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III

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Norbert von Rauberg hatte in der Kreisstadt zu tun, er ließ den leichten Jagdwagen anspannen, und während der Fahrt mußte er viel an Konrad denken.

Daß der Bruder den Mut gehabt, den Ilma nicht aufgebracht!

Halb freute er sich darüber, halb bangte ihm vor der drohenden Wolke, die auch über Konrads Zukunft lag gleich einem Wetter, von dem man nicht genau weiß, ob es losbrechen oder vorüberziehen wird. Sehnsucht packte ihn an, und ein wenig Neid. Schön und lieb mußte es sein, eine Gefährtin zur Seite zu haben, ein Geschöpf, das einem mit Leib und Seele gehörte.

Gut würde es der Bruder haben, wenn er erst mit Amadora im eigenen Heim hauste. Die ihm persönlich noch unbekannte Braut Konrads gefiel ihm auf dem mitgesandten Bild ausnehmend. Er würde sie auch bewundern, wenngleich ihre Schönheit seinem Ideal nicht entsprochen haben würde. Er malte sich die Herrin von Rauberg anders aus. Groß müßte sie sein, und dunkles weiches Haar sollte ein sonnenwarmes, gebräuntes Gesicht umrahmen. Der Typus einer stolzen Südländerin, der schon im Mittelpunkt seiner Knabenträume gestanden, schwebte ihm vor.

Er schreckte plötzlich aus seinem Sinnen auf.

Der Hupenruf eines entgegenkommenden Autos riß ihn in die Wirklichkeit.

Er bog mit seinem Gefährt etwas zur Seite. Das vorbeirasende Auto wirbelte eine große, graue Staubwolke auf, und darin erstickte das Bild des stolzen, dunkelhaarigen Weibes, das seine Phantasie gemalt.

Er trieb das Pferd durch einen scharfen Zungenlaut zu größerer Eile an und zwang sich, an nüchterne Alltagsdinge zu denken, an Steuern, an die Wintersaat und an den Bau der neuen Scheune, mit dem im Vorfrühling begonnen werden sollte.

Ach, es gab ja so viele nüchterne Wichtigkeiten, die man auf ein sehnsüchtiges Herz packen kann, damit es still, ganz still und gefühllos wird.

Nachdem er alle Besorgungen in der Stadt erledigt, fiel ihm ein, daß er eigentlich Frau von Amelunxen wieder einmal einen Besuch machen müßte. Sie war einmal die beste Freundin seiner seligen Mutter gewesen und wohnte, seit sie Witwe geworden, in ihrer kleinen Heimatstadt. Sie war ziemlich wohlhabend, ihr Gatte war Gutspächter gewesen, und da sie keine Kinder besaß, lebte sie nun ganz, wie es ihr gefiel.

Die Villa Frau von Amelunxens war nur klein, enthielt nur Erdgeschoß und ersten Stock. Ein Gärtchen zog sich um das Häuschen, darin jetzt im Hochsommer viele bunte Blumen blühten.

Norbert warf dem jungen Burschen, der ihn auf solchen Fahrten begleitete, die Zügel zu. „Raste eine Stunde beim Löwenwirt, hole mich danach ab, Franz!“ Er sprang ab und schellte am Gartentor.

Ein sauber gekleidetes Mädchen kam vom Hause her, begrüßte ihn mit vertraulichem Lächeln und sagte im Tone eines leichten Vorwurfs:

„Gnädige Frau ist schon seit zwei Wochen von der Reise zurück und hat sich bereits gewundert, warum Herr oder Fräulein von Rauberg sich gar nicht sehen lassen.“

Norbert nickte ihr lächelnd zu.

„Ja, die Raubergs sind eine untreue Gesellschaft, Kathi. Hoffentlich vergibt uns Frau von Amelunxen.“

„Gnädige Frau hat auch eine neue Gesellschafterin von ihrer Reise mitgebracht“, plauderte Kathi. „Fräulein Becker ist unterwegs erkrankt und von ihrer Mutter nach Hause geholt worden. Ich bin froh, daß die Schmeichlerin fort ist.“

Norbert mußte über die Offenheit des Mädchens lachen. Ganz unrecht hatte sie nicht, auch ihm war Fräulein Becker stets unsympathisch gewesen; aber er behielt das für sich.

Frau von Amelunxen, eine stattliche Erscheinung Mitte der Fünfzig, mit scharfgeschnittenen Zügen und gescheiten Augen, kam dem Besucher bereits entgegen.

„Endlich, Norbert! Es ist aber auch wirklich Zeit, daß Sie sich nach mir alten Frau umsehen. Bin schon ganz ungnädig und wäre sicher in den nächsten Tagen nach Rauberg gekommen, um mich zu überzeugen, was eigentlich los ist.“

Norbert küßte die schon ein wenig welke Hand der liebenswürdigen Frau.

„Verzeihen Sie mir, Tante Amelunxen, aber wir hatten letzthin viel Arbeit daheim. Doch ich bringe wenigstens eine Neuigkeit mit, Konrad hat sich mit der einzigen Tochter seines Chefs verlobt. Noch nicht offiziell; aber darauf kommt es ja auch nicht an.“

Frau von Amelunxen schob ihren Arm unter den Norberts, ging mit ihm in das behagliche Wohnzimmer.

„Das ist ja eine liebe, liebe Neuigkeit“, meinte sie freudig, „wirklich, da will ich Konrad nur aufrichtig Glück wünschen.“ Sie drohte scherzhaft mit dem Finger. „Wer wird sich von seinem jüngeren Bruder beschämen lassen! Eigentlich hätten Sie den Reigen eröffnen müssen, Norbert.“

Er wehrte ab. „Ich denke nicht daran, und auch Ilma will nie heiraten. Sie wissen ja, Tante Amelunxen, welche Angst uns davor zurückhält.“

Die Dame strich über ihr ein wenig straff zurückgebürstetes Haar.

„Norbert, Sie tun mir leid, Sie und Ilma. Es kommt mir zuweilen vor, als wenn ihr beide euch gegenseitig mit dem alten Spuk ängstigt. Seid doch nicht töricht! Nehmt doch euer Leben wahr! Und Sie, Norbert, haben nach meiner Ansicht gewissermaßen sogar die verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, eine Ehe zu schließen. Raubergblut darf nicht aussterben.“

„Raubergblut ist verflucht“, erwiderte er dumpf. „Gut ist’s, wenn es ausstirbt.“

Frau von Amelunxen zog die Stirn in Falten.

„Norbert, Sie sollen dergleichen nicht sagen, Sünde ist das in meinen Augen.“

Sie schüttelte bedauernd den Kopf.

„Schade, über das Thema werden wir uns wohl niemals verständigen können.“

Und dann brach sie ab, erzählte, daß ihre Gesellschafterin auf der letzten Reise krank geworden sei und sie sich aus Freiburg, wo sie sich gerade befunden, einen Ersatz mitgebracht habe.

„Eleonore Rasmussen ist die verwaiste Tochter eines früheren Freiburger Universitätsprofessors“, erklärte sie, „und ich traf sie eben bei der Stellenvermittlerin, als ich dort wegen einer neuen Gesellschafterin Nachfrage hielt.“ Sie stand auf. „Ich werde sie rufen. Sie soll uns ein Täßchen Tee bereiten.“

Schon war sie gegangen.

Norbert hätte sich viel lieber mit Frau von Amelunxen allein weiter unterhalten, Fräulein Beckers Gesellschaft hatte ihn stets angeödet; wer weiß, was für eine langweilige Suse die Neue war.

Aber das durfte er natürlich nicht äußern, und so wartete er denn etwas verstimmt, wen ihm die einstige Freundin seiner Mutter vorstellen würde.

Gesellschafterinnen sind ja meist häßlich, zu mindest aber haben sie altjüngferliche Manieren und Alltagsgesichter, dachte er.

Jetzt wurde der samtene Vorhang vom Nebenraum her zurückgeschoben, die Dame des Hauses trat wieder ein, und ihr folgte . . .

Norbert von Rauberg war aufgesprungen und starrte entgeistert auf das schlanke, hochgewachsene Weib, das da vor ihm stand und ihn anblickte mit dem wundervollsten Blick, der ihn je getroffen. Leicht verschleiert, nachtdunkel und geheimnisvoll waren die Sterne, die das hellbronzene, statuenschöne Antlitz belebten.

Blauschwarze Haarwellen umrahmten metallisch glänzend die gerade, klassische Stirn, und ein Mund erblühte in dem Antlitz so reif, so giftbeerenrot, daß er verlockte zu Tod und Verderben. Norbert fand keine Worte, alles schien ihm unwirklich, unglaubhaft.

Die stolze, berauschend schöne Südländerin seiner Knabenträume war lebendig geworden und sah ihn an mit ihren herrlichen Augen.

Ein forschender Blick war es, der auf ihm weilte, lange, lange. Endlich ließ er von ihm, und als Frau von Amelunxen vorstellte, neigte Eleonore Rasmussen leicht das Haupt.

Königlich kühl und unnahbar, und doch mit anmutiger Liebenswürdigkeit.

„Eleonore, ich bitte Sie, den Teetisch herzurichten, Sie machen es geschmackvoller als Kathi“, bat Frau von Amelunxen, und Norbert folgte mit einem leichten Erstaunen jeder Bewegung Eleonores. Nie und nimmer hätte er geglaubt, daß so herrisch hochgewachsene Gestalten solcher weichen, schmiegsamen Bewegungen fähig seien, daß solche formvollendete Hände so hausfraulich zu walten verstünden.

Eigen war das und überraschend, aber es gefiel ihm, wie ihm bisher noch nichts gefallen hatte.

Frau von Amelunxen bemerkte sein Erstaunen, und als Eleonore auf Minuten das Zimmer verließ, um etwas aus der Küche zu holen, sagte sie:

„Nicht wahr, ich habe mir eine ganz besondere Gesellschafterin zugelegt. Wie eine entthronte Fürstin eines südlichen Landes wirkt sie, und ist doch nur ein armes Hascherl, dem der Vater nichts hinterließ, als was sie auf dem Leibe trägt. Dafür aber kann sie Latein und Griechisch sowie Mathematik und kennt den Sternenhimmel, wie ich ungefähr unsere Kleinstadtstraßen kenne. Sie ist etwas menschenscheu, ihr Charakter ist vornehm und großzügig. Ich verstehe mich ausgezeichnet mit ihr, besser als mit Fräulein Becker.“

„Sie ist wie ein bezauberndes Bild, Tante Amelunxen, es ist ein künstlerischer Genuß, sie nur anschauen zu dürfen“, erwiderte Norbert.

Dann jagte eine flüchtige Röte über sein scharfes Rauberggesicht. „Ich rede Unsinn, Tante Amelunxen, lachen Sie nur auch!“

Eben trat Eleonore wieder ein, das Mädchen war bei ihr, und bald darauf konnte man am Tisch Platz nehmen.

Die Teemaschine dampfte, und Eleonore bereitete mit reizender Geschicklichkeit den goldbraunen Erfrischungstrank, reichte Norbert die gefüllte Tasse.

Frau von Amelunxen plauderte von ihrer letzten Reise, Eleonore warf mit ihrer tiefen, warmen Altstimme zuweilen ein paar Sätze ein.

Norbert beteiligte sich am Gespräch, aber was er redete, hätte er später kaum zu sagen gewußt. Immer wieder suchten seine Blicke heimlich die schöne Eleonore Rasmussen, die ihm die Verkörperung all dessen schien, was ihm eine Frau reizvoll machte.

Frau von Amelunxen versprach, in Kürze einmal nach Rauberg zu kommen und setzte hinzu: „Rauberg dürfte auch besondere Anziehungskraft auf Sie ausüben, liebe Eleonore, es gibt dort einen alten Wartturm, der einst das Asyl eines Astrologen gewesen ist. Die Räume, darin er gehaust, befinden sich noch so ziemlich in dem ehemaligen Zustand.“

Eleonore Rasmussen blickte zu dem jungen Gutsherrn hinüber.

„Das interessiert mich allerdings sehr, Herr von Rauberg, und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn . . .“

Sie sah Frau von Amelunxen bittend an.

Die Dame nickte ihr zu.

„Ich habe Herrn von Rauberg schon vorhin erzählt, daß Sie etwas von der Astronomie verstehen, und er begreift deshalb natürlich, daß Sie auch für die Astrologie etwas übrighaben.“

Eleonore Rasmussen lächelte.

„O, eine ganze Menge habe ich dafür übrig. Denn schließlich kann man doch nicht ganz beiseiteschieben und mit ein paar Worten abtun, was bedeutende Männer fast unheimlich stark beeinflußt hat. Und wenn auch heute kein aufgeklärter, denkender Mensch der Sterndeuterei besondere Zugeständnisse machen wird, muß man doch staunen, daß ein Mann wie Wallenstein ganz blind daran glaubte, sein Schicksal sei ihm vorher in den Gestirnen bestimmt. Merkwürdig auch, daß ein durchaus klarer Kopf wie Luther etwas von der Sterndeuterei gehalten haben soll und sein Freund Melanchton selbst das Horoskop stellte.“

Norbert erfreute sich an dem Anblick des belebten, schönen Gesichts, und er dachte, schade, daß Eleonore Rasmussen nicht weitersprach. Er hätte ihr immerfort zuhören mögen.

Er war Frau von Amelunxen fast dankbar, die sie durch die Bemerkung, die Astrologen hätten eigentlich kaum jemandem genützt, zum Weitersprechen brachte.

Eleonore schüttelte den Kopf.

„Sie irren, gnädige Frau, mit der Annahme, wenn es auch so scheint. Die Astrologen haben der astronomischen Wissenschaft genützt, und zwar dadurch, daß sie gründliche Aufzeichnungen über den Lauf der Gestirne machten, die dann zum Besten der ernsten Astronomie verwandt werden konnten.“

Es trat wieder Schweigen ein. Draußen fuhr ein Wagen vor. Norbert horchte auf. Die Plauderstunde war um. Franz wollte ihn abholen.

Er verabschiedete sich von Frau von Amelunxen mit der Bitte, recht, recht bald nach Rauberg zu kommen, der Wagen stehe jederzeit zur Verfügung, die Damen abzuholen, und dabei freute er sich schon auf das Wiedersehen mit Eleonore Rasmussen, der er zögernd die Linke reichte.

Seine Rechte hielt er krampfhaft versteckt.

Eleonore fragte, nachdem er gegangen, Frau von Amelunxen darüber; es war ihr aufgefallen, daß Norbert Rauberg sowohl die Teetasse mit der Linken zum Munde geführt hatte wie die kleinen Kuchen.

Da erzählte Hertha von Amelunxen von dem Fluch der Raubergs, an den sie selbst nicht glauben wollte, wenngleich sie sich nicht ganz frei davon machen konnte, daß es da doch Zusammenhänge zwischen dem eidbrüchigen Herrn des siebzehnten Jahrhunderts und dem jetzigen Ältesten der Familie geben müßte. Daß eine Kette liefe von jenem zu diesem.

Eleonore Rasmussen begriff nun, weshalb Norbert von Rauberg davor zurückgeschreckt war, ihr beim Abschied die Rechte zu bieten.

Fast hätte sie gelächelt, und heimlich tat sie es auch. Schätzte er sie so ein, glaubte er ein kleines, zimperliches Weibchen vor sich zu haben?

Ihre schlanke, hohe Gestalt schien zu wachsen, und sic dachte, daß ihr eine ehrliche Manneshand mit drei Fingern lieber sei als eine normale Hand, an der fünf falsche Gierfinger saßen. Ekel schüttelte sie, wenn sie an eine solche Hand dachte, die sie einmal gekannt, die ihr Liebe und Treue geschworen, und Liebe und Treue gelogen und getrogen hatte.

Noch nicht allzu weit lag das Erleben zurück, aber es schmerzte nicht mehr; allzu tief hatte sie die Wunde ausgebrannt mit dem scharfen Höllenstein — Verachtung!

Doch jetzt daran nicht denken! Schade um jeden Gedanken an einen völlig wertlosen Menschen!

Frau von Amelunxen erzählte von Rauberg, und ihre Gesellschafterin hörte zu, beschwor Norberts Gestalt vor ihr geistiges Auge, erinnerte sich seiner vornehmen Haltung, seiner offenen, angenehmen Züge, und ein Gefühl von warmer Sympathie quoll in ihr auf.

Ob seine Schwester Ilma ähnlich war wie Norbert Rauberg?

Und während Eleonores Gedanken sich so mit Norbert und der Familie Rauberg beschäftigten, weilten des Mannes Gedanken nur bei ihr.

Wie eine Offenbarung war ihm die Gesellschafterin Frau von Amelunxens erschienen, und niemals im Leben hatte ihn die verkrüppelte Rechte so geschmerzt wie heute, da er davor zurückgescheut, sie einem schönen Weib zum Abschiedsgruß zu bieten.

Er überlegte. Wie viele Männer waren entstellt, mit Körpergebrechen aus den Kriegen heimgekehrt, ohne deshalb auf Liebe und Ehe zu verzichten. Aber etwas anderes, etwas ganz anderes dünkte ihn das.

Sein Gebrechen war erblich!

Ein Jammer ohnegleichen packte ihn an, und es schoß ihm durch den Kopf, es wäre ihm tausendmal wohler gewesen, wenn er Eleonore Rasmussen niemals begegnet wäre. Aber nein, nein! Herrlich war es, sie nur gesehen zu haben. Eine kostbare Statue, ein Meisterbild darf man bewundern, sich daran erfreuen, ohne Begehr danach zu tragen. Ein Rauberg muß bescheiden sein. Die schlichteste Magd würde es sich noch überlegen, ob ihr ein Rauberg gut genug sei, ob sie das frevle Spiel wagen dürfe, daß ihr erstes Kind als „ein Rauberg mit drei Fingern“ zur Welt kommen könnte.

Dennoch, seine allzu finsteren Gedanken überhuschte gleich einem blendenden, kurzen Licht, aus geheimnisvollen Höhen entsandt, die Aussicht, Eleonore Rasmussen bald wiederzusehen, und mehr im Unterbewußtsein freute er sich auch darüber, daß die schöne Eleonore nur eine Gesellschafterin und arm war. Er gebot ja auch über keine Reichtümer; aber ein sorgenfreies Leben vermochte er der Frau, die ihm angehören wollte, doch zu bieten. Vielleicht auch ein wenig mehr.

Die stolzen Schultern Eleonores würden bald müde werden unter dem Joch der Abhängigkeit. Wenn Frau von Amelunxen auch keine Tyrannin war von der Sorte, die eigens dazu geschaffen schienen, arme Gesellschafterinnen zu quälen, so gab es, wenn man das Brot der Abhängigkeit aß, doch nicht immer weiche Brocken.

Er rief sich selbst zur Ordnung. Wohin verirrte sich sein Sinnen und Sehnen?

Rechnete er schon heimlich auf die Armut und Abhängigkeit der schönen Eleonore Rasmussen, um ihr den Platz an seinem Herzen und Herd zu bieten? War er schon so weit, daß er ein Schachergeschäft ins Auge faßte, um ein köstliches Juwel einzutauschen?

Scham schüttelte ihn. Nein, so bescheiden war er nicht. Liebe mußte auch mit Gegenliebe zahlen!

Ilma fragte ihn, ob er Frau von Amelunxen aufgesucht hätte. Er bejahte die Frage und erwähnte flüchtig, die mütterliche Freundin habe sich von ihrer letzten Reise eine neue Gesellschafterin mitgebracht. In den nächsten Tagen dürfte man die Damen auf Rauberg erwarten.

„Sieh einmal an“, wunderte sich Ilma, „so ist Fräulein Becker also nicht mehr persona grata bei Tante Amelunxen? Das ist gut, hab ebensowenig für sie übriggehabt wie du. Wes Geistes Kind ist denn die Neue?“ setzte sie hinzu und blickte den Bruder an.

Er schluckte förmlich, ehe er antwortete. Nur nicht ausführliche Auskunft geben! Er fürchtete, seine Worte würden sonst zu einem gewaltigen Hymnus auf Eleonores seltene Schönheit ausklingen.

„Fräulein Rasmussen ist eine mittellose Professorentochter, die Latein und Griechisch, Mathematik und mehr Weisheit versteht.“

Unvermittelt wollte er auf ein anderes Thema überspringen.

Ilma lächelte. „Allem Anschein nach ist dir die Neue so unsympathisch, wie es Fräulein Becker gewesen, und ich kann mir schon das Äußere dieses Fräuleins vorstellen. Eine Professorentochter, die mit Latein und Griechisch vollgepfropft ist, dürfte ein Scheusälchen sein.“

Norbert wehrte ab. „O nein, aber . . .“

Ilma nickte ihm zu. „Laß nur, Bruder, weise Damen sind selten reizvoll. Weshalb soll Tante Amelunxens Gesellschafterin zu den Ausnahmen gehören?“ Sie blickte mit umflorten Augen vor sich nieder. „Bernd hat mir vorhin durch einen Boten einen Brief gesandt. Er will sich noch immer nicht mit meinem Entschluß abfinden, stellt mir eine Art Ultimatum, ich soll mir alles noch einmal gründlich überlegen. In einigen Wochen will er sich die Antwort holen. Wenn ich dann nicht ja sage, schreibt er, wird er sein Gut verkaufen und weit fortgehen, auswandern. Er könne nicht in meiner Nähe bleiben, so wie die Dinge jetzt stehen.“

Ilma war dem Weinen nahe.

„Konnten wir denn nicht in guter Freundschaft leben, Bernd und ich, meinst du nicht auch, Norbert? Bernd ist hart gegen sich und mich!“

Norbert dachte an die Gesellschafterin Frau von Amelunxens, die er erst ein einziges Mal im Leben gesehen, und die dennoch schon eine Macht auf ihn ausübte, sein Denken beeinflußte, wie es seither noch nie ein Mensch getan.

„Ich glaube Bernd zu verstehen, Ilma“, gab er zurück, „er fühlt sich außerstande, dir oft zu begegnen, er fürchtet sich, zu mächtig an ein Glück erinnert zu werden, das er schon von je ersehnt, und das ihm nie zu Teil werden soll, weil du dich eigensinnig auf einen alten Aberglauben versteifst. Er von seinem Männerstandpunkt grollt dir und muß dir grollen.“

Ilma machte eine heftige Bewegung, wollte etwas erwidern und schwieg dann doch.

Schließlich, alles, was sie zu ihrer Entlastung hätte vorbringen können, wurde immer wieder zu einem Schmerz für Norbert; denn er war doch der Unfreieste, war der in dieser Generation Gezeichnete.

Sie versuchte zu lächeln, aber das Herz war ihr gar so schwer, und plötzlich fiel sie dem Bruder um den Hals und weinte, weinte . . .

Beruhigend strich er über das krause, braune Haar.

„Es kann ja noch Rat werden, du ringst dich sicher noch zum Mut durch.“

Ilma schwieg auch jetzt, aber sie dachte, eigentlich gehörte ungleich mehr Mut und Willenskraft dazu, einem Glück zu entsagen, als es skrupellos an sich zu reißen.

Der Liebe Zaubermacht

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