Читать книгу Wir mussten einander finden - Anny von Panhuys - Страница 6

3.

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Zwei Tage später, schon gegen neun Uhr vormittags, meldete sich das Telefon bei Willem van Xanten.

Er zuckte zusammen. Sollte das Georgette de Martin sein? Ganz nervös war er schon vor lauter Erwartung. Ihm war zumute wie einem Kind vor der Christbescherung, wie einem Kind, das freudig auf reiche Gaben hofft und trotzdem bangt, gar nichts zu erhalten.

Er nahm den Hörer zur Hand. Richtig, die Frauenstimme von neulich klang auf, meldete: „Mein Freund ist vollkommen mit den von mir gemachten Vorschlägen einverstanden und bittet Sie ihn zu besuchen. Wenn Sie wünschen in Begleitung Ihres Sachverständigen.“ Sie gab eine Adresse an in einer vornehmen Straße, fuhr fort: „Ich werde mich mit Ihnen zusammen einfinden, da ich ihn nicht allein besuchen möchte. Wann können Sie kommen? Ich warte dann unten vor der Tür.“

Er gab zurück: „Ich sprach schon mit dem Geigenmacher, er steht mir zur Verfügung. Ich hole ihn im Auto ab, und wir kommen sofort. Vielen Dank zunächst für Ihre Bemühungen.“

Er stand dann mitten im Zimmer, und ihm war ganz wirbelig zumute. Er murmelte: „Oh, wäre die Geige echt, ich muß eine Frohnstainer haben, ich muß! Der Wunsch nach einer Geige des Meisters, der vor hundertfünfzig Jahren Geigen gebaut, die inzwischen Weltruf erlangten, war bei ihm förmlich zur fixen Idee geworden.

Er rief im Geschäft von Vos an. Der Geigenbauer Barend Vos war sofort bereit. Willem van Xanten überzeugte sich zunächst, daß er das Geld richtig eingesteckt, das er sich noch gestern von der Bank geholt, dann ging er. Eine knappe Stunde danach fuhr er mit seinem Begleiter in einer Taxe vor einem hübschen Mietshause vor.

Eine elegante Dame ging vor dem Hause wartend auf und ab. Willem van Xanten begrüßte sie, stellte ihr Barend Vos vor, und dann stieg man gemeinsam in den zweiten Stock hinauf.

Oben angelangt, klingelte Georgetta de Martin.

Ein Dienstmädchen machte die Tür auf.

„Wir möchten zu Mynheer Boomhuys“, sagte Georgette de Martin.

Das Mädchen bat höflich näherzutreten: Mynheer Boomhuys erwarte die Herrschaften bereits. Ein elegantes Zimmer öffnete sich vor den Besuchern, und ein Herr von tadellosem Aussehen, zwischen fünfunddreißig und vierzig, begrüßte die drei. Georgetta de Martin stellte vor. Er bot Platz an, sage mit einer leichten Traurigkeit in der Stimme: „Verzeihung, daß ich kein liebenswürdigeres Lächeln aufbringe, Mynheer van Xanten, aber ich bin ehrlich traurig, weil ich mich wahrscheinlich von meiner geliebten Geige werde trennen müssen. Ich sage müssen, denn die günstige Gelegenheit, mir dadurch wieder zur Gesundheit zu verhelfen, darf ich nicht vorbeigehen lassen.“ Er ging mit langsamen und schwerfälligem Schritt zu einem Stuhl am Schreibtisch und hielt sich dabei ein wenig an der Wand fest, erklärte: „Ein böses Nervenreißen hatte mich fast lahm gemacht. Alle möglichen Bäder brachten mich schließlich wieder leidlich auf die Beine, aber die Kuren kosten schrecklich viel Geld. Ich bin jetzt in Behandlung eines hiesigen Spezialisten.“ Er ließ sich etwas ungeschickt nieder. „Verzeihung, daß ich so viel von mir sprach, die Geige wird Sie mehr interessieren.“

Willem van Xanten fühlte Bedauern für den hübschen großen Mann, der sich jetzt an die Dame wandte.

„Bitte, liebe Georgette, das Instrument befindet sich dort hinter dem Bücherschrank, bringe esden Herren.“

Gleich darauf stand ein Geigenkasten auf dem runden Mitteltisch, dem Willem van Xanten auf eine dazu auffordernde Bewegung des am Schreibtisch Sitzenden eine Geige entnahm.

Fast zärtlich hielt der große, etwas plumpe Willem van Xanten das kleine Musikinstrument in seinen Händen, das einem Kenner auf den ersten Blick durch die edle Form bewies, daß es etwas Besonderes war.

Von allen Seiten betrachtete Willem van Xanten die Geige, schien vergessen zu haben, daß er sich nicht allein befand. Fast kindlich war jetzt der Ausdruck seines Gesichtes, als wäre da plötzlich ein Glück über ihn gekommen, das er noch nicht fassen konnte, weil es zu groß war. Bis ins kleinste untersuchte er die Geige, sah durch die Schallöcher in das Innere, fand das Zeichen ihres Meisters, erwachte dann wie aus einem Traum, hielt die Geige Barend Vos entgegen, der nur ein kleiner Geigenbauer aus der Prinsengracht war, aber trotzdem vielleicht einer der zuverlässigsten Geigenkenner, die es gab.

Barend Vos untersuchte die Geige viel gründlicher als der Handelsherr, und dann stimmte er sie, spannte den Bogen, begann zu spielen. Er war kein schlechter Spieler und durfte sein Spiel auch vor anderen gut hören lassen.

Ein paar breite Akkorde füllten das Zimmer mit machtvollem Wohlklang, dann jubilierten Läufe auf bis in die höchste Lage, die G-Saite schloß mit herrlichem vollem Celloton.

Ein Lächeln lag auf dem Gesicht van Xantens, ein vollkommen glückliches Lächeln. Es war eine echte Frohnstainer Geige, er zweifelte nicht mehr daran.

Er sah Barend Vos an. Der ließ den Bogen sinken.

„Alle Kennzeichen sind vorhanden, alles, es ist eine echte Frohnstainer, Mynheer van Xanten, oder ich verstehe überhaupt nichts von Geigen.“ Vom Schreibtisch her kam eine müde Stimme: „Die Geige stammt von einem Onkel von mir, er vermachte sie mir, weil ich ihn immer um die Geige beneidet hatte. Sonst vermachte er mir leider nichts. Mein Onkel, Baron Ducreux, besaß ein großes Gut in der Auvergne.“

Willem van Xanten hörte kaum hin, was der Kranke sagte, er sah nur die Geige, ihr köstlicher Wohlklang lag ihm noch im Ohr. Sein Sammlerherz schlug höher. Endlich konnte er eine dieser mit Recht berühmten Frohnstainer Geigen erwerben, endlich war er am Ziel.

Er nahm das Instrument, setzte es ans Kinn und begann zu spielen.

Niemand hätte dem vierschrötigen, geschäftlich als ziemlich rücksichtslos bekannten Mann zugetraut, daß er so spielen könne. Er nannte sich selbst Dilettant, doch sein Können wuchs weit über Liebhaberkunst hinaus durch gründliche Schulung und eine Innigkeit, die in so seltsamem Gegensatz mit seinem Aeußeren stand.

Wie weich war sein Spiel. Verstrickt in die Süße, die das kleine Instrument an Wohlklang zu geben vermochte, lockte Willem van Xanten immer neue Melodienfolgen aus der Geige, und die kleine, schlanke Frohnstainer sang und klang.

Sang und klang so überwältigend, daß der alte Barend Vos den Atem anhielt und staunend dachte, niemals hätte er geglaubt, daß Willem van Xanten so spielen könne, und er hatte ihn doch schon mehrmals spielen gehört. Aber die Kraft kam aus der Geige, der köstlichsten aller köstlichen Geigen.

Endlich ließ Willem van Xanten den Bogen sinken und legte die Geige sanft in ihr Kastenbett zurück.

„Mynheer Boomhuys, ich möchte die Geige kaufen, sie ist zweifellos echt.“

Barend Vos lächelte ein kleines dürftiges Lächeln.

„Vielleicht ist es Ihnen recht, wenn ich mich jetzt empfehle, Mynheer van Xanten, ich darf mein Geschäft nicht länger als nötig meiner Frau überlassen. Sie wissen, Frauen haben morgens allerlei Haushaltungsdinge zu besorgen.“

Willem van Xanten reichte ihm die Hand.

„Herzlichsten Dank, verehrter Mynheer Vos, und bitte, lassen Sie sich nicht länger aufhalten.“

Vos machte den anderen eine kleine Verbeugung und ging. Gleich darauf hörte man draußen die Korridortür einschnappen.

Georgette de Martin sagte leise mahnend: „Mußt du nicht in die Klinik zur Bestrahlung, lieber Freund?“

Mynheer Boomhuys bestätigte es.

„Allerdings, Georgette, aber auf eine kleine Verspätung kommt es wirklich nicht an.“

Willem van Xanten griff nach seiner Brieftasche. „Wenn es Ihnen recht ist, möchte ich die Geige gleich mitnehmen, selbstverständlich, nachdem ich gezahlt habe.“

Boomhuys nickte. „Ich bin sehr froh, daß meine geliebte Geige in gute Hände kommt. Der Abschied wird mir schwer, und deshalb, verzeihen Sie, Mynheer van Xanten, machen Sie ihn kurz.“

Verständnisvoll sah ihn der Handelsherr an. Er begriff vollkommen, wie schwer dem anderen der Abschied von dieser Geige werden mußte. Er zählte ohne Umschweife das Geld auf, fragte Georgette de Martin: „Kommen Sie gleich mit, meine Gnädigste?“

Sie lächelte. „Natürlich“, und ein paar Minuten später befanden sie sich auf der Straße. Georgette de Martin blieb stehen.

„Kümmern Sie sich nicht weiter um mich, Mynheer van Xanten, ich habe noch allerlei Besorgungen. Sie glauben nicht, wie sehr ich mich für meinen armen Freund Boomhuys freue, daß die wertvolle Geige in die richtigen Hände gekommen ist. Jetzt darf ich aber wohl um —“

Er fiel ihr ins Wort: „Verzeihung, fast hätte ich es vergessen.“ Er schob ihr ein Päckchen Scheine zu, die er extra in einen Umschlag gesteckt.

Sie winkte eine Taxe heran.

„Vielen Dank, Mynheer van Xanten, ich werde immer gern an Sie denken.“

Schon stieg sie ein, nannte eine Adresse. Als das Auto sich in Bewegung setzte, winkte sie ihm noch durch das offene Fenster zu, und dann war es ihm, als höre er ein leises Lachen, ganz leise, wie aus weiter Ferne, wie vorgestern am Telefon, als er mit Georgette de Martin zum erstenmal gesprochen.

Verdreht! dachte er ein wenig ärgerlich. Was sollte das Lachen bedeuten, es störte ihn. Hübsch war Georgette de Martin, und vielleicht war er töricht gewesen, sie so einfach wegfahren zu lassen. Es klang doch eigentlich ziemlich ermutigend: Ich werde immer gern an Sie denken! Vielleicht wäre die schöne Freundin des armen Kranken einem kleinen Abenteuer nicht abgeneigt gewesen.

Er drehte sich ärgerlich um und ging die stille Straße hinunter. Man hätte ein Stück zusammen fahren können, dachte er, denn weit und breit war keine Taxe zu sehen. Er ging langsam seines Weges, aber dann fiel ihm die Geige ein, die er trug, und er vergaß darüber alles andere.

Der heutige Tag hatte ihm eine schöne Erfüllung gebracht.

Und nun tauchte auch eine leere Taxe auf. Er ließ halten und fuhr heim.

Willem van Xanten kam noch zu Tisch zurecht. Kurz vor ihm hatte sein Sohn das Speisezimmer betreten, und die Herren begrüßten sich mit kräftigem Händedruck. Jan van Xanten war ebenso groß wie sein Vater, aber seine Figur war schlank, und der Ausdruck seines Gesichts hatte, trotz aller Herbheit, etwas Angenehmes. Seine hellbraunen Augen blickten so kühl wie die seines Vaters, aber sie konnten auch lächeln und verrieten, daß Jan van Xanten warmherzig war, so kaufmännisch kalt er auch schien.

Die Herren nahmen Platz, und der ältere erzählte: „Ich hatte Gelegenheit, eine Frohnstainer Geige zu kaufen, Jan, denke nur. Du weißt doch, so ein Exemplar zu besitzen, ist schon lange mein Wunsch gewesen.“

Der Sohn lächelte. „Da gratuliere ich vielmals, Vater. Also hat die Geigerin, wie heißt sie doch gleich — na, ist ja egal —, dir die begehrte Geige doch verkauft?“

Willem van Xanten schüttelte den Kopf.

„Nein, sie war nicht herumzukriegen, sie hat damit gar nichts zu tun. Dieser Kauf war aber eine ganz ungewöhnliche Angelegenheit, ein wunderbarer und seltener Zufall.“

Jan van Xanten nickte. Mehr über den Zufall zu erfahren, zeigte er kein Interesse, meinte nur: „Um so besser“, und wechselte das Thema. „Höre mal, Vater, wie ist das eigentlich mit der Reederei Steen? Wir müssen uns einigen, die Leute drängen auf Schadenersatz, denn unser Dampfer ‚Klaas II‘ ist ihrem kleinen ‚Delfin‘ böse in die Flanke hineingerannt. Wir müssen schließlich doch zahlen. Wozu sollen wir es also erst auf eine gerichtliche Entscheidung ankommen lassen.“

Damit war das Gespräch von der Geige abgelenkt, und nun war Willem van Xanten ganz Geschäftsmann, die Geige, der endlich erfüllte Wunsch, trat völlig in den Hintergrund.

Wir mussten einander finden

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