Читать книгу Der Liebe Zaubermacht - Anny von Panhuys - Страница 4
I
ОглавлениеIlma von Rauberg stand neben ihrem Bruder Norbert, und beide sahen dem eben vom Hof reitenden schlanken Manne nach, der noch einmal leicht zurückwinkte.
Ilmas Gesicht, das noch eben ein kleines Lächeln gezeigt, wandelte sich, nachdem von dem Reiter nichts mehr zu sehen war, es zeigte plötzlich einen schmerzlichen Ausdruck.
Norbert bemerkte die jähe Veränderung auf den feinen und doch kraftvollen Mädchenzügen.
„Sei doch mutig, Ilma“, sagte er leise, „laß dich nicht unterkriegen, bist doch sonst so ein tapferes Frauenzimmerchen. Nimm den Bernd, werdet glücklich, denn so wie jetzt geht doch die Geschichte nicht weiter, ihr reibt euch ja beide dabei auf.“
Ilma schluckte tapfer die Tränen hinunter und wandte, sich rasch der kleinen Freitreppe zu, die ins Haus führte.
„Laß das ruhen, Norbert! Es gibt für mich kein Überlegen mehr. Bernd soll sich endlich in das Unvermeidliche finden, ich kann und darf seine Frau ebensowenig werden, wie die irgendeines anderen Menschen auf der Welt.“
„Du liebst Bernd doch, du liebst ihn doch.“
Fast heftig klang die Widerrede des Bruders.
Ilma strich sich mit müder Bewegung das hellbraune, natürlich gelockte Haar zurück, das der Wind ein wenig gelöst hatte.
„Wollen das Thema endgültig begraben, Norbert!“ bat sie traurig und ging, als fürchte sie Widerspruch, schnell die Treppe hinauf.
„So entwischst du mir nicht, Ilma!“
Schon befand sich der Bruder an ihrer Seite.
Ilma schüttelte den Kopf.
„Du solltest klug sein. Norbert, und nicht immer von neuem gewaltsam aufrühren, was kaum ein lautes Wort verträgt. Ich will mich nicht gegen das Schicksal auflehnen.“ Sie blickte sich scheu um, ob auch niemand in der Nähe sei, ehe sie leise vollendete: „Ich habe nicht den Mut, dem alten Fluch, der über den Raubergs liegt, Trotz zu bieten.“
Norbert blickte wehmütig ernst, er nahm den Arm der Schwester und zog sie mit leichtem Zwange nach rechts, wo eine breite und doch etwas gewundene Treppe in den ersten Stock führte.
Willenlos ließ sich Ilma leiten, sie wußte, der Bruder gab sich noch nicht zufrieden, er hatte noch Einwände gegen ihren Entschluß. Er wollte sie überreden, dem Schicksal ihren Willen entgegenzusetzen.
Oben angekommen, öffnete Norbert eine der vielen in den Gang des ersten Stockwerks mündenden Türen.
„Komm, Ilma, wollen uns noch einmal aussprechen. Es ist alles so halb, was wir bisher redeten über das, was deine Zukunft, dein Glück heißt.“
Der gemütlichste und zugleich größte Raum des nicht besonders großen Herrenhauses von Rauberg tat sich vor Ilma auf. Norbert folgte der Schwester, schloß die Tür wieder.
Ilma stand einen Augenblick unschlüssig. Fast sah es aus, als wollte sie die Bibliothek sofort wieder verlassen, doch eine bittende Bewegung des Bruders hielt sie zurück.
Sie neigte den Kopf, zuckte die Achseln.
„Wenn du es nicht anders willst, Norbert.“
Sie nahm in einem Armstuhl mit breiter, hoher Lehne Platz. Das Leder war verschabt, und man vermochte kaum noch zu erkennen, daß es einmal braun gewesen.
Norbert trat an eins der Fenster, zog die schweren, dunklen Tuchvorhänge weit zurück.
Bruder und Schwester sahen sich an, beinah ein wenig scheu. Wie ein stummes Fragen und Antworten ging es zwischen ihnen hin und her.
Endlich machte der Mann dieser Pause ein Ende.
„Ilma, ich fühle mich dazu verpflichtet, dir noch einmal recht, recht herzlich und eindringlich zuzureden, Bernd Storkum zu heiraten. Der arme Kerl sieht schon ganz hager und unglücklich aus, und du leidest auch unter dem, was du deine Pflicht und Schuldigkeit nennst. Du bist doch keine bleichsüchtig hysterische Mamsell, die sich um eines Aberglaubens willen um ihr Lebensglück bringt, dich und den Menschen, den du liebhast.“
Ilm wollte sprechen. Er aber bat sie mit leichter Handbewegung, noch zu schweigen.
„Es handelt sich wirklich nur um einen Aberglauben, Ilma, um eine Einbildung, die nicht nur dir, die unserer ganzen Familie, unseren Vorfahren seit langem den Kopf verdreht hat. Ein paar Zufälle, eine Art erbliche Belastung, die zuweilen in irgendeiner Generation der Raubergs ab und zu zum Vorschein kommt . . .“
Jetzt lachte Ilma bitter auf, riß dem Bruder das Wort vom Mund.
„Wie du dich ausdrückst, Norbert, wie milde und gut das meinen Ohren klingen würde, wenn ich es nicht besser wüßte. Leider!“
Sie betonte das „Leider“ scharf, und dann sprang sie empor, stand hochaufgerichtet neben dem alten Lederstuhl.
„Stelle dich nicht lau!“ kam es leise und doch erregt aus ihrem Munde. „Spiele mir keine Komödie vor, Norbert, die dir nicht liegt! Nenne es meinetwegen Aberglauben, was dir und mir und unserem Bruder Konrad gleich einem Alpdruck auf der Brust liegt, seit wir wissend wurden. Aber sie alle, die vor uns gewesen und unseren Namen trugen, haben gebebt und gelitten unter dem alten Fluch. Man schrieb das Jahr 1638, als er sich zuerst an einem Rauberg erfüllte, und er ist seither nicht erloschen.“ Sie tat ein paar zögernde Schritte auf ein düsteres Bild an der linken Wand zu. Es zeigte einen finster blickenden Mann im Eisenharnisch mit Spitzbart und einem harten Spottzug um den Mund.
„Herr Ottomar Erhard von Rauberg vererbte uns den Fluch, er brach seinem Kaiser den Eid in den Stürmen des Dreißigjährigen Krieges, noch heute müssen die Raubergs unter den Folgen seiner Untreue leiden.“
Norbert versuchte den Schatten zu scheuchen, der auf seiner Stirn lag. Es galt zwei Liebende zum Glück zu zwingen. Er versuchte zu lächeln.
„Ilma, ich glaube nicht an den Fluch. Nenne es Zufall, Vererbung, nenne es wie du willst; aber mache dich frei von der Wahnvorstellung! Du weißt, die hängende dicke Unterlippe der Habsburger ist erblich, du hast vielleicht auch schon gehört . . .“
Er kam nicht weiter. Ilmas blaßrosiges Gesicht hatte sich stärker gefärbt.
„Bitte, Norbert, wollen uns nicht selbst etwas vormachen. Wollen uns nicht gebärden wie Kinder, die sich allein im Dunklen fürchten und dann laut pfeifen und singen, um sich mutig zu zeigen. Wollen doch offen sein, uns nicht die Augen zuhalten.“
Norbert trat rasch zu ihr.
„Laß das doch, Ilma!“ Er schlug sich vor die Stirn. „Wie konnte ich dich auch gerade hierher führen?“
Ilmas Lippen zuckten.
Wo wir das Thema auch besprechen, ob in einem anderen Zimmer oder im Freien, es ist gleich, das Resultat bleibt doch dasselbe: Es ruht ein Fluch auf unserem Geschlecht. Und weil ich fürchte, daß ein Kind von mir das unselige Erbe antreten muß, werde ich ledig bleiben.“ Sie deutete auf die Ahnenbilder an der Wand. „Warum verstecken so viele Vorfahren die rechte Hand oder halten sie in merkwürdig erzwungener Stellung? Weshalb sieht man bei ihnen nicht die fünf Finger ordentlich nebeneinander wie an der linken Hand?“ Sie neigte sich dem Bruder zu. „Weshalb verbirgst du, Armer, deine Rechte, und weshalb war Vater fast immer traurig und niedergeschlagen, steckte die Rechte in die Jackentasche, damit Mutters mitleidiger Blick nicht daran festhängen sollte?“
Norbert atmete mühsam und schwer.
„Ilma, weshalb mußt du mir mein eigenes Leid so scharf umrissen vorführen, warum tastest du so hart an eine Wunde, die mich immer schmerzt?“
Ilma lächelte traurig.
„Verzeih, Bruder! Aber nicht, um dir weh zu tun, bin ich unbarmherzig; nur um mich zu schützen, bin ich es. Du bist ja noch tausendmal unbarmherziger gegen mich, wenn du es auch gut mit mir meinst.“ Sie faltete die Hände, rang sie ihm beschwörend entgegen. „Ahnst du denn auch nur im entferntesten, wie entsetzlich ich leide, wenn du mir zuredest, Bernds Frau zu werden? Ahnst du auch nur im entferntesten, in welche Seelenkämpfe du mich dadurch drängst? Laß mir doch meinen Frieden, gönne ihn mir!“ Ihre Stimme brach fast. „Unser Vorfahre brach seinem Kaiser den Treueid, sein bester Freund und einstiger Kampfgenosse schlug ihm dafür die bösen Schwurfinger bis zur Wurzel ab, und seither kommt noch in jeder Generation in Mannes- und zuweilen auch Weiberlinie das erste Kind mit verstümmelter rechter Hand zur Welt. ,Die Raubergs mit den drei Fingern‘ nennt man unser Geschlecht, und ,die Raubergs mit den drei Fingern‘ dürfen dem Zug ihres Herzens nicht folgen, weil sie es nicht verantworten können, die mißgestaltene Rechte weiterzuvererben in neue Jahrhunderte hinein.“ Sie breitete die Arme aus, spreizte die schlanken, nervigen Hände. „Ich trage den Fluch nicht, von uns drei Geschwistern traf nur dich das Los, Norbert. Aber wer gibt mir Gewähr, daß mein Kind verschont bleibt?“ Sie schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte: „Ich habe Bernd zu lieb, und deshalb, gerade deshalb muß ich entsagen.“
Norbert umfaßte die Bebende.
„Armes Ding, törichtes Schwesterchen, verbeiß dich doch nicht in solche Gedanken! Erzähle den Menschen, was dich hindert, dein Glück zu ergreifen und festzuhalten; die meisten werden dich auslachen.“ Er wiegte sie in seinen Armen leicht hin und her, als wäre sie ein kleines Mädchen. „Wer wird sich denn über so Fernliegendes schwere Gedanken machen! Hast doch den Bernd lieb von Kind an. Es schien doch den Eltern fast selbstverständlich, daß du ihn einmal heiraten, daß du einmal Gutsherrin auf Burdenhagen würdest, und nun es soweit ist, kramst du einen alten Aberglauben hervor und willst ihm dein und Bernds Glück zum Opfer bringen.“
Er zog der Schwester die tränenüberrieselten Hände vom Antlitz.
„Ilma, bist von je unseres Hauses Sonnennschein gewesen, ich habe gemeint, wenn kein Rauberg mit dem Gespenst der Vergangenheit fertig werden sollte, du wirst es. Dein Lachen, dein Frohsinn nimmt den Kampf mit Gespenstern auf, dachte ich, und nun versagst du. Immer und immer wieder hoffte ich, du würdest dich noch besinnenn, und muß nun erkennen, daß du dich nicht aus den Fängen des Aberglaubens befreien kannst.“ Seine Stimme ward immer weicher, zärtlicher. „Schwesterchen, ich will ja zugeben, es ist seltsam und unheimlich, daß immer wieder in gewissen Zeitabständen ein Kind aus Raubergblut geboren wird, dem die Schwurfinger verstümmelt sind. Aber weshalb soll das gerade deinem ersten Kind geschehen? Meist beschränkt sich diese, nun sagen wir Vererbung, überhaupt auf den Mannesstamm.“
Ilma blickte den Bruder mit tränenüberströmten Augen an.
„Du willst mich trösten, mir helfen, ich verstehe dich, Norbert; aber laß, laß . . . ich habe nicht den Mut zu dem, was du mir rätst. Du nanntest den alten Fluch vorhin ein Gespenst, und der Ausdruck ist richtig. Denn ein Gespenst, ein fürchterliches Gespenst ist der alte Fluch, und wem er erscheint, der ist unglücklich fürs ganze Leben.“
Norbert fühlte, wie die Schwester zitterte, als sie jetzt hervorstieß:
„Ob Mannes- ob Weibesstamm, kein Geschöpf aus Raubergblut ist davor gefeit. Und wenn es auch nie im Mannesstamm erloschen ist, so beweist doch unsere Familiengeschichte, in welchen Launen es sich gefällt. Es kann geschehen, daß der nächste Fluch mein erstes Kind träfe, und erst deinen ersten Enkel, oder gar einen Urenkel Bruder Konrads der Fluch trifft. Es ist wie ein Lotteriespiel. Sicher ist keiner, und ich denke es mir furchtbar, wenn so ein unschuldiges, kleines Wesen mir die mißgestaltene Rechte . . .“
Sie brach ab, denn der Bruder hatte sich fast heftig abgewandt.
„Du bist unbarmherzig, Ilma“, stöhnte er auf, „gegen dich und mich.“
Ilma fuhr sich mit dem Taschentuch über die brendenden Augenlider.
„Damit ätze ich mir selbst das Herz entzwei, damit es sich nicht mehr nach Bernd sehnen soll“, sprach sie langsam, und ihre Worte fielen scharf und wehtuend in das tiefe, atemlose Schweigen des Raumes. Dann ging sie und verschwand, ohne daß der Bruder noch einen Versuch machte, sie zurückzuhalten.
Leise fiel die Tür hinter ihr ins Schloß.
Mit müdem Schritt wankte Norbert auf den Armstuhl zu, darin Ilma vorhin gesessen.
Weiß der Himmel, ihm, der Tröster und Helfer hatte sein wollen, standen jetzt auch Tränen in den Augen, ein paar heiße, versengend heiße Tränen, heraufgepumpt von wahnsinnigem Schmerz aus allertiefster Herzenstiefe. Er sann vor sich hin und stöhnte abermals laut auf. Auch er litt wie Ilma, litt vielleicht noch mehr als sie. Sie wurde begehrt, Liebe öffnete weit vor ihr die Tore, während er abseits stand. Während er es nicht wagen durfte, die Arme nach einem holden Geschöpf, dessen Besitz er vielleicht ersehnte, auszustrecken, weil seine Hand, seine arme, arme Rechte das Zeichen des Fluches trug, der über dem Hause Rauberg schwebte. Weil er es einem geliebten Wesen nicht zumuten durfte, sein eigen zu werden. Die Liebe, die ihm eine Frau schenken konnte, würde immer mit einem Teil Mitleid gemischt sein; und Mitleid ertrug er nicht, daran würde seine innigste Liebe zugrunde gehen!
O wie er litt, wie unsagbar er litt!
Er dachte bitter, nun starben die Raubergs bald aus. Konrad, sein jüngerer Bruder, würde ebensowenig heiraten wie er selbst; denn im Grunde dachten sie beide wie Ilma. Niemand aus ihrem Blute würde dann fernerhin Herr des kleinen Gutes sein. Fremde Menschen würden dann in absehbarer Zeit in dem uralten Hause wohnen, und von dem alten Turm auf dem Bergrücken, darauf vor vielen hundert Jahren die Burg seiner Väter gestanden, würde kein Rauberg mehr ins blühende Land niederblicken auf die grünsamtenen Heimatswiesen, die dunklen, schattigen Buchenwälder und den ferne schimmernden Main. Fremde lebten und liebten, jubelten und litten dann, wo ein uraltes Geschlecht erloschen. Erloschen wie eine Flamme, ausgeblasen von dem geisternden Atem eines Fluches, über den jeder aufgeklärte Mensch lachte, und der doch da war.
Er sah auf seine Rechte nieder und schüttelte mit unsäglich leidvoller Miene den Kopf. Nie und nimmer würde er es wagen, einem geliebten Mädchen die gezeichnete Rechte zum Bund fürs Leben zu bieten. Niemals!
Er preßte die oberen Zähne so fest in die Unterlippe, daß er einen faden, süßlichen Blutgeschmack spürte.
Das brachte ihn wieder zu sich, ernüchterte ihn.
Mit müdem Blick streifte er die Ahnenbilder, die ihn mit verstehenden Augen anzusehen schienen, und er mußte denken: Mancher von euch kennt mein Leid, und gefürchtet habt ihr euch alle einmal vor dem Gespenst unseres Hauses!
Eine tiefe Falte lag auf seiner Stirn, als er raschen Schrittes die Bibliothek verließ.