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V.

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Franz-Ferdinand, Graf von Wildhausen, hatte, seiner Neigung folgend, vor dem Kriege in Heidelberg Medizin studiert. Es hatte ziemlich schwere Kämpfe mit dem Vater gekostet, der nicht begreifen wollte, wie ein Mensch, der es nicht nötig hat, Interesse für die ärztliche Kunst haben konnte.

Seine Mutter begriff es schon eher. Vielleicht, weil sie den Sohn überhaupt von je besser verstand als ihr Gatte, der sich stets exklusiv allem Leben und Erleben fernhielt, das sich nicht auf den Höhen abspielte, auf die ihn seine Geburt verwies. Er führte den Fürstentitel, der jeweils auf den ersten Sohn überging. Als Franz-Ferdinand V., Fürst von Weyden, Graf von Wildhausen, Freiherr zu Bärstein, residierte er mit seinem zwanzigsten Jahr auf Schloss Wildhausen, empfing ab und zu allervornehmste Gäste, reiste von Zeit zu Zeit irgendwo auf einen feudalen Herrensitz zu Besuch, und es existierte für ihn nur, was ihm gefiel und sich mit seinen Standesanschauungen deckte. Dass es ganz nahe um ihn herum noch eine andere Welt gab, eine Welt der Künstler, Gelehrten, Bürger, Bauern und Arbeiter, bemerkte er kaum.

Auf Bitten seiner Frau gab er endlich nach, nannte eine Laune, was dem jungen Franz-Ferdinand bitterer Ernst war. Der menschliche Körper, dieses wundervollste Wunder der Schöpfung, diese zugleich komplizierteste und einfachste Maschine, reizte ihn gleich einem Rätsel. Er wollte ihre tiefsten und heiligsten Geheimnisse ergründen, damit er herausbringen konnte, wie so manche Krankheit zu heilen oder wenigstens zu lindern wäre, für die heute noch die rechten Mittel fehlten.

Zweiundeinhalbes Jahr hatte er bereits in Heidelberg studiert, da brach der grosse Völkerkrieg aus, und er zog hinaus wie alle die vielen Söhne der Heimat, um dann kurz vor Ausbruch der Revolution zurückzukehren. Er brachte seine geraden Glieder wieder heim, die mehrfach erlittenen Verletzungen hatten keine Spuren hinterlassen.

Dann kamen die Novembertage, die Fürstenthrone stürzten, und auch Franz-Ferdinand V. ward Privatmann, lebte das Leben eines Gutsherrn und musste sich daran gewöhnen, dass die höfische Etikette, auf die er sehr hielt, und die ihm Lebensbedingung geworden, sehr zusammenschrumpfte unter dem Hauch der neuen Zeit, der durch Türen und Fenster heranzog, selbst wenn er die Spalten aufs sorgfältigste verstopfte.

Er ward plötzlich stumpf und alt, er fand sich nicht mehr in dieser Zeit zurecht, wurzelte zu tief im Boden vergangener Tage.

Als sein einziger Sohn Franz-Ferdinand den Wunsch aussprach, nun seine vor dem Krieg in Heidelberg begonnenen und schon über die Hälfte beendeten Studien wieder aufzunehmen, machte er keine Schwierigkeiten mehr.

Er sollte tun, was er wollte, seinetwegen mochte er sogar als Arzt praktizieren. In dieser Zeit war das vielleicht ganz in der Ordnung. Er stand der neuen Zeit feindlich gegenüber; wer es wollte, mochte ihr Zugeständnisse machen, er persönlich tat es nicht.

So bezog Franz-Ferdinand, Graf von Wildhausen, wieder die alma mater zu Heidelberg, ging zu den Saxo-Borussen, wie ehedem, und trug, wie ehedem, das weiss-grün-schwarzweisse Band auf der Brust. Er war einer von den wenigen, die wiederkehrten, er und sein Vetter Graf Ulrich Lettnitz, der sich schon vor dem Krieg mit Jura befasst. Dem war ein leichtes Lahmen des rechten Fusses als eine Erinnerung an den Krieg geblieben.

Die meisten aber, die einst Gruss und Handschlag mit ihm getauscht, die mit ihm gebummelt und gezecht, lagen fern in Frankreich und in Polen. — —

Franz-Ferdinand ging langsam den Schlossberg hinab und er dachte an all das, und so sehr er sich dagegen stemmte, vermochte er die jähe Traurigkeit, die ihn überfallen, doch nicht von sich abzuschütteln.

Er wollte doch lieber nicht heimgehen, sich jetzt nur nicht in vier Wände einsperren, lieber noch die Beine müde laufen und die Augen herumspazieren lassen in der schönen Gottesnatur.

Bald würde er seinen Doktor machen, dann kehrte er heim nach Wildhausen zu dem verbitterten Vater, der halberblindeten Mutter und zu Kusine Ulla, die, seit ihre Eltern gestorben, Haustochter auf Wildhausen war. Prinzessin Ulla Raggau war blendend schön und stolz, und von Kind an hatte man ihnen erzählt, dass sie beide einmal ein Paar würden.

Ulla war schön, ja — aber ihr rotblondes Haar lag zu glatt um das schneeweisse, marmorstarre Antlitz, und die grossen, grünlichen Augen hatten keinen warmen Glanz, hatten nur das Leuchten von echten Juwelen. Jede Bewegung des hohen, vollendeten Körpers war berechnet. Niemals setzte sich Ulla schneller, niemals erhob sie sich um eine Sekunde schneller als stets, niemals sprach sie lauter, niemals leiser als stets. Ihr Ton war hart, hatte einen befehlenden Beiklang.

Manchmal war es Franz-Ferdinand, als hätte er Ulla lieb, ihre Schönheit lockte ihn zuweilen, aber dann wieder fand er ihr Gleichmass in allem ernüchternd und tötend. Dennoch dachte er niemals etwas anderes, als dass sie einmal, wenn es an der Zeit war, seine Gattin ward, denn das hatten doch alle, die es anging, schon seit langem bestimmt, und es war ihm nicht eingefallen, solche Bestimmungen, die doch wie ungeschriebene Gesetze waren, umzustossen.

Sicher, Ulla würde einmal eine der schönsten Fürstinnen sein, wenn auch eine Fürstin ohne Krone und Land.

Er dachte an das zierliche Mädelchen mit dem braunen, goldflimmernden Gelock und den strahlenden Blauaugen, in die er mit seinem Kuss Tränen der Empörung getrieben.

Unwillkürlich verglich er im Geiste die beiden Mädchen, die stolze, hochmütige Ulla und das niedliche Geschöpf, von dem er nichts weiter wusste, als dass es sich „Rautendelein“ genannt.

Fast komisch mutete es an, die zwei zu vergleichen. Aber wenn er ehrlich sein sollte, und das konnte er ja sich selbst gegenüber, dann musste er sich eingestehen, seine Sehnsucht rief nach dem süssen Geschöpfchen, dessen taufrisches Wesen nichts von Etikette, nichts von steifen Prinzessinnen und dergleichen wusste.

Er überquerte am Kornmarkt die Strasse und verlor sich in engen Gassen, er wollte über die alte Brücke gehen, und am berühmten Pauklokal in der Hirschgasse vorbei, den Philosophenweg entlang wandeln. Es war sein Lieblingsspaziergang, der Philosophenweg.

Mausi

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