Читать книгу Ich konnte dich nie vergessen - Anny von Panhuys - Страница 10

7.

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Huberta fand Christa in finsteres Nachdenken versunken. Sie stand in der Nähe des Fensters und schien nicht einmal ihren Eintritt bemerkt zu haben. Huberta hüstelte, entriß sie auf diese Weise ihrem Grübeln.

Christa murmelte: „Ich glaube, es würde mir sehr gut tun, wenn ich noch ein Weilchen allein bleiben könnte, Huberta, bei dir darf ich wohl auf das nötige Verständnis für meine ziemlich flaue Stimmung hoffen. Hansjörg hat mir wieder ohne jeden Grund abscheulich zugesetzt. Ich ertrage das nicht mehr lange.“

Huberta, streichelte sie zärtlich.

„Mach dich doch frei von ihm, Christa! Was nicht geht, das geht eben nicht, du würdest ja eine Sünde gegen dich selbst begehen, wenn du seine Frau werden wolltest. Du bist so eine sonnige Frohnatur und findest immer schnell dein inneres Gleichgewicht wieder. Wer dich nicht ganz genau kennt, merkt dir gar nicht an, was du mit dir herumträgst. Gegen die Kundschaft bist du immer gleichmäßig liebenswürdig und aufmerksam und alle mögen dich gern. Du kannst Anspruch auf den allerbesten Mann machen. Hansjörg aber hat sich letzthin zum Patentekel entwikkelt, er braucht eine Frau, die den Menschenquäler ordentlich an die Leine nimmt, eine, die Haare auf den Zähnen hat. Klein und bescheiden müßte er werden.“

Ihre Augen blitzten. „Sei überzeugt, mit mir dürfte er die Mätzchen nicht machen, aber du bist schon viel zu verdattert zur richtigen Gegenwehr, wie er sie nötig hätte.“ Sie schob Christa die Brosche in die Hand. „Da, guck mal, das hat eben ein Herr gebracht, das sollst du verloren haben. Ich kenne diese Brosche nicht, aber vielleicht gehört sie dir doch!“

Christa Dörfel wickelte ohne besondere Neugier das Papier auseinander. Natürlich konnte man einmal etwas verlieren, ohne es gleich zu vermissen.

Sie blickte auf das glitzernde Füllhorn nieder, hob es vor die Augen.

„Eine wunderhübsche Brosche!“ lobte sie lässig, „aber mir gehört sie nicht. Gib sie also dem Herrn wieder und bestelle ihm, es handle sich um einen Irrtum.“

Sie reichte die Brosche zurück, wollte sich abwenden.

Huberta sagte lebhaft: „Ich habe dem Herrn schon erklärt, soviel ich wüßte, besäßest du eine solche Brosche nicht, aber er behauptet, er wüßte genau, daß du diese Brosche in letzter Zeit täglich getragen hättest. Deshalb ist es wohl am besten, du sagst ihm das selbst, was ich ihm bestellen soll. Mir glaubt er es vielleicht doch nicht.“ Sie raunte: „Es ist ein sehr sympathischer und netter Herr. Eigentlich wollte er vorhin schon gehen, er hat nämlich allerlei von Hansjörgs Schreierei mitangehört und ich habe ihn im Verkaufsraum festgehalten, damit er dem dämlichen Hansjörg nicht gerade in die Quere laufen sollte, sonst hätte der schließlich sogar in dem Fremden einen Anbeter von dir zu sehen geglaubt. Er hat sich vorgestellt, der Fremde, aber sein Name ist mir wieder entfallen, ich glaube er hieß ,Eremitʻ. Ach nein Mönchʻ oder so ähnlich.“

Christa fuhr mit der Rechten ordnend über ihr Haar und entschloß sich: „Ich werde selbst mit dem Herrn reden. Peinlich genug, daß ein Fremder Ohrenzeuge der Szene geworden ist, die mir Hansjörg wieder als Sonntagsfeierstunde beschert hat.“ Sie reckte den schlanken Körper und brachte sogar ein Lächeln zustande. „Gib die Brosche wieder her, ich werde mit diesem Herrn Eremit oder Mönch reden, ich bin allerdings in einer Stimmung, allen Männern Fehde anzusagen.“

Sie bat: „Komm nicht mit, Huberta, ich möchte den Herrn so schnell wie möglich hinauskomplimentieren.“

Huberta blieb zurück und Christa betrat das große Zimmer mit den Scheibenschränken.

Stefan Pilger erhob sich bei ihrem Eintritt von einem Stuhl und verneigte sich leicht, wartete eine Anrede ab.

Christa erwiderte den Gruß.

„Ich danke Ihnen für Ihre Bemühungen, mich wieder in den Besitz eines wertvollen Schmuckstückes bringen zu wollen, mein Herr, aber die Brosche gehört mir nicht. Ich möchte fast sagen ,leiderʻ, denn sie ist sehr hübsch.“

Stefan Pilger blickte die junge Dame erstaunt an.

„Ich habe Fräulein Meister erklärt, daß Fräulein Christa Dörfel die Brosche verloren hat.“

Die schlanke Blondine blickte ebenfalls erstaunt.

„Ich heiße Christa Dörfel, mein Herr.“

Er zog die Brauen zusammen und fragte: „Dann gibt es eben noch eine andere Christa Dörfel. Die ich kannte, hat mit Ihnen nicht die geringste Ähnlichkeit. Haben Sie eine Schwester?“

Christa verneinte die Frage.

„Erstens habe ich keine Schwester und falls ich eine hätte, würde sie wohl kaum auf denselben Vornamen wie ich getauft sein, das ist im allgemeinen nicht üblich.“

„Nein, das ist im allgemeinen nicht üblich“, gab er zu und stand nun einem neuen Rätsel gegenüber. Die Christa Dörfel, die er kannte und liebte, die ihn geküßt und die er gebeten, seine Frau zu werden, hatte außer der schlanken Figur und dem wunderschönen Haar, nichts gemeinsam mit der Christa Dörfel, die ihn immer fragender anblickte.

Er wußte wirklich nicht, was er jetzt denken sollte und es blieb ihm nur die Möglichkeit anzunehmen, die Christa Dörfel, die sich ihm gegenüber so genannt, mußte in Wirklichkeit anders heißen. Sie hatte ihn aus irgend einem Grund von Anfang an belogen und gewußt, daß sie bald wieder aus seiner Nähe verschwinden würde.

Sie hatte gar nicht im Ernst an eine Ehe mit ihm gedacht und als er ihre Bekanntschaft mit seiner Schwester vermitteln wollte, war sie, genau wie es Julie aufgefaßt, der Begegnung ausgewichen. Ihr lag nichts an der Bekanntschaft seiner Schwester, da sie fürchten mußte, ihr Schwindel würde sich dann nicht mehr lange halten können.

Er war weder schauspielerisch noch diplomatisch begabt, nur zu deutlich konnte Christa von seinem Gesicht ablesen, daß er sich in großer Verwirrung befand.

Sie meinte: „Es scheint Sie sehr zu enttäuschen, daß ich keine Schwester habe, die ebenfalls Christa heißt. Aber ich habe überhaupt keine Schwester und soviel ich weiß, heißt in ganz Frankfurt niemand mehr Christa Dörfel, wenigstens im Adreßbuch bin ich die einzige, das steht fest.“

Er seufzte und sagte ergeben: „Ich muß mich eben damit abfinden, daß es sich so verhält. Ich sehe ein, man hat sich entweder einen törichten Scherz mit mir erlaubt, oder es handelt sich um einen mir bis jetzt unerklärlichen Irrtum. Also verzeihen Sie meinen Besuch, Fräulein Dörfel, ich bedauere sehr, Sie gestört zu haben.“

Christas schmales Gesicht zeigte lebhaftere Farbe als vorhin.

„Bleiben Sie doch noch, Herr —?“

Sie sah ihn fragend an, sie wußte nun noch immer nicht, ob er Eremit oder Mönch hieß, Huberta hatte die Beantwortung dieser Frage offen gelassen.

Er lächelte höflich: „Pilger heiße ich, Stefan Pilger.“

Christa dankte. „Hören Sie, Herr Pilger, bitte, bleiben Sie doch noch ein wenig, denn eigentlich sind Sie mir wohl eine Erklärung schuldig.“

Sie bot Platz an und er setzte sich, nachdem auch sie sich gesetzt hatte.

Sie sprach weiter: „Soviel ist mir klar, Sie kennen jemand unter meinem Namen und kamen hierher, um diese andere Christa Dörfel zu treffen. Also waren Sie überzeugt, sie wohnt hier. Verzeihen Sie, doch ich muß annehmen, eine Fremde hat sich zu irgendwelchem Zweck meines Namens bedient, und es darf mir niemand verübeln, wenn ich nun wissen möchte, zu welchem Zweck. Es könnte doch aus unlauteren Beweggründen geschehen sein und mir Schaden daraus erwachsen. Wenn Sie mich jetzt einfach ohne die geringste Erklärung verlassen, würde ich sehr beunruhigt sein. Sie wollten mir zwar eine sehr wertvolle Brosche zurückbringen, die Eigentum jener Christa Dörfel sein soll, aber nach Ihnen könnte ein anderer Herr kommen und behaupten, Christa Dörfel hätte irgendwelche Schwindeleien in Szene gesetzt, wofür ich gerade stehen soll. Ich kenne Ihre Christa Dörfel nicht, doch wünsche ich zu wissen, was für einer Sorte von Menschenkindern sie angehört.“

Stefan Pilger antwortete: „Ich sehe ein, Sie haben vollkommen recht, doch bin ich mir nicht recht klar, welche Auskunft ich Ihnen geben soll. Ich weiß selbst nur wenig von dem Mädchen.“ Er berichtete ehrlich: „Ich lernte zufällig eine junge Dame kennen, deren Haar dem Ihren sogar sehr gleicht, die aber sonst keine Ähnlichkeit mit Ihnen hat. Sie nannte mir, als ich ihren Namen wissen wollte, den Namen Christa Dörfel und erzählte mir, ihre Mutter besäße ein Damenhutatelier in der Mainzer Landstraße, in dem auch sie mitarbeite. Sie wäre die beste Arbeiterin in diesem Geschäft und ihre Mutter würde deshalb nur schwer ihre Erlaubnis zu unserer Ehe geben.“

Er konnte ein bitteres Lachen nicht unterdrücken. „Warum mir die Betreffende den Bären aufgebunden hat, entzieht sich bis jetzt noch meiner Kenntnis.

Christa Dörfel beobachtete, wie schwer es dem Mann wurde, ihr diese Mitteilung zu machen.

Sie schüttelte den Kopf. „Das klingt nach Abenteuer und Hochstapelei. Hat sich diese Dame, verzeihen Sie, finanzielle Vorteile von Ihnen verschafft oder zu verschaffen versucht?“

Er verneinte fast heftig.

„Dergleichen traue ich ihr nicht zu. Ich halte es für völlig ausgeschlossen, daß sie bei mir finanzielle Vorteile im Auge hatte, doch es ist mir unerklärlich, weshalb sie mich belog.“

Der warme mitleidige Blick der ihm Gegenübersitzenden machte ihm das Sprechen leichter und er erzählte wahrheitsgetreu sein Erlebnis mit der Dame bis zu ihrem befremdenden Verschwinden und dem Fund der Brosche.

Christa Dörfel stand ganz im Bann seiner Erzählung, die sie seltsam fand und wert, sich ein wenig den Kopf darüber zu zerbrechen.

Sie fragte: „Anscheinend halten Sie die Brosche nur für eine nette Nachbildung, Herr Pilger?“ Er bestätigte es.

Sie wurde eifrig: „Bewahre, das ist ein Irrtum, von Steinen verstehe ich genügend, die Brosche besteht aus schwerem Gold, Platin, Brillanten, Smaragden, Rubinen, Saphiren und so weiter. Sie kostet sicher eine Menge Geld.“

„Das tut mir aber leid, weil ich sie dann leider nicht daheim einfach in irgendeinen Schubkasten legen darf, damit sie mir zunächst nicht mehr vor die Augen kommt, oder noch besser, wie ich vorhin schon erwog, irgendwo ins Wasser werfen darf, was mir noch lieber wäre. Ich schätzte es auf zehn, allerhöchstens aber auf zwanzig Mark.“

Christa lächelte nachsichtig wie über eine kindliche Äußerung.

„Nein, wegwerfen dürfen Sie die Brosche nicht, sie auch nicht in irgendeinen Kasten zur Vergessenheit verurteilen. Ich glaube, dadurch würden Sie sich einer Fundunterschlagung schuldig machen. Der Gegenstand ist dazu eben viel zu wertvoll.“

„Aber um des Himmels willen, was soll ich denn sonst mit dem Ding anfangen?“ fragte er nervös.

„Das dürften Sie doch selbst wissen, das ist doch das einfachste von der Welt“, gab sie mit leichtem Vorwurf zurück. „Sie müssen den Fund auf dem Fundbüro abgeben, alles Weitere findet dann von selbst.“

„Soll ich auf dem Fundbüro vielleicht auch erzählen, was sonst noch alles mit der Brosche zusammenhängt?“ fragte er mit deutlicher Bitternis.

Sie sah ihn mit gütigen Augen an.

„Das kümmert die Beamten des Fundbüros ja gar nicht. Sie brauchen auf dem Büro nur anzugeben, wann und wo die Brosche gefunden wurde, aber nicht, wer sie nach Ihrer Meinung verloren hat.“

Er erhob sich langsam. „Es ist schön, ich werde das tun, denn einer Fundunterschlagung möchte ich mich nicht schuldig machen und eigentlich fand ein Gartennachbar von mir das Stück. Doch ich darf Sie nicht länger aufhalten, Fräulein Dörfel, habe es sowieso schon zulange getan.“ Ihm fiel etwas ein: „Befindet sich unter Ihrem Bekanntenkreis keine junge Dame, der Sie den Mißbrauch Ihres Namens zutrauen würden? Es muß sich doch um eine Person handeln, die Ihren Namen und Ihre Wohnung kennt.“

Christa schüttelte lebhaft den Kopf. „Ich wüßte keine Dame, der ich diese Unverschämtheit zutraue. Am liebsten brächte ich die Angelegenheit bei der Polizei vor.“

Er bat dringend: „Tun Sie das nicht, mir wäre das schrecklich unangenehm, wie Sie wohl begreifen, und reale Verluste sind weder Ihnen noch mir entstanden.“

Christa bat: „Wenn Sie noch etwas hören sollten, was mit der Sache in Verbindung steht, dann machen Sie mir doch bitte Mitteilung. Schließlich geht es mich auch an, weil mein Name mißbraucht wurde, und wenn mir etwas einfallen sollte, was Ihnen als Fingerzeig für Nachforschungen dienen könnte, verspreche ich, Ihnen Mitteilung davon zu machen. Nennen Sie mir, bitte, Ihre Wohnung, Herr Pilger.“

Er tat es sofort und sie notierte auch seine Telefonnummer. Er verabschiedete sich und ging, verwirrt von dem Rätsel, das jetzt die schöne Blondine umgab, die sich so innig in seine Arme geschmiegt und seine Küsse zo zärtlich und hingebend erwidert.

So zärtlich und hingebend, daß es ihm unfaßbar schien, sie hätte ihn auch nur im geringsten belogen. Und doch hatte sie es getan. Alles um sie herum war Lüge gewesen.

Wo mochte sie, die sich für ihn mit falschem Namen getarnt, jetzt sein? Sie, die plötzlich wie ein herrliches Wunder, wie das größte Glück in sein Leben getreten, um dann ebenso plötzlich, stumm und geheimnisvoll, wieder daraus zu verschwinden.

Ich konnte dich nie vergessen

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