Читать книгу Der Iceman - Anthony Bruno - Страница 7

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Der Ententeich in Demarest, New Jersey, war für Barbara und Richard Kuklinski ein besonderer Lieblingsplatz. Zwei-­ oder dreimal die Woche gingen sie regelmäßig nach dem Frühstück dorthin, einfach um am Wasser zu sitzen und die Enten und Kanadagänse zu füttern. Richard kaufte im Laden auf der anderen Straßenseite immer einen Laib Brot, den sie Stück für Stück verfütterten, während sie einen geruhsamen Vormittag genossen, und er behauptete stets, diese Stille sei wunderbar beruhigend. Aber heute morgen spürte Barbara Kuklinski sehr deutlich, dass er nur nach außen hin ruhig erschien – und das machte sie zunehmend nervös. Sie merkte, dass er immer wieder auf das Münztelefon am Rand des Parkplatzes blickte.

Richard verstreute seine restlichen Brotstückchen. »Soll ich die Decke aus dem Auto holen, damit du bequemer sitzt?«

»Danke, es ist schon gut.«

»Bestimmt? Ich hole sie gern.«

»Nein, wirklich nicht nötig, Rich.«

»Okay.« Erneut schaute er hinüber zum Telefon.

Barbara versuchte, das wachsende Unbehagen zu ver­drängen. Irgendetwas beschäftigte ihn ganz offenbar, auch wenn er sich nichts anmerken lassen wollte. Richard konnte wirklich entzückend sein und war die meiste Zeit ihr gegen­über sehr zuvorkommend und überaus höflich. Er verwöhnte und umsorgte sie und scheute keine Kosten und Mühen, um ihr eine Freude zu machen.

Als sie sich kennenlernten, war sie Sekretärin bei einem Transportunternehmen gewesen, wo er als Packer arbeitete. Für ihn war es praktisch Liebe auf den ersten Blick. Er verfolgte sie geradezu mit sturer Besessenheit und schickte ihr jeden Tag Blumen, bis sie endlich einwilligte, einmal mit ihm auszugehen. Barbara war fasziniert und geschmeichelt, aber eine Beziehung mit ihm kam für sie nicht in Frage. Sie wusste, dass ihre Eltern, die italienischer Herkunft waren, ihn ablehnen würden, einfach weil er nicht aus einer entspre­chenden Familie kam. Doch Richard war zäh und beharrlich. Tag für Tag stand ein neuer Strauß auf ihrem Schreibtisch, aber als sie ihn das erste Mal mit nach Hause brachte, stellte sie ihn unter einem anderen Namen vor und erzählte ihren Eltern, er sei italienischer Abstammung. Aus Liebe zu ihr, wie Richard sagte, spielte er mit. Erst Monate später beichtete sie ihren Eltern, dass sein richtiger Name Kuklinski sei.

Barbara warf Brotstücke ins Wasser und dachte mit einem versonnenen Lächeln an diese Zeit zurück, als Richard noch hager gewesen war, schüchtern und stets rücksichtsvoll. Sie erinnerte sich an die Wochen nach der Geburt ihrer ältesten Tochter Merrick. Das Baby hatte eine Niereninfektion bekommen, und Richard hielt Nacht für Nacht bei ihr Wache. Er saß neben der Wiege, mit der Hand auf Merricks Rücken, um sie zu wärmen, beobachtete ihr Atmen, säuberte sie, wenn sie sich erbrach, und wechselte die Windeln.

Barbara wischte sich eine Träne aus den Augenwinkeln. Es gab viele kostbare Erinnerungen an ihr gemeinsames Leben. So manche gute Zeiten hatten sie zusammen gehabt, sehr gute sogar. Sie seufzte, und ihr Lächeln verschwand. Es hatte aber auch andere Zeiten gegeben.

Wenn es nicht so lief, wie Richard es sich in den Kopf gesetzt hatte, konnte er ein ausgemachtes Scheusal sein. Nach 25 Jahren Ehe wusste Barbara instinktiv, wann dies der Fall war. Sie konnte es förmlich wittern. In ihrer Vorstellung gab es eigentlich zwei Richards – den guten Richard und den bösen, und sie hatte das schreckliche Ge­fühl, dass im Augenblick der böse neben ihr saß.

Allerdings war sie nicht ganz sicher, aber das konnte man nie sein – bis es zu spät war. Sie ließ sich oft genauso täuschen wie die Kinder, da ihm nie etwas anzumerken war, wenn er aus irgendeinem Anlass wütend wurde. Wochenlang unter­drückte er seinen schwelenden Zorn, und plötzlich erfolgte aus heiterem Himmel ein Ausbruch, bei dem er stundenlang ohne Ende schrie und tobte. In solchen Situationen war es das Beste, ihm aus dem Weg zu gehen. Doch für Barbara war das kaum möglich. Den Kindern wurde üblicherweise das Schlimmste erspart, aber sie musste dasitzen, ihm zuhören und es einfach irgendwie ertragen. Das war die einzige Möglichkeit. Sie wusste aus Erfahrung, welche Folgen es haben konnte, ihn etwa stehenzulassen.

Barbara berührte automatisch ihre Nase und dachte daran, wie sie zum dritten Mal gebrochen gewesen war. Hastig zog sie ihre Hand zurück, nahm ein Stück Brot aus der Tasche und begann es zu zerbröckeln, da sie befürchtete, er könne ihre Gedanken erraten.

Im Laufe der Jahre hatte sie versucht, die schrecklichen Dinge, die der böse Richard ihr angetan hatte, zu vergessen oder wenigstens irgendeine plausible Erklärung dafür zu finden, die ihr helfen würde, damit fertig zu werden, aber sie konnte sich nicht selbst belügen. Es war schwer, Narben, die man im Spiegel sah, zu vergessen oder die Minuten voller Angst, wenn man mitten in der Nacht aus tiefem Schlaf erwachte und spürte, dass einem ein Kissen auf’s Gesicht gedrückt wurde, oder man aus der Dusche kam und vom eigenen Ehemann im Schlafzimmer mit gezückter Waffe erwartet wurde. Nein, sie konnte es nicht vergessen, und es war auch nicht vernünftig zu erklären. Trotzdem würde sie niemals irgendwelche dieser Vorfälle zur Sprache bringen. Das wagte sie nicht.

Es wäre genauso, als würde man Richard fragen, was er beruflich tat. Sie wusste, dass er sich mit irgendwelchen inter­nationalen Finanzgeschäften befasste, weil zu allen Tages­- und Nachtzeiten aus der ganzen Welt Anrufe ins Haus kamen; außerdem traf er sich hier und da mit Geschäftspart­nern. Aber etwas Genaueres hatte sie nie erfahren, und sie wollte es auch gar nicht. Wenn Richard um drei Uhr morgens aufstand, sich anzog und wegging, stellte sie sich schlafend. Gelegentlich erzählte er ihr von irgendwelchen Leuten, mit denen er zu tun hatte, aber das war etwas anderes. Grund­sätzlich hütete sie sich vor Fragen. Es war besser so. Sie wusste, dass ihr Ehemann kein Engel war, und da er für seine Familie sorgte, vermied sie jede unnütze Neugier. Das hätte nur bedeutet, Schwierigkeiten heraufzubeschwören.

Sie warf die Brotstückchen ins Wasser und musterte ihn mit einem verstohlenen Blick. Er schaute wieder über seine Schulter hinüber zum Telefon. Offenbar wollte er sicherge­hen, dass keiner es benutzte, falls er plötzlich jemand anrufen musste. Nur Gott mochte wissen, was er tun würde, wenn irgendein armer Teufel daherkam und versuchte, sein Tele­fon in Beschlag zu nehmen.

Plötzlich ertönte Richards Pieper, und die Enten zu ihren Füßen stoben erschrocken davon. Er löste das Gerät von seinem Gürtel und musterte die Anzeige. Richard war ganz fasziniert von diesem neuen Spielzeug. Seit er diesen Pieper hatte, schaltete er daheim den Anrufbeantworter nicht mehr ein und ging nie mehr ohne dieses Ding irgendwohin. Sogar im Haus trug er ihn bei sich.

Richard stand von der Bank auf.

»Wer ist es?«, fragte sie, obwohl es sie eigentlich nicht interessierte. Sie wollte einfach, dass er bei ihr blieb und sich entspannte, so wie immer.

Er schaute durch die dunklen Brillengläser auf sie herab. »John.«

»Ach so«, nickte sie und wandte sich wieder den Enten zu, während er davonging.

Richard hatte früher nie von hier aus Telefonanrufe erle­digt. Der Ententeich war immer ein geheiligter Platz gewe­sen. Diese Zeit gehörte nur ihnen allein. Hier hatte der gute Richard seine Batterien neu aufladen können. Manchmal waren sie jeden Tag hergekommen. Sie frühstückten irgend­wo gemeinsam, gingen dann zum Teich, hielten Händchen, fütterten die Enten und saßen ruhig und einträchtig schwei­gend nebeneinander. Richards Benehmen war stets tadellos zuvorkommend. Wenn es kalt wurde, legte er eine Decke für sie auf die Bank, breitete eine andere über ihren Schoß aus und polsterte mit einem Kissen die Rücken­lehne. Er war rührend um sie besorgt. Es gab nichts Wichtige­res für ihn als sie. Das war das ganze Problem.

Richard war besessen von ihr. Er wollte in jedem einzelnen Moment wissen, wo sie war, und deshalb wollte er sie ständig zu Hause bei sich haben. Die vergangenen Jahre hatte sie bei einer Telemarketing-Firma gearbeitet. Zunächst war der Job kaum der Rede wert gewesen, aber sie hatte sich hochgear­beitet bis zur Schichtleiterin und hatte Spaß an ihrem Beruf. Es war der erste Job, den sie seit der Hochzeit ange­nommen hatte, und durch ihn hatte sie ein ganz neues Selbstwertgefühl gewonnen. Aber Richard hasste diesen Job.

Er bedrängte sie zu kündigen und versuchte, sie unter Druck zu setzen. Wiederholt strich er um das Gebäude herum, spähte durch die Fenster und spionierte ihr nach. Eines Abends holte er sie ab und sah einen Kollegen, der zufällig mit ihr gemeinsam zum Parkplatz ging. Der Mann bedeutete ihr absolut nichts, es war einfach jemand, mit dem sie zusam­menarbeitete, aber als sie in den Wagen stieg, trug Richard seine dunkle Brille. Wenn sie nicht sofort kündige, meinte er nüchtern, würde ihrem ›Freund‹ etwas Schlimmes passie­ren. Sie wusste, dass es ihm ernst war, und gab am nächsten Freitag ihre Stelle auf. Das war vor sechs Wochen gewesen.

Es ließ sich schwer sagen, ob diese wahnwitzige Eifersucht eine Seite des guten Richards oder des bösen war. Vermutlich gehörte es ein wenig zu beiden. Er liebte sie wirklich – daran hatte sie keinen Zweifel, aber es war eine beinahe abartige Liebe.

Er verlangte in allem Perfektion und wollte, dass seine Familie dem Bild der perfekten amerikanischen Familie entsprach. Nichts machte ihn glücklicher, als gemeinsam etwas zu unternehmen. Wenn sie alle gut angezogen in ein nettes Restaurant ausgingen, platzte er vor Stolz und Freude. Aber inzwischen waren die Kinder älter – Merrick war einund­zwanzig, Christen zwanzig, und Dwayne war in der Ab­schlussklasse der Highschool –,

und sie hatten alle ihr eigenes Leben. Sie wollten mit ihren Freunden zusammen sein, nicht mit den Eltern – wenigstens nicht andauernd, was für Richard völlig unverständlich war. Es traf ihn tief, wenn eines der Mädchen es ablehnte, mit ihm femzusehen, weil sie etwas anderes vorhatte. Er begriff nicht, dass die Kinder erwachsen wurden und auf eigenen Füßen stehen wollten. Barbara fürchtete sich vor dem Tag, wenn sich eines von ihnen entschied, das gemeinsame Nest zu verlassen. Das würde nicht ohne Auseinandersetzung abgehen.

Aber wenigstens war er ihnen gegenüber nie handgreiflich geworden, auch wenn er sie sicher oft auf andere Weise verletzt hatte. Selten fand er ein Wort der Anerkennung: Hatte es Zeugnisse gegeben, lobte er sie nie für die Einsen, sondern schimpfte über die Zweien. Doch das entsprach Richards Lebenseinstellung: Das Glas war immer halb leer und nichts, absolut nichts, war gut genug. Nicht für ihn.

Aus diesem Grund war ihm Geld so wichtig. »Es sind die Scheinchen, worauf’s ankommt, Baby«, sagte er stets zu ihr. Geld war das Einzige, das ihn glücklich machte – Geld und was man sich damit leisten konnte. Er liebte es einzukaufen – Kleider von Christian Dior für sie, spontane Urlaubsreisen, Diamanten und Schmuck für die Mädchen, lächerliche Spiel­zeuge für Dwayne, wie dieser Jagdbogen, der nie benutzt worden war. Man konnte einen Bären damit erlegen, aber letztendlich hing das Ding einfach an der Wand in Dwaynes Zimmer und setzte Staub an. Doch das war typisch Richard. Er dachte sich nichts dabei, vier-, fünf-, sechshundert Dollar für eine einzige Mahlzeit auszugeben. Wenn es um seine Familie ging, spielte der Preis keine Rolle.

Alle sechs Monate musste ein neuer Wagen her, das war ein regelrechter Tick bei ihm. Dwayne hatte er den blauen Camaro gekauft, den sie aktuell fuhren, der so aufgemotzt war, dass der Junge zu Hause anrufen musste, als er das erste Mal damit unterwegs war. Er kam mit diesem hochfrisierten Schlitten einfach nicht zurecht. Richard musste ihn abholen und das Auto zurückfahren. Jetzt sprach er ständig davon, ihm einen Lamborghini Excalibur zu kaufen, und fragte Dwayne augenzwinkemd, was die Priester in der Schule wohl sagen würden, wenn er in einem solchen Prachtstück Vorfahren würde.

Barbara schüttelte einfach den Kopf. Es war sinnlos, mit ihm über solche Sachen vernünftig reden zu wollen: Wenn er beschloss, dass sie etwas haben mussten, war nicht mehr daran zu rütteln.

Allein Geld und das, was man damit kaufen konnte, gab ihm das Gefühl, jemand zu sein. Als Kind hatte er in ärmli­chen Verhältnissen gelebt und immer gespürt, dass er ein Niemand war. Jetzt hatte er Geld, und nur dadurch war er jemand. Sie kannte seine Einstellung. Man war wertlos ohne Geld in der Tasche, ohne einen Cadillac und ohne die Möglichkeit, sich zu kaufen, was immer man wollte und wann immer man es wollte. Allein dadurch war man Ri­chards Ansicht nach jemand.

Geld. Darum drehte es sich, und genau das war der Auslöser, der den bösen Richard zum Vorschein brachte. Es wiederholte sich jedesmal, wenn ein finanzieller Engpass drohte. Und obwohl sie nicht im Traum daran denken wür­de, ihn zu fragen, wusste sie, dass es im Augenblick wieder so weit war. Sie konnte es förmlich riechen. Woher das Geld kam, wollte sie gar nicht wissen. Einiges stammte aus Richards Firma, der Sunset Company, die er nach der Straße in Dumont, wo sie lebten, benannt hatte. Richard handelte mit ausländischen Währungen, und seine Geschäfte führten ihn oft nach England und in die Schweiz. Soweit sie wusste, war das alles legal, weil er dieses Einkommen ordnungsgemäß versteuerte. Im Juni war er beruflich nach Zürich gereist, um eine große Summe in nigerianischer Währung zu verkaufen. Er hatte sich viel von diesem Ge­schäft versprochen, denn er redete davon, im superreichen Saddle River ein Haus zu kaufen, von dem er völlig besessen war, ein Anwesen für eine Million Dollar, in unmittelbarer Nachbarschaft des ehemaligen Präsidenten Nixon. Aber als er aus der Schweiz zurückkehrte, war er in übelster Stim­mung. Der Handel war in letzter Minute geplatzt. Man habe ihn ausgetrickst, fluchte er immer wieder. Das Haus in Saddle River wurde danach nie mehr erwähnt.

Doch diese Finanztransaktionen waren nicht seine einzige Einkommensquelle. Es gab darüber hinaus noch anderes Geld – Geld, das nicht in den Rechnungsbüchern auftauchte. In Anbetracht ihres Lebensstils musste es so sein. Aber Bar­bara stellte keine Fragen. Sie riss ein weiteres Stück Brot ab und verstreute es dicht zu ihren Füßen, um die Enten wieder heranzulocken. Bedrückt erinnerte sie sich an Zeiten, als sie derart pleite gewesen waren, dass sie Lebensmittel von den Nachbarn borgen mussten, und das war noch gar nicht so lange her. Von zusammengebettelten Konserven zu extrava­ganten Mahlzeiten in feinsten französischen Restaurants – das war ihr Leben. Es eine Achterbahn zu nennen, wäre noch eine Untertreibung. Es hatte Höhen und Tiefen gegeben, und wenn sie obenauf waren, konnte es berauschend und wunderbar sein; aber anders als auf einem Rummelplatz war der Absturz in Schrecken und Angst echt.

Sie blickte über ihre Schulter zum Telefon und seufzte. Richard sprach mit John Sposato. Vor einem Jahr hatte er große Hoffnungen auf diesen Sposato gesetzt. Sie würden eine Menge Geld zusammen machen, hatte er ihr erzählt. Doch sie wusste, ohne dass er es ausdrücklich sagte, dass diese großen Pläne bisher nur Luftschlösser geblieben waren.

John hatte irgendwas zu tun gehabt mit dem Geschäft, das in Zürich geplatzt war, und Barbara argwöhnte, dass Richard im Moment darauf aus war, seine Verluste wieder hereinzu­bekommen. Sie erinnerte sich an die Zeit im letzten Sommer, als sie mitten im Monat einen Anruf der Telefongesellschaft erhalten hatte, die um eine zwischenzeitliche Begleichung der Kosten bat. Auf ihre erstaunte Frage nach dem Grund, musste sie hören, dass ihre laufende Rechnung bereits über siebentausend Dol­lar betrage. Barbara war fast in Ohnmacht gefallen. Die Anrufe waren größtenteils Ferngespräche nach Europa, die zu Lasten ihres Kontos von Sposatos Wohnung in Süd-Jersey aus getätigt worden waren.

Sie hatte es Richard erzählt und erwartet, dass er glatt in die Luft gehen würde, aber er sagte nur, es handle sich um rein geschäftliche Angelegenheiten. Er habe Vertrauen in Sposa­to. John wisse, was er tue. Barbara war anderer Ansicht, und sie war überzeugt, dass es Richard im Grunde ebenso ging. Er vertraute eigentlich niemandem.

Sie sah sich in ihren Zweifeln bestätigt, als sie Sposato schließlich kennenlemte. Die Tatsache, dass Richard es über­haupt zuließ, war an sich schon bezeichnend, weil er übli­cherweise strikt darauf achtete, Geschäfte und Privatleben zu trennen. Daher wusste sie, dass er ihre Meinung über seinen neuen Partner hören wollte – was nur bedeuten konnte, dass er selbst seine Bedenken hatte.

Auf dem Parkplatz eines Rasthauses an der Route 80 in Pennsylvania hatte sie Sposato zum ersten Mal zu Gesicht bekommen. Ihn ein fettes Schwein zu nennen, wäre noch nett ausgedrückt. Sein langes, strähniges Haar sah aus, als habe er es seit einem Monat nicht mehr gewaschen, und sein Hemd war total bekleckert, so dass man raten konnte, woraus die letzte Mahlzeit bestanden hatte. Er hatte seine Frau und drei Kinder dabei. Das jüngste kreischte die ganze Zeit und war kaum zu bändigen. Die Frau gab dem armen Ding eine Schachtel Knusperflocken, damit es endlich ruhig war. Of­fenbar bekam keines der Kinder jemals eine richtige Mahl­zeit, und wiederholte Andeutungen, dass die Windeln des Babys gewechselt werden müssten, wurden von beiden El­tern schlicht überhört.

Richard hatte davon geredet, sich mit Sposato in dieses Rasthaus einzukaufen; und sie waren hergekommen, um es sich genauer anzuschauen. Anfangs hatte Barbara angenom­men, es sei ein ganz legales Geschäft – bis sie diesen Sposato persönlich traf. Aber Richard hielt damals große Stücke auf ihn, daher wagte sie es nicht, ihm zu sagen, was sie tatsäch­lich empfand.

Am folgenden Tag traf Richard eine Verabredung mit einer Maklerin, um sich Immobilien in Saddle River anzusehen.

Diese zeigte ihnen ein Haus, von dem er auf Anhieb fasziniert war. Barbara beobachtete sein Gesicht vom Rücksitz des Wagens aus, als die Maklerin sie durch die Wohngegend fuhr. Misstrauisch musterte er eine Videokamera, die auf einem hohen Pfosten in der Einfahrt einer imposanten Villa montiert war. Halb verborgen in einem Briefkasten sah man eine zweite Kamera. Die Vorstellung, jeder Schritt könnte beobachtet werden, gefiel ihm ganz und gar nicht.

Doch als die Maklerin erzählte, dass hier Richard Nixon lebe, veränderte sich sein Gesicht. Barbara wusste genau, was er gerade dachte. In derselben Gegend zu wohnen wie ein ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten schmei­chelte seinem Prestigedenken ungemein. Von einem bitterar­men Kind aus dem schlechtesten Viertel von Jersey City zu jemandem, der Tür an Tür mit solcher Prominenz lebte – das war etwas für ihn. Am Abend nach dem Essen machte er ständig Witze darüber, wie es wäre, mit Shaba spazierenzu­gehen und dabei Nixon über den Weg zu laufen, der eben­falls seinen Hund Gassi führte.

Barbara schloss die Augen und seufzte.

»Nein! Kein Wort mehr darüber!«, brüllte Richard ins Telefon, so dass seine Stimme über den Teich hallte.

Die Enten flatterten erschrocken davon. Sie blickte über ihre Schulter. Er gestikulierte heftig, als stünde Sposato persönlich vor ihm. Was er sagte, konnte sie nicht verstehen, aber sein Ton war unverkennbar und ebenso der wütende Ausdruck auf seinem Gesicht. Richard war mit seiner Ge­duld, die sowieso nicht allzugroß war, am Ende. Sie fragte sich, ob Sposato wusste, dass es besser war, ihn nicht zu reizen. Angeblich sollte er ein gerissener Bursche sein, und sie hoffte für ihn, dass er seine Situation richtig einschätzte.

Richard knallte den Hörer auf, nahm ihn sofort wieder auf und wählte eine andere Nummer. Sie bemühte sich zu lauschen, wen er jetzt anrief. »Hallo, Lenny? Hier ist Rich.« Ganz plötzlich war seine Wut verschwunden, und er lächelte.

Barbara wandte sich wieder zum Teich. Sie wollte gar nichts mehr hören.

Auf der anderen Seite des Wassers drängten sich die Enten mit dicht angelegten Flügeln zusammen. Sie riss die Reste des Brots auseinander und verstreute sie am Ufer, dann faltete sie die Plastiktüte zusammen und stand auf. Es war sinnlos, noch weiter hier zu bleiben. Die Tiere waren zu verschreckt, und es wurde allmählich sowieso viel zu heiß. Man konnte bereits spüren, wie die Luftfeuchtigkeit anstieg. ln dem sicheren Gefühl, dass kein besonders guter Tag vor ihr lag, ging sie über den Rasen zum Wagen, um dort zu warten.

Der Iceman

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