Читать книгу Der Iceman - Anthony Bruno - Страница 8

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Special Agent Dominick Polifrone vom Bureau of Alcohol, Tobacco, and Firearms gingen eine Menge Gedanken im Kopf herum, als er seinen schwarzen Shark parkte, das lange Lincoln Continental Coupé. Er fuhr rückwärts in eine Lücke auf der belebten North Jersey Street, wobei er aufmerksam den Verkehr im Auge behielt, und dachte an seine Familie. Heute war der erste Schultag für die Kinder, und seine Frau Ellen war überglücklich. Drew und Matt, die beiden Jungen, waren das ganze Wochenende trübselig herumgeschlichen, hatten gejammert, dass der Sommer zu kurz gewesen sei, und ihre Mutter fast zum Wahnsinn getrieben. Seine Tochter Keri konnte es dagegen nicht erwarten, dass die Schule wieder losging. Mit ihren dreizehn Jahren hatten sie und ihre Freun­dinnen über Nacht ganz plötzlich nur noch Jungs im Kopf. Dominick hatte keine Ahnung, wie er damit umgehen sollte, dass nun die ersten Freunde im Haus herumhängen würden. Immerhin war Keri erst in der achten Klasse. Aber vorläufig musste er aufhören, sich mit solchen Sachen zu beschäftigen, denn im Moment war er nicht Dominick Polifrone.

Er stieg aus dem Wagen, verschloss die Tür und schlug zum Schutz gegen den Regen den Kragen seiner schwarzen Lederjacke hoch. Auf der anderen Straßenseite lag das harmlos aussehende dreistöckige Backsteingebäude, das im unte­ren Geschoß den Laden beherbergte, der keinen Namen hatte und bei den Eingeweihten einfach ›der Laden‹ hieß. Wenn er dort hineinging, würde er ›Michael Dominick Provenzano‹ sein, ›Dom‹ für seine Bekannten, ein Kerl, der sich momentan mit Waffenhandel beschäftigte und Verbindun­gen zur Mafia hatte. Im Gegensatz zu Dominick Polifrone scherte sich Michael Dominick Provenzano einen Dreck um Ehefrauen, Zeugnisse und Baseballspiele in der Schülerliga. Provenzanos Hauptinteresse war, Geschäfte abzuschließen und Geld zu machen. Special Agent Dominick Polifrone stellte sich innerlich auf diese fiktive Biografie ein, wäh­rend er auf eine Lücke im Verkehr wartete, damit er die Straße überqueren konnte.

Auf der anderen Straßenseite schaute er durchs Fenster der vergammelten Imbissstube neben dem ›Laden‹, um zu sehen, ob er irgendwelche Gesichter erkannte. Gott sei Dank hatte er bereits gegessen. Man riskierte sein Leben, wenn man in diesem Loch etwas zu sich nahm oder auch nur einen Kaffee trank. Manchmal musste man sich gezwungenerma­ßen darauf einlassen, denn dorthin gingen die Kunden aus dem ›Laden‹, wenn sie ungestört ein Geschäft besprechen wollten.

Die schmale Auffahrt war vollgestopft mit großen Schlit­ten – Caddys und Lincolns –, und heute war sie außerdem noch von einem Streifenwagen blockiert, dessen Motorhau­be hinaus auf die Straße ragte. Der Kofferraum stand offen. Ein Bulle in Uniform hatte sich eine Pappschachtel auf die Schulter gestemmt, die er gerade zur Nebentür hereintrug. Dominick folgte ihm die Treppe hinauf. Der Polizist musterte ihn über den Rand der Schachtel hinweg misstrauisch, aber als sie im Flur waren und niemand gegen Doms Anwesenheit Ein­spruch erhob, lächelte er und nickte ihm zu.

»Brauchen Sie ’n Regenschirm?« Er hob die Schachtel, die randvoll mit brandneuen Schirmen war, an denen noch die Preisschilder hingen, von seiner Schulter. Dominick zweifel­te nicht daran, dass sie ganz zufällig ›vom Laster runtergefallen‹ waren.

Er strich sich über seinen Schnurrbart, als denke er dar­über nach. »Nee. So ’n Zeug kann ich nicht absetzen.«

Der Bulle schob die Schachtel achselzuckend in eine Ecke und machte sich auf die Suche nach einem Abnehmer.

Dominick schaute sich prüfend im Raum um. Zu sehen gab es eigentlich nichts. Der Boden war übersät mit Zigaret­tenkippen, die Wände waren seit zwanzig Jahren nicht mehr neu gestrichen worden, und es gab kaum irgendwelche Sitzgelegenheiten; dennoch war ›der Laden‹ geradezu ein Mekka für alle möglichen kriminellen Aktivitäten.

Ungefähr ein rundes Dutzend Männer standen zu zweit oder dritt in Wolken von Zigarettenrauch zusammen, kauf­ten und verkauften gestohlene Ware, knüpften Verbindun­gen, planten Überfälle und Einbrüche, prahlten und spuck­ten große Töne. Dominick bemerkte einen kleinen drahtigen Kerl in einem braunen Seidenhemd und einer burgunderfarbenen Lederjacke, der eifrig in ein Notizbuch kritzelte, wäh­rend er sich mit einem schwergewichtigen Mann um die Vierzig unterhielt, dessen Haaransatz fast seine Augenbrau­en berührte. Sie kannten ihn nicht, aber er wusste, wer sie waren. Der Dicke produzierte synthetische Drogen irgend­wo in Pennsylvania. Der Kleine war ein Kredithai, der Ver­bindungen hatte zu einer der New Yorker Mafia-Familien. Anscheinend wollte der haarige Bursche einen Kredit auf­nehmen, wahrscheinlich um seine Speedfabrikation zu vergrößern. Dominick machte sich im Geist eine Notiz, die Neuigkeit weiterzuleiten.

An einem wackeligen Küchentisch mit vergammelten Stühlen gab ein ziemlich schäbiger Typ mit einem zerfran­sten roten Bart an drei makellos gekleidete ältere Herren, die alle reichlich Goldschmuck trugen, Karten aus.

Ein fetter Mann mit einem dreifachen Doppelkinn und einer Warze auf einem Nasenflügel kam gerade die Hinter­treppe herunter, wobei er über seinen enormen Bauch spähte und so bedächtig ging, als überquere er auf schlüpfrigen Steinen einen Bach. Er wirkte rundum zufrieden. Kein Wun­der, oben im zweiten Stock boten ein paar Prostituierte ihre Dienste an.

Auf einer schmierigen Glastheke in der Nähe der Ein­gangstür standen ein kleiner elektrischer Ventilator, ein paar billige koreanische Kameras und eine Kollektion von Töpfen und Pfannen aus Aluminium. Die Sachen waren einfach zur Tarnung dort ausgelegt, inzwischen reichlich mit Staub be­deckt und in den 17 Monaten, seitdem Dominick hierher kam, nie angerührt worden. Nur waren es früher zwei Ventilatoren gewesen. Dominick erinnerte sich an den ersten heißen Sommertag, als eine kleine italienische Groß­mutter hereinspaziert kam und einen davon kaufen wollte. Alles war verstummt und hatte sie angestarrt, als komme sie vom Mond. Irgendjemand schnappte sich den Ventilator, drückte ihn ihr in die Hand und sagte, sie solle bloß ver­schwinden. Noch heute gab es ab und zu Gelächter wegen der arglosen alten Dame. Sie war beinah zu einer Legende im ›Laden‹ geworden – die erste ehrliche Person, die je den Fuß über diese Schwelle gesetzt hatte.

Drüben am Münztelefon an der Wand stand der zwielich­tige Polizist mit den Regenschirmen neben Lenny DePrima, einem der Stammkunden, der hier praktisch zum Inventar gehörte. Genau mit ihm wollte Dominick dringend reden. Aber auf halbem Weg durch den Raum packte ihn jemand am Hemdsärmel.

»Hey, Dom.«

Walter Kipner mit seiner sorgsam gescheitelten silbergrau­en Mähne schielte grinsend über den Rand der getönten Pilotenbrille zu ihm empor. Dicke Goldketten baumelten in seinem grauen Brusthaar.

»Na, was gibt’s, Walt?« Kipner hatte immer irgendein Ding am Laufen.

»Komm mal her, will dir was zeigen.« Er zog ihn zur Seite und ließ ihn einen Blick in die Einkaufstüte von Bloomingdale werfen, die er in der Hand hielt. Sie war voller gebündelter und mit Gummibändern zusammengehaltener Fünfdollar­noten. Kipner fischte einen Schein heraus und reichte ihn Dominick. »In England fabriziert. Beste Qualität. Kein Unterschied zu erkennen, oder?«

Dominick rieb die gefälschte Note zwischen den Fingern. »Ja, nicht schlecht.« Dieser verfluchte Kipner und seine Geschäftchen.

»Wenn du eine halbe Million nimmst, kriegst du sie für zwanzig Cent den Dollar.« Kipner war so erpicht auf dieses Geschäft wie der Wolf auf Rotkäppchens Großmutter.

Dominick schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, Walt – Fünfer? Mann, wer will schon Fünfer? Klar, wenn’s Zwanzi­ger wären; aber Fünfer? Hör mal, da müsstest du ja mit einem riesigen Koffer durch die Gegend rennen.«

Kipner schien tief beleidigt. »Was du bloß redest, Dom. Fünfer sind optimal. Glaubst du, irgendwer macht sich die Mühe, einen Fünfer zu überprüfen? Nee, mein Lieber. Große Scheine werden kontrolliert, aber doch nicht solcher Kleinkram. Deshalb sind sie auch so ideal.«

Lenny DePrima stand immer noch am Telefon, aber der Bulle war verschwunden. Dominick musste wirklich unbe­dingt mit ihm reden.

Kipner senkte die Stimme. »Nimm eine halbe Million, und ich geb sie dir für fünfzehn Cent. Nur dir zuliebe, Dom.«

Dominick behielt DePrima im Auge. Er musste Kipner mit seinen falschen Fünfern schleunigst loswerden, doch er nahm sich vor, die Sache später in seinem täglichen Bericht zu notieren. Kipner war eine echte Nervensäge. Seit einem Jahr versuchte, er Dominick alles mögliche anzudrehen: Schalldämpfer, Raketenwerfer, Plastiksprengstoff. Falsch­geld offerierte er allerdings das erste Mal. Wenn dieser Kerl wüsste, was ihm noch blühte. Es war von Anfang an entschie­den worden, dass man keinen der Ganoven hochnehmen würde, über die Dominick Informationen lieferte, um nicht zu riskieren, dass seine Tarnung aufflog. Die vergangenen 17 Monate lang hatte er nur ein einziges Ziel gehabt, und allein darauf sollte er sich konzentrieren. Seine Aufgabe war, an Richard Kuklinski heranzukommen, mehr nicht. Aber noch immer war er keinen Schritt weitergekommen. Deshalb wollte er sich heute Lenny DePrima vorknöpfen. DePrima musste endlich etwas mehr tun. Dominick hatte den Verdacht, dass er ihn schlicht hinhielt.

Die New Jersey State Police und die New Jersey Division of Criminal Justice hatten mehr als genug über DePrima in ihren Akten, um ihm das Leben ordentlich schwer zu machen. Er war ein bekannter Hehler, und man konnte ihn mühelos jederzeit einbuchten, besonders da zu seinem ansehnlichen Strafregister auch eine Reihe von Autodiebstählen, Einbrü­chen und Überfällen, die er finanziert hatte, gehörte. Auf diese Weise liefen in DePrimas Branche die Warenbestellungen ab. Wenn es etwas gab, von dem man wusste, dass man es gut verkaufen konnte, heuerte man jemanden an, der es klaute – Autos, Schmuck, Pelzmäntel, Fernseher, Nähma­schinen, Uhren, Konserven, was auch immer. Dominick erinnerte sich daran, als ein paar Tage vor Silvester eine gestohlene Lastwagenladung Hummer aus Maine aufge­taucht war. DePrima hatte spekuliert, dass es anlässlich der Feiertage eine große Nachfrage dafür geben würde und kurzerhand eine Bestellung aufgegeben.

Aber DePrima kam nicht umsonst ungeschoren davon. Dominick hatte zwar mehrere Informanten, die behaupteten, Ri­chard Kuklinski zu kennen und bereit waren, eine Verbin­dung für ihn zu knüpfen, doch DePrima behauptete, dass er ein alter Kumpel von Kuklinski sei, und nachdem sie etwas Druck auf ihn ausgeübt hatten, versprach er, Dominick ihm vorzustellen. Er würde sich für ihn verbürgen, das sei über­haupt kein Problem. Aber in den ganzen 17 Monaten war Kuklinski nicht einmal in den ›Laden‹ gekommen, und wann immer Dominick nachfragte, zuckte DePrima nur die Schultern und erklärte, Big Rich habe wohl seine Gründe, sich etwas im Hintergrund zu halten. Bei der Polizei war man inzwischen so weit, die Sache zu vergessen und eine andere Methode zu versuchen. Dominick hatte allerdings den star­ken Verdacht, dass DePrima die Angelegenheit nicht mit dem nötigen Eifer betrieb, und langsam war er diese Scheiße leid. DePrima musste sich endlich mit etwas mehr Nachdruck hinter die Sache klemmen.

Normalerweise wäre Dominick geduldiger gewesen, weil er aus Erfahrung wusste, dass solche Dinge Zeit brauchten. Oft dauerte es sogar Jahre, bis man sich als verdeckter Ermittler in diesem Milieu etabliert hatte. Doch dies war kein normaler Auftrag, sondern ein konzertiertes Unternehmen der Staats- und Bundespolizei, an der das US Bureau of Alcohol, Tobacco, and Firearms neben der Bundesanwaltschaft und der State Police von New Jersey beteiligt war. Eine derartige gemeinsame Aktion hatte es eigentlich noch nie zuvor gege­ben. Allerdings war Richard Kuklinski auch kein gewöhnli­cher Krimineller. Er war ein ex­trem gefährlicher, mit allen Wassern gewaschener Serienmörder, der nie nach einem bestimmten Schema arbeitete und keine Spuren hin­terließ. Man hatte sich sehr viel von Dominicks verdeckten Ermittlungen versprochen, doch inzwischen gab es langsam Unruhe. Es ging allen nicht schnell genug voran, und Zweifel wurden laut, ob Dominick überhaupt je Erfolg haben würde. Wenn er nicht mit solchen Vorschusslorbeeren in dieses Unternehmen eingestiegen wäre, hätten sich die Erwartun­gen vielleicht in Grenzen gehalten, und man wäre nicht so enttäuscht über seine mangelnden Fortschritte. Ed Denning und Alan Grieco, seine alten Kumpel vom Morddezernat in Bergen County, wo Dominick gearbeitet hatte, ehe er zur Bundespolizei wechselte, hatten ihn für den Job empfohlen. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie sie für ihn die Reklametrommel gerührt haben mussten. Captain Denning mit seinem Pokerface hatte wahrscheinlich hinter seinen ewigen Schwaden von Zigarrenrauch die Augen zusammen­gekniffen und in einem Ton, der keinerlei Widerspruch dul­dete, verkündet: »Dominick Polifrone ist der Beste, Punkt.« Und Alan Grieco, sein bester Freund, mit dem er dreimal in der Woche gemeinsam joggte und der so ehrlich und treuherzig aussah, dass er einem Eskimo Schnee andrehen könnte, hatte sicher prompt in die gleiche Kerbe gehauen. Dominick konnte die beiden direkt hören: »Wenn es einen gibt, den ihr für diesen Job braucht, dann Dominick. Er hat John Gottis kleinen Bruder eingelocht. Der fällt nieman­dem mehr zur Last, weil Dominick ihn für lange, lange Zeit aus dem Verkehr gezogen hat.« – »Dominick? Der hat Ner­ven aus Stahl und ist eiskalt. Einmal hat er sich in ein Filmteam in New York eingeschmuggelt, wo Frank Sinatra gerade drehte, und einen Kerl aus der Truppe hochgenommen, der mit Koks handelte.« – »Dominick hat ein ganzes Sammelalbum voll mit Mafiosi, die er im Laufe der Jahre eingebuchtet hat, darauf wäre sogar Dick Tracy eifersüch­tig.«

Es stimmte natürlich alles, aber Dominick kannte die bei­den. Sie mussten ihn hingestellt haben, als sei er Superman persönlich, und diesem Bild konnte keiner entsprechen.

Wenn man natürlich in Betracht zog, wem gegenüber sie so auftrumpften, waren diese Töne verständlich. Pat Kane von der State Police war seit 1980 beinahe ganz allein hinter Kuklinski her. Ihn zu kriegen war praktisch so etwas wie sein Lebensinhalt geworden. Als daher ein Apotheker aus Bergen County vermisst gemeldet wurde und die letzte Person, mit der sich dieser Mann wahrscheinlich getroffen hatte, Richard Kuklinski war, stürzte Kane schnurstracks zum Morddezernat von Bergen County und bat darum, in dieser Sache nichts zu unternehmen, sondern dies der State Police zu überlassen.

Keiner Behörde passt es, wenn andere Dienststellen versu­chen, sich auf ihrem Territorium breitzumachen, aber nachdem Captain Denning und Lieutenant Grieco von den zahllo­sen Morden hörten, die mit Kuklinski in Verbindung ge­bracht wurden, beschlossen sie, sich nicht mit Detective Kane über Zuständigkeitsbereiche zu streiten. Sehnsüchtig meinte Kane, was sie wirklich bräuchten, um Kuklinski zu fassen, sei ein guter Undercoveragent, worauf bei Denning und Grieco gleich der Groschen fiel: Dominick Polifrone. Wenn sie ihn in diese Sache einschalteten, könnten sie mit der State Police zusammenarbeiten und den Fall sozusagen trotz­dem in der Familie halten. Obwohl Dominick jetzt bei der Bundespolizei Dienst tat, war er immer noch einer von ihnen. Sie erklärten Kane, dass Dominick Polifrone ohne Zweifel der einzig richtige Mann für diesen Job sei, und auf seinen Einwand, als Agent der Bundespolizei könne er wahr­scheinlich nicht zu Ermittlungen in Mordfällen abgestellt werden, paffte Denning an seiner Zigarre und sagte nur ein Wort: »Waffen.« Der Verkauf von Waffen gehörte ebenfalls zu Kuklinskis umfangreichen kriminellen Aktivitäten, und wenn es um Waffen ging, würde es keine Probleme geben, einen Agenten des ATF an den Untersuchungen zu beteiligen.

Pat Kane ließ sich überzeugen und rief Dominick noch am selben Nachmittag an. Es dauerte nicht lange, bis er sich als ›Michael Dominick Provenzano‹ an die Arbeit machte.

Das war inzwischen 17 Monate her, und auch wenn niemand es laut sagte, spürte er, dass man langsam unruhig wurde. Im Grunde ging es ihm nicht anders. Mona­telang hatte er nun jede Menge Geschichten über Kuklinski und seine angeblichen ›Heldentaten‹ gehört, sowohl von Polizeiseite als auch von allen möglichen Ganoven. Im ›La­den‹ nannte man ihn ›die Ein-Mann-Armee‹ und ›den Teu­fel selbst‹. Wenn nur die Hälfte von dem, was man so erzählte, stimmte, waren diese Bezeichnungen durchaus berechtigt.

Dominick konnte verstehen, warum Pat Kane so erbar­mungslos hinter ihm her war. Kuklinski hatte etwas äußerst Heimtückisches und Arrogantes an sich. Sein Gesicht war inzwischen das Letzte, das er vor sich sah, ehe er nachts einschlief, und es stand augenblicklich wieder vor ihm, wenn er am Morgen aufwachte. Es war ganz klar, sie mussten diesen Bastard kriegen. Darüber waren sich alle einig. Do­minick hatte zwar bisher nicht die erhofften Resultate er­reicht, aber kein anderer war jemals näher an Kuklinski herangekommen als er. Außerdem hatte er bereits zu viel Zeit in diese Sache investiert, um sich jetzt von der State Police zurückpfeifen zu lassen. Er konnte Kuklinski förmlich riechen und an jedem wittern, der ihn je getroffen hatte. Im Grunde hatte er das Gefühl, ihn bereits zu kennen. Ihm persönlich zu begegnen, war nur eine Frage der Zeit.

Walter Kipner war zum Pokertisch hinübergegangen, um dort mit seinen falschen Fünfern zu hausieren. Er musste einen Geschäftsabschluss dringend nötig haben, da er jetzt Gratisproben austeilte und einen Vergleich mit den echten Banknoten forderte, die über den Tisch verstreut waren.

Andere drängten sich hinzu, um kostenlos ein paar Scheinchen zu ergattern. Dominick bemerkte, dass DePrima allein war, und beschloss, die allgemeine Ablenkung auszunutzen.

»Na, Lenny, wie läuft’s?« Er stützte sich mit einer Hand gegen die Wand, so dass DePrima keine Möglichkeit hatte, ihm auszuweichen.

»Hallo, Dom, che se dice?« DePrima tat, als habe er ihn gerade erst bemerkt.

Dominick warf ihm einen giftigen Blick zu.

DePrima zuckte die Schultern. »Was soll ich machen?«, meinte er leise. »Ich tue, was ich kann.«

»Wann, Lenny? Wann?«

»Ich versuch’s ja, Dom. Ich probiere es andauernd. Wie gesagt, ich habe ihn schon angerufen und ihm erzählt, ich hätte hier jemanden, der größere Mengen Waffen kaufen möchte. Ich hab angeboten, ein Treffen zu arrangieren. Aber er beißt einfach nicht an.«

»Warum nicht?«

»Du verstehst das nicht, Dom. Es ist klüger, den Polacken nicht zu bedrängen. Es sei denn, du bist scharf auf mächtig viel Zoff.«

»Hast du ihm erzählt, dass ich okay bin?«

»Natürlich, was glaubst denn du? Ich hab ihm gesagt, wir hätten schon einige Geschäfte miteinander gemacht, und mich für dich verbürgt, Dom. Ich schwör’s.«

»Hast du ihm gesteckt, ich hätte Mafia-Verbindungen?«

»Klar.«

»Hast du ihm erklärt, dass ich einen Kunden habe, der eine große Bestellung aufgeben will? Eine wirklich große Bestel­lung?«

DePrima nickte.

»Verfluchte Scheiße, Lenny, warum rührt sich dieser Kerl denn dann nicht?«

»Wie schon gesagt, Dom, der Polacke lässt sich nicht drängen. Er entscheidet, ob er was tut und wann, und es ist besser, keine Fragen zu stellen.«

Dominick blickte zum Pokertisch. Kipner warf mit seinen Fünfern um sich, als ob es Konfetti wäre. Alle hatten ihren Spaß daran, besonders der zwielichtige Bulle. Er wandte sich wieder zu DePrima. »Ich glaube, du hältst mich bloß hin, Lenny. Du hast mich seit dem ersten Tag angeschissen. Dein ganzes Gerede ist ein einziger Schwindel. Du bist ein mieser Angeber. Ich werde die ganze Sache sausen lassen, und dann wollen wir mal sehen, wie es dir bei …«

Das Münztelefon klingelte. DePrima griff nach dem Hörer. »Eine Sekunde, Dom, beruhig dich, ja?«

Wenn er nicht seine Tarnung wahren müsste, hätte Dominick dem kleinen Mistkerl diesen gottverdammten Hörer in die Kehle gestopft.

»Hey, wie geht’s?« DePrima machte ihm heftige Zeichen und deutete zum Telefon. »Du meinst Dominick Provenzano? Ja, er kommt immer noch hier vorbei. Warum?«

Dominick musterte ihn finster. Was sollte diese Scheiße? Erwartete DePrima tatsächlich, er könne ihm weismachen, Kuklinski sei am Apparat?

»Na ja, er hat mir erzählt, er könnte alles kriegen, was so zu haben ist, Rich.« DePrima schaute ein wenig unsicher zu ihm. »Bestimmt, keine Sorge. Ich kenne Leute, die schon was mit ihm gemacht haben. Er ist zuverlässig.«

Wenn das am Telefon wirklich Kuklinski war – und Domi­nick war keineswegs davon überzeugt –, knabberte der Fisch nun endlich am Köder. Er wartete und lauschte. Mehr konn­te er im Moment nicht tun. Jetzt lag alles am Fisch selbst.

»Also, Rich, ich kann dir nur sagen, dass er bei mir immer korrekt war. Wir haben hin und wieder gutes Geld zusam­men gemacht, und das ist alles, was mich kümmert. Willst du dich mit ihm treffen, dann mach das, oder willst du erst ein amtliches Führungszeugnis?«

Dominick trommelte ungeduldig mit den Fingern gegen die Wand.

DePrima schüttelte den Kopf. »Kann ich dir nicht sagen, Rich. Er behauptet, er kann alles beschaffen. Keine Ahnung, ob’s stimmt oder nicht. Er ist übrigens gerade hier. Warum fragst du ihn nicht selbst?«

Dominick warf ihm einen bösen Blick zu. Wenn das ir­gendein idiotischer Trick war, würde DePrima es noch bereu­en.

»Also, das liegt an dir, Rich. Ganz wie du willst … ge­nau … okay, alles klar.«

Er hängte ein.

»Wer war das? Richie, nehme ich an.«

DePrima senkte die Stimme. »Ich schwöre beim Grab meiner Mutter, Dom, dass er es war. Er will dich treffen. Sofort, beim Dunkin’ Donuts drüben am Shop Rite. Er sagt, er brauche etwas, und ich hab ihm erzählt, dass du es ihm besorgen könntest.«

Obwohl er ihm nur zu gern glauben wollte, blieb Dominick misstrauisch. »Und was ist das?«

»Zyankali.«

Der Iceman

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