Читать книгу Der Schwester Rache - Anny von Panhuys - Страница 5

Flirt.

Оглавление

Vierzehn Tage lang vermied es Erich Dierssen, den Weg nach der Wilmersdorfer Strasse anzutreten, trotzdem ihn seine Sehnsucht fortwährend in lockendem Spiel mit einem entzückenden, von flimmerndem Braunhaar umbauschten Mädchenkopf umgaukelte, darin zwei blaue Augen tief leuchteten. Endlich aber vermochte er seinem Verlangen nicht mehr zu widerstehen, und an einem sonnenklaren Aprilnachmittag stand er vor dem Hause, das ihn anzog, seit er wusste, welche Schönheit unter diesem Dache lebte. Er las die Schilder neben dem Eingang, doch keines liess natürlich die Deutung zu, der darauf verzeichnete Name könnte irgendwie mit den jungen Mädchen in Verbindung stehen.

Eine einfache Frau trat aus der Tür; wahrscheinlich die Hausmannsfrau.

Er grüsste und fragte.

Die Frau lachte mit breitgezogenem Mund.

„Jawoll, ich bin die Portjehfrau, heisse Kerkow und kenne die Leute in das Haus alle aus’m FF.“

Er lächelte liebenswürdig.

„Dann können Sie mir vielleicht sagen, verehrte Frau Kerkow, wer hier in dem Haus vor ungefähr zwei Wochen gestorben ist, es handelt sich um eine wichtige Angelegenheit für mich und“ — er fingerte vielsagend mit einem Geldschein umher, den er aus der Westentasche gezogen hatte.

Die Frau nickte. „Natürlich kann ich Ihn’ Auskunft jeben. Vor vierzehn Tagen is hinten ins Jartenhaus drei Treppen der Ilasmaler Wolfgang Römer gestorben.“

„Hat er Kinder hinterlassen?“ fragte Erich Dierssen schnell.

„Woll’n Sie erben?“ kam die überlegene Gegenfrage. Und dann redete die Frau gleich weiter. „Wenn Sie sich vielleicht einbilden, dass der Ilasmaler was zu erben hat, denn irren Sie sich feste, höchstens Schulden, un seine beiden Mächens haben nichts zu nagen und zu beissen. Hübsche Mächens, das muss beide der Neid lassen, aber arme Luders, janz arme Luders. Doch zum Ilück haben sie einen juten Vormund erwischt, ’nen früheren Freund von ihrem Vater, der wird schon sorjen, dass nichts Schlimmes an sie heran kann, sonst is es ja man faul mit so ’ne hübsche Mächens in der Irossstadt; bei arme Mächens denken die Herren meistens nich so rasch ans Heiraten.“

Erich Dierssen dachte ein bisschen unbehaglich: „Schwätzerin,“ laut sagte er: „Sie haben vollkommen recht, Frau Kerkow. Aber nun möchte ich von Ihnen wissen, wann ich die Töchter des Verstorbenen am besten sprechen kann, ich habe den Damen eine dringende Mitteilung zu machen.“

Die Frau wiegte den Kopf bedächtig hin und her.

„Dann werden Sie sich wohl ein Stück weiter bemühen müssen, vorjestern sind die Schwestern ausjezogen, nach ’m Norden, Scharnhorststrasse, wo’s die vielen Kasernen und die viele Soldaten jibt. Sie wohnen bei ihr’m Vormund, Bäckermeister Overmann. Das Alleinwohnen is ja auch nichts für so junge Dinger. Die jrosse, die ins Kontor jeht, is neunzehn, die kleine Schwester noch nich janz fünfzehn, und keine Mutter!“ Sie machte eine mitleidige Bewegung: „Jott, wenn ich denke, meine Mächens hätten keine Mutter!“

Erich Dierssen schob ihr den Geldschein zu.

„Vielen Dank für freundliche Auskunft,“ und weg war er. Die Frau blickte ihm etwas verdutzt nach, sah noch, wie er drüben, jenseits der Strasse auf die Elektrische sprang, die den Buchstaben W trug und nach der Scharnhorststrasse fuhr, an welcher der W-Wagen vorbeikam.

Erich Dierssen war es gleich, was die redelustige Frau von ihm dachte, er sann eifrig darüber nach, wie er nun wohl am schnellsten die kurze Bekanntschaft mit dem schönen Mädchen auffrischen konnte. Der Vormund störte entschieden, mit einer Mutter wäre das Spiel leichter gewesen. Spiel? Ach nein, ein Spiel wollte er ja nicht treiben, aber ernsthafte Absichten hatte er natürlich auch nicht. Eine arme Frau konnte er nicht brauchen, zum Heiraten war Professor Zanders Freda die rechte, aber fürs Herz, da suchte man sich doch lieber so etwas Zartes, unsagbar Süsses, wie das braunlockige Mädel! In einem Kontor war sie also beschäftigt, diese Zarte, Süsse? Da ergab sich sicher Gelegenheit, ihr aufzulauern.

Der Schaffner rief mit heiserer Stimme: „Scharnhorststrasse.“

Erich Dierssen wanderte am Invalidenpark vorbei, er wollte die Strasse hinunter gehen und unterwegs acht geben auf den Laden des Bäckermeisters Overmann. Vielleicht sah er sie selbst oder begegnete ihr, wenn sie aus dem Kontor kam.

Die Uhr zeigte schon etwas über sechs, und die meisten Bureaus schlossen um fünf Uhr. Er warf einen Blick zur Rechten in den Park hinein. Soldaten spazierten darin umher und freuten sich an dem ersten knospenden Grün, das die braunen Zweige der Büsche krönte. Und da, er erschrak wirklich, mitten auf dem Wege schritt langsam ein zierliches, in stumpfes Schwarz gekleidetes Mädchen, unter dem zurückgeschlagenen, düsteren Trauerschleier sah ein bleiches, schönes Antlitz hervor mit dunklen Veilchenaugen. Und der Blick dieser Augen traf sich mit dem seinen, während eine lichte Röte über die schmalen Wangen hinfloss, wie ein mattfarbener Blutstrom.

Wie wunder-, wunderschön sie ist! freute sich Erich Dierssen. Gleich ging er dem in tiefe Trauer gekleideten Mädchen entgegen und zog den Hut.

„Mein gnädiges Fräulein, wie freue ich mich, Sie wiederzusehen, und wie dankbar bin ich dem Zufall, der uns heute zusammenführt, habe ich doch letzthin an nichts anderes gedacht, als an Sie, immer nur an Sie!“

Margarete Römer war unwillkürlich stehengeblieben, und ihr Herz tat einen so eigenen, glücklich-bangen Schlag! Die Worte, die der stolz und gebietend aussehende Mann gesprochen, waren wie ein Lautwerden ihres eigenen Denkens und Empfindens. Hatte doch auch sie oft, unendlich viel an ihn, der einmal flüchtig ihren Lebensweg gekreuzt, denken müssen, immer an ihn denken müssen, Tag und Nacht, im Kontor bei der Arbeit und daheim.

Sie fand keine Antwort, die herrischen Augen machten sie schwach.

Erich Dierssen benützte den Vorteil, der sich ihm bot.

„Nun wird ernstlich Frühling und man soll die schönen Stunden im Freien nützen! Kommen Sie, wandern wir noch ein wenig durch den Park und erzählen wir uns von einander.“

Margarete schüttelte den Kopf.

„Onkel und Tante erwarten mich, das heisst,“ unterbrach sie sich, „ich nenne meinen Vormund und seine Frau so, Verwandte habe ich keine.“

Er sah sie mitleidig an.

„Es tut mir leid für Sie, dass Sie den Vater verlieren mussten.“

Seine Stimme konnte unendlich weich klingen.

In die dunklen Veilchenaugen trat ein feuchter Glanz, klagend kam es über die jungen Lippen:

„Der arme, liebe Vater, das Leben ist so schwer ohne ihn!“

Er ergriff, wirklich ein wenig gerührt, die Rechte des jungen Mädchens und sprach sanft:

„Das Leben soll für Sie nicht schwer fein, wenn Sie mir gestatten, Ihnen hilfsbereit mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Ich möchte Ihr Bruder sein, Ihr Freund.“

Warm und bewegt schlugen die Worte an Margaretes Ohr und weckten leise ein Echo in ihrem Herzen. Ein schwaches Lächeln erblühte um ihren rosigen Mund, als sie antwortete:

„Sie sind mir doch ein Fremder, ich bin Ihnen eine Fremde, Sie wissen nichts von mir, ich nichts von Ihnen, wie könnten wir Freunde sein?“

Er wandte sich um. „Kommen Sie, gehen wir durch den Park, dann erzähle ich Ihnen dabei, wie ich es denke, Ihr Freund zu sein.“

Margarete schritt gehorsam neben ihm her. Seine Stimme schlug sie in Bann, seine Augen zwangen sie, zu tun, was er bat. —

So wanderten die beiden durch die Parkwege, über die der Vorfrühlingsabend leise und unmerklich seine abendlichen Schleier wand, und Margarete Römer lauschte andächtig auf die zärtlichen Huldigungen des Mannes, der wie ein Sieger in ihr kleines, bisher so eng begrenztes Leben getreten war.

Von nun an trafen sich Erich Dierssen und Margarete Römer öfter, und die Liebe verschönte Margarete noch mehr. Fast unirdisch schritt sie durch die arbeitsvollen Grossstadttage und es ging wie ein Glanz von ihr aus, wie von einer jener wundersamen Madonnen, die, von gebenedeiter Künstlerhand geschaffen, in stillen alten katholischen Kirchen stehen. —

Ein Schweben war Margaretes Gang in diesen Frühlingstagen und das Leuchten ihrer Augen wie heilige Kerzen, so dass man fast vor der herzbeseligenden Anmut und Schönheit der jungen, liebenden Margarete Römer erschrak. —

Der Schwester Rache

Подняться наверх