Читать книгу Der Iceman - Anthony Bruno - Страница 6

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Die Türklingel läutete. Der einundfünfzigjährige Richard Kuklinski schaute nur flüchtig vom Bildschirm hoch. Seine Frau Barbara war mit den Töchtern Merrick und Christen zum Einkaufen weg, aber sein Sohn Dwayne musste irgendwo im Haus sein. Er würde schon öffnen. Kuklinski ging nie selbst an die Tür.

Es läutete erneut, und Shaba, der Neufundländer, erwach­te aus seinem Nickerchen. Der zottelige schwarze Hund war groß wie ein Bär. Kuklinski hatte ihn völlig entkräftet in einem Müllcontainer gefunden, zusammen mit zwei weite­ren Welpen, die bereits tot waren. Der Name des Hundes bedeutete auf polnisch ›kleiner Frosch‹. Sie hatten ihn so genannt, weil er, wie alle Neufundländer, zwischen den Zehen seiner großen Pfoten Schwimmhäute hatte und, ehe er laufen konnte, im Haus herumhopste wie ein Frosch.

Die Klingel läutete ein drittes Mal. Der große Hund öffne­te die Augen und knurrte.

Kuklinski strich ihm über den Kopf. »Schon gut, Shaba. Alles in Ordnung. Dwayne! Geh aufmachen.«

Wieder läutete es. Der Hund stand auf und trottete bellend in den Flur. »Dwayne?« Es kam keine Antwort. Anscheinend war er nach draußen gegangen.

Shaba kläffte inzwischen an der Haustür. »Sei, still«, brummte er und versuchte, sich auf den Film zu konzentrie­ren.

Erneut schellte es, und der Hund wurde immer wilder.

»Scheiße.« Fluchend stemmte Kuklinski seine 270 Pfund schwere und 1,93 große Gestalt aus dem Sofa.

»Shaba«, rief er. »Klappe.«

Das Tier gehorchte nicht, was keineswegs ungewöhnlich war, aber Kuklinski geriet dadurch noch mehr in Wut. Garan­tiert standen da draußen bloß wieder diese verdammten Zeugen Jehovas. Er würde dafür sorgen, dass sie bereuten, ihn heute morgen belästigt zu haben.

An der Eingangstür packte er Shabas Halsband, ehe er den Riegel zurückschob und ein paar Zentimeter öffnete.

»Was ist?«, fauchte er. Shaba sträubte sich heftig gegen seinen Griff.

Zwei breitschultrige Männer, korrekt bekleidet mit Anzug und Krawatte, standen vor ihm. Einer hielt eine Dienstmarke hoch. »Mr. Richard Kuklinski?«

Kuklinski öffnete die Tür ein Stück weiter und musterte kritisch die Marke. »Ja? Kann ich Ihnen helfen?«

»Ich bin Detective Volkman von der New Jersey State Police, und das ist Detective Kane. Wir möchten Ihnen ein paar Fragen stellen.«

»Worum geht’s?«

»Verschiedene Morde.«

»Ich weiß nichts von irgendwelchen Morden.«

Shaba versuchte knurrend, sich loszureißen.

»Haben Sie einen George Malliband Junior gekannt?«, frag­te Detective Volkman.

Kuklinski schüttelte den Kopf.

»Und einen gewissen Louis Masgay?«

»Nein.«

Detective Kane, der Jüngere der beiden, sagte kein Wort und starrte ihn einfach nur finster an. Kuklinski kannte diese Spielchen. Sie waren nicht die ersten Bullen, die hier auf­tauchten und dumme Fragen stellten. Volkman, der Spre­cher, würde sich nett und freundlich geben, Kane würde den bösartigen Fiesling spielen. Er hätte ihnen am liebsten ins Gesicht gelacht. Was glaubten diese Burschen, wer sie wa­ren? Oder besser gesagt – was glaubten sie, mit wem sie es zu tun hatten?

»Wie ist es mit Paul L. Hoffman?«, fragte Volkman. »Haben Sie den gekannt?«

Kuklinski verneinte kopfschüttelnd.

»Gary Thomas Smith?«

»Nee.«

»Und Daniel Everett Deppner?«

Kuklinski riss scharf an Shabas Halsband, um den aufge­brachten Hund zu bändigen. »Auch noch nie gehört.« Er behielt die Hand an der Tür, um sie jederzeit zuschlagen zu können.

Detective Volkman warf seinem Partner einen kurzen Blick zu. »Nun, wenn Sie diese Männer nicht kennen, Mr. Kuklinski, dann wissen Sie vermutlich auch nichts über Roy DeMeo!«

Kuklinski musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen, und sein Griff um das Halsband des Hundes verstärkte sich. Wie zum Teufel hatten sie diesen Namen erfahren?

»Roy DeMeo«, fuhr Detective Kane ihn an, »war ein Mit­glied des Gambinosyndikats – bis er ermordet wurde.

Kuklinski setzte ein Lächeln auf. »Wollen Sie nicht lieber reinkommen? Wir brauchen doch nicht hier draußen zu reden.« Er öffnete die Tür. Shaba war aufgeregt, beschnüffel­te eifrig die Hosenbeine der Polizisten, hatte aber aufgehört zu bellen.

Kuklinski führte sie ins Wohnzimmer. »Bitte sehr«, sagte er und deutete zur Couch, während er es sich auf seinem Lieblingsplatz bequem machte, dem beigen Ledersessel ne­ben dem Kamin, seinem ›Thron‹. Der zottelige Neufundlän­der ließ sich zu seinen Füßen auf den Boden fallen. Kuklinski nahm die dunkle, bernsteinfarbene Kassenbrille aus seiner Brusttasche, setzte sie auf und starrte seine beiden Besucher stumm an. Wenn ihnen das Schweigen unangenehm wurde, würden sie schon reden. Er wollte erst mal abwarten, um zu sehen, wie viel sie tatsächlich wussten.

Detective Volkman begann schließlich zu sprechen. »Sind Sie sicher, dass Sie keinen dieser Männer kennen, Mr. Kuk­linski?«

Kuklinski schüttelte wortlos den Kopf.

»Ein George Malliband ist Ihnen also unbekannt?«, fragte Kane.

»So ist es.«

Volkman öffnete ein kleines Notizbuch. »Am 31. März 1980 sagte Mr. Malliband seinem Bruder, dass er sich mit Ihnen wegen eines Geschäftsabschlusses treffen wolle. Das war das letzte Mal, dass er lebend gesehen wurde.«

Kuklinski zuckte die Schultern. »Tut mir leid. Ich kann mich an niemanden mit einem solchen Namen erinnern.«

Er kraulte Shabas Fell und dachte an George Malliband. Der Fettsack mit seinen dreihundert Pfund hatte kaum in das Fass gepasst.

Detective Volkman überflog seine Notizen. »Am 1. Juli 1981 hatte sich Louis Masgay mit Ihnen in Little Ferry verab­redet, um unbespielte Videokassetten zu kaufen. Er trug eine große Summe Bargeld bei sich. Seine Leiche wurde zwei Jahre später in Orangetown, New York, gefunden.«

Kuklinski hob die Augenbrauen und lächelte. »Ich habe Ihnen schon gesagt, Detective, dass ich diese Typen nicht kenne.«

Er streichelte das schwarze Fell des Hundes. Fast hundert Riesen. Knochenhart gefroren, steif wie ein Brett. Und die Bullen standen da wie ein Haufen Esel.

Volkman blätterte weiter in seinem Notizbuch. »Paul Hoff­man, ein Apotheker aus Cliffside Park. Er verließ sein Haus am 29. April 1982 mit der Absicht, Sie in einer geschäftlichen Angelegenheit zu treffen. Und auch er hatte eine große Summe Bargeld bei sich.«

»Kenne ich nicht.«

Kuklinski betrachtete den dösenden Neufundländer. Ging einem richtig auf den Sack, dieser Kerl. Kaum die zwanzig Riesen wert für all die Nerven, die er einen gekostet hatte.

Detective Kane meinte, entsprechend seiner Rolle, hä­misch: »Und jetzt wollen Sie uns wohl noch auftischen, dass Sie auch Gary Smith und Danny Deppner nicht gekannt haben, was?«

Kuklinski musterte ihn ungerührt durch seine dunklen Brillengläser und wandte sich wieder an Volkman. »Warum mag der gute Mr. Kane mich nicht?«

»Beantworten Sie einfach nur die Frage, okay?«, fuhr Kane ihn an.

»Was soll ich denn machen, Detective? Wenn ich gesagt habe, dass ich diese Typen nicht kenne, dann kenne ich sie nicht.«

Shaba hob den Kopf und knurrte. Kuklinski kraulte ihm beruhigend die Ohren. Smith und Deppner hatten ver­schwinden müssen. Man hätte ihnen nicht länger vertrauen können.

Kane hockte auf dem Rand der Couch, als wolle er im nächsten Moment aufspringen, und fauchte herausfordernd: »Mr. Kuklinski, wir haben verlässliche Informationen, dass Sie mit Gary Smith und Danny Deppner gut bekannt waren. Beide sollen für Sie gearbeitet haben.«

»Und von wem stammen diese verlässlichen Informatio­nen?«

»Ich bin nicht ermächtigt, den Namen preiszugeben.«

»Ist das möglich, Detective? Ich dachte, wir seien hier in Amerika. Hat man da nicht ein Recht zu wissen, wer seine Ankläger sind? Oder sehe ich mir vielleicht bloß zu viele Fernsehsendungen an, Detective? Könnte das mein Problem sein, Detective?«

Shaba knurrte tief in der Kehle.

Die dunkle Brille verbarg das wütende Funkeln in Kuklinskis Augen. Er konnte sich ganz gut denken, wer ihre ›verlässli­che Quelle‹ war. Dieser verfluchte Percy House und seine Schlampe – Barbara Deppner, Dannys Ex-Frau. Er hätte diese beiden schon vor langer Zeit aus dem Weg räumen sollen. Genau wie Gary und Danny. Aber falls Percy House geredet hatte, dann hatte er nicht allzu viel ausgeplaudert – wenig­stens bis jetzt noch nicht, denn diese Bullen wussten einen Dreck. Sonst säßen sie nicht hier und trieben solche Spielchen mit ihm. Dann hätten sie ihm längst einen Haftbefehl unter die Nase gehalten. Diese Narren hatten keinen Schimmer.«

»Wie ist es mit Robert Prongay?«, drängte Kane. »Kannten Sie Bobby Prongay?«

»Nein.«

»Denken Sie gut nach. Vielleicht haben Sie’s nur vergessen. Er war Eisverkäufer und fuhr für die Firma Mister Softee in North Bergen einen Verkaufswagen, den er in einer Garage abstellte, die einer von Ihnen gemieteten Garage direkt gegen­überlag. Erinnern Sie sich jetzt, Mr. Kuklinski?«

Kuklinski starrte ihn einen Moment lang an, ehe er betont freundlich entgegnete: »Ich mache mir nicht sonderlich viel aus Eiscreme, Detective.«

»Das habe ich nicht gefragt, Mr. Kuklinski. Ich wollte wissen, ob Sie Robert Prongay gekannt haben.«

»Nein, genausowenig wie die anderen.«

Kuklinski tätschelte den Hals seines Hundes. Mister Softee. Dr. Tod.

Volkman blätterte in seinen Notizen. Es war ihm anzumer­ken, dass er Mühe hatte, seine Rolle als ›guter Bulle‹ weiterzuspielen und einigermaßen höflich zu bleiben. »Wie ist es mit Roy DeMeo, Mr. Kuklinski? Kannten Sie diesen Herrn?«

»Keine Ahnung. Ich glaube nicht.«

»Waren Sie je in der Gemini Lounge, Mr. Kuklinski? In der Flatlands Avenue im Canarsie Bezirk von Brooklyn?«

»Bestimmt nicht!«

»Sind Sie sicher, Mr. Kuklinski?«

»Das klingt verdächtig nach irgend so einer Spelunke, Detective. Ich bin ein grundsolider Familienvater und ver­kehre nicht in einem solchen Milieu.«

Kane rutschte unruhig auf dem Sitz hin und her. Er sah aus, als sei er kurz vor dem Explodieren, aber der Blick seines Kollegen hielt ihn in Schach.

»Roy DeMeo gehörte zum Gambinosyndikat«, sagte Volkman. »Unter anderem war er im Pornografiegeschäft tätig. Sie hatten doch auch einmal damit zu tun, nicht wahr, Mr. Kuklinski?«

Kuklinski fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. »Pornografie? Nein, Detective. Wie schon gesagt, ich bin ein ehrbarer Familienvater.«

Shaba jaulte leise, als er seine Finger in den Nacken des Hundes grub.

Unwillkürliche Erinnerungen stiegen in ihm auf. Das Büro in der Lafayette Street in Manhattan und gleich um die Ecke das Filmlabor. Roys verrückte Truppe. Das Apartment hinter der Gemini Lounge, in dem Dracula lebte. Spaghetti bolognese. Die Haie vor Long Island. Unbewusst berührte Kuk­linski die Narbe an seiner Stirn.

»DeMeos Leiche wurde im Januar 1983 im Kofferraum seines eigenen Wagens gefunden«, bemerkte Volkman.

»Ja? Na und?«

»Auf seinem Körper lag ein Gegenstand. Sie haben nicht zufällig eine Ahnung, was das gewesen sein könnte?«

Kuklinski sagte kein Wort. Er starrte den Polizisten nur an und schwieg lange Zeit. Dann lächelte er. »Veranstalten wir hier ein Ratespielchen, Detective?«

»Nein, Mr. Kuklinski«, bellte Kane. »Wir veranstalten kei­ne Spielchen!«

»Was wollen Sie denn sonst noch? Ich habe Ihnen bereits erklärt, dass ich keinen dieser Typen kenne, von denen Sie reden.«

»Wir haben eine verlässliche Quelle, die behauptet, dass Sie …«

»Soll ich Ihnen sagen, was Sie mit Ihrer ›verlässlichen Quelle‹ machen können, Detective Kane?«

Er sah das große, hässliche Gesicht von Percy House vor sich. Diese elende Ratte.

Detective Kane kochte. Er schien sich kaum noch beherr­schen zu können. Kuklinski grinste ihn unverhohlen an.

Volkman blätterte einige Seiten weiter. »Nur um absolut sicher zu sein, Mr. Kuklinski, gehen wir noch einmal die Namen durch, okay?«

Kuklinski zuckte die Schultern. »Wenn es Sie glücklich macht.«

»Haben Sie einen George Malliband Junior gekannt?«

»Ich glaube nicht, dass mir jemals irgendwer mit diesem Namen begegnet ist. Nein.«

»Und kannten Sie Louis Masgay?«

»Nee.«

»Paul Hoffman?«

»Den kenne ich nicht.«

»Robert Prongay?«

Kuklinski schüttelte den Kopf.

»Gary Smith?«

»Auch nicht.«

»Danny Deppner.«

»Nie von dem Kerl gehört.«

Kane musterte ihn skeptisch. »Wenn Sie keinen dieser Männer kennen, Mr. Kuklinski, warum grinsen Sie dann so?«

Kuklinskis Grinsen wurde zu einem breiten Lächeln. »Ich bin halt ein fröhlicher Mensch, Detective.«

»Weshalb habe ich nur das Gefühl, dass Sie mehr wissen, als Sie sagen, Mr. Kuklinski?«

Richard Kuklinski lachte unbekümmert.

Er strich durch Shabas dickes Fell, während sich die beiden Detectives anschauten und offenbar überlegten, wie sie aus dieser Geschichte herauskamen, ohne dass sie wie totale Narren aussahen. Geschieht den Idioten recht, dachte Kuklinski, wenn sie hier reinplatzen und absolut nichts in der Hand haben. So was ist immer ein Fehler. Schnüffeln wollten sie, aber sie hatten nichts, und sie waren nichts. Zwei miese kleine Bullen, die mit Hypotheken und Abzahlungen für ihre Autos kämpften, mit jedem Pfennig knauserten, um einiger­maßen zurechtzukommen, und sich auf nichts anderes freu­ten als nach zwanzig Jahren endlich ihre beschissenen klei­nen Pensionen zu kassieren. Zwei typische Verlierer. Sie wussten nichts, und sie hatten nichts. Richard Kuklinski dagegen hatte alles.

Mit einem zufriedenen Grinsen rückte er seine Brille zu­recht. »Kann ich sonst vielleicht noch irgend etwas für Sie tun, meine Herren?«

Der Iceman

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