Читать книгу Der Schwester Rache - Anny von Panhuys - Страница 6
Im Hause des Vormunds.
ОглавлениеDie mollige Frau Overmann deckte den Abendbrottisch sauber und gefällig. Am Fenster, ein Buch in den Händen, sass Martha Römer und lernte halblaut französische Vokabeln.
Mine Overmann stellte eine Schüssel leckeren Heringssalat mitten auf den Tisch, dann sah sie kopfschüttelnd auf Martha.
„Was quälst du dich nun man wieder, Kind, das kauderwelsche Zeugs in dein Gehirn reinzustopfen. Ich kann nicht ein einziges fremdes Wort und bin bis jetzt auch ganz gut durch die Welt gekommen. Ich meine, du hättest Ostern ruhig von der Schule abgehen können und häusliche Sachen lernen sollen, ein junges Mädchen braucht doch keine Gelehrte zu werden. Das sind so Neuerungen, mit denen ich mich nicht so recht befreunden kann. Heutzutage ist man ja nicht zufrieden, wenn nicht jeder Dreikäsehoch von Mädchen ’ne bunte Gymnasiastenmütze auf den Kopf stülpen kann.“
Martha Römer lachte, ihre weissen Zähne blitzten.
„Ach, Tantchen, du hast ja recht, wenn — nun also, wenn jedes Mädchen den passenden Mann findet! So aber ist’s besser man lernt, damit man sich später auch ohne den männlichen Beschützer durchzuschlagen vermag.“
Frau Mine riss die Augen auf und stemmte die Arme in die Seiten.
„Marteken, wie du bloss so was sagen kannst! Das hört sich so an, als ob du bald eine alte Schachtel wärst, un bist doch erst fünfzehn. Kiekindiewelt, als ich so jung war, wie du jetzt, da hab’ ich noch nicht weiter gedacht, als meine Nase lang ist!“
Martha sah belustigt auf die kleine Stulpnase Frau Mines, die lebhaft fortfuhr:
„Damals war mein höchster Gedanke, ob mir Mutter wohl erlauben würde, Sonntags den Kalbsbraten ganz allein zu machen, oder ob mir der Pflaumenkuchen auch gut geraten würde, ob das Kleid von Nachbars Lene keinen Volant mehr hatte als meines und ob der Vater brummen würde, wenn er bemerkte, dass ich ab und zu mit der Tollschere in meinen Haaren herumkniffte. Weisste Kind, anderes dachte ich damals noch nicht, und ich dächte, mehr brauchst du auch nicht zu denken.“
Martha Römers weisses Gesichtchen, das dem Margaretens auffallend ähnlich sah, wurde ernst. Ein fester, wenn man bei ihrer Jugend davon sprechen konnte, fast harter Zug legte sich um ihren Mund.
„Liebe Tante Mine, du und Onkel Karl, ihr seid herzensgut zu Margarete und mir, aber dass wir zwei arme Mädchen sind, davon beisst doch keine Maus ein Fädchen ab, und arme Mädchen dürfen nicht so unbekümmert und sorglos der Zukunft entgegensehen wie wohlhabende, von Elternliebe behütete Haustöchterchen mit Sparkassenbüchern.“
Frau Mines Gesicht ward rot.
„Marteken, das hört sich beinahe wie ein Vorwurf an. Mein Mann und ich wollen doch eure Eltern sein, und wenn uns der liebe Gott noch ’ne Weile leben lässt, dann können wir eure Kinder noch aus der Taufe heben.“ —
Nun lachte Martha wieder, ein junges, erquickendes Lachen.
„Tante, du bist drollig. Aber vielleicht hast du recht, ich denke zu viel und zu weit voraus. Aber trotzdem, was nur halbwegs in meinen Kopf hineingeht, das will ich lernen. Wissen ist ja schliesslich der einzige Schatz, der uns nicht gestohlen werden kann.“ Sie sprang auf und umarmte die kleine, dicke Frau ungestüm. „Tantchen, ich habe dich lieb, wirklich schrecklich, furchtbar, grässlich, nein schauderhaft lieb, und auf den Heringssalat freue ich mich ganz unbändig, solchen Heringssalat wie du, kann doch kein Mensch auf der ganzen Welt zustande bringen.“
Sie drehte Mine Overmann einmal feierlich und bedächtig im Kreise herum.
Eben tat sich die Tür auf. Mit langsamer Würde, wie es seine Art war, trat Karl Overmann ein. Verwundert blickte er auf Frau und Mündel.
„Na nu, Ihr beide wollt wohl tanzen? Kannste das überhaupt noch, Mine? Ich glaube vor zwanzig Jahren gings besser.“ Seine Augen durchsuchten das Zimmer. „Ist Margarete noch nicht hier? Es wird jeden Abend später.“ Er brummte etwas vor sich hin, aus dem sich nur die Worte: „Verstehe ich nicht“ hervorhoben.
Frau Mines schmale Grauaugen vergrösserten sich vor Neugier.
„Was verstehst du nicht, Karl?“
Er wehrte ab. „Nichts, ich meine bloss so, dass es jetzt abends so schwer ist, mit der Elektrischen mitzukommen.“ Er wandte sich an Martha. „Bitte, hole mir doch mal sechs Zigarren meiner Sorte von Benekes an der Ecke, sonst habe ich nach dem Essen nicht eine.“
Er gab ihr Geld, und Martha ging gleich, doch hatte sie das Gefühl, fortgeschickt zu werden, weil Onkel Karl irgend etwas über Margarete und ihr langes Ausbleiben zu sagen beabsichtigte, was sie nicht hören sollte.
Auch ihr war es schon aufgefallen, dass Margarete in letzter Zeit stets so lange des Abends ausblieb, aber bisher hatte sie an die überfüllte Elektrische und die plötzlich notwendige Ueberstunde im Kontor geglaubt. Jetzt mit einem Male war ein Zweifel da, ein Zweifel, der ihr wehe tat, weil die Schwester bisher für sie das Wahrste und Glaubwürdigste auf der Welt gewesen. Doch schämte sie sich sofort ihres Zweifels und klagte sich an, schlecht und klein zu sein.
Sie ging langsam die Scharnhorststrasse hinunter, nach der Invalidenstrasse zu. Wozu eilen, Onkel Karl brauchte die Zigarren nicht so rasch. Er hatte sie ja nur weggeschickt, um ungestört über Margarete zu reden.
Ganz langsam und tief in ihre Gedanken eingesponnen, vergass sie für Augenblicke, weshalb sie sich eigentlich auf der Strasse befand, und ging an dem Zigarrenladen, wo Karl Overmann seinen Bedarf an Rauchwaren zu decken pflegte, vorüber. Erst an der Invalidenstrasse fiel ihr der Auftrag wieder ein. Da sah sie Margarete eben herankommen. Sie wollte ihr mit einem frohen Zuruf über den Fahrdamm entgegeneilen, als sie erkannte, dass sich die Schwester nicht allein befand. Ein hochgewachsener, vornehmer Herr schritt an ihrer Seite und neigte sich, eifrig auf sie einsprechend, zu ihr nieder.
Wie gejagt lief Martha zurück. Sie wusste mit einem Male, weshalb Margarete letzthin immer so spät nach Hause gekommen!
Wie ein von fest zupackender Hand zerstörtes Spinnenwebenetz erschienen ihr jetzt die Ausreden, die Margarete oft ersonnen, um ihr spätes Heimkommen in ein glaubwürdiges Licht zu rücken.
Margarete log! O Gott, wie schrecklich war das! Margarete, die reine, die vorbildliche, die schöne, angebetete Schwester log um eines fremden Mannes willen! Wie der Gedanke schmerzte!
Unwillkürlich, ohne recht zu wissen, was sie tat und weshalb sie es tat, trat Martha in einen offenstehenden Hausflur hinter die Tür, deren einer Flügel geschlossen war. Sie mochte nicht vor der Schwester zu Hause sein, sie musste sich erst sammeln, ehe sie ihr halbwegs ruhig entgegentreten konnte. — Und dann dachte sie, dass sie Margarete möglicherweise doch unrecht tat. Sie hatte den Herrn vielleicht erst heute in der Strassenbahn kennengelernt, und er hatte ihr irgendeinen Dienst erwiesen, oder es war ein Herr vom Kontor, der zufällig denselben Weg hatte.
Martha drückte sich scheu in die Ecke, eben sah sie die Schwester daherkommen, neben ihr den Herrn, und nun klang eine tiefe, warme Stimme an ihr Ohr:
„Mein Lieb, du musst dir diesen Sonntag für mich freihalten, einen ganzen Frühlingstag lang musst du mir gehören. Sieh, wie du es möglich machen kannst, schliesslich wird sich doch eine Ausrede finden.“
Gerade vor der halboffenen Haustür war das Paar stehen geblieben. Margaretes Antwort blieb ihr unverständlich. Martha duckte sich tief, in der Furcht, gesehen zu werden. Nun erklang die Männerstimme noch einmal:
„Leb’ wohl, mein Lieb, auf Wiedersehen am Sonntag Morgen!“
Martha verhielt sich minutenlang ganz still, bis ein schwerer Schritt, der die Treppe herunterkam, sie aufscheuchte. Wie ein Dieb schlich sie sich da hinter der Tür hervor und erschrak, denn unfern dem Hause stand der Herr, der Margarete begleitet, und sah der Schwester nach, die schon ein gutes Stück entfernt war. —
Kein Blick des Mannes fiel auf das schmale Mädelchen in dem kurzen, schwarzen Kleide, seine volle Aufmerksamkeit galt der sich weiter und weiter entfernenden Margarete. Aber Martha betrachtete den Mann während ihres Vorbeihuschens mit Eindringlichkeit und prägte sich sein Bild so tief und fest ein, dass sie es, wenn sie Maltalent besessen, Zug um Zug hätte wiedergeben können: das scharfe, gradlinige Gesicht, die dunklen Augen und das kleine Bärtchen über dem genusssüchtigen Mund!
Und während Martha die Zigarren holte, und während sie dann schnell nach Hause eilte, wollte es ihr erscheinen, als könne sie der Schwester nicht ernsthaft zürnen, denn dieser stolz und vornehm aussehende Mann musste es wohl wert sein, dass eine Margarete Römer um seinetwillen zur Lüge griff. —