Читать книгу Der Schwester Rache - Anny von Panhuys - Страница 9
Ein Tag des Glücks.
ОглавлениеErich Dierssen war es sehr angenehm, dass ihm Frau Meta eröffnete, morgen, Sonntag, solle er noch einmal all seine Verliebtheit und Bräutigamswünsche zurückdrängen und sich den ganzen Tag nicht sehen lassen, man habe eine Verabredung mit Freunden, die man innehalten müsse, und das junge Paar dürfe sich jetzt nicht eher zusammen öffentlich zeigen, bis die Verlobungskarten versandt seien, was frühestens am Dienstag geschehen könne.
Erich Dierssen fügte sich scheinbar schwer in diese Bestimmungen, doch freute er sich innerlich darüber. Nun blieb ihm sein Sonntag mit Margarete Römer, dieser Sonntag, der ihm so viel geben sollte. Hatte er Margarete doch bisher nur des Abends ein knappes Stündchen in irgend einer kleinen Konditorei sehen können. Zu dumm war das gewesen, und er war sich stets vorgekommen wie ein verliebter, dummer Schuljunge, der eine Heldentat zu vollbringen glaubt, wenn er mit einer höheren Tochter heimlich zusammentrifft.
Am Sonntag früh traf man sich am Potsdamer Bahnhof. Margarete war pünktlich, und Erich Dierssen meinte, sie niemals vordem so schön gesehen zu haben. Sie hatte heute den grossen Trauerschleier von dem einfachen, runden Hütchen entfernt, und ein kleiner weisser Tüllstreifen an Kragen und Aermel gab dem düsteren Kleid eine lichte Note.
Sie fuhren nicht nach Potsdam, sondern weiter. Potsdam schien Erich Dierssen plötzlich gefährlich, er konnte Bekannte treffen und musste sich doch jetzt in Acht nehmen, Dienstag flogen ja seine Verlobungskarten durch Berlin.
Er sass in etwas gedrückter Stimmung neben Margarete in dem überfüllten Abteil, und sie wechselten nur ab und zu einen belanglosen Satz. Auch Margaretes Stimmung war unfrei. Sie hatte Onkel und Tante belogen, um sich den heutigen Ausflug zu verschaffen, das lastete auf ihr. Sie schämte sich dessen. Weshalb war die Lüge nötig und die allabendlichen Ausreden wegen des Zuspätkommens? Erich liebte sie und er hatte es ihr oft genug gesagt, weshalb schuf er dann nicht klare, reine Verhältnisse und kam zu ihrem Vormund, ihm von seiner Liebe zu ihr zu sprechen? Sie wollte ihm das sagen, heute sagen — irgendwo draussen im Wald, wenn die allein waren mit ihrem Glück. Dieses Lügen und Vertuschen lag ihrer Natur nicht.
In Potsdam stiegen viele Fahrgäste aus, auch auf den nächsten Stationen, endlich verliessen auch sie den Zug. Wo? Margarete achtete nicht einmal darauf, welcher Name an dem kleinen Bahnhofsgebäude stand.
Arm in Arm gingen sie ein Stückchen Chaussee, dann nahm sie ein Waldweg auf. Dunkel standen hohe Fichten, und die goldene Frühlingssonne malte goldene Kringel zu ihren Füssen. Margarete ging dahin wie im Traum. Die würzige Waldluft tat ihr unendlich wohl.
Wie lange war sie nicht mehr draussen gewesen in freier Natur! Die letzten Jahre hatte sie die Kränklichkeit des Vaters stets zurückgehalten in dem Häusermeer Berlins, zuletzt hatte sie kaum noch daran gedacht, dass sich rings um Berlin dichter Wald zog, dass stille, verschlafene Seen eingebettet lagen zwischen Tannen und Eichen, dass es einsame Forsthäuser gab, die wie Friedensoasen waren. Heute, an diesem sonnigen Maientag, wusste sie das alles wieder, und langsam schwand ihre Bedrücktheit, und das Glück des Tages malte ihre Wangen rosig, gab den dunkelblauen Augen ein wundersames Leuchten.
„Wie schön du bist, Margarete!“
Erich Dierssen zog ihren schlanken Arm fester unter den seinen und weltentfernt rückte ihm jeder Gedanke an Freda Zanders derbgesunde Gestalt. „Heute wollen wir den Tag recht nützen“ sagte er, sich zu ihr neigend.
„Wohin gehen wir?“ fragte sie lächelnd.
Er machte ein geheimnisvolles Gesicht.
„Was bedeuten Namen, Margarete? Lass dich führen! Ich weiss einen Ort an einem stillen See, auf dem Schwäne schwimmen, ein einstöckiges Haus liegt dort, und alte Bäume schmückten sich für uns wohl gerade mit dem ersten Grün. Tische stehen am Ufer, und eine freundliche Frau freut sich, wenn Menschen zu ihr kommen, denen man die Liebe vom Gesicht ablesen kann, wie uns beiden; sie bringt uns Erfrischungen nach unserem Waldspaziergang, und dann fahren wir über den See, und wenn wir Glück haben, finden wir wenig Menschen in dem kleinen Paradies, das ich im vorigen Jahr an einem heissen Sommertag entdeckte und wohin ich schon ein paarmal pilgerte, um auszuruhen von der Arbeit.“
Margarete sah strahlend zu ihm auf.
„Wie hübsch du das gesagt hast, nun bilde ich mir ein, du führst mich in ein Zauberland.“
Sie lachte silberhell und von Erich Dierssen fiel aller Ehrgeiz und alles Strebertum ab und blieb irgendwo auf dem Wege durch den sonnendurchzitterten Fichtenwald liegen. Jungburschenselig und -fröhlich, sein süsses Mädel am Arm, schritt er dahin, und wo die Sonnenstrahlen am goldigsten an den düsteren Fichtenstämmen niederrannen, da küsste er Margarete in taumelnder Seligkeit, und kein Gedanke kam ihm, dass er erst gestern mit einer anderen den Verlobungskuss getauscht.
Eine Maienwanderung durch Ströme von Sonne, durch würzige Waldesluft und der Himmel war so blau und die Lerchen sangen ihr altes, geheimnisvolles Lied von Liebe und Jugend und Seligkeit.
Der Wald lichtete sich, ein rotes Ziegeldach schwamm wie der Kelch einer grossen Mohnblume in der fernen Helle, und dann tauchte ein weisser Hausgiebel auf, und durch grünes Buschwerk schimmerte silbern ein See. Schüchterne Blütenbäume standen in weiss und rosig versponnene Träume gewiegt. —
Sie hatten Glück, noch kein einziger Sonntagsausflügler hatte sich heute in die Stille des kleinen Dörfchen verlaufen, und die Wirtschaft „Jägerheim“ lag im Sonnenglast friedlich wartend da, blau überstülpt von der glasig klaren Himmeldecke. An einem Tisch am Rande des Sees nahm das Paar Platz, und da die Uhr bald die Mittagsstunde zeigte, bestellte Erich Dierssen Essen und Wein.
Margarete trank hastig. Das ungewohnte anregende Getränk schmeckte ihr, und sie wurde gesprächig, erzählte von allem, was sie anging. Holte aus Schubläden ihrer Erinnerung mancherlei als wichtig hervor, was den Mann kindlich harmlos anmutete, und redete dann ohne Scheu von ihrer Liebe zu ihm, die so urplötzlich in ihr Leben gekommen war, gleich einem grossen, schönen Wunder.
Der Wein hatte ihr die Befangenheit genommen, die ihrem Wesen sonst anhaftete, und der Mann fühlte fast körperlich, dass Ströme von Liebe von ihr zu ihm herüberflossen. Himmelherrgott, welch ein entzückendes Geschöpf hatte ihm das Schicksal doch in Margarete Römer zugeführt!
Was war dagegen Freda Zander!
Plump war sie und derb!
Nicht an sie denken, nicht jetzt an sie denken!
Er stürzte hastig ein Glas Wein hinunter, und in seiner Stimme klang Leidenschaft, als er Margarete zuraunte:
„Ich habe dich lieb, über alles lieb, Mädelchen, aber rede jetzt nicht von Onkel und Tante, von Vormund und Schwester! Denke, wir beide seien ganz allein in der Welt, zwei freie Menschen, die tun und lassen können, was sie wollen.“
Ueber Margaretes Stirn glitt ein rascher Schatten.
„Tun und lassen was wir wollen? Ach nein, Erich, so freie Menschen sind wir beide nicht. Aber das ist auch nicht notwendig, man kann schon ein bisschen Rücksicht auf seine Nebenmenschen nehmen. Und dabei fällt mir ein, Erich, ich darf abends nicht mehr so spät nach Hause kommen, der Onkel beklagt sich darüber, er ist gewohnt pünktlich zu essen, und die Lüge, die ich ersann, um den heutigen Sonntag für dich frei zu haben, fiel mir auch sehr schwer — ich meine, das ist doch alles gar nicht nötig.“
Er lachte. „Nein, eigentlich nicht, du müsstest nur fortziehen aus dem Philisterheim, in das man dich eingefangen. Bist ja neunzehn Jahre und es gibt genug gemütliche Zimmer in Berlin, wo du wohnen kannst.“
Margarete blickte den Mann verständnislos an.
„Ich sollte die guten Overmanns verlassen? Ja, aber dazu ist doch gar kein Grund! Sie dürfen doch von unserer Liebe erfahren, wir tun ja nichts böses, dass wir uns lieb haben!“
Erich Dierssen durchfuhr ein jäher Schreck. So war es also gemeint! Donnerwetter, daran, an eine solche Auffassung der Sachlage von seiten Margaretes, hatte er noch keine Sekunde gedacht.
Nichts lag ihm ferner als das. O, da hätte er sich ja beinahe eine feine Suppe eingebrockt! Margarete glaubte in aller Naivität an eine höchst biedere Entwicklung ihres beiderseitigen Verhältnisses, dachte an Geständnisse, an Vormundsegen und Ehe! — etwas verblüfft starrte er vor sich hin. Er hatte bisher in Margarete eine schöne, reizvolle Geliebte gesehen, bei der er all das zu finden gehofft, was ihm Freda Zander nicht zu geben vermochte; langsam hatte er sie darauf vorbereiten wollen.
Er schlug nach einer aufdringlichen Fliege.
„Wollen jetzt nicht so ernsthafte Dinge besprechen, Kleines, komm, wollen Kahn fahren, nachher gehen wir ins Haus, und da gibt es ein dämmerkühles Balkonzimmer, dort essen wir und reden von unserer Liebe, kein Mensch stört uns da,“ er nahm ihre Hand, die lässig auf dem Tische lag. „Ich habe dich über alle Massen lieb, kleine Margarete. Was kümmern uns die anderen Menschen —!“
Sie schwieg, aber um ihren Mund lag ein kleiner weher Zug, sie verstand den Mann ihrer Liebe nicht.
Dann ruderten sie auf dem See umher, wo weisse Schwäne ihre Kreise zogen, und Margaretes Lachen klang wieder silbern auf. Später gingen sie im Walde spazieren, und danach sassen sie in einem traulichen Balkonzimmer und sahen auf den See hinaus, über den schon leichte Abendschatten huschten. Sie küssten sich und des Mannes Leidenschaft sann, wie er wohl am besten das liebliche Mädchen für sich behalten konnte, ohne dass er sich dadurch den Weg zu Reichtum und Ehre verbaute, zu dem ihm Freda Zander Mittel und Zweck sein sollte. —
Und Margarete Römer nahm die Glücksstunde wie einen glühroten, duftenden Rosenstrauch, sie vergass den Vormund und seine mollige Frau, vergass die kindliche Schwester und den toten Vater. Der Maienabend war so wunderschön, vom Himmel leuchteten die ersten Sterne und spiegelten sich in dem dunkler und dunkler werdenden See, und Erich Dierssens Lippen küssten ihr die Ueberlegung fort. Margaretes Liebe war so gross, ihr Sinn so rein, wie hätte sie schlecht denken sollen von dem Manne, dem sie ihr Herz so schnell und jubelnd zu eigen gegeben!
Zwei Tage darauf las Margarete Römer in einem grossen Berliner Tageblatt die Verlobungsanzeige Erich Dierssens und dazu unter der Rubrik: „Aus der Gesellschaft“: „Wie wir hören, hat sich der bewährte Assistent des berühmten Professors Zander, Dr. Erich Dierssen, mit dessen einziger Tochter Freda verlobt.“
Da erschien Margarete plötzlich Erich Dierssens Abwehr, als sie von Onkel und Tante gesprochen, in völlig anderer Beleuchtung. Sie verstand plötzlich und wurde sehend und hellhörig.
Er traf sich mit ihr, und da sagte sie ihm ihr Wissen, ihren wahnsinnigen Schmerz zurückdrängend.
Er wurde verlegen, dann lächelte er:
„Aber Margarete, nimm die Sache nicht so tragisch! Liebe und Ehe passen nicht immer zusammen. Wenn du reich wärest, würdest du meine Frau, so aber darf ich nicht daran denken. Wollen uns lieb haben, es geht doch schliesslich nur uns beide an.“
Margarete Römer riss sich von ihm los mitten auf belebter Strasse, sprang in die erstbeste Elektrische, und Erich Dierssen stand, sich auf die Lippen beissend, da und starrte der Strassenbahn nach. Achselzuckend wandte er sich endlich.
Der Traum war aus, schade, er hatte sich das Weiterträumen noch so schön gemalt!
Ein paar Monate danach ist Margarete Römer gestorben, ganz still ist sie eingeschlafen. Eines Abends, als der August mit heissen Flügeln über die hohen Häuser der Grossstadt hinstrich, schloss sie für immer die Augen. Der Arzt sagte, Margarete Römer hätte ein schwaches, widerstandsloses Herz gehabt. Martha aber wusste es anders; sie hatte einen kleinen, an sie gerichteten Brief bei der toten Schwester gefunden, den sie heimlich zu sich gesteckt, und in diesem Briefe stand der Name des Mannes, um den Margarete so früh an gebrochenem Herzen gestorben war. —
Die kinderjunge Martha Römer wurde wissend und gereift in diesen Augusttagen, und ein glühender Hass erwachte in ihr gegen einen hochgewachsenen Mann mit dunklen Augen, einen Mann, den sie nur ein einziges Mal im Leben gesehen und den sie doch unter Tausenden von Menschen wiedererkennen würde! Das wusste sie gewiss.