Читать книгу Mausi - Anny von Panhuys - Страница 5
I.
ОглавлениеFrau Reinhard rief mit lauter und derb klingender Stimme: „Mausi!“
Sie sass mit ihrem Manne bereits am Kaffeetisch und nachdem sie noch einmal „Mausi“ gerufen, sagte sie grollend:
„Aus dem Mädchen wird niemals eine gute Hausfrau werden. Statt den Tisch zu decken, sich nützlich zu machen, hockt sie sicher wieder draussen am Neckar und guckt den langweiligen Schleppkähnen nach, die hier vorbeikommen. Nein, im ganzen Leben wird Mausi keine gute Hausfrau!“ wiederholte sie.
Ein lauter Seufzer folgte und das volle Gesicht Frau Lina Reinhards sah sehr trübe dabei aus.
Ihr Mann antwortete nicht. In seinem Herzen aber klang es: Der Himmel möge geben, dass sein einziges Kind, sein liebes, süsses Mädelchen keine Hausfrau im Sinne seiner Gattin werden möchte.
Er wusste, wie sehr man oft unter den Vorzügen einer sogenannten guten Hausfrau leiden konnte. Ueber Poesie und Ideale hatte seine Frau mit Besen und Scheuertuch weggeputzt. Was ihm geblieben, war ein schäbiger Rest, ein wehes Erinnern an Jugendträume, ein kleines Hoffen, dass Mausi, seine Mausi vielleicht ein wenig Erfüllung dessen fand, was ihm das Leben schuldig geblieben.
Seine Frau meinte allerdings, er könnte mit dem, was er erreicht, zufrieden sein, denn „Baumeister“ war ein Titel, der Wichtigkeit und Würde verlieh.
Einst hatte er davon geträumt, ein Erster im Reiche der Baukunst zu werden. Kirchen und Paläste hatte seine Phantasie gesehen, die Kathedrale zu Burgos, der Dom zu Florenz, die kolossalen Prachtbauten Roms befruchteten sein Hirn und alles, alles verwehte und zerstob, sank in Trümmer, ehe noch ein Teilchen davon Wirklichkeit geworden, als er die schöne Lina Manroth freite.
Ein leichter Seitenblick streifte die Frau, die ihm eben Kaffee einschenkte.
War sie wirklich einmal so schön und reizvoll, dass er darüber alles vergass? Dass er darüber den Träumen seiner Jugend untreu ward und hier unterkroch als Baumeister, weil ihm seinerzeit hier in der Heidelberger Gegend gute Existenzmöglichkeit vorhanden zu sein schien. Längst war er sesshaft geworden, seit zwanzig Jahren. Er, der frei bleiben wollte, der frei schaffen wollte, dem die ganze Welt Heimat sein sollte.
Lina Manroth war gross und edel von Gestalt, ihr Gesicht von klassischer Reinheit gewesen, ihr Aeusseres musste jeden Künstler begeistern. Heute war sie dick und behäbig. Die Gestalt war breit geworden, die Züge verschwommen, und darüber lag der Ausdruck gediegen bürgerlicher Selbstzufriedenheit.
Reinhard nahm sich ein Brötchen und dachte, dass die Natur eigentlich sehr unvollkommen war. Menschen, die wie Lina Manroth ausgesehen, durften nicht alltäglich denken, sich nicht im Aeusseren zu Alltagsfrauen wandeln. Die Natur machte zuweilen Missgriffe oder böse Scherze. — Eben öffnete sich die Tür und im weitgeöffneten Rahmen, den jetzt goldener Sonnenglanz füllte, stand ein feines Persönchen, stand Maria Reinhard, von allen, die sie kannten, Mausi genannt, denn Maria passte nicht recht zu ihr, lag wie ein zu schweres und weites Gewand um sie herum.
Schlank war Mausi, o, so schlank, und das unregelmässige Gesichtchen war von bezauberndem Reiz. Weisse Zähnchen blinkten, grosse, blaue Augen strahlten, und um das schmale Köpfchen legte sich weichwellig, matt glänzend, hellbraunes Haar, bauschte sich in weichem Bogen über der weissen geraden Stirn, berührte in kosenden willkürlichen Löckchen die strichfeinen tiefdunklen Brauen.
„Aber Mausi, wo bleibst du nur? Was ist das für eine Art, uns warten zu lassen,“ grollte Frau Reinhard.
Mausi lächelte abwesend.
„Ach, Mutti, drei grosse Kähne fuhren neckaraufwärts und ich dachte, wie eigen es doch sein muss, auf so einem immer weiter ziehenden Heim zu leben. Ich denke es mir wundervoll, Tag für Tag auf dem Kahn zu sitzen und die Ufer langsam an mir vorbeigleiten zu lassen, alle die Häuser und Menschen. Wie wunderschöne heilige Sehnsucht muss das sein, wie immerwährende Sehnsucht. — Man träumt, was in den Uferhäusern vielleicht für Leid und Freude ist, und glaubt, dass in einem davon möglicherweise das Glück wohnt, das auf einen wartet. Aber man zieht weiter, muss immer weiter, träumt in den Himmel, sehnt sich nach Glück, und ist doch glücklich, weil Sehnsucht, tiefe Sehnsucht eigentlich schon Glück ist.“
Langsam und weich hatte das junge Mädchen gesprochen und ein Leuchten lag in den grossen blauen Augensternen.
Frau Reinhard schüttelte heftig und ärgerlich den Kopf.
„Nun trink erst mal Kaffee, Kind, und lass den dummen Schnickschnack, sonst meine ich, du bist nicht recht bei Troste. Schönes Leben, auf so einem armseligen Kahn herumzufahren durch eintönige Flüsse und schmale Kanäle. Das zweifelhafte Vergnügen würde dir bald über werden.“
Mausi schloss die Tür und setzte sich an den Tisch. Ihr gesunder junger Appetit liess es sich gut schmecken.
Sie lächelte ab und zu den Vater an, nickte ihm auch einmal heimlich zu, denn sie wusste, der Vater verstand sie ganz.
Frau Reinhard musterte die Tochter mit leichter Missbilligung.
Sie liebte das zarte, feine Dingelchen, wie eine brave Entenmutter vielleicht ein Schwänchen liebt, das sie ausgebrütet, ohne seine Art zu verstehen, sie liebte Mausi mit einem leichten Misstrauen, zerbrach sich zuweilen den Kopf, wie sie, die man in ihrer Jugend „Walküre“ und „Brünhilde“ genannt, zu diesem hauchfeinen Elfenprinzesschen gekommen.
Und wenn sie ihr auch viel nachsah, so zottelhaarig brauchte Mausi doch nicht herumzulaufen. Mit siebzehn Jahren ist man doch schliesslich kein Kind mehr.
„Mausi, du musst dein Haar noch einmal gründlich machen, ehe du zu Rohmers gehst,“ ermahnte sie.
Mausi nickte. „Natürlich, Mutti, sollst deine helle Freude haben. Ich tue Wasser auf Bürste und Kamm, dann sehe ich so ehrpusselig aus, dass ich mich selbst nicht wiedererkenne. Ungefähr so wie Klara Rohmer.“ Sie kicherte.
„Klara Rohmer sollte dir ein Vorbild sein, sie ist eins der bravsten und liebenswürdigsten Mädchen Heidelbergs,“ erwiderte Frau Reinhard betont, „sie ist wirtschaftlich eine Perle, und der Mann, den sie einmal heiratet, hat den Himmel auf Erden.“ Sie sah den Gatten an. „Es ist das Beste und wertvollste für jeden Mann, eine gute Hausfrau zur Seite zu haben.“ Ihr Blick ging zu der Tochter. „Eine gute Hausfrau zu werden, danach müsste jedes junge Mädchen streben. Aber du trippelst in die Küche, als solltest du zur Schlachtbank geführt werden, und deine Handarbeiten machst du immer nur halb fertig.“
Sie erhob sich, ging im Zimmer herum, blieb dann vor ihrem Manne stehen.
„Erwin, du bist der Vater, und Vatersein legt Pflichten auf. Ich werde mit Maria nicht fertig, sie hört nicht auf mich. Mach du ihr, bitte, klar, dass es die höchste Zeit für sie ist, sich auf ihren zukünftigen Frauenberuf vorzubereiten, denn Baumeister Reinhards Tochter will doch sicher keine alte Jungfer bleiben.“
Mausi war bei dem Namen „Maria“ zusammengezuckt. Uijeh, wenn die Mutter sie Maria nannte, war sie immer ehrlich unzufrieden mit ihr.
Der Baumeister blinzelte. Ach du lieber Himmel, er hatte gerade Lust, seinem Mädelchen eine Predigt über die Vorzüge einer zukünftigen guten Hausfrau zu halten, er, der an der guten Hausfrau litt wie an einer Krankheit.
„Mach ihr einmal den Standpunkt klar,“ drängte Frau Lina, „ich muss jetzt in die Küche.“
Wichtig und ganz Würde ging sie zur Tür, nickte von dorther ihrem Mann noch einmal zu: „Mit ihren jetzigen Eigenschaften kann Maria nie heiraten.“
Die Tür schloss sich hinter ihr.
Ein paar Augenblicke lang blickten sich Vater und Tochter stumm an, keiner wagte zu sprechen, ehe draussen auf dem Seitenflur die kräftigen Schritte Frau Linas verklungen waren. Dann aber sprang Mausi auf und mit einem kurzen Hinüberschnellen des feinen Körpers sass sie wie ein Kind auf des Vaters Knien. Wie ein Kindchen sass sie da, umschlang Vaters Hals, schmiegte sich eng an ihn.
„So, Väterchen, nun beginne, kanzele mich ab, sage mir alle die Wichtigkeiten, die Mutter von dir gesagt zu haben wünscht. Vielleicht ist doch noch nicht Hopfen und Malz an mir verloren.“
Schelmisch lachte sie zu ihm auf.
Auch der Mann lächelte, aber ganz anders, ganz anders als die Tochter. Wehmut lag auf dem Grunde dieses Lächelns.
„Liebste kleine Mausi, wozu reden, wir beide wissen ja, woran wir miteinander sind. Vielleicht ist’s nicht recht von mir, so völlig auf deiner Seite zu stehen, aber mir graut davor, dein Wesen mit der Schere des Zwanges zu beschneiden. Du steckst voll Sehnsucht bis oben und ich soll diese Sehnsucht von dir nehmen und dir erklären: Lerne einwecken und einen knusprigen Sonntagsbraten machen, sticke Tischläufer und rege dich über tausend kleine Alltäglichkeiten auf. Nein, nein, ich vermag das nicht.“ Er löste Mausis Arme von seinem Hals, nahm ihr Gesichtchen in beide Hände. „Kind, ich wäre der unglücklichste Mensch auf der Welt, wenn ich wüsste, dein Wohl und Wehe hinge davon ab, eine tüchtige Hausfrau zu werden. Aber ich meine, wo es nun mal nicht darin liegt, hat kein Zwang Sinn. Wenn du einmal einen Mann lieben wirst, dann lernst du rasch, was dir noch mangelt, um ihm das Heim froh und gemütlich zu machen. Ich habe vielfach gefunden, gerade Frauen, die als junge Mädchen nicht besonders küchensicher waren, wurden die besten Hausfrauen. Nur nicht in Küchentopf und Scheuereimer das Höchste im Leben sehen.“
„Wie Mutter,“ flüsterte Mausi ganz leise.
Erwin Reinhard nickte. „Ja, Kind, wie Mutter. Sieh, Hausfrauen wie Mutter gelten bei ihren Mitschwestern etwas, und ich kann mir nicht helfen, so gerne ich gut esse und in einer sauberen Wohnung hause, zuweilen denke ich, lieber manchmal eine angebrannte Suppe, ein Stäubchen auf den Möbeln, als soviel Nüchternheit.“
Mausis Augen glitzerten verdächtig. Sie wusste genau, wo den Vater der Schuh drückte, ahnte, dass sein Ehrgeiz das Fliegen verlernt, weil die Mutter ihn eingezwängt in die enge Kiste ihrer selbstzufriedenen Hausfrauentugenden. Ihr liebes, gutes Väterchen wollte einmal ein grosser Baumeister werden und sass nun fest an eine enge Scholle gebannt, beratschlagte mit den Stadtvätern vieler kleiner Nester neckarauf- und neckarabwärts, ob man die alte Schule umbauen solle und ob das Stückchen Garten, das beim Krämer bis auf die halbe Strasse vorsprang, von der Gemeinde mit Zwang zu beanspruchen wäre.
Wein, edlen Wein hatte Väterchen trinken wollen, Zuckerwasser hatte ihm das Leben gereicht, abgestandenes Zuckerwasser.
Sie küsste den Vater mit hingebender Zärtlichkeit.
„Ich bin froh, von dir nicht auch so geplagt zu werden wie von der Mutter. Ach, ich lese so gern, ich träume so gern, mein Klavier liebe ich und die bunten Farben, mit denen ich male. Ich liebe meine Stimme, weil ich so gern singe, und wenn ich ins Theater gehe, erlebe ich alles mit und bin die Heldin all der Stücke, die ich sehe. Dazu liebe ich meine Verse, denn wenn ich übervoll von Sehnsucht bin, dann fliessen sie mir ganz von selbst aufs Papier.“ Sie lächelte. „Ich bin eben so ein recht überflüssiges Ding, dilettiere in allen Künsten herum und beherrsche keine.“
Reinhard schüttelte leicht den Kopf.
„Du bist noch jung, Mausi, kannst noch Ziele erreichen, nimm eine Kunst ernst, dann wird der Lohn nicht ausbleiben. Talent hast du fast zu allem, Kind.“
Mausi sprang auf und lachte hell und zündend.
„Also bin ich in deinen Augen ein weiblicher Michelangelo.“ Sie sah an sich nieder: „Zwergkönigin Mausi als weiblicher Michelangelo, ein guter Witz.“ Sie wurde gleich wieder ernst. „Weisst du, Vater, am liebsten möchte ich Schauspielerin werden, das lockt mich gewaltig, aber Mutter gibt das niemals zu, und vielleicht ist meine Figur auch ungeeignet. Und so werde ich wohl, wie alle meine früheren Mitschülerinnen, daheim hübsch brav auf den Mann warten müssen. Ach, du, Vater, ich halte es zuweilen gar nicht mehr aus in dieser viereckig abgezirkelten Langweile unseres Bekanntenkreises.“ Sie seufzte. „Jetzt muss ich zu Klara Rohmer, sie hat mich zu sich gebeten, will mit mir eine Ueberraschung zum Geburtstag ihrer Mutter besprechen.“ Sie nahm des Mannes Hand. „Auf Wiedersehen, Väterchen!“
Schon war sie hinaus und pfeifend wie ein Bub stürmte sie die Treppe hinauf, um sich in ihrem Zimmerchen zum Ausgang zurechtzumachen.
Erwin Reinhard blieb versonnen zurück. Welch ein quirliges, buntschimmerndes Falterchen war seine Tochter, steckte voll Traum und Phantasie bis oben und stiess sich mit ihrer Sehnsucht vielleicht einmal an den engen Schranken ihrer Umwelt wund und müde wie er.
Eben verliess sie das Haus, in leichtem Tanzschritt war sie über den Flur gehüpft.
Er trat ans Fenster, blickte ihr nach.
Wie wunderfein war doch sein Mädelchen! Das lichtblaue Kleid mit der weissen Rankenstickerei stand ihr gut und das einfache Matrosenhütchen gab dem ganzen zierlichen Persönchen einen kecken, unternehmenden Anstrich. Die hellbraunen Löckchen wehten im leichten Sommerwind. Beschwingt und rasch war ihr Fuss.
Ein Schleppkahn kam schwerfällig heraufgefahren, ein rauhhaariger Hund stand an der Achterseite und bellte. Eine Frau hing Wäsche zum Trocknen auf.
Reinhard sah sein Mädelchen stehen bleiben, der Frau auf dem Kahn zuwinken.
Die Frau achtete gar nicht darauf, nur der Hund bellte bösartiger.
Reinhard lächelte. Was wusste die verarbeitete Schiffersfrau, was der kläffende Köter von den Sehnsüchten Mausis.