Читать книгу Der Schwester Rache - Anny von Panhuys - Страница 8

Eine schnelle Verlobung.

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Der Geheime Regierungsrat Professor Zander machte eine weitausholende Bewegung mit den Armen und reckte dabei seinen breiten, mächtigen Körper, der auf etwas zu kurz geratenen Beinen sass. Er sah sich in dem grossen, kahl wirkenden Laboratorium um, schob ein paar Retorten auf einem weissgescheuerten Tisch zurecht und sagte mit einem unterdrückten Gähnen zu seinem sich unter der Wasserleitung eifrig mit einer Bürste die Hände bearbeitenden Assistenten:

„Eilen Sie sich doch ein bisschen, lieber Dierssen, damit wir zu Tisch kommen! Wir haben heute genug geschafft und ich habe meinen Damen fest versprochen, Sie heute mitzubringen.“ Er lachte dröhnend. „Lebendig oder tot mitzubringen! In letzter Zeit haben Sie sich ja sündhaft um unsere Gesellschaft herumgedrückt, meine Freda bildete sich schon ein, Sie hätten uns irgend etwas übelgenommen.“

Erich Dierssens Gesicht färbte sich um einen Schatten dunkler, während er seine Hände sorgfältig abtrocknete, erwiderte er schnell:

„Aber ich bitte, Herr Professor, da irrt das gnädige Fräulein ganz entschieden. Man begegnet mir in Ihrem Hause mit so viel unverdienter Güte und Aufmerksamkeit —“

„Schon gut,“ unterbrach der Professor, „Schon gut! Dann zeigen Sie sich erkenntlich und eilen Sie sich, damit wir hier herauskommen, ich verhungere sonst.“

In fünf Minuten befanden sich die beiden Herren auf der Strasse und bestiegen ein Auto, das in schnellster Fahrt mit ihnen davonsauste.

In der Rauchstrasse befand sich das kleine vornehme Haus des berühmten Chemikers Professor Josef Zanders, und alles, was in Berlin klangvollen Namen besass, oder wenigstens die Anwartschaft auf einen zukünftigen Namen geltend machen konnte, verkehrte darin. Zu den am liebsten gesehenen Bekannten gehörte Dr. Erich Dierssen, den der Professor ausserordentlich schätzte, und mit dem er zur Zeit an einer gemeinsamen, für die menschliche Ernährung höchst bedeutungsvollen Erfindung arbeitete.

Das Auto fuhr vor dem villenartigen, zweistöckigen Hause vor, und die Herren stiegen aus. Ein Diener nahm Ueberzieher und Hüte entgegen, und Erich Dierssen ging neben dem wuchtig ausschreitenden Professor her. Ein weites, mit prächtigen alten Ebenholzmöbeln ausgestattetes Gemach öffnete sich vor ihnen.

Aus purpurnen Sesselpolstern erhoben sich zwei Damen eine goldblonde, die auf den ersten Blick als die jüngere erschien, und eine mit glattem, dunklen Scheitel und klugem, gradlinigen Gesicht. Die blonde Dame war Frau Professor Meta Zander, die andere ihre Tochter Freda; die Aehnlichkeit mit dem Vater war unverkennbar. Auch in der Gestalt, was Frau Meta oft Sorge bereitete. Sie hätte ihrer Tochter gern ihre eigene Figur gewünscht. Und wie die Gestalt so war auch der Charakter Fredas. Etwas derb und grob, aber fest und ohne Falsch.

Frau Meta kam den Herren durch das halbe Zimmer entgegen und bot erst dem Gatten, dann dem Gaste die Hand zum Kusse.

„Nun, sieht man Sie endlich auch einmal wieder, Doktor, Sie vernachlässigen uns ja schon seit mindestens zwei Wochen.“

Freda lachte. „Zwei Wochen und drei Tage, liebe Mama!“

Dr. Dierssen verneigte sich.

„Ich bin glücklich, vermisst worden zu sein und gelobe Besserung. Ich hatte in letzter Zeit viel zu tun mit der Korrektur meiner Broschüre über organische Chemie.“

Freda Zander nickte.

„Sie sind entschuldigt, Herr Doktor.“ Ihre grauen, grossen Augen sahen ihn mit unverkennbarer Zuneigung an.

Man ging zu Tisch und es war sehr gemütlich und behaglich, da heute ausser Erich Dierssen kein Gast an dem Essen teilnahm. Professor Zander ass viel und kräftig und liebte es, während der Mahlzeit laut und lebhaft zu sprechen. Er erzählte von der neuen Erfindung und lobte seinen Assistenten, der bescheiden abwehren wollte.

Josef Zander hob warnend den Finger.

„Nicht zu bescheiden, Doktorchen! Ehre, dem Ehre gebührt! Habe noch nie einen Assistenten gehabt, mit dem ich so gewissenhaft meine eigenen Gedanken und Ansichten teilen und verarbeiten konnte, wie mit Ihnen. Sie nehmen meine Anregungen so selbstverständlich auf, als seien sie in Ihrem Hirn geboren, und ich habe bei dem, was Sie ersinnen, stets das Gefühl, das hätte ich erdacht!“

Fredas Gesicht ward warm und belebt. Wie sie sich über eine solche Aeusserung ihres Vaters freute! Es war ein grosses, gewaltiges Lob, in solcher Weise von dem Vater anerkannt zu werden, denn der Vater war ein Erster in seinem Beruf. Sein Name war wertvoll und wog schwer, wo Menschen wohnten, die etwas von Chemie verstanden. —

Sie trank von dem leichten Tischwein in demselben Augenblick, da auch Erich Dierssen sein Glas zum Munde führte. Zwei Augenpaare begegneten sich wie grüssend. Erich Dierssen dachte vergnügt, wie günstig es doch für ihn war, dass Freda Zander, die Reiche, Vielumworbene, ihn unter all ihren zahlreichen Verehrern stets deutlich auszeichnete. Er wusste wohl, dass die Bekannten des Zanderschen Hauses in ihm schon den zukünftigen Schwiegersohn des berühmten Chemikers sahen und man ihn viel beneidete. Flüchtig, wie eine Fata Morgana, glitt Margarete Römers zarte Schönheit an ihm vorüber, doch dann blickte er mit werbendem Blick hinüber in Freda Zanders stets rosig frisches Gesicht, aus dem die grossen Grauaugen so zielbewusst und zufrieden in die Welt schauten. —

Nach Tisch ging man in einen nach dem Garten zu gelegenen schönen Raum, in dem hohe Palmen standen und ein kleiner Springbrunnen sein leichtes, einförmiges Plätschern hören liess, dazu erfüllte eine grosse Marmorbüste Josef Zanders den Raum mit Wichtigkeit und Feierlichkeit. —

Frau Meta schmiegte sich in einen tiefen Sessel, ihr Mann rückte den seinen heran, Freda und Erich Dierssen aber sassen bereits abseits, dicht vor der grossen Büste des berühmten Chemikers. Dadurch wurden die ehrgeizigen Gedanken in der Brust des Mannes stärker angefacht und sein Denken ging glatt und kalt prüfend die Wege ab, auf denen er vordem halb spielerisch schon oft herumgeschlichen. Er stammte aus kleiner, einfacher Beamtenfamilie, Vater und Mutter ruhten längst auf einem Provinzfriedhof Westpreussens; mit Hilfe seines knappen Erbes hatte er studiert, sein brennender Ehrgeiz hatte Hunger und Sorge bezwungen und die Sehnsucht nach Genuss, die in ihm lebte, tapfer niedergekämpft, bis es ihm gelungen war, festen Boden unter die Füsse zu bekommen. —

Seit Erich Dierssen im Laboratorium Professor Zander arbeitete, war er über den Berg; seitdem schwankte der Boden, auf dem er stand, nicht mehr, seit er im Hause des berühmten Mannes wie ein guter Freund verkehrte, lag die Zukunft in Glanz und Sonne vor ihm. Freda Zander, das einzige Kind des Professors, liebte ihn, sie war reich, war klug, sah gut aus — ja, was wollte er denn noch mehr? Wenn er, der bewährte Gehilfe des Professors, in absehbarer Zeit dessen Schwiegersohn wurde, welche Hindernisse gab es dann wohl noch, dass der kleine Beamtensohn Erich Dierssen eines Tages Hochschulprofessor ward.

Das schwebte ihm als Ziel seines Ehrgeizes vor. Aber Freda Zander gehörte als eine der wichtigsten Zahlen mit auf diese Zukunftsrechnung.

In seine Augen trat etwas Prüfendes, Abwägendes.

Ganz flüchtig huschte abermals die Gestalt der lieblichen Margarete Römer an seinem Geiste vorüber.

Morgen, Sonntag, sah er sie wieder, morgen gehörte ihm ihre bezaubernde Holdseligkeit einen ganzen langen Frühlingstag, heute aber galt es, vernünftig zu sein. Länger als vierzehn Tage hatte er über seiner Verliebtheit zu Margarete vergessen, dass es eine Freda Zander gab, eine Freda Zander, der man die Liebe zu ihm vom Gesicht ablesen konnte.

„Weshalb sind Sie so still, Herr Doktor?“

Fredas Stimme entriss ihn seinem Sinnen und Abwägen.

„Ich dachte an meine Unterlassungssünde, diesem lieben, gastlichen Hause zu lange fern geblieben zu sein. In Ihrer Gesellschaft empfinde ich erst wieder so recht, was ich dadurch verlor, gnädiges Fräulein.“

„Wenn dem so ist, dann kommen Sie fortan nur recht oft.“

Jetzt blickte sie ihn leicht von der Seite an.

Erich Dierssen dachte, dass die Gelegenheit günstig sei, zum Ziele zu gelangen. Seine wochenlange Abwesenheit hatte Fredas Liebe noch gesteigert, ihr ganzes Wesen drückte die Sehnsucht aus, er möge sich zu ihr bekennen.

Seine Augen suchten die ihren und hielten sie mit dunklen Blicken fest.

„Am liebsten bliebe ich ja für immer in dieser ruhigen, stillen Vornehmheit, bliebe in Ihrer Nähe, Fräulein Freda, aber —“ er seufzte.

Das junge Mädchen fühlte lebhafteren Herzschlag und leise wiederholte es: „Aber?“

Eine einzige grosse Frage war dieses Aber und eine Bitte, weiter zu sprechen.

Erich Dierssen zog die Brauen zusammen.

„Ich glaube, Sie verstehen, was ich anzudeuten wagte, Fräulein Freda, doch kann und darf ich nicht deutlicher werden, denn ich bin ein Mann, der erst seinem Gefühl folgen will, wenn er Stellung und Geld erworben, um der Frau seines Herzens das zu bieten, worauf sie Anspruch erheben darf.“ Er hielt plötzlich inne, als hätte er schon zu viel gesagt.

Fredas Wimpern zuckten, doch sie hielt dem Blick Erich Dierssens stand.

„Ach, lieber Herr Doktor, ich meine, man soll nicht zuviel an Später denken — und dann, mein Vater sagt, Sie hätten eine glänzende Zukunft.“

Erich Dierssens Stolz und Selbstbewusstsein schwoll hoch auf. Sein scharfes Gesicht leuchtete, und einen beobachtenden Blick auf die abseits eifrig plaudernden Eltern des jungen Mädchens werfend, nahm er Fredas feste, nicht allzu kleine Hand zwischen seine Finger.

„Glauben Sie auch an meine glänzende Zukunft, Fräulein Freda?“

Leise und eindringlich fragte er es.

Das Mädchen nickte eifrig.

„Bestimmt glaube ich daran!“

„Glauben Sie so bestimmt daran, Fräulein Freda, dass Sie den Mut hätten, diesen Weg in die Zukunft gemeinsam mit mir zu machen?“

Er war nun doch etwas erregt, auf die Beantwortung dieser Frage kam so viel an, sie gab seinem Leben, seiner Zukunft einen festen, starken Rahmen. Freda Zander war nicht die Erstbeste, ihr Ja oder Nein gab Reichtum, Einfluss, Macht und Ehren. Auch allein kam er wohl zur Höhe, rascher und sicherer aber mit einer Weggefährtin wie sie.

Fredas rosiges Gesicht wurde plötzlich blass vor Ernst, ihre Lippen bebten, als sie bekannte:

„Ich kann mir nichts Schöneres denken, als mit Ihnen der Zukunft entgegenzugehen.“

Da legte er seinen Arm um ihren Hals und küsste den frischen Mädchenmund.

„Nanu?“ Professor Zander sprang auf. „Was gibt es denn da hinten?“

Freds entwand sich dem Arm Erich Dierssens und sprang auf.

„Eine Verlobung gibt es hier hinten, Vater und Mutter, eine richtige Verlobung!“

Verlobung! Erich Dierssen erschrak, wie Fredas kräftige Stimme das Wort so vergnügt und sicher hinausschmetterte. Verlobung! Nun war das, was er erhofft und errechnet, also erreicht, er war der Verlobte der reichen Freda Zander, der Tochter des berühmten Mannes, der ihm auf der Ruhmesleiter ein gut Stück vorwärts helfen konnte.

Er straffte seine hohe Gestalt auf und gab seinen Zügen die gewisse Feierlichkeit, die ihm für diese Stunde notwendig dünkte, dann ging er auf Fredas Eltern, die ihm entgegensahen, zu und sprach, sich tief verneigend, rasch:

„Gnädigste Frau Professor, hochverehrter Herr Professor, ich bitte tausendmal um Vergebung, dass ich mich von meinem Gefühl hinreissen liess, so gewissermassen hinter Ihrem Rücken Ihrer Tochter eine Liebeserklärung zu machen, aber die Leidenschaft kümmert sich wenig um Form und Vorschriften. Deshalb seien Sie gütig und gewähren Sie mir das Glück, Freda mein nennen zu dürfen.“

Der Professor sah ihn mit langem, ernstem Blick an; seine Augen hinter den scharfen Brillengläsern schienen dem Jüngeren bis auf den Grund der Seele blicken zu wollen. Dann wandte er sich seiner Frau zu, die sich nicht erhoben hatte, wie er.

„Nun, Meta, was meinst du, wollen wir ihm unser bestes Besitztum abtreten, glaubst du, dass unsere Freda in treuer Hut bei ihm ist?“

Die blonde, schlanke Frau Meta, deren Mund fast immer lächelte, hatte plötzlich all die Mütterlichkeit, die ihr sonst nach aussen völlig fehlte.

„Ja, Josef, ich glaube, wir können es tun, haben wir doch seit langem beobachtet, dass Freda ihm gut ist.“ Plötzlich fragte sie laut: „Herr Dr. Dierssen, können Sie beschwören, unsere Freda mehr als alles andere auf der Welt zu lieben?“

Erich hatte das unangenehme Gefühl, dass ihm von einem Richter völlig unvorbereitet ein schwerer Eid zugeschoben würde.

Frau Meta Zander, die ihm bisher die Vertreterin der modernen grossstädtischen Gesellschaftsdame erschienen, dünkte ihm mit einem Male eine völlig andere. Ihre graublauen Augen hatten etwas Strenges, als wollten sie ihn warnen, die Unwahrheit zu sprechen.

Die scharfe Sprache lag wie ein Hindernis auf ihm, und er musste sich zusammenraffen, um darüber hinwegzukommen. Und wieder, wie schon zweimal heute in diesem Hause, schien etwas Süsses, Knospenzartes vor ihm aufzusteigen, Margarete Römers holde Anmut flehte: Schwöre nicht falsch, du liebst sie ja nicht, diese kluge, sichere Freda Zander, du liebst mich, nur mich.

Er strich sich unbewusst über die Stirn.

„Gnädige Frau,“ begann er, und nochmals „Gnädige Frau —“

Da eilte Freda herbei und stand wie eine Beschützerin an seiner Seite. Ihr gutes, ehrliches Gesicht war tief gerötet.

„Aber Mama, quäle Erich doch nicht unnötig! Wozu Schwüre und Versprechungen! Wenn er mich nicht lieben würde, hätte er es mir nicht gesagt. Ein Mann wie Erich Dierssen findet reichere und schönere Frauen als wie mich, wenn er will und ich, ich liebe ihn über alles.“

Er lächelte sein altes Siegerlächeln, und fast übermütig kam es aus seinem Munde:

„Ich schwöre, dass ich sehr glücklich sein werde, wenn sich Freda meine Braut nennen darf!“

So, nun hatte er sich klug um den verzwickten Schwur herumgedrückt.

Da lächelte auch Frau Meta und reichte ihm impulsiv beide Hände.

„Lieber Doktor, eigentlich sollte ich schon aus Eitelkeitsgründen „nein“ sagen, denn so ein mächtig erwachsener Schwiegersohn macht einen alt.“

„Nun besitze ich Glückspilz die schönste und jüngste Schwiegermutter in ganz Berlin.“

Der Schwester Rache

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