Читать книгу Wir mussten einander finden - Anny von Panhuys - Страница 4

1.

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Die Geigenkünstlerin Ulli Gregorius machte eine ärgerliche Bewegung mit der Rechten. Abwehrend und abweisend.

Abwehrend und abweisend war auch ihr charaktervolles, gradliniges Gesicht, als sie stark betont sagte: „Herr van Xanten, jetzt bin ich wirklich am Ende meiner Geduld angelangt. Ich habe Ihnen nun schon schriftlich und mündlich versichert, ich verkaufe Ihnen meine Frohnstainer Geige nicht. Obwohl ich noch eine sehr schöne und wertvolle Geige besitze, ist die Frohnstainer doch mein Liebling. Sie ist mir über alles wertvoll als mein köstlichster Besitz. Nur wenn ich auf ihr spiele, vermag ich restlos mein bestes Können herzugeben. Und wenn Sie mir Ihr ganzes Millionenvermögen dafür bieten, würde ich genau so nein sagen wie jetzt, da Sie mir eine Viertelmillion geben wollen. Zum allerletzten Male: Nein, nein und nochmals nein! Außerdem erkläre ich Ihnen, ich werde fortan keinen Brief von Ihnen mehr beantworten und Ihren Besuch nicht mehr annehmen.“

Der stattliche Mynheer van Xanten, der reiche Handelsherr, dessen Frachtschiffe auf allen Meeren fuhren, verzog den Mund zu einem Lächeln.

„Gnädiges Fräulein, gestatten Sie mir trotzdem noch ein paar Sätze. Ich bedaure ja unendlich, daß Sie sich meinem sicher sehr günstigen Vorschlag gegenüber so ablehnend verhalten, aber ich muß die Geige haben. Ich bin ja nur ein Dilettant im Spiel Ihnen gegenüber, und ich will ja auch nicht mehr sein, doch bin ich ein leidenschaftlicher Musikfreund und ein Geiger, der glücklich ist, wenn er sich in seinen Mußestunden durch eigenes Spiel Freude bereiten kann. Vor allem aber bin ich Geigensammler, und es ist so herrlich, einmal nach dem, ein anderes Mal nach jenem Instrument zu langen. Ich besitze eine Amati, schlank und mattbraun mit einem Köpfchen von vollendeter Form. Ich besitze Geigen von Amatis Schülern, von Guarneri und Stradivari, ich besitze ein herrliches Exemplar des berühmtesten aller Mittenwalder Meister, eine Geige von Klotz, voll von glocklichem Wohlklang, voll von zärtlicher, herzwarmer Tiefe, eine Kiendl habe ich, eine von Georg Tiefenbrunner, eine von —“

Ulli Gregorius strich leicht über das helle Gelock, das ihre klare, gerade Stirn wie ein moderner Glorienschein umgab, und fiel ihm etwas erregt ins Wort: „Bitte, zählen Sie nicht weiter auf, es ist ja sinnlos. Wenn Sie alle diese Wertstücke, diese seltenen und teuren Geigen besitzen, ist es dopplt dreist, jawohl, dreist von Ihnen, mir meine Frohnstainer Geige noch abjagen zu wollen.“ Sie erhob sich brüsk. „Herr van Xanten, das alles haben Sie mir schon mehrmals schriftlich und mündlich erklärt, und jede Wiederholung erübrigt sich. Verzeihen Sie, aber ich muß Sie bitten, jetzt zu gehen, es ist Zeit, daß ich meine täglichen Uebungen beginne.“

Er war aufgestanden. „Sie reisen doch morgen ab, geben hier kein Konzert mehr, also wozu noch üben?“

Sie gab zurück: „Wenn ich auch heute kein Konzert mehr in Amsterdam gebe, so übe ich doch jeden Tag, ganz gleich, ob ich auftrete oder nicht.“

Er sah sie an, holte tief Atem und verneigte sich.

„Mein gnädiges Fräulein, Sie wissen, über welche Reichtümer Willem van Xanten verfügt, Sie wissen, welchen Weltruf seine Firma hat. Ich bin Witwer seit zehn Jahren, fünfundfünfzig Jahre alt und habe einen Sohn von dreißig, der Mitinhaber meiner Firma ist. Damit wissen Sie das Wichtigste über mich. Und jetzt, mein gnädiges Fräulein, bitte ich Sie um Ihre Hand. Erweisen Sie mir. die Ehre, meine Gattin zu werden, Sie würden dann eine der reichsten Frauen Europas.“

Ulli Gregorius vermochte nicht gleich zu antworten, aber ihre klugen grauen Augen, diese leuchtenden großen Künstleraugen, sahen den stattlichen Mynheer unablässig an, hingen fest an seinem scharfgeschnittenen Gesicht mit der vorspringenden Nase, den etwas verfälteten schweren Lidern über den hellbraunen kühlen Augen.

Endlich, als das Schweigen gerade anfing peinlich und drückend zu werden, lachte sie leise auf.

„Herr van Xanten, Sie bieten zu viel für meine Frohnstainer Geige, viel zu viel. Aber ich nehme nicht an. Sie wollen mich ja nur heiraten, um auf die Weise, dem Umweg über die Heirat, in den Besitz der Geige zu gelangen.“ Sie schüttelte den Kopf und sah jetzt sehr ernst aus. „Ich kenne Sie ja kaum, Herr van Xanten, sollte ich aber einmal heiraten, dürfte es nur ein Mann sein, den ich liebe und der mich wiederliebt. Verstehen Sie, Herr van Xanten, mich müßte er lieben und nicht meine Geige, meine schöne, seltene Geige, von der es in der ganzen Welt nur noch ein paar Exemplare gibt, die Sie sich aber wahrscheinlich ebenfalls weder mit Ihrem Geld noch mit Ihrem Namen verschaffen können. Die Geige ist mir heilig. Sie stammt aus der Familie meiner Mutter. Ihr Großvater war der berühmte Geigenbauer Frohnstainer. Also, Herr van Xanten, ich danke Ihnen für die Ehre, die Sie mir oder richtiger meiner Frohnstainer erweisen wollen, bedaure aber, sie nicht annehmen zu können. Im übrigen, meine Mutter hüstelt schon nebenan. Das heißt in Worte übertragen: Die Besuchszeit ist reichlich um.“

Willem van Xantens Gesicht war jetzt etwas gerötet. Er hatte, um in den Besitz der fiebrisch begehrten seltenen Geige zu kommen, Ulli Gregorius sogar heiraten wollen, diese Geigerin, die allerdings eine glänzende Könnerin war, aber die Höhe des Ruhms noch nicht erstiegen hatte. Er bot ihr seinen bekannten Namen, den Platz an seiner Seite fürs ganze Leben, und sie wies ihn ab wie den Erstbesten.

„Ich gehe, mein gnädiges Fräulein, hoffentlich kommt niemals ein Tag in Ihrem Leben, wo Sie bereuen, was Sie heute ausschlagen.“ Die Wut des Sammlers, dem man trotz aller Gegenwerte die Geige verweigerte, nach der er förmlich gierte, mußte sich noch entladen. Er trat einen halben Schritt vor, trumpfte auf: „Ich bin mächtiger als Sie, und wenn Willem van Xanten etwas will, verschafft er es sich. Auch die Frohnstainer Geige wird mein Eigentum werden. Mit oder ohne Ihre Zustimmung!“

Ganz erstickt klangen die letzten Worte, und dann drehte sich der breitschultrige große Mann schroff um, langte nach seinem Hut, der auf einem nahen Stuhl lag, und verließ grußlos das Zimmer.

Ulli Gregorius’ leicht gebräuntes Gesicht schien noch dunkler geworden, als sie auf die Tür blickte, durch die sich Willem van Xanten entfernt hatte.

„So ein unverschämter Mensch!“ entrang es sich ihr.

Aus dem Nebenzimmer trat Ullis Mutter ein. Sie hatte große Aehnlichkeit mit Ulli, nur war ihr Blondhaar an den Schläfen silbern, und ein paar Fältchen saßen auf der Stirn und um Mund und Augen.

Sie trat schnell auf die Tochter zu.

„Ich habe von nebenan alles mitangehört, Kind, ihr spracht ziemlich laut. Dieser Mensch ist ja ganz toll vor Begierde nach deiner Geige. Ein Glück, daß wir abreisen, ich traue dem dickfälligen Holländer zu, er ließe dir, wenn sich dazu Gelegenheit böte, sogar die Geige stehlen.“ Sie legte der Jüngeren die Hand auf die Schulter. „Aergere dich nicht, Ulli, genau genommen, ist das ja alles zum Lachen. Will dich der Mensch heiraten, nur um so zu der Frohnstainer Geige zu kommen.“ Sie wurde nachdenklich. „Eine Partie wäre das ja gewesen, Mädel, über die man in unserem Städtchen gestaunt hätte, aber du hast es, Gott sei Dank, nicht nötig, nach dem Reichtum des Mannes zu fragen, den du heiratest. Bis du einmal so weit bist, hast du ein großes Bankkonto. Und vorläufig denkst du ja noch nicht ans Heiraten, deine Kunst steht noch ganz im Vordergrund.“

Ulli Gregorius schöpfte tief Atem.

„Der Besucher hat mir die Stimmung verdorben, aber das geht vorbei. Ich will üben, will spielen, will mir die schlechte Laune wegspielen, die er hinterlassen hat.“ Sie lächelte die Mutter an. „Nein, vorerst denke ich weder an die Liebe noch ans Heiraten, nur meiner Kunst will ich leben. Spielen will ich überall, wo man mich hören möchte, und arbeiten will ich, damit mein Ruhm als Künstlerin wächst und so groß wird, daß er sich neben dem Namen Frohnstainer, dem Namen der Familie, aus der du stammst, Mutter, behaupten kann. Urgroßvater Josef Frohnstainer war ein ganz Großer, und die Geige von ihm, die durch dich in meine Hände gekommen, gebe ich nicht für alle Schätze der Welt.“

Die Aeltere fuhr sich über die Augen, die sich mit einem feuchten Schimmer überzogen hatten.

„Hast recht, Kind, die Geige festzuhalten. Dein Vater und ich haben sie festgehalten in Stunden bitterer Not und hätten uns oft damit helfen können. Wir haben sie für dich aufgehoben. Schon damals, als du, kaum sechsjährig, so verlangend die Händchen ausstrecktest, wenn dein Vater darauf spielte, gelobten wir uns, allen Versuchungen zum Trotz, die Geige geben wir nicht her.“

Ulli lächelte: „Und die Geige gebe ich nicht her, auch wenn alle goldstarken Handelsherren Hollands mich heiraten wollen.“

Trude Gregorius nickte. „Jetzt spiele, Kind, danach gehen wir noch ein wenig aus, essen irgendwo und bringen später unser Gepäck in Ordnung. Ich freue mich auf die Heimreise nach Deutschland, freue mich auf unser stilles, kleines Zuhause nach dem monatelangen Herumreisen von Land zu Land.“

Ulli blickte versonnen.

„Wo waren wir doch überall! In Oesterreich und der Tschechoslowakei, in Rumänien und Italien. In Frankreich, Belgien und zuletzt in Holland. Ueberall war es anders, aber in dem für mich Wichtigsten doch gleich, denn überall hatte ich das Glück, vor vollen Häusern zu spielen, großen Beifall zu ernten und glänzende Besprechungen in den Zeitungen zu erhalten.“ Ihr Blick liebkoste das Antlitz der Mutter. „Wie sehr danke ich es dir und Vater, daß ihr mich meiner Neigung folgen ließet und euch nur die besten Lehrer Berlins gerade gut genug für mich schienen, obwohl es euch schwer genug wurde, das Geld dafür aufzubringen.“

Sie legte die Arme um den Hals der Mutter. Sie waren beide gleich groß, etwas über Mittelgröße, beide gleich schlank, und so standen sie Gesicht an Gesicht, blickten sich voll Liebe an, während die Jüngere sagte: „Kannst du es auch nur halbwegs nachempfinden, Mutterchen, wie selig die Augenblicke für mich sind, wenn man meinem Spiel Beifall spendet? Was ich da empfinde! Welche Seligkeit mich durchströmt, wenn ich höre, man dankt mir für mein Spiel! Und ahnst du, welches Glück in mir ist, wenn ich vor dem Publikum spiele? Ahnst du, daß ich manches liebe Mal ganz taumelig bin von einer Art Schöpferwonne, obwohl ich das, was ich spiele, doch gar nicht geschaffen habe, sondern es nur wiedergebe auf meiner Geige.“ Ihre Augen leuchteten, waren ganz dunkel von dem Glanz, der jetzt in ihnen war. „Wenn ich die Frohnstainer ansetze und mein Kinn auf ihren feinen schlanken Körper drücke, sie damit festhalte, kommt eine wundersame Kraft und Ruhe über mich, eine unbeschreibliche Sicherheit. Ich durchlebe dann alles im Herzen, was mein Bogen aus dem kleinen Geigenkörper lockt. Ich lebe, ich leide, ich weine, ich jauchze und lache, wie die Frohnstainer leidet und jauchzt und lacht. Sie versteht mich, ich verstehe sie, Mutterchen, es ist dann, als wäre Blut in ihr und Denken. Als wäre sie ein Mensch wie ich, der zu mir gehört. Ein Mensch gleichen Blutes und gleicher Denkungsweise.“ Ihre Stimme ward leise und raunend. „Weißt du, Mutter, wenn ich die Frohnstainer spiele, und vor dem Publikum spiele ich sie ja immer, dann mußte ich siegen. Sie führte mich zum Sieg, sie führt mich zum Ruhm, sie macht mich groß. Das kommt daher, weil Urgroßvater die Geige gebaut hat, Urgroßvater, der längst zu den bedeutendsten Geigenbauern aller Zeit gezählt wird. Er hat in seine Geigen all seine Liebe zur Musik mithineingebaut und mithineingepinselt in den Anstrich. Davon haben seine Geigen Wärme und Leben bekommen, und was Urgroßvater einmal beim Ausproben in die Geige hineingespielt an Seele, das singt und klingt in seinem Spiel. die Frohnstainer Künstlerseele Urgroßvaters grüßt die Urenkelin. Mich, Mutter, mich! Verstehst du das, Mutter, sage, verstehst du das?“

Die Aeltere lächelte weich.

„Ob ich das verstehe, Kind! Bin doch auch eine Frohnstainer, habe doch auch einmal eine Künstlerin werden wollen, aber meine Mutter war etwas hausbacken, sie mochte das Gefiedel nicht. Vielleicht war mein Talent aber auch nicht groß genug, sonst hätte es sich wohl trotzdem durchgerungen.“

Die letzten Worte hatten etwas Ergebenes, und ihr Lächeln war verschwunden. Doch gleich war es wieder da. „Ich bin glücklich, daß du eine große Künstlerin geworden bist und daß ich deine Erfolge miterleben darf. Und nun spiele, Kind, übe, ich höre dir von nebenan zu.“

Sie brachte der Tochter die Geige und ging dann aus dem Salon wieder zurück ins Nebenzimmer, in die Schlafstube, in der sie mit ihrer Tochter gemeinsam schlief während des viertägigen Aufenthaltes in Amsterdam, wo Ulli zwei Konzerte gegeben.

Wir mussten einander finden

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