Читать книгу Liebe ist die größte Macht - Anny von Panhuys - Страница 4
1.
ОглавлениеDer Gutsherr von Arnsdorf, Ferdinand von Arnsdorf, lief aufgeregt im Zimmer auf und ab. Seine Frau saß am Fenster und machte ein verstimmtes Gesicht. Inge, seine Tochter, und Waltraut, seine Nichte, drückten sich dicht an der Tür herum, als stände sie auf dem Sprunge, im nächsten Augenblick das Zimmer eilig zu verlassen.
Beide Mädchen waren sehr schön. Inge war dunkelblond. Rötliche Lichter lagen auf dem weichwelligen, gut ondulierten Scheitel, während das silberblonde Haar Waltrauts sich von Natur lockte und sich in wirrem Gestrudel um das schmale Köpfchen legte.
Inge hatte große braune Augen und eine schmale, leicht gebogene Nase; Waltrauts große Augen waren grau, die Nase war gerade, vielleicht ein wenig zu kurz. Der Mund beider aber hatte Familienähnlichkeit aufgefangen, er war scharf herzförmig geschnitten. Doch während Inges Kinn weich war und ein Grübchen zeigte, war das Waltrauts kräftig geformt.
Waltraut hatte ihre Eltern schon in ihrem achten Jahr verloren. Ihr Vater war der einzige Bruder des Gutsherrn, war Arzt in der Kreisstadt gewesen, und sie war hier, zusammen mit Inge, wie eine Tochter erzogen worden. Beide Mädchen galten im ganzen Kreise als Schönheiten, und wenn Gelegenheit dazu war, machte man ihnen den Hof. Aber gediegene ernsthafte Freier waren knapp gesät, man munkelte es schon zu laut, um Gut Arnsdorf stände es sehr schlecht, der Gerichtsvollzieher wäre dort ständiger Gast. Ferdinand von Arnsdorf, ein Mann von fünfzig, mittelgroß, sehr breit, mit derben Gesichtszügen und dickem Schnurrbart, fuhr sich mit der Rechten über das braune, schon leicht graumelierte dünne Haar.
„Ihr seid alle besessen, Weibsvolk. Wo soll ich denn das Geld hernehmen für eure Wünsche. Wir geben kein Frühlingsfest. Quatsch ist die Idee. Heutzutage ist dergleichen geradezu grober Unfug, wenn man sich das Geld dazu erst mit tausend Opfern verschaffen muß.“
Berna von Arnsdorf — sie hieß eigentlich Bernhardine — widersprach:
„Wenn man eine Tochter hat und eine Nichte mit Tochterrechten, beide erst neunzehn Jahre alt, muß man eben solche Opfer bringen oder man ist ein schlechter Vater und Onkel. Außerdem muß man es aus Klugheit tun. Herr Ulrich interessiert sich für Inge, und wenn er sich entscheidet, sind wir mit einem Male aus unserer schwierigen Lage heraus. Ein Schwiegersohn wie er, kann ohne besondere Anstrengung unser Gut schuldenfrei machen.“
Inge lächelte: „Ja, Vater, das könnte er wohl. Man sagt, er wäre unerhört reich.“
Waltraut mischte sich ein: „Du liebst ihn nicht, und es wäre sehr häßlich von dir, wenn du ohne Liebe seine Frau würdest.“
Inge erwiderte gereizt: „Du bist ja bloß neidisch, weil er mich so sehr auszeichnet!“
Waltraut wandte sich ab.
„Schäme dich, so etwas zu sagen!“
Es klopfte. Ein Mädchen kam, brachte auf kleiner Silberschale eine Besuchskarte. Herr von Arnsdorf nahm die Karte, brummte: „Wenn man den Wolf nennt, kommt er gerennt!“
Er sagte dem Mädchen Bescheid, sie solle Herrn Ulrich in das sogenannte blaue Zimmer führen, wo man Besucher zu empfangen pflegte.
„Macht euch ein bißchen zurecht“, wandte er sich an seine Damen, „ihr müßt ihm doch auch guten Tag sagen!“
Waltraut wandte leise ein: „Mich befreist du wohl von dem Gutentagsagen, Onkel. An meiner Gesellschaft liegt Herrn Ulrich ja doch nichts, und ich habe noch allerlei zu tun.“
„Mach, was du willst!“ warf ihr der Gefragte hin und ging, seinen Besucher zu begrüßen.
Frau von Arnsdorf blieb mit den Mädchen allein. Sie lächelte:
„Herr Ulrich hat sich bis jetzt selten bei uns blicken lassen, und ich weiß bestimmt, vor vierzehn Tagen auf der kleinen Abendgesellschaft bei Landrats, fiel sein Werben um dich schon auf. Er ist aber ein äußerst korrekter Mensch und fängt keine Liebelei hinter dem Rücken der Eltern an. Mir sagt eine Ahnung, er besucht uns deinetwegen, Inge.“ Sie umarmte die Tochter. „Schön wäre das! Dann kämen wir mit einemmal aus aller Bedrängnis heraus, und du würdest eine reiche Frau, eine steinreiche Frau.“
„Du darfst nicht ohne Liebe seine Frau werden!“ Waltraut stand vor Inge und sah sie bittend an. „Du würdest doch nur unglücklich und er auch. Wir brauchen ja gar nicht so nötig Hilfe. Vater verkauft Arnsdorf, und wir behalten das Vorwerk, richten uns da ein.“
Inge lachte laut auf. „Waltraut, jeder ist seines Glückes Schmied. Laß mich das meine allein schmieden. Nein, ich liebe Fred Ulrich nicht, er ist mir zu ernst oder richtiger ausgedrückt, zu langweilig, aber ich liebe auch keinen anderen, und er wirkt sehr dekorativ trotz seines bürgerlichen Namens. Laß gut sein, Waltraut! Wenn er mich will, nehme ich ihn. Ich habe es satt, daß Vater wegen jeden Kleides oder Hutes, den ich brauche, gleich Lärm schlägt, als wenn ich Unerhörtes von ihm fordere, und ich habe die ewige Angst satt, daß uns eines Tages Arnsdorf über den Kopf weg versteigert wird. Nebenbei bemerkt, bin ich ziemlich sicher, er ist meinetwegen gekommen.“
Die Mutter nickte. „Heutzutage muß man ein bißchen nüchtern denken. Es geht wohl auch ohne die große Liebe. Wer weiß denn, ob die jemals zu Inge kommt? Und dann sitzt sie da und drückt sich als Altjüngferchen herum bei fremden Leuten, falls Arnsdorf uns verlorengeht. Inge ist nur für ein gutes Leben geboren. Sie braucht Reichtum wie der Fisch Wasser. Du bist anders, trotzdem du auch schön bist und Ansprüche machen könntest. Auch möchten wir Arnsdorf halten, Joachims wegen. Der Junge ist doch wichtig. Er hängt an Arnsdorf wie an einem Heiligtum.“ Sie ermunterte: „Los! Wollen uns umkleiden. Inge, zieh dein braunes Samtkleid an! Es steht dir am besten!“
Es schien, Waltraut wollte noch etwas sagen; doch sie schwieg und verließ still das Zimmer.
Es war Frühling, und um Gut Arnsdorf blühte und grünte es wundervoll. Im Park standen die Bäume im Schmuck der frischen glasigklaren Blätter so stolz und freudig, und die Sonne lag darüber, versprühte aus unerschöpflichem Born ihr herrliches Goldgeflimmer.
Weit in den Park lief Waltraut hinein. Aber sie sah nicht das wundervolle Grün, nicht das überwältigend goldene Licht ringsum, sie lief, als wäre sie stumpf gegen all den verschwenderischen Reichtum des Frühlings um sie her, lief auf einen kleinen Pavillon zu, der ganz am Ende des Parkes auf einem Hügel stand, und dessen Rückwand, in die hohe Abschlußmauer des Parkes übergehend, wie ein Luginsland mit zwei Fensterchen weit über die Wiesen und Felder blickte bis zu den fernen Bergen.
Uralt war der Pavillon und Waltrauts Lieblingsaufenthalt. Sommersüber wohnte sie oft tagelang hier und hatte sich alles in die zwei Stuben geschleppt, was im Herrenhaus überflüssig geworden war und ihr gefiel. Sie öffnete die schmale, schwere Eichentür mit einem Schlüssel, den sie immer bei sich trug, und schob nach dem Eintreten in den kleinen Vorflur den Riegel vor. Plötzlich schluchzte sie; sie konnte das Weinen nicht länger zurückhalten, das sie quälte. Dann öffnete sie das Zimmer zur Rechten. Es enthielt nicht viele Möbel, und alle stammten aus der Rumpelkammer des Herrenhauses; aber es war anheimelnd hier unter den alten Möbeln und Bildern. Tüllgardinen bauschten sich vor dem Fenster, und ein kleiner gutgefüllter Bücherschrank enthielt Waltrauts Lieblingslektüre.
Waltraut ließ sich wie ermattet auf einen alten Armstuhl fallen, der mit verblaßtem grünem Samt überzogen war. Ihr lichtblonder Kopf drückte sich gegen die hohe Lehne, und ein verzweifeltes wehes Weinen wurde laut. Waltraut weinte und weinte. Weinte fassungslos.
Endlich riß sie sich zusammen; langsam versiegten die kleinen lauen Quellen; die Augen brannten; dennoch fühlte sich Waltraut leichter. Sie hatte die Tränen schon zu lange zurückgedrängt, immer zurückgedrängt, wenn die Tante und Inge ganz sachlich und nüchtern davon gesprochen, daß es gut wäre, wenn Inge Fred Ulrich heiraten würde, damit er mit seinem vielen Geld Gut Arnsdorf schuldenfrei und Inge zur reichen Frau machen könne.
Sie erhob sich und trat vor ein Bild hin, ein Bild, das sie sich auch aus der Rumpelkammer auf dem Boden des Herrenhauses geholt, wo es mit der Malerei der Wand zugekehrt gestanden. Es stellte eine Tante ihres Vaters und ihres Onkels dar, eine, die in der Familie als Verlorene galt, weil sie in jungen Jahren mit einem Mann, den sie nicht hatte heiraten sollen, fortgegangen war. Weit fort. Nach Spanien sagte man. Ihre Briefe hatte niemand beantwortet, und dann war sie verschollen. Das Bild zeigte ein lichtblondes junges Mädchen mit Zöpfen um den schmalen Kopf, und Waltraut sah ihr sehr ähnlich. Nur viel energischer als die ihren waren die Züge des gemalten Gesichts. Waltraut blickte zu der im weißen Kleide auf, sagte leise: „Wenn er Inge heiratet, will ich auch fortlaufen in die weite Welt wie du. Ich kann nicht mit ansehen, daß Inge ohne Liebe seine Frau wird. Ich kann es nicht mit ansehen!“
Schon wieder wollten sich Tränen in ihre Augen drängen, aber sie wurde ihrer Herr. Nur nicht mehr weinen! Es würde lange genug dauern, bis die Tränenspuren von vorhin getilgt. Sie trat an das Fenster, zog die Tüllvorhänge ein wenig auseinander. Ihr Blick flog weit über Wiesen und Felder bis dorthin, wo die Bergkette den Horizont begrenzte. Alles war in Sonne gebadet, und Waltraut dachte, die Welt wäre doch wunderschön, wenn es darin so zuginge, daß immer Liebe und Liebe einander begegneten, und daß nicht Liebe von Spekulation und Egoismus betrogen wurde. Sie flüsterte: „Warum muß ich dich liebhaben, Fred, warum? Und du weißt es nicht, und dir liegt nichts an mir. Inge aber liebt dich nicht.“ Wie ein Krampf schüttelte herztiefer Schmerz den schlanken und doch kraftvollen Mädchenkörper. Ihre Hände ballten sich, und ihre Nägel gruben sich dabei tief in das Fleisch. „Fred!“ stöhnte sie, „lieber, geliebter Fred, du tust mir so bitter leid!“ Sie lächelte schmerzlich verkrampft und dachte: Sie selbst tat sich auch bitter leid. Sie selbst ja auch.
Ihr Blick irrte weit über Wiesen und Felder bis zu den fernen Bergen, und sie sann: Dort hinter den Bergen begann die große weite Welt, in die Großtante Maria hineingelaufen; sie wollte es ihr nachtun. Ganz gleich, unter welchem Vorwande sie von hier fortkäme, aber sie könnte nicht mit ansehen, wenn Inge dem geliebten Manne Liebe heuchelte. Inge hatte ja schon seit langem mit ihm Blicke gewechselt und getan, als gelte er ihrem Herzen etwas. Man hatte sich im Winter oft in der Nachbarschaft getroffen, auf Bällen und Gesellschaften. Auch Einladungen nach Arnsdorf hatte Fred angenommen.
Waltraut ließ die Lider über die Augen fallen, fest, ganz fest. Nur nicht mehr weinen! befahl sie sich schmerzdurchbebt, als sie sich vorstellte, jetzt stand Inge wohl schon in ihrem goldbraunen Samtkleid, das so wunderschön saß, vor Fred Ulrich und sagte: Ja, ja, ja! und er küßte sie vor den Augen der Eltern, und Inge dachte dabei nichts anderes, als daß sie eine reiche Frau würde.
Mit einem Wehlaut sank die schlanke Waltraut Arnsdorf vor dem Stuhl am Fenster in die Knie und drückte das Gesicht fest in die Hände.
Ihr war es, als stieße man ihr einen Dolch ins Herz, einen spitzen, blinkenden Dolch. So lag sie lange auf den Knien wie eine schöne junge Märtyrerin.