergarten auf der Fensterbank. Trotz des dreckigen Geschirrs, das sich im Spülbecken stapelte, und der fettigen Pfanne auf dem Herd, war es hier unheimlich gemütlich. Paula stellte eine Keksdose auf den Tisch, ebenfalls in hellblau, und setzte sich zu mir. Ich nahm mir einen Zuckerkringel und tauchte ihn in meine Kaffeetasse.

„War echt witzig“, gab ich zu.

„Weil wir Nick getroffen haben?“

„Nein. Weil es eine echt coole Aktion war“, widersprach ich ihr. Ich verbrannte mir die Lippen, als ich einen Schluck Kaffee nahm. Vor Schmerzen verzog ich das Gesicht. „Aber es war natürlich ein toller Zufall, dass wir ihm dort begegnet sind.“

„Voll süß, dass Jacob und seine Freundin das jedes Jahr organisieren, weil sie sich dort kennengelernt haben.“ Paula klang gerührt. Es steckte eben doch eine Romantikerin in ihr, auch wenn sie es nach eigenen Aussagen im Moment aufgegeben hatte nach einer festen Beziehung zu suchen. Momentan lebte sie ein Studentenleben ganz nach Klischee. Ständig schleppte sie nach irgendwelchen Partys einen Typen ab, was nie in mehr als einem One-Night-Stand endete.

„Ja, wirklich“, stimmte ich ihr zu. „Hätte ich ihm gar nicht zugetraut.“

„Du meinst, weil er Musiker ist? Die können doch auch romantisch sein.“

„Scheinbar schon.“ Dieser Jacob zumindest.

„Und was ist mit Nick? Meinst du, er hat auch so eine romantische Ader?“

„Woher soll ich das wissen?“ Ich zuckte mit den Schultern. Paula konnte vielleicht Fragen stellen. „Wo wir gerade beim Thema Jungs sind: Was ist eigentlich mit dem Typen von der Hutparty?“ Wir hatten bei einer Freundin von mir gefeiert und Paula hatte die Party ziemlich schnell wieder verlassen. In Begleitung natürlich.

„Ach der.“ Paula tat die Bekanntschaft mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. „Ein schöner Abend. Mehr kann man mit diesem Sebastian nicht anfangen.“

Typisch Paula. „Wie lange willst du damit eigentlich noch weitermachen?“

„So lange wie ich keinen Bock auf eine feste Beziehung habe.“

In diesem Punkt konnte ich Paula wirklich nicht verstehen. Ich unternahm einen zweiten Versuch einen Schluck aus meiner Tasse zu trinken. Mittlerweile war der Kaffee ein kleines bisschen abgekühlt.

„Du verstehst das nicht, Mia.“

Stimmt.

„Dafür kapiere ich nicht, wie man es so lange mit ein und demselben Typen aushalten kann.“

Das war gar nicht so schwer. Elias und ich waren mittlerweile seit vier Jahren zusammen und wenn ich zurückblickte kam es mir längst nicht so lange vor, obwohl seitdem so viel passiert war. Damals waren wir in der zwölften Klasse gewesen. Seitdem hatte ich mein Abi gemacht und mit dem Sprachenstudium begonnen. Vieles hatte sich in meinem Leben in den letzten Jahren verändert, aber Elias war geblieben.

„Soll ich uns gleich noch etwas zu Essen machen?“ Paula steckte sich noch einen Keks in den Mund. Sie hatte schon einige gegessen, aber scheinbar schien sie davon genauso wenig satt zu werden wie ich.

„Gerne.“ Trotz der Hitze hatte ich ziemlichen Hunger.

„Melonensalat?“ Als Paula mir diesen Salat das erste Mal vorgeschlagen hatte, hatte ich nur angeekelt das Gesicht verzogen. Doch jetzt wusste ich wie gut ihre Kreation war, weshalb ich begeistert zustimmte.

„Kann ich dir was helfen?“

„Wenn du gute Musik auflegst, reicht das schon.“

Ich fuhr ihren Laptop hoch, schloss mein Handy an und stellte eine Mischung aus ihren und meinen Songs zusammen, während Paula mit einem großen Messer mit der Wassermelone kämpfte. So sah unsere Arbeitsteilung meistens aus, womit ich sehr zufrieden war. Paula war in jedem Fall die bessere Köchin von uns beiden und ich hatte die größere Musiksammlung. Meine Playlist startete mit einem Song von Flash Forward. Natürlich gefiel Paula diese Auswahl. Sie lächelte zufrieden und stimmte beim Refrain lautstark mit ein.

„Ich freu mich schon total auf nächste Woche.“

Paula sah mich mit einem vielsagenden Grinsen an. Sie musste gar nichts mehr sagen – ich wusste genau, was sie dachte. Ich warf mit einem Küchenhandtuch nach ihr. Sie hob es auf, tauchte es ins Spülbecken und schüttelte es dann in meine Richtung aus. Lachend lief ich aus der Küche.

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