Читать книгу Wir mussten einander finden - Anny von Panhuys - Страница 8

5.

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Ulli Gregorius schloß ihre Tür auf, aber ehe sie ihr Zimmer verließ, sah sie sich noch einmal nach dem Geigenkasten um. Ihr Blick glitt zärtlich über das ein wenig abgegriffene Leder des Kastens. Sie ging zurück, weil ihr einfiel, seit Amsterdam hatte sie ihre geliebte Frohnstainer eigentlich nicht mehr richtig gesehen. An der Grenze hatte sie den Kasten nicht einmal aufzumachen brauchen, und die Geige verdiente wirklich ein kleines Streicheln. Ihre Geige, ihre beseelte kleine Geige.

Sie öffnete den Kasten, zog sacht die golddurchwirkte rotsamtene Decke weg, aber dann stockte plötzlich ihr Atem, und sie riß die Geige hoch, betrachtete sie mit entsetzten Augen. Die Geige hatte zwar eine ähnliche Farbe wie die ihre, war aber von plumpem und gewöhnlichem Aussehen. War eine armselige billige Geige von widerliche Neuheit. Sie roch noch förmlich nach Lack. Wie täppisch die Wirbel in dem etwas eckigen Kopf steckten und wie rauh der Rand schien.

Sie starrte die Geige an, drehte sie immer wieder zwischen den Händen herum, als erhoffe sie davon eine Verwandlung der Geige. Sie begriff nichts, gar nichts. Wie betäubt war sie. Aber dann, mit einem Male, kam es ihr voll zum Bewußtsein, daß ihre Frohnstainer Geige weg war und man sie durch ein häßliches neues Instrument ersetzt hatte. Ulli Gregorius schrie laut und gellend auf. Wie ein Mensch in Todesnot.

Eine Minute später stürzten schon Werner Gregorius und seine Frau zur Tür herein. Suse war mit dem kleinen Dienstmädel, das man ihr seit kurzem zur Haushilfe beigesellt, auf den Wochenmarkt gegangen.

Ulli stand kreidebleich mitten im Zimmer und rief den Eltern das Schreckliche, das Unfaßbare entgegen. Sie zitterte an allen Gliedern und hielt die häßliche neue Geige mit spitzen Fingern hoch, als schäme sie sich, so etwas anzufassen.

Werner Gregorius sagte sanft: „Nun werde vor allem erst ruhig, liebes Kind, die Sache ist ja sehr, sehr sonderbar, aber wenn du ruhig geworden, erinnerst du dich vielleicht an irgend etwas, wodurch man dem Dieb auf die Spur kommen könnte.“ Er nahm ihr sacht das kleine Geigenscheusal aus der Hand legte es auf den Tisch. „Heute brauche ich erst um zehn Uhr fort, also haben wir genügend Zeit, uns über die rätselhafte Sache zu unterhalten. Komm hinunter, Ulli, Kaffee trinken, das wird dich frisch machen.“ Er nahm sie unter den Arm, und von seiner Frau gefolgt, führte er Ulli die Treppe hinunter, stützte die dabei, denn sie schien gar nicht zu wissen, daß es Stufen waren, über die sie schritt.

Der Kaffeetisch war gedeckt. Müde ließ sich Ulli nieder, raffte sich plötzlich zusammen, rief erregt: „Einen dummen Traum habe ich gehabt, das heißt, er schien mir nach dem Erwachen dumm und war es eigentlich gar nicht, wie ich jetzt finde.“ Ihre Worte überstürzten sich, als sie kurz den Traum erzählte. Sie schloß mit Heftigkeit: Ich sah einen Ring an der abscheulichen Diebeshand, einen breiten Goldring mit einem Rubin zwischen zwei Brillanten, und ich meine fast, ich hätte auch in Wirklichkeit so einen Ring an einer Männerhand gesehen.“

Die Mutter fragte betont: „Vielleicht an der Hand Mynherr van Xantens?“

Ulli nickte lebhaft: „Natürlich, Mynheer van Xanten trug so einen Ring! Ich weiß es ganz genau! Daß ich auch nicht sofort daran dachte. Aber jetzt gibt es für mich auch keine Rätsel mehr. Der Traum enthält viel Wahrheit, die Geige wurde mir durch Willem van Xanten gestohlen. Selbst wird er es allerdings nicht getan haben, aber mit seinem Reichtum dürfte es ihm nicht schwer gefallen sein, irgendein gewissenloses Subjekt zum gemeinen Diebstahl zu verleiten. Ich erinnere mich nur zu deutlich an seine letzten Worte, als er zornig mein Hotelzimmer verließ. Er sagte drohend: „Ich bin mächtiger als Sie„ und wenn Willem van Xanten etwas will, verschafft er es sich. Auch die Frohnstainer Geige wird mein Eigentum werden. Mit oder ohne Ihre Zustimmung!“

Werner Gregorius antwortete empört: „Gemein war die Drohung, und noch gemeiner ist es, daß dieser reiche Mann die Drohung wahrgemacht hat. Pfui Teufel! das soll ihm übel bekommen. Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter, wo irgendein Buschklepper jeden bestahl, der etwas besaß, was ihm gerade gefiel.“ Er streichelte Ullis Rechte. „Trinke eine Tasse Kaffe, Mädelchen, Mutter hat dir schon eingegossen. Und iß ein Butterbrötchen dazu. Sieh Mutter hat es dir schon zurechtgemacht. Vor allem sollen wir die Angelegenheit ganz kalten Blutes betreiben, denn wir müssen damit rechnen, daß ein Mensch, der nicht einmal vor so niedrigen Mitteln zurückscheut, um seinen Willen durchzusetzen, auch zur Lüge fähig ist und den Diebstahl glatt ableugnet. Und da Willem van Xanten in Holland eine mächtige und einfußreiche Persönlichkeit ist, wie ihr betontet, muß alles, was wir tun, vorher gut überlegt werden.“ Er schüttelte den Kopf. „Es will mir eigentlich nicht einleuchten, daß ein Mann wie dieser Holländer, der doch schließlich nicht an den Pranger gestellt werden möchte, so etwas riskiert. Es gehörte ja fabelhafte Umverschämtheit dazu. Unglaublich wäre es. Und doch, die Drohung hat er ausgestoßen.“

Seine Frau warf ein: „Ich sagte nach seinem Weggehen gleich zu Ulli, ich traue dem dickfelligen Holländer zu, er ließe ihr die Geige stehlen, wenn Gelegenheit dazu wäre.“

„Und das hat er getan“, sagte Ulli mit festem sicheren Tonfall. „Aber auf welche Weise, da rätsele ich noch dran herum. In Amsterdam sah ich die Frohnstainer zuletzt. Am Abend, bevor wir abreisten. Unterwegs öffnete ich den Geigenkasten allerdings nicht ein einziges Mal. An der Zollgrenze verlangte man es auch nicht. Irgendwie in der Zeit zwischen dem Abend vor der Abreise und meiner Ankunft hier muß eine unheimlich geschickte Hand den Umtausch bewerkstelligt haben.“

Sie begann zu weinen, fast lautlos, aber unendlich schmerzlich. Ihr Gesicht war sofort tränenüberströmt.

Ihr Vater tröstete sie: „Du wirst die Geige wiederbekommen, Mädchen, fasse Mut. Wenn der Mensch sie in seinen Besitz zu bringen verstanden, bekommst du sie sicher wieder, ganz sicher. Weine nicht, dein Weinen tut mir weher als der Verlust der Geige. Mußt du armes, liebes Mädel auch so ein abscheuliches Pech haben! Ich weiß ja, wie du an der Geige hängst. Gott, wir hängen ja alle daran, alle. Wie ein lieber Mensch war sie.“ Er stand auf und ging nachdenklich im Zimmer herum. „Heute mittag wollen wir gründlich beraten, Ueberstürzung hat keinen Zweck, gar keinen. Es fragt sich eben, ob es klüger ist, die Polizei zu unterrichten oder auf den Herrn Holländer direkt loszugehen, ihn vor die Wahl zu stellen: Anzeige oder Rückgabe der Geige.“

„Ich glaube, es wäre ganz klug gehandelt, ihn vor die Wahl zu stellen. Der Mann hat schließlich einen Namen zu verlieren, und ich glaube nicht, daß er es darauf ankommen läßt, bloßgestellt zu werden.“

„Meine liebe, liebe Geige“, schluchzte Ulli und barg die tränenüberströmten Augen in dem Taschentuch.

Werner Gregorius blickte finster.

„Ein Halunkenstreich ist das, ein Hallunkenstreich von beispielloser Frechheit. Sei ruhig, Kind“, unterbrach er sich und strich über Ullis blondes Haar, „der Mynheer wird es bestimmt nicht aufs äußerste ankommen lassen, sondern auf einen geharnischten Brief klein beigeben, dann erhältst du deine Frohnstrainer wieder. Es ist ja ein Glück, daß du in nächster Zeit keine Konzerte zu geben hast, und die Geige nicht brauchst, sonst könnte es dich beim Spiel vielleicht stören, ich meine behindern, dein Bestes zu geben.“

Ulli fuhr sich energisch mit dem Taschentuch über die Augen.

„Mit Tränen und Jammern ist nichts getan. Meine Geige will ich wiederhaben, oder es gibt einen Skandal, der dem unverschämten Menschen die Achtung für immer wegreißt, wie ein starker Sturm!“

Mittags besprach man die Angelegenheit weiter und abends wieder. Das Ergebnis der eifrigen Beratungen war, daß sich Werner Gregorius entschloß, mit seiner Tochter nach Amsterdam zu reisen und mit ihr persönlich Mynheer van Xanten aufzusuchen. Man war sich darüber einig, Briefe gingen zu langsam, und die Hin-und-her-Schreiberei hatte keinen Sinn.

Hinreisen und diesem Kerl einfach die Pistole auf die Brust setzen“, hatte Werner Gregorius entschieden, und er ging am nächsten Morgen in der Schule zum Direktor und erbat dringend eine Woche Urlaub in wichtiger Familienangelegenheit, der ihm als langjährigem, sehr geschätzem Lehrer sofort gewährt wurde.

Am gleichen Abend noch reisten Vater und Tochter ab, und Ulli fuhr wieder in der Richtung auf Amsterdam zu, das sie so freundlich verlassen, um ein paar Monate ganz ruhig und still in dem kleinen Heimatstädtchen zu verbringen. Und wie sich die Räder drehten, klang es im gleichen Rhythmus in ihr Ohr: Meinen Geige hole ich wieder, meine liebe, kleine Geige!

Oh, empfand sie Zorn gegen Mynheer van Xanten, ihr Zorn war so stark, daß er schon dem Hasse verwandt war.

Wir mussten einander finden

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