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1. Die Sprachverwirrung

1. Pluralismus

Es wird oft behauptet, dass die augenscheinlichen Unbestimmtheiten des Liberalismus geradezu aus seiner besten Eigenschaft folgen: Er ist eben liberal im buchstäblichen Sinne. Er lässt es gelten, dass es viele erstrebenswerte „Werte“ (im Sinne nichtinstrumentaler Ziele) gibt und kein Grund zu der Annahme besteht, dass sich alle oder auch nur mehr als jeweils eine kleine Handvoll konflikt- und reibungslos in eine Staats- und Gesellschaftsordnung einbauen lassen. 1 Strengere Weltanschauungen – Nationalismus, Sozialismus oder der langweilige alte Konservatismus – versuchen, den Konflikt auszuschalten, indem sie Werte, die zu ihren wesentlichen Zielvorstellungen in Widerspruch stehen, ablehnen, unterdrücken oder mit Vorbedacht ignorieren. Der Liberalismus hingegen ist pluralistisch. Er duldet grundsätzlich eine Vielzahl von Zielen, „Vorstellungen vom Guten“, ohne nach deren Vereinbarkeit zu fragen. Um ihnen Raum zu geben, braucht es Kompromisse, und der Tausch zwischen Werten ist als legitim hinzunehmen. Weit entfernt von den Anzeichen konzeptioneller Verwirrung und Widersprüchlichkeit der Lehre, dokumentiert liberaler Pluralismus vielmehr den liberalen Grundsatz aller seiner Spielarten, die „Wertneutralität“.

Diese Auffassung ist plausibel. Ist sie aber auch richtig? Wertneutralität hat mindestens zwei Bedeutungen. Je nachdem, ob die eine oder die andere verwendet wird, gelangt man zu höchst unterschiedlichen Folgerungen.

a) „Kegelspiel und Dichtkunst“

Die erste Bedeutung ist die, die wir mit Bentham als die „Kegelspiel-und-Dichtkunst“-Version bezeichnen könnten. Bentham meinte damit natürlich, dass dieselbe „Nutzen“-Menge, die das eine abwirft, nicht schlechter ist als die aus dem anderen, und dass wir uns um den moralischen Wert verschiedener Nutzenquellen nicht zu kümmern hätten. Aber Wertneutralität hängt keineswegs von einer Nutzenbetrachtung ab und ist auch nicht auf eine solche zu beschränken. Sie ist lediglich nichtperfektionistisch, indem sie die moralische Vollkommenheit – ob gern oder ungern, tut nichts zur Sache – ihrem Schicksal unter den freiwilligen Entscheidungen der Mitglieder einer Gesellschaft überlässt.

Das heißt, dass es nicht Aufgabe oder Vorrecht der Staatsgewalt ist, einen Wert, sagen wir die Dichtkunst, höher zu stellen als einen anderen, das Kegelspiel, selbst wenn die gute Gesellschaft, die Meinungsmacher und sogar der Großteil des Wahlvolkes (wie es wahrscheinlich der Fall ist) die Dichtkunst für wertvoller halten. Denn in diesem Fall können sie Lesezirkel gründen, Gedichtbände kaufen, Poeten Mut machen, aber sie dürfen nicht vom Staat erwarten, dass er es an ihrer Stelle tut. Dem steht ein wichtiger Grundsatz entgegen. Der Staat ist wohl oder übel mit außergewöhnlicher, monopolistischer Zwangsgewalt ausgestattet. Selbst seine Kraft der Überzeugung und Erziehung hängt letztlich von seiner Besteuerungsgewalt ab. Solche ehrfurchtgebietende Macht muss eindeutigen Beschränkungen unterworfen sein, die auf festen Grundsätzen beruhen, von denen einer eben die Wertneutralität im Sinne der Alternative Kegelspiel oder Dichtkunst ist.

Die Zustimmung, die staatliche Zwangsgewalt legitimiert, lässt sich in großen Zügen als generelles Mandat auslegen, den „Willen der Gesellschaft“ auszuführen, was immer das bedeuten mag. Wenn die Gesellschaft ihre Wünsche durch Mehrheitsbeschluss zum Ausdruck bringt (was wir im gegenwärtigen demokratischen Zeitalter glauben sollen), so liest sich der Auftrag an den Staat schlicht folgendermaßen: „Du sollst das tun, was du tun musst, um die Unterstützung der Mehrheit zu bekommen.“ Sollte die Mehrheit der Ansicht sein, dass die Dichtkunst staatlich zu fördern sei, so ist es nicht nur rechtens, sondern Pflicht des Staates, Steuergelder für Dichter und deren Verse auszugeben. Freilich würde keine normative Staatslehre die Zustimmung zur passiven Besteuerung so unverblümt zynisch auslegen wie: „Zustimmung zu Geldausgaben mit dem Zweck, die Regierung an der Macht zu halten.“ Man kann argumentieren, dass die Zustimmung sich praktisch so auswirkt, aber wenige Leute hielten das für erstrebenswert, und sei es auch nur wegen der beunruhigenden Folgerung, dass kein Grundsatz übrig bliebe, um einer Regierung, die sich ausschließlich nach dem Erfolg bei den Wählern richtet, Selbstbeschränkung aufzuerlegen. Wertneutralität wird auf jeden Fall von ganz anderen, im Wesentlichen moralischen Überlegungen getragen, so widersinnig es klingen mag, wenn eine neutrale Position moralischen Werten der Moral zugeschrieben wird.

Der wichtigste Grund für ein politisches Prinzip, das dem Menschen als Individuum oder durch freiwillige Vereinigungen mit anderen erlaubt, Werte zu bestimmen, aber gleichzeitig die Übertragung dieser Aufgabe auf die Regierung bestreitet, ist vielschichtig. Aber sobald man den Grund einmal klar formuliert hat, ist er im Kern ganz einfach zu verstehen. Begriffe wie „Gesellschaft“, „Nation“ oder „Gemeinschaft“ setzen im Stillen ein Wesen voraus, das ein Ziel wollen kann und die hierfür erforderlichen Mittel wollen muss, wenn es sich nicht selbst widersprechen will. „Es“ schätzt und wünscht Dichtkunst. Konsequenz und Anstand erfordern, dass „es“ aus Steuermitteln Ausgaben für die Dichtkunst bewilligt, die dem Wert entsprechen, die „es“ der Dichtkunst beimisst.

Wenn es jedoch so ein Wesen gäbe, dieses einen einzigen Kopf, einen Willen und einen Geldbeutel hätte, so würde es nicht der Zwangsgewalt des Staates bedürfen, um die Mittel zu finden und sie für den vorgesehenen Zweck zu verwenden. Es würde in einem einzigen Schritt, und zwar völlig selbständig, das Ziel und die dazu nötigen Mittel wählen. Nur weil es so ein Wesen nicht gibt, sondern lediglich Ansammlungen von einzelnen mit jeweils eigenem Willen, hat der Staat überhaupt eine Bedeutung. Er kann manche Personen dazu zwingen, Mittel für einen bestimmten Zweck zur Verfügung zu stellen, an dem sie bestenfalls mäßig interessiert sind, auf den andere Leute aber großen Wert legen.

(Für gewöhnlich sind sich – besonders wenn diese Mittel nur ein Tropfen im Ozean der Staatsausgaben sind – diejenigen, die den Staat zur Förderung eines bestimmten Wertes drängen, nicht bewusst, was sie damit verlangen: dass nämlich andere für etwas zahlen sollen, die das mutmaßlich ohne Zwang nicht tun würden.)

Dass ein liberaler Staat wertneutral ist, heißt weder, dass er für den Unterschied zwischen z. B. Kitsch und großer Kunst unempfänglich oder ihm dieser gleichgültig ist, noch, dass er das nicht ist. Es heißt nur, dass er moralisch nicht ermächtigt ist, seinen eigenen Vorlieben nachzugehen, wenn er dies nur durch Abwälzung der Kosten auf den Staatsbürger kann.

So also sieht die Kegelspiel-Dichtkunst-Variante der Wertneutralität in der Praxis aus. Ihr Grundgedanke entspricht völlig der ursprünglichen Vorstellung vom Liberalismus als einer Lehre von persönlicher Selbstbestimmtheit und streng begrenzter Staatstätigkeit. Genau genommen setzt diese Lehre das Prinzip bereits voraus, denn ein Staat, der sich zum Beförderer von Werten macht, könnte sich auch bei bestem Bemühen nicht beschränken und würde, wenn er es versuchte, zum Verräter an seiner Aufgabe.

Wir wissen jedoch, dass viele angebliche Liberale die Lehre vom beschränkt tätigen Staat inzwischen verwerfen. Sie bestehen darauf, dass auch Beschränkungen des Staates ihn nicht hindern dürfen, Gutes zu tun.

b) „Lasst 100 Blumen blühen“

Merkwürdigerweise wird auch eine solche Position durch Wertneutralität gestützt, allerdings durch eine andere ihrer Versionen. Diese „100-Blumen“-Variante folgt aus der Ansicht, dass man Neutralität durch Unterlassung ebenso verletzen könne wie durch falsche Tätigkeit. Manche Blumen blühen von allein, andere bedürfen unserer Pflege. Manche gedeihen im Klima von Gewinnsucht und Konkurrenz einer Marktwirtschaft, andere welken dahin. (Genau umgekehrt würde das natürlich in einem Militärstaat wie Sparta oder in einer ägyptischen oder aztekischen Theokratie vor sich gehen.) Passives Verhalten bei der Begrenzung der Staatstätigkeit heißt letztlich nichts anderes, als eine Blume vorzuziehen, d. h., einen Wert über einen anderen zu stellen.

Solches Verhalten ist willkürlich, weil die vernachlässigten Ziele nicht weniger wertvoll, ja vielleicht sogar wertvoller sind. Außerdem haben diejenigen, die diese Ziele sehr hoch bewerten, den gleichen Anspruch, sie verwirklicht zu sehen, wie jene, die mit den „blinden Launen des Marktes“ besser bedient sind. Es kommt dem unvoreingenommenen, wertneutralen Staat zu, beiden Gruppen gleiche Chancen einzuräumen. Jeder Wert muss – notfalls durch Begünstigung – die gleiche Möglichkeit haben, so gut zu gedeihen wie jeder andere, und jede Person muss gleich große Chancen haben, um ihre liebsten Ziele zu verfolgen, welche das auch seien (jedenfalls solange es sich um Werte handelt und nicht um unrechte Ziele). Keinem Machwerk, das den Anspruch erhebt, Kunst zu sein, darf sein Anteil an öffentlichen Geldern mit der Begründung vorenthalten werden, es sei hässlich, abstoßend oder langweilig. Niemand darf als Versager, als Kauz, als abwegig abgestempelt werden und Nachteile erleiden, weil das, was er auszudrücken versucht, unorthodox ist und zur „Gegenkultur“ gehört oder weil er nach seinen Vorstellungen lebt.

Besieht man sich die „100-Blumen“-Neutralität genauer, so stellt sie zugegebenermaßen schwierige, durchaus nicht einleuchtende Anforderungen. Indem sie für „jeden“ Wert „gleiche“ Chancen verlangt, scheint sie eine Rangordnung zu verbieten. Da die Zahl legitimer „Werte“ unendlich groß ist, würde die gleiche Begünstigung aller bzw. ihre gleichmäßige Verwirklichung (was immer das bedeuten würde) unendlich große Mittel verschlingen, außer es würde jedem nur eine geringfügige Beihilfe zuteil. Dennoch ist die „100-Blumen“-Variante auf den ersten Blick eine mögliche Auslegung pluralistischer Wertneutralität.

Zudem hat sie eine fast unwiderstehliche Anziehungskraft. „Kegelspiel und Dichtkunst“ erfordert eine ganz erhebliche Selbstverleugnung des Staates und derjenigen, die durch ihren Einfluss auf die öffentliche Meinung seine Tätigkeit bestimmen. „Lasst 100 Blumen blühen“ andererseits begünstigt politischen Aktivismus, lädt die größtmögliche Zahl von Interessengruppen ein, sich zu melden und nach Unterstützung zu rufen, und schafft ein Klima, in dem der Staat ebenso gedeihen kann wie die Werte, die er fördert. Ob man das nun begrüßen oder beklagen mag, es passt völlig zu dem, was inzwischen Teil der Hauptrichtung liberalen Denkens geworden ist.

So finden wir zwei Versionen der Wertneutralität, die zwei gegensätzliche Prinzipien verkörpern und aus denen genau entgegengesetzte Richtlinien für die Politik folgen. Die historisch ältere „Kegelspiel“-Version fordert: Jedem seinen Wert. Er soll ihn so gut verwirklichen, wie er kann. Dabei darf kein Zwang auf Dritte ausgeübt werden, damit sie ihm helfen. Die jüngere Version der „100 Blumen“ besagt: Jedem Wert die gleichen Chancen. Weil die bürgerliche Gesellschaft das versäumt hat, bleibt es dem Staat überlassen, sie gleichzumachen.

Wenn wirklich beide Lehren innerhalb des Liberalismus Platz haben, so ist er wahrlich pluralistisch. Doch kann er dann kaum fortfahren, eine erkennbare Identität für sich in Anspruch zu nehmen.

2. Das Ziel und die Regel

Mit unserem heutigen Wissensstand hätten die Identitätsschwierigkeiten des Liberalismus aufgrund der logischen Grundstruktur seiner Theorie wahrscheinlich vorhergesagt werden können. An dieser Struktur liegt es vor allem, dass sein Inhalt zur veränderlichen Ansichtssache geworden ist. Wie viele andere politische Theorien hat der Liberalismus zwei Strukturelemente:

I) ein Maximierungsgebot: Politische Einrichtungen werden nach ihrem erwarteten Beitrag zu einem Hauptziel beurteilt. Ihr Zweck ist seine weitestgehende Verwirklichung. Ist etwa der Maximand die Stärke des Staates, so würde die entsprechende Theorie politische Einrichtungen empfehlen, die Wehrkraft, Investitionen und Bevölkerungswachstum am stärksten begünstigen und einer Verweichlichung der Staatsbürger entgegenarbeiten.

II) Befolgung einer Regel (oder eines Regelsystems): Was auch immer politische Einrichtungen tun sollen, sie müssen es im Rahmen dieser Regel tun. Eine typische Regel fordert etwa schlicht, dass die Politik eines Landes seiner Verfassung zu entsprechen habe (deren Inhalt durch eine subsidiäre Theorie festgelegt sein kann) oder dass natürliche Gerechtigkeit herrschen solle oder dass gewisse Gleichheiten zwischen Personen verstärkt werden sollten.

Generell lässt sich von einer politischen Theorie sagen, sie habe etwas von beiden Elementen. Typischerweise ist sie so angelegt, dass sowohl der Maximand gefördert als auch die Regel befolgt wird. An ihren Berührungspunkten sind die beiden Elemente allerdings gewöhnlich miteinander in Konflikt. Je genauer die Regel befolgt wird, umso stärker ist die Zielmaximierung eingeschränkt, und umgekehrt. (Der heutige Regel-Utilitarismus freilich bietet ein raffiniertes Beispiel für die entgegengesetzte Beziehung oder erwartet sie zumindest: Die Regel besagt, es seien bestimmte Moralgebote zu befolgen, und die Beachtung dieser Regel über genügend lange Zeit würde die Nutzenmaximierung begünstigen.)

Anscheinend kann der Vorrang entweder dem Maximanden oder der Regel eingeräumt werden. Wenn der Maximand Vorrang genießt, so verlangt die Theorie nachgerade „beschränkte Maximierung“: in dem Spielraum, den die Regel lässt. Ein Beispiel: (Maximierung) Wir setzen uns das raschestmögliche Wirtschaftswachstum zum Ziel, (+ Regel) das mit der Erhaltung der Umweltqualität vereinbar ist. Genau dieselbe Art von Verhaltensvorschrift ergibt sich, wenn wir die scheinbare Priorität umkehren: (Regel) Menschenrechte dürfen nicht verletzt werden; (+ Maximierung) das öffentliche Interesse geht vor, solange das keine Verletzung von Menschenrechten bedeutet.2 Die Frage, was nun den Vorrang hat bzw. was wirklich dem anderen nachgeordnet wird, ist ebenso sinnlos wie Alfred Marshalls rhetorische Frage, welches Blatt der Schere den Stoff schneide.

Die Entscheidung darüber, ob dem Ziel oder der Regel der Vorrang zugesprochen wird, ist zwar illusorisch, aber dennoch von gewisser symbolischer Bedeutung. Sie hilft, den Ton einer politischen Theorie festzulegen, und wirkt sich auf die Wahl ihrer Sprache aus. In diesem Sinne können zwei liberale Theorien dieselbe Struktur aufweisen, und doch wird eine behaupten, sie sei freiheitsbetont (Maximierung der Freiheit), die andere, sie sei „an subjektiven Rechten orientiert“ (indem sie die Regel aufstellt, dass eine bestimmte Liste subjektiver Rechte respektiert und durchgesetzt werden soll). Die angebliche Priorität der Freiheit in der ersten Theorie und die der Rechte in der zweiten werden sich praktisch kaum auswirken, außer in der Art und Weise, in der jede weitgehend identische Gebote rechtfertigt.

Das Verhältnis einer politischen Theorie zu einer politischen Gemeinschaft besteht entweder in Diagnose oder in Normensetzung. Handelt es sich um Diagnose, so wird die Theorie dazu verwendet, bestehende politische Einrichtungen zu verstehen. Welchem Maximanden, wenn überhaupt einem, soll sie dienen? Welche Regel soll sie befolgen? Normativer Gebrauch der Theorie hingegen heißt so viel wie die Bestimmung der Institutionen, die am besten das gewählte Ziel verwirklichen, während sie gleichzeitig die gewählte Regel befolgen. Der Liberalismus sollte, nicht weniger als andere politische Theorien, für diese beiden Ansätze offen sein. Doch ist er ebenso in der Lage, eine bestimmte politische Vorgehensweise oder Institution zu empfehlen wie sie zu verurteilen. Schuld an dieser Uneindeutigkeit ist die verschwommene Konstruktion der Verbindung von Maximierung und Regelbefolgung. Sehr allgemein ausgedrückt ist sein Maximand die Freiheit, und seine Regel ist die, dass die Ausübung der Freiheit im Interesse Dritter eingeschränkt werden kann.

Mit einigen Ausnahmen bedienen sich liberale Theoretiker eines ziemlich allgemeinen, wenn auch gewöhnlich vagen Begriffes der Freiheit, der nicht auf die „politischen Freiheiten“ der Rede- und Versammlungsfreiheit und des Wahlrechts eingeschränkt ist, die dem Einzelnen Einflussnahme auf kollektive Entscheidungen ermöglichen sollen. Die Vorstellung von Freiheit ist jedoch bekanntermaßen dehnbar. Den Bedeutungen, die man in sie hineinlesen kann, sind fast keine Grenzen gesetzt. Auch die Interessen, deren Schutz legitimer Grund für die Einschränkung der Freiheit ist, sind einer Fülle von Deutungen, zum Teil einander widersprechenden Deutungen, zugänglich. Im Hinblick auf die Freiheit wie auf die Interessen, die jene nicht verletzen dürfen, kann man nur Positionen einnehmen, die letztlich subjektiv und „unbeweisbar“ sind und von zwar nicht obsiegenden, bestreitbaren, aber nicht verwertbaren Argumenten gestützt werden. Innerhalb lockerer Grenzen lassen sich ganz unterschiedliche Inhalte in den Begriff Freiheit hineinlesen, und fast jedes Interesse kann als hinreichender Grund für ein unverletzliches Recht herangezogen werden.

Diese Bandbreite ist möglicherweise letztlich ursächlich dafür, dass die Konturen des Liberalismus immer mehr verschwimmen und sein Inhalt immer mehr aufgeweicht wird.

1 Vgl. Sir Isaiah Berlin, Concepts and Categories, London 1978, S. xvi–xvii und 95.

2 Ihrem Wesen nach ist eine Regel absolut und kann keine Ausnahme haben. Eine gut konstruierte politische Theorie jedoch wird zwar Ausnahmen nicht ausdrücklich zulassen, aber ihre Regeln so formulieren, dass sie nicht – oder nicht unbedingt – auf Fälle anwendbar sind, die die Theorie aus Gründen der Bequemlichkeit oder wegen eines „allgemeinen Vorteils“ davon ausnehmen will. (Vgl. A. Gewirth, „Are There Any Absolute Rights?“ in: J. Waldron, Hrsg., Theories of Rights, New York 1984, S. 95.)

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