Читать книгу Liebe ist die größte Macht - Anny von Panhuys - Страница 6
3.
ОглавлениеIm ganzen Haus suchten Inge und ihre Mutter Waltraut vergebens. Schließlich dachten sie an den Pavillon. Inge ging neben ihrer Mutter her wie ein Automat. Sie fühlte das Bewegen ihrer Glieder wie einzelne Rucke, und ihr Gesicht war kalkweiß von der Erregung, die in ihr zurückgeblieben infolge der Enttäuschung, die sie eben erlebt — eine Enttäuschung, die sie wie eine fressende Wunde spürte. Im Hause hatte sie über die Enttäuschung kein einziges Wort verloren — aus Furcht, sich zu sehr gehen zulassen, aber als sie neben der Mutter durch den Park schritt, dem Pavillon zu, brach es wie ein Wutschrei aus ihrer Brust: „Was bedeutet das nur, Mutter? Er hat bestimmt ganz deutlich merken lassen, er wäre in mich verliebt. In mich! Und ich hatte das ganz sichere Empfinden, er wollte schon auf der Gesellschaft bei Landrats etwas zu mir sagen. Ich konnte also nur annehmen, er käme heute meinetwegen. Warum handelte er nun so befremdend, so ganz unverständlich? Nie habe ich bemerkt, daß er Waltraut besonders beachtete. Er war stets freundlich und höflich zu ihr, mich aber zeichnete er aus. Seine Blicke suchten mich immer und immer wieder.“ Sie faßte die Mutter am Ärmel. „Bleibe doch einmal stehen, Mutter, ich kann ja kaum weiter vor grenzenloser Aufregung. Sprich doch endlich, wie denkst du über das Unglaubliche?“
Berna von Arnsdorf war stehengeblieben. Sie war genauso erstaunt, ja, verblüfft gewesen über die Werbung Fred Ulrichs um Waltraut, wie Inge selbst, aber sie hatte sich schon damit abgefunden. Und so, wie sie jetzt die Dinge ansah, wollte sie alles auch der Tochter klarmachen.
Sie lächelte. „Von meiner Verwunderung habe ich mich inzwischen erholt, und da es eigentlich gleichgültig ist, ob durch dich oder Waltraut unser Gut vor dem Zusammenbruch gerettet wird, bleibt doch im Grund alles, wie es gewesen. Es ist nur ein wahres Glück, daß du dich nicht in Fred Ulrich verliebt hast.“ Sie schmunzelte: „Wenn man so aussieht wie du, findet man noch Männer genug. Wollen uns damit trösten, daß Ulrich wenigstens um eine von euch beiden angehalten.“
Inge sah die Mutter mit flackernden Augen an.
„Ganz so einfach, wie du das auffaßt und auch mir klarmachen möchtest, sieht die Sache für mich doch nicht aus. Nein, bestimmt nicht. Fred Ulrich hat mich gekränkt, hat mich schwer beleidigt. Ich mußte glauben, er wollte mich zur Frau. Denke nur an die peinliche Szene, als er vor mir stand und Waltrauts Namen aussprach. Er mußte uns allen ansehen, was wir erwarteten, und das hat er auch getan. Ich habe sogar das ganz bestimmte Gefühl, es machte ihm Freude, mich ordentlich zu demütigen.“ Sie riß am rechten Ärmel der Mutter herum. „Aber ich komme nicht dahinter, warum das alles. Er wollte mich demütigen und hat es getan, aber der Anlaß dazu ist rätselhaft.“
Frau von Arnsdorf zuckte die Achseln.
„Zerbrich dir nicht den Kopf. Wir irrten uns wohl alle, Vater, ich, du und Waltraut, als wir an Ulrichs Liebe zu dir glaubten.“ Sie stutzte, wiederholte den Namen: „Waltraut“ wie fragend und sagte dann: „Waltraut benahm sich sonderbar, als uns Herr Ulrich gemeldet wurde. Erinnere dich doch. Sie mahnte dich, du dürfest nicht ohne Liebe Fred Ulrichs Frau werden.“
Inge schüttelte den Kopf.
„Wenn sie eine Ahnung davon gehabt, Ulrich wäre ihretwegen gekommen, hätte sie das doch gar nicht geäußert. Ich behaupte, sie hatte gar keine Chancen bei ihm, sondern etwas Unbegreifliches, spukhaft Unbegreifliches hat sich im letzten Augenblick eingemischt — oder Waltraut müßte nur alles so hingeredet und ahnungslos getan haben, damit ich bis zum letzten Augenblick nicht merken sollte, daß sie mir den reichen Freier vor der Nase weggeschnappt hat. Aber zu solcher Handlungsweise ist Waltraut nicht gerissen genug.“ Ihre Augen standen voll Tränen vor Zorn und Enttäuschung.
Ihre Mutter drängte: „Laß zunächst alles gut sein, bitte, wir müssen Waltraut suchen, das ist doch jetzt das Wichtigste.“
Ihr lag vor allem daran, den reichen Freier festzuhalten, ganz gleich, ob für die Tochter oder für die Nichte. Sie war überzeugt, Waltraut liebte ihn so wenig wie Inge, aber sie wußte auch, die Liebe würde sich schon in der Ehe einfinden. Sie war von ihren Eltern überhaupt nicht gefragt worden, ob sie Ferdinand von Arnsdorf, den derben, grobschaligen Junker hatte heiraten wollen, und ihre Ehe war zwar nicht rührend glücklich, aber auch nicht unglücklicher geworden als viele Liebesheiraten.
Die Tür im Pavillon war zu, aber der Schlüssel steckte. Also war von innen zugeriegelt. Inge schlug mit der Faust eine Art Wirbel gegen die Tür.
Nach einem Weilchen öffnete Waltraut. Sie hatte Herzklopfen, dachte, jetzt kam man sie holen, damit sie Glück wünschen sollte.
Sie wich zurück, sie fand Inges Gesicht seltsam verzogen, es sah gar nicht aus wie das einer frohen Braut.
Inge stieß die Tür vollends auf, ging an ihr vorbei in das offene Zimmer. Waltraut folgte, zuletzt kam die Mutter.
Frau von Arnsdorf begann: „Waltraut, es ist etwas sehr Sonderbares geschehen. Fred Ulrich hat beim Vater nicht, wie wir erwartet, um Inges Hand gebeten, sondern er will dich zur Frau.“
Waltraut war ein paar Schritte zurückgeprallt vor dieser Neuigkeit. Ihr war, als stocke ihr Atem, als höre ihr Herz in der Brust auf zu schlagen. Und ihr Gesichtsausdruck war unbeschreiblich. Befremden und Freude kämpften darauf. Schreck lag über den feinen Zügen; aber um den schön gezeichneten Mund erblühte langsam ein Lächeln. In den großen Augen war unirdischer Glanz, als sie schwerfällig und mühsam fragte: „Ist das kein Scherz? Ist das wahr? Ich soll Fred Ulrichs Frau werden? Ich?“
Inge lachte rauh auf. „Jawohl du, die du immer so scheu und verhalten tust, so mimosenhaft in dich zusammenkriechst und doch meisterhaft verstanden hast, den Mann, mit dem ich gerechnet, an dich zu locken!“
Waltrauts glückliches Lächeln erregte sie aufs neue, schien ihr ein Beweis dafür, daß die Kusine es in schlauer Weise verstanden, Fred Ulrich zu sich herüberzuziehen.
Waltraut richtete sich auf und antwortete stolz: „Ich verstehe nicht, wie Herr Ulrich auf mich verfallen ist. Ich habe bisher geglaubt, er liebe dich.“
Frau von Arnsdorf hob wie beschwörend die Rechte gegen Inge, die sprechen wollte.
„Ruhig, Inge! Zänkereien sind jetzt sinnlos. Du hast selbst erklärt, du liebst Fred Ulrich nicht, also mache Waltraut keine Szenen.“ Sie zog die Nichte an sich. „Mädelchen, nun kommt das ganz große Glück zu dir statt zu Inge. Ich freue mich mit dir, du warst ja immer ein gutes Ding und hast ein großes Glück verdient.“
Waltraut fühlte ein Zittern, das ihren ganzen Körper durchrieselte.
„Glaubst du bestimmt, Tante, daß er mich liebt?“
„Selbstverständlich glaube ich das, Trautchen. Er hätte doch sonst keinen Grund zu dem Antrag.“
Waltraut sah die Kusine an.
„Und du liebst ihn wahr und wahrhaftig nicht?“
Inge stampfte mit dem Fuß auf.
„Ich bin wütend, weil er vorher so getan, als interessiere er sich für mich, aber ich liebe ihn nicht. Nicht soviel!“
Sie tat, als schnippste sie mit dem Finger ein Staubkörnchen von ihrem Kleid.
Da lachte Waltraut laut auf wie in elementarer, jäher Freude.
„O Gott, dann ist ja alles gut, alles! Dann irrten wir uns, und er kam heute meinetwegen. Er liebt mich! Versteht ihr denn beide, was das für mich bedeutet: Er liebt mich?“ Ihr Gesicht hatte sich sanft gerötet, die Augen leuchteten unirdisch. „Ich liebe ihn ja auch“, bekannte sie.
Inges Gesicht drückte Empörung aus.
„Also weiß er Bescheid, und ihr ließt mich absichtlich in dem Glauben, er liebe mich. Na, auch gut, werdet glücklich! Es gibt noch mehr Männer auf der Welt als Fred Ulrich.“
Waltraut verteidigte sich: „Ich ahnte nichts, gar nichts, und ich fasse mein Glück überhaupt noch nicht.“
Frau von Arnsdorf zog Waltraut mit sich.
„Komm, Kind, er wartet. Aber erst mußt du dich etwas zurechtmachen, dein Haar ist zu wirr und — ja, wirklich, du siehst aus, als ob du geweint hättest.“
Inge betrachtete die Kusine, mit der sie schwesterlich aufgewachsen, scharf forschend. Tatsächlich, Waltraut hatte geweint. Sonderbar! Das sprach wieder nicht dafür, daß sie gewußt haben konnte, Fred Ulrich wollte sie heiraten.
Sie schüttelte den Kopf. Sie wurde aus der Geschichte nicht klug. Es mußte hinter allem noch etwas stecken, was sie nicht wußte, etwas, was der Schlüssel für Fred Ulrichs eigenartiges Handeln war.
Aber sie behielt das für sich, drängte nur:
„Schnell, schnell! Vater wird ungemütlich, wenn du nicht bald kommst.“
Wie Waltraut in ihr Zimmer gelangt, wußte sie selbst nicht. Sie wusch sich, bürstete ihr Haar, und die Tante warf ihr das blaue Tuchkleid über, das ihr am besten stand. Sie blickte auch in den Spiegel wie Inge vorhin, nachdem sie das braune Samtkleid angezogen, aber ihr Gesicht verriet keine Zufriedenheit und Freude über die junge Schönheit, die ihr aus dem Glas entgegenschaute; ganz bescheiden und demütig stand sie vor dem schimmernden Glas.
Inge war in ihr eigenes Zimmer gegangen. In ihr brannte noch glührot Zorn ob der Demütigung, die ihr zuteil geworden.
Die beiden Herren saßen im blauen Zimmer und warteten. Sie sprachen von Wirtschaftsdingen und von Politik, aber sie berührten, wie auf Verabredung, die Angelegenheit nicht mehr, an die doch beide dachten, wenn auch jeder auf ganz andere Weise.
Endlich erschien Frau von Arnsdorf, und ihr folgte Waltraut. Ein befangener Blick flog dem heimlich geliebten Manne entgegen. Ein fragender Blick. Ein Lächeln erblühte dabei um den Jungmädchenmund.
Hochaufgerichtet stand Fred Ulrich vor ihr.
„Mein gnädiges Fräulein, ich bat Ihre Eltern um Ihre Hand und füge dem hinzu, Sie würden mich durch Ihr Jawort sehr glücklich machen.“
Waltraut war, als müsse sie dem Manne laut entgegenjubeln: „Ich liebe dich, tausendmal sage ich ja!“ Aber sein ernstes Gesicht irritierte sie. Sie wagte nicht einmal ein lautes Ja, sondern ganz dünn und leise klang das Wörtchen, mit dem sie sich Fred Ulrich angelobte.
Er nahm ihre Rechte und küßte sie.
Ferdinand von Arnsdorf lachte dröhnend.
„Aber, lieber Ulrich, was für‘n Hofzeremoniell wollen Sie denn bei uns einführen! Handkuß und so, das gibt‘s doch nicht für Liebesleute.“
Seine wuchtige Gestalt schob sich ein paar Schritte vor, und die Arme ausbreitend, drängte er die beiden so eng zusammen, daß Fred Ulrich nicht anders konnte, als Waltraut küssen.
Er dachte, warum sollte er es denn auch nicht tun? Schließlich würde er Waltraut ja doch bald heiraten. Er bekam in ihr eine junge und schöne Frau. Daß er eigentlich Inge liebte, darüber mußte er wegkommen. Diese hier, die wohl ebenso schöne Verwandte Inges, liebte ihn natürlich ebenfalls nicht. Auch sie lockte nur sein Geld, wie es die andere gelockt. Aber das schadete nichts. Inge hatte wenigstens ihre Lektion erhalten, weil sie in ihm nur den Familienretter und reichen Mann gesehen.
Obwohl er überzeugt war, Waltraut sah ihn mit denselben Augen, kränkte ihn das doch nicht so sehr, weil er Waltraut nicht liebte. Nur die Menschen, die man liebt, können einem so weh tun, wie Inge ihm heute weh getan. Ihre Blicke hatten von einer Liebe gesprochen, von der das Herz nichts gewußt.
Sie hatte ein häßliches Spiel mit ihm getrieben.
Waltraut taumelte, als sie sich nach dem Kusse von Fred Ulrich löste, und dann saß man bei einem Gläschen Wein beisammen.
Sehr bald empfahl sich Fred Ulrich. In vierzehn Tagen sollte die offizielle Verlobung sein. Und ehe er ging, küßte er Waltraut wieder.
Kaum war er gegangen, floh Waltraut wie gescheucht durch den Park in den Pavillon. Dort, vom Fenster aus, konnte sie Fred Ulrichs Auto nachblicken — weit, weit. Und sie tat es. Dabei fühlte sie, wie sich lindes Naß durch ihre Wimpern drängte. Aber jetzt waren es Glückstränen, die sie weinte, Tränen, die nicht schmerzten, die nur wohltaten, Tränen vollkommenster Seligkeit.
Waltraut dachte nicht mehr darüber nach, weshalb Fred Ulrich niemals hatte merken lassen, daß er sie liebte. Er liebte sie, das genügte ihr, sonst hätte er nicht um sie angehalten.
Inge war erst, kurz bevor Fred Ulrich gegangen, ins Zimmer gekommen und hatte gratuliert, mit anscheinend freudig geröteten Wangen. Sie, die selten Rot auflegte, hatte es heute getan, denn sie hatte im Spiegel festgestellt, sie sah totenbleich aus. Ihren Groll drängte sie mit aller Kraft zurück, aber ihre Gedanken flogen umher und suchten: Warum hatte Fred Ulrich um Waltrauts Hand gebeten? Denn immer sicherer wurde sie in der Annahme, gekommen war er doch ihretwegen, nur ihretwegen!
Dunkel und schwer wie eine graudüstere Wolke schien ihr das Rätsel, eine Wolke, die häßlich am blauen Himmel dieses strahlend schönen Frühlingshimmels hing. Äußerlich fand sich Inge sofort mit dem Geschehenen ab, aber innerlich nicht. Da grübelte sie und grübelte sie.