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Konrad von Rauberg lebte wie in einem Rausche von Glück. Tagtäglich suchte er die Villa auf, darin die blonde, feine Amadora unter dem zärtlichen Schutz der Eltern lebte, und täglich ward seine Liebe größer und stärker. Amadora war ihm das Höchste und Wertvollste auf der Welt.

Sie erwiderte seine Liebe mit weicher Innigkeit, ihre Augen strahlten die Seligkeit wider, die in ihrem Herzen wohnte, und stets ging sie ihm entgegen, wenn sie seinen Schritt im Hausflur vernahm. Dann flog sie ihm um den Hals, gleichgültig dagegen, ob sich ein Dienstbote schmunzelnd an dem Anblick erfreute. Was galt ihr die Umgebung, was galt ihr jeder andere Mensch gegen ihn! Seine stolze Männlichkeit, die zu seinem herben, hochklingenden Namen paßte, seine ritterliche Art dünkten ihr die Bejahung all ihrer Mädchenträume.

O, wie grenzenlos sie ihm vertraute! Offen und klar wie seine Züge war er in seinem Innern. Ein lauter, wahrhafter Charakter, der nie log, nie etwas verbarg. Wahrheit und Geradheit waren ein Teil seiner selbst, so wünschte sie ihn, so liebte sie ihn.

Es war eines Nachmittags. Um vier Uhr beendeten die Herren ihre Büroarbeit, und Amadora saß auf erhöhtem Fenstersitz, von wo aus sie bis zur Straße zu blicken vermochte. Gleich würde Konrad mit dem Vater kommen. Sie freute sich schon darauf, bei Tisch dem Geliebten gegenüberzusitzen und seine liebkosenden Worte zu hören.

Sie lächelte vor sich hin, blickte dann auf die Uhr. Ach nein, ihre Sehnsucht fuhr mit Extrapost, es war noch nicht so weit, fast eine halbe Stunde fehlte noch, bis der Vater und Konrad da sein konnten.

Sie schaute auf, eben hatte die Gartenschelle geschrillt.

Sie machte ein mißmutiges Gesicht, denn sie erkannte die Dame, die Einlaß begehrend vor der Tür stand. Franziska Kromau, eine entfernte Verwandte mütterlicherseits, die ab und zu zum Besuch kam, allerlei neidische Spitzfindigkeiten losließ, und erst zu gehen pflegte, nachdem sie tüchtig gegessen, die Mutter angeborgt und verschiedene Taktlosigkeiten begangen hatte. Die Mutter war leider zu schwach der vierschrötigen, zweimal mal verwitweten Frau, die draußen in der Bornheimer Vorstadt ein winziges Posamentiergeschäft betrieb, einmal geradeheraus die Meinung zu sagen.

„Die arme Person tut mir leid“, verteidigte sich die gutmütige Mutter sie, wenn Mann und Tochter zuweilen die größte Lust verspürten, der scharfzüngigen Klatsche den Stuhl vor die Tür zu setzen.

Konrad, der sie auch kennengelernt, hatte alle Erörterungen über sie mit den Worten abgetan: „Franziska Kromau lebt in gedrückten Verhältnissen, in kinderloser Einsamkeit, sie weiß vielleicht gar keine rechte Erklärung für den Begriff. Glück. Solchen Menschen muß man viel vergeben.“

Amadora aber hatte sich trotzdem gelobt, daß sie ihr späteres eigenes Heim vor der Verwandten verschlossen halten würde, sie mochte sich nicht den eklen, kleinlichen Klatsch in ihr Paradies tragen lassen.

Amadora hörte die etwas hohe Stimme Franzika Kromaus schon auf dem Flur draußen und daneben die leise Stimme der Mutter. Neben Amadoras Zimmer lagen Wohn- und Speiseräume. Die Tür von nebenan öffnete sich mit lautem Ruck. Breit und grobknochig schritt Franziska Kromau über die Schwelle, blickte tadelnd auf Amadora, die sich jetzt erst langsam und zögernd von ihrem Fensterplatz erhob.

„Ei, des muß man sage, des gnädige Fräulein läßt sich Zeit, kann ’ner alten Frau keinen Schritt entgegengehe. Sag’ mal, Dore, hast du des in dein feines Pensionat gelernt? Aber gelt, du meinst, du bist schon ’ne Baronin und hast es net nötig, alte Leut die Ehr zu erweise.“

Scharf und breit prasselten die Vorwürfe auf das blonde Mädchen nieder, das, sich stolz aufrichtend, zur Mutter hinübersah, als erwarte sie von ihr Hilfe gegen den Angriff.

Frau Luise Werkentin machte eine Bewegung, die sich die Tochter mit: Ach, laß sie doch! übersetzen konnte.

Frau Werkentin haßte Unruhe und Ärger, duldete lieber, als daß sie sich zur Wehr setzte. Da zwang auch Amadora ihre Empörung nieder; doch die eine Erwiderung vermochte sie sich nicht versagen:

„Höre, Tante Franziska, ich giere nicht nach einem Adelstitel, und ich hätte Konrad genau so lieb, wenn er den schlichtesten Namen führte. Uns Werkentins kann wohl niemand nachreden, daß wir hochmütig sind.“

Franziska Kromau zuckte mit den eckigen Schultern, die sich wie knorrige Äste unter der prall anliegenden lila Atlasbluse abzeichneten.

„Na ja, ist schon gut“, brummte sie und dachte, sie hatte ja heute noch das beste Späßchen vor sich. Denn ein Späßchen dünkte sie, was anderen die Stimmung gründlich zu verderben vermochte.

Sie setzte sich behäbig auf einen feingliederigen Rokokostuhl, der ein unwilliges Knirschen hören ließ.

„Solche Spielerei kämen mir net in mei Wohnung“, entrüstete sie sich, und Frau Luise spöttisch zublinzelnd, fuhr sie fort: „Als der Leonhard noch die Schlosserei draußen in Bornheim hatte, waren vier Rohrstühle, ein verschrammtes Vertiko und ein paar eintürige Schränke eure feinsten Möbel.“

Jetzt überzog auch Frau Luises gutmütiges Gesicht ein Schatten.

„Leonhard und ich schämen uns unserer Vergangenheit nicht, im Gegenteil, wir sind stolz darauf, daß Leonhards Fleiß und Umsicht uns vorwärts brachten. Aber du sprichst immer von früher, als wäre die Schlosserwerkstatt in Bornheim eine Schande für uns.“

Franziska Kromau wiegte den Kopf mit dem schlechtgefärbten Haar, dessen Spitzen fuchsig-lila schimmerten.

Ihre schmalgeschlitzten Augen nahmen einen harmlosen Ausdruck an.

„Wie ihr mich immer mißversteht! Ich wollte ja nur ausdrücken, ihr habt eigentlich Glück gehabt im Leben, während andere, die auch fleißig gewese sind, nie aus der Misere rauskomme.“ Sie plusterte sich auf. „Mir kann doch auch niemand vorwerfe, ich wäre faul. Bin doch vom frühe Morge bis uff den späte Abend im Geschäft, gönne mir nix Überflüssiges, und kann doch net aus Bornheim rauskrabbele wie ihr. Mei zwei Männer ware fleißige Leut — vielleicht wenn sie net so bald gestorben wäre — es waren beide Schenies.“

Franziska Kromau, wie sie nach ihrem letzten Gatten hieß, hatte mit beiden Männern, die untergeordnete Musiker gewesen, in ständigem Zank und Streit gelebt. Elende Bierfiedler hatte sie sowohl den einen wie den anderen genannt, nach ihrem Tode aber drückte sie beiden die Krone des Genies auf.

Leonhard Werkentin kniff verärgert die Lippen ein, als sich Franziska Kromau mit im Speisezimmer einfand. Die Frau mit der spiegelnden lila Bluse bemerkte dergleichen einfach nicht, wenn es ihr nicht paßte. Sie aß gern viel und gut, und Montag am Nachmittag war im Lädchen doch nichts zu tun. Am meisten gellte die Ladenklingel Sonnabends, wenn die Hausfrauen den Sonntagsstaat für die Familie instandsetzen mußten. Da wühlte sie zwischen Nähgarn und Hosenknöpfen, doch auch Socken und Handschuhe wurden verlangt. Der Sonnabend war der gesegnetste Tag der Woche.

Konrad Rauberg fand die etwas unmögliche Verwandte belustigend, sie störte ihn am wenigsten. Er wußte nicht, daß kleinlicher Neid in der alt werdenden Frau saß. Neid auf Luise Werkentin, mit der sie einstens in fernen Kindheitstagen durch Sommerhitze und Winterschnee in die dörfliche Schule gegangen. Barfüßig oder in dicken, gestopften Strümpfen. Nun war ihr Los ungleich.

Neid macht die Augen blind, nennt Arbeit und Verdienst nur „Glück“ und „Zufall“.

Man nahm am Tische Platz, der von Amadora gedeckt, wie ein Ausklang ihrer eigenen frohen, bräutlichen Stimmung war. Es machte ihr Freude, stets reizvolle Blumen zum Schmuck zu verwenden und dem Tisch eine festliche Note zu geben um Konrads willen. Amadora trug ein elfenbeinfarbenes Tuchkleid mit schmalen, dunkelblauen Samtbandverzierungen. Das dunkle, weiche Blau hob die Weiße der zarten Mädchenhaut, und das lichte Blond der Haare vertiefte noch das Blau der großen, strahlenden Augen.

Konrad mußte die Geliebte immerfort anschauen, und sie erwiderte liebevoll seine Blicke, ließ sich von seiner stummen, zärtlichen Bewunderung umschmeicheln wie von sommerwarmen Wellen.

Frau Franziska Kromau äugte mehrmals zu dem Paar hinüber.

Natürlich, das Jungvolk, dem keine Not und Sorge im Rücken saß, hatte es leicht. Solchem Übermut mußte man ein bißchen Rauhreif auf das Blühen werfen. Ein bißchen Geducktwerden konnte den beiden ebensowenig schaden wie den zwei älteren Leuten, die so selbstzufrieden dasaßen, daß es sie eine förmliche Herausforderung dünkte.

Beim Nachtisch, nachdem sie gründlich von dem feinen Pudding gegessen, schien ihr der rechte Augenblick gekommen, sich eine Spezialfreude zu bereiten. Sie hüstelte, lächelte zu Konrad hinüber:

„Sie sind eigentlich aus ’ner interessante Familie, Herr Baron, in Ihrer Familie soll sich ja eine Hand vererben . . .“

Konrad setzte das Weinglas, das er gerade zum Munde führen wollte, hart auf den Tisch nieder, fiel Franziska Kromau ins Wort:

„Bitte, Verehrteste, langweilen Sie mich nicht mit Ammenmärchen!“

Amadora begriff nicht, weshalb ihr Liebster so schroff war. Schließlich wußte er ja noch gar nicht, was Franziska Kromau sagen wollte. Auch die Eltern warfen der Verwandten Blicke zu, als hätte sie Unerhörtes begangen.

Komisch war das. Sie fragte lächelnd: „Was habt ihr nur alle? Laßt doch die Tante erst ausreden, denn nun ist meine Neugier geweckt, nun möchte ich gerne wissen, was sie zu erzählen beabsichtigte.“

Franziska Kromau triumphierte. Auf den Erfolg war sie nicht im mindesten vorbereitet.

Der Baron und das Ehepaar Werkentin schienen ja eine entsetzliche Angst davor zu haben, Amadora könnte etwas erfahren von der verkrüppelten Rechten der Raubergs. So viel Wichtigkeit hatte sie der Geschichte gar nicht beigelegt, die ihr von einem früheren Hausmädchen, das auf Rauberg gedient und nun draußen in Bornheim verheiratet war und im gleichen Hause mit ihr wohnte, erzählt worden war.

Sie tat sehr erschreckt, duckte die eckigen Schultern.

„Ich will nix gesagt habe, wenn’s net recht ist; aber ich dachte, es sei nix Böses, und man könnt’ davon rede, weil’s doch wahr sein soll.“

„Was soll wahr sein?“ Amadora fragte es rasch.

Konrad von Rauberg strich leicht und gütig über Amadoras Hände, die gefaltet in ihrem Schoß ruhten.

„Nichts, mein Lieb, irgendein müßiges Geschwätz geht um. Alte Familien können manches Lied davon singen. Dein Köpfchen soll solche Albernheiten nicht aufnehmen.“

Frau Luise erhob sich zum Zeichen, daß die Mahlzeit beendet war.

Franziska Kromau behielt ihre harmlose Miene bei, aufstehend wandte sie sich Amadora zu.

„Wenn dein Bräutigam nicht wünscht, daß davon gesprochen wird, dann darfst du nicht fragen; ein Mann wie er wird dir sicher nichts verschweigen, was du wissen mußt.“ Ihre Seidenbluse knackte in den Nähten. „Ich muß ja offen bekennen, ich an deiner Stelle wäre ängstlich, denn . . .“

Sie schwieg, von dem drohenden Blick Konrad von Raubergs doch etwas eingeschüchtert. Doch gleich gewann sie ihre Keckheit zurück. Der Ton, den der adlige Herr ihr gegenüber anschlug, paßte ihr ganz und gar nicht. Nun tat sie erst recht, woran er sie zu hindern versuchte.

„Stelle Sie sich doch net so an, Herr Baron“, sprudelte sie hervor, „Sie mache ja die Dore bloß ängstlich, und es ist doch wirklich nix dabei, wenn sie weiß, daß in Ihrer Familie die meisten Kinder mit einer verkrüppelten Hand zur Welt kommen, daß sie an der Rechten nur drei Finger haben.“

So, nun war ihr wohl! Sie atmete tief und befriedigt auf.

„Narrengewäsch!“ schalt Konrad von Rauberg und vermied Amadoras Blick.

„Ihr Bruder hat doch auch die Hand . . .“ trumpfte die Peinigerin auf. „Aber jetzt muß ich fort, habe zu tun daheim.“

Niemand kümmerte sich um sie, als sie ging. Stumpfes, schwüles Schweigen ließ sie hinter sich zurück.

Frau Franziska war froh, sich gleich darauf im Freien zu befinden. Ganz wohl war ihr zuletzt doch nicht gewesen. So bald durfte sie sich in der Villa der Verwandten kaum mehr blicken lassen, das wußte sie, dafür hatte sie aber die Genugtuung, dem Glück der Familie einen ordentlichen Stoß versetzt zu haben, denn alle hatten ja kreidebleich ausgesehen, als sie ihnen ihr Wissen entgegengeworfen.

Vielleicht zerbrach sogar die Verlobung daran. Schaden tat das nichts; im Gegenteil, sie wenigstens würde sich aufrichtig darüber freuen. Schadenfreude sollte ja die reinste Freude sein.

Der Liebe Zaubermacht

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