Читать книгу Ich konnte dich nie vergessen - Anny von Panhuys - Страница 7

4.

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Als Stefan den Weg betrat, der durch das Stück Land der Kleingärtner führte, sah er vor seiner Gartentür den unangenehmen Mann mit dem gelbhäutigen Bulldoggengesicht warten. Er grüßte und fragte: „Wollen Sie zu mir, Herr Hartschmidt?“

Der grinste, und die schmalen Lippen enthüllten dabei das Gehege der häßlichen stockfleckigen Zähne.

„Allerdings, ich wollte zu Ihnen.“ Er zwinkerte. „Es handelt sich um die Goldblonde, mit der Sie verlobt sind, wie Sie mir gestern verrieten. Aber lassen Sie mich wenigstens ’nen Augenblick mit rein in Ihr Sommerschloß, ich mache mir nix aus neugierigen Nachbaraugen und Ohren. Es entsteht leicht Geklatsch und der Wind trägt es dann herum.“

Stefan schloß die Gartentür auf. Was wollte der eklige Geselle nur von ihm? Er bat, in die Wohnlaube einzutreten und bot ihm drinnen Platz an.

Hartschmidt, klein und hager, knickte beim Niedersetzen zusammen wie eine Figur mit künstlichen Gelenken, und dann zog er aus seiner Brusttasche eine Brosche von ziemlich großer Form, fragte: „Kennen Sie vielleicht das Schmuckstück?“

Stefan Pilger konnte die Frage sofort bejahen.

„Die Brosche gehört meiner Braut, Fräulein Dörfel, ich habe sie am Halsausschnitt ihrer Bluse gesehen. Ein so auffälliges Stück erkennt man leicht wieder.“

Hartschmidt reichte ihm die Brosche, die ein ungefähr acht Zentimeter langes Füllhorn darstellte, das förmlich übersät war von bunten Steinchen aller Farben, auch weiße befanden sich darunter. Es glitzerte und funkelte, als ob es aus wertvollen Juwelen bestände und war doch sicher nur hübschgearbeitete Bijouterieware.

„Wie kommen Sie zu der Brosche?“ fragte Stefan Pilger.

„Bitte, wenn Sie den Ton eines Richters gegen einen schwer Verdächtigen annehmen wollen, täte mir meine Ehrlichkeit leid“, gab der alte Herr stocksteif zurück. „Ich habe das Ding gefunden, dich. or meinem Zaun am Weg und habe es erst sauber gemacht, Regen und Sand hatten es gründlich eingedreckt.“

Stefan Pilger entschuldigte sich: „So habe ichs doch nicht gemeint, Herr Hartschmidt, ich wollte Sie durchaus nicht beleidigen, bewahre! Und nun danke ich Ihnen schön, und wenn ich Ihnen einen Gegendienst erweisen darf, werde ich es mit Vergnügen tun.“

„Sehr angenehm!“ lachte der andere hämisch.

„Ich werde die Brosche morgen meiner Braut bringen!“ erklärte Stefan Pilger freundlich, er mochte das Ekel nicht zum Feind haben.

Das Bulldoggengesicht sah jetzt fast fröhlich aus.

„Ja, tun Sie das nur, bringen Sie ihr das Glitzerchen und grüßen Sie Ihre Braut recht schön, vorausgesetzt natürlich, daß Sie wissen, wo sie sich befindet. Es kommt mir fast so vor, als ob Sie das nicht so genau wüßten, sonst hätten Sie doch gestern gleich zu ihr laufen können, statt Razzia abzuhalten hier auf unserm ganzen Gelände zwischen den zwei Landstraßen. Ich hatte schon Angst, Sie dächten gestern, ich hätte das süße Weibwunder abgemurkst und wollte es einbuddeln, weil ich doch ’ne Grube ausgehoben habe.“

Stefan Pilger mußte an sich halten, um den Menschen nicht hinauszuwerfen.

Er verwies ihn ernst: „Mit solchen Dingen scherzt man nicht.“

„Nein“, gab Hartschmidt zu, „das soll man allerdings nicht tun, weil sich solche Dinge tatsächlich schon öfter zugetragen haben.“ Er schüttelte sich. „Eine schaurige Angelegenheit, nicht wahr?“ Von seiner Nase bis hinunter zum breiten Mund zogen sich je zwei dicke Falten. Wie aus Gummi sahen sie aus und sie bewegten sich leicht auf und nieder, als ob Hartschmidt heimlich lache.

Die Gegenwart des Mannes bedrückte Stefan Pilger; er wünschte, daß er ginge, man hatte sich doch nun gar nichts mehr zu sagen, aber unwillkürlich schoß ihm die Frage durch den Kopf: Welchen Beruf der unangenehme Zeitgenosse vor seiner jetzigen Altersruhezeit einmal ausgeübt haben mochte. Er hatte darüber noch nie etwas von einem Gartennachbar gehört und anscheinend wußte es auch niemand.

Die Frage kehrte wieder, gebärdete sich aufdringlich, und weil sich eine lange Unterhaltungspause eingenistet, die fast etwas Peinliches hatte, fragte er geradezu: „Was sind Sie eigentlich von Beruf, Herr Hartschmidt? Ihr Name klingt nach derbem Handwerk, aber ich könnte Sie mir zum Beispiel nicht recht am Amboß vorstellen.“

„Neugierig sind Sie, bester Herr Pilger, aber ich habe gerade ein bißchen Zeit, und Sie dürfen raten, wenn es Ihnen Spaß macht. Ich will nur gleich erklären, daß ich weder ein von den Frauen vergötterter Tenor gewesen bin, noch ein Henker, die zwei Berufe scheiden also von Anfang an aus, und das Raten wird Ihnen dadurch bedeutend erleichtert.“

Stefan Pilger fand, über jedem Satz, der aus dem breiten Mund des dürren Mannes kam, lag der trübe häßliche Nebel von Spott. Aber Ende gut, alles gut, der Mensch sollte seine Wohnlaube nicht als sein Feind verlassen.

So sagte er denn freundlich: „Vielleicht waren Sie Bäckermeister oder einer der schwarzen Herren, die mit dem Zylinderhut auf dem Kopf, am Alltag arbeiten gehen und für die Sauberkeit unserer Schornsteine sorgen, vielleicht waren Sie Kapitän und sind weit über die Meere gefahren, oder Sie haben in Alaska oder sonstwo Gold gegraben.“ Er erklärte und sah den Alten nachdenklich an: „Ich kann Sie mir sogar sehr gut als Kapitän vorstellen, aber auch als Pelzjäger im Hundeschlitten in den Schneeländern auf der anderen Seite des Globus, ich kann Sie mir jedoch nur schwer als Bäcker- oder Schornsteinfegermeister vorstellen.“

Der Besucher schüttelte in seiner spöttischen Art abwehrend den Kopf.

„Von Menschenkenntnis haben Sie keine Spur, also strengen Sie sich nicht weiter an, und raten können Sie auch nicht. Also lassen Sie es nur sein.“ Er erhob sich. „Wissen Sie, ich habe keinen richtigen Grund, mich meines einstigen Berufes zu schämen, aber es liegt mir wenig daran, daß man sich vielleicht in acht Tagen in allen Gärten hier und in der Nähe erzählt, der alte Hartschmidt, der Kerl mit der verdammt unangenehmen Visage und dem Spottmaul war früher mal —“

Sein Lachen, das fernem heiserem Bellen glich, endete den Satz und Stefan Pilger wartete, er solle noch etwas hinzufügen, doch Hartschmidt schwieg.

Stefan Pilger hatte sich auch erhoben.

„Ich bin nicht neugierig, Herr Hartschmidt, und ich bitte um Entschuldigung wegen meiner Frage. Sie sollen mir nichts anvertrauen, was Sie mir nicht anvertrauen mögen. Schließlich geht es mich wirklich nichts an, was Sie gewesen sind. Aber ich habe kein rechtes Verständnis für Ihre Auffassung. Ich war ein kleiner Buchhalter und hoffe, in Kürze Prokurist unserer Firma zu werden, das kann jeder wissen. Aber nichts für ungut, Herr Hartschmidt.“

Er war überzeugt, jetzt würde sich der alte Mann entfernen, doch der schien gar nicht daran zu denken. Regungslos stand er da, und sein Blick glitt von schräg unten heraus, tastete das Gesicht Stefan Pilgers förmlich ab, erklärte nach langem Schweigen: „Sie haben ein anständiges Gesicht, und ich glaube mich darauf verlassen zu dürfen, Sie werden, wenn ich rede, nicht mit Ihrem Wissen in die Wohnlauben hausieren gehen. Deshalb sollen Sie hören, was und wer ich gewesen bin. Kein hohes Tier, aber ein beliebter Clown war ich und habe mein Geld verdient in aller Herren Länder. In jedem bedeutenden Zirkus, in jedem großen Spezialitätentheater aller Weltteile habe ich gearbeitet und das Publikum zum Lachen gezwungen. Die höchsten Gagen, die je Direktionen für einen Clown gezahlt, erhielt ich. Ich konnte das Geld im wahren Sinne des Wortes scheffeln.“ Er reckte sich ein wenig auf. „Jetzt wissen Sie, was ich von Beruf gewesen bin, Herr Pilger, und es wäre mir, wie ich nochmals betonen möchte, sehr lieb, wenn Sie es für sich behalten würden.“

Stefan Pilger gab zurück: „Darauf dürfen Sie sich verlassen.“ Er gestand: „Aber von selbst wäre ich niemals auf Ihren Beruf gekommen, und doch meine ich jetzt, nachdem Sie ihn mir genannt, ich hätte es eigentlich sofort erraten müssen.“ Er fügte hinzu: „Ich habe gerade letzthin in einer Berliner Zeitung einen Aufsatz über berühmte Clowns der Gegenwart und der Vergangenheit gelesen, und der Aufsatz schien, soweit ich da zu beurteilen vermag, von gut unterrichteter Seite zu stammen. Doch Ihr Name, verzeihen Sie, Ihr Name befand sich nicht unter den angeführten Namen, denn er wäre mir, weil er nicht häufig vorkommt, sofort aufgefallen.“

Der kleine Mann nickte. „Natürlich, mein Name war nicht dabei, aber vielleicht fanden Sie den Namen „Müllerchen?“ Müller hieß meine Mutter, und ich machte als junger Kerl „Müllerchen“ daraus und zog damit los. Der Name brachte mir Glück, ich wurde berühmt.“

Wie einfach er das sagte und doch mit einem gewissen Stolz. Zum erstenmal war ihm Hartschmidt sympathisch, stellte Stefan Pilger fest.

In seinem Blick lag Hochachtung.

„Ja“, gab er zu, „von dem Clown ,Müllerchenʻ war in dem Artikel ganz besonders die Rede, er wurde als der größte deutsche Clown hervorgehoben, es hieß dann aber von ihm, es wäre nicht herauszubringen, ob er noch lebe und wo. Aber —“

Er verstummte plötzlich.

Hartschmidt hob die Hand wie zur Abwehr.

„Sie sprachen nicht weiter, Herr Pilger, weil Ihnen noch rechtzeitig einfiel, es wäre taktlos, mir anzudeuten, was Sie sonst noch über ,Müllerchenʻ gelesen haben. Bemühen Sie sich nicht, in diesem Fall erlasse ich Ihnen das höfliche Leugnen. Der Schreiber des betreffenden Artikels hat sicher darauf hingewiesen, daß ,Müllerchenʻ eine große Dummheit beging, weil er die Geschichte, daß ein Lump mit seiner leichtsinnigen, schönen, und von ihm abgöttisch geliebten Frau durchging, nicht so auffaßte, wie es eigentlich sein Beruf von ihm gefordert hätte. Also nicht von der komischen Seite, sondern von der allerernstesten. Er versetzte nämlich dem Subjekt ein paar kräftige Messerstiche und tauschte dafür fünf Jahre Zuchthaus ein.“

Er seufzte. „Das werden Sie gelesen haben, Herr Pilger, und jetzt wissen Sie Bescheid, wer der alte Hartschmidt einmal gewesen ist vor langen Jahren, vor Ewigkeiten, wie es mir manchmal scheinen will, und Sie haben zugleich gelernt, daß auch ein Spaßmacher des Publikums ein Privatleben und eine Privatehre hat, wenn er auch abends im Zirkus Tölpeleien begehen und sich von irgendeinem Partner Ohrfeigen geben lassen muß.“

Stefan Pilgers Sympathie für den Mann mit dem gelben Bulldoggengesicht wuchs, und er reichte ihm die Hand, drückte sie fest.

„Lassen Sie sich doch öfters einmal hier bei mir sehen, Herr Hartschmidt. Das, was Sie getan haben, ist natürlich zu verurteilen, es wäre besser gewesen, Sie hätten den Lumpenkerl ordentlich verprügelt oder verprügeln lassen, aber verstehen kann ich Sie.“

Sie trennten sich wie Freunde, und verwundert sah ein Nachbar mit an, daß sich beide an der Gartentür mit langem Händedruck verabschiedeten.

Stefan Pilger entschied sich, selbst seiner Schwester, vor der er kein Geheimnis hatte, nicht von dem zu erzählen, was er über die Person Hartschmidts erfahren. Vielleicht sähe sie alles mit anderen Augen an als er.

Er berichtete ihr jedoch, daß Hartschmidt die Brosche Christa Dörfels vor seinem Garten gefunden und ihm ausgehändigt. Er zeigte sie ihr. Sie fand sie auffallend.

Stefan Pilger entschied sich, falls Christa sich auch morgen, Sonnabend, nachmittags nicht in seinem Garten sehen lassen würde, sie am Sonntag vormittag in der Mainzer Landstraße aufzusuchen, um ihr die Brosche zu bringen und sie selbst bei der Gelegenheit zu befragen, was ihr merkwürdiges Verhalten zu bedeuten hätte. Heimliche Angst quälte im sehr.

Seine Schwester stimmte ihm zu, den Sonntagsbesuch zu machen.

Christa Dörfel ließ sich auch am Sonnabend nicht im Garten sehen.

Ich konnte dich nie vergessen

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