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Abelard

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Es ist uns keine logische Schrift überliefert, die man mit Sicherheit Roscelin zuschreiben könnte. Das Einzige, von dem wir sicher sein können, dass es aus seiner Feder stammt, ist ein Brief, den er an seinen berühmtesten Schüler, Abelard, geschrieben hat. Abelard wurde 1079 in der Bretagne in eine Familie von Rittern geboren und kam, kurz nachdem Roscelin verurteilt worden war, zu ihm, um unter ihm zu studieren. Etwa um das Jahr 1100 ging er nach Paris und trat in die der Kathedrale von Notre-Dame angeschlossene Schule ein. Sein dortiger Lehrer war William von Champeaux, der eine realistische Theorie der Universalien vertrat, die ebenso extrem war wie Roscelins Nominalismus. Er behauptete, das universale Wesen des Menschen sei gleichzeitig in jedem Individuum vollständig gegenwärtig. Abelard fand Williams Auffassung ebenso wenig nach seinem Geschmack wie diejenige seines vorherigen Lehrers, und er verließ Paris, um in Melun eine Schule zu gründen. Dort schrieb er die frühesten der von ihm erhaltenen Werke: Kommentare zu den logischen Schriften von Aristoteles, Porphyrios und Boethius, die ihnen Wort für Wort folgen.

Später kehrte er nach Paris zurück und gründete eine mit William konkurrierende Schule. Im Jahre 1113 trat er dessen Nachfolge als Leiter der Schule von Notre-Dame an. Während er dort unterrichtete, wohnte er bei Fulbert, einem der Domherren, und wurde der Privatlehrer seiner 16 Jahre alten Nichte Héloïse. Er wurde ihr Geliebter, wahrscheinlich im Jahre 1116, und als sie schwanger wurde, heiratete er sie heimlich. Héloïse hatte nur widerwillig geheiratet, da sie seine Karriere nicht behindern wollte, und kurz nach der Hochzeit und der Geburt ihres Sohnes zog sie sich in ein Kloster zurück. Sein empörter Onkel Fulbert schickte des Nachts zwei Schläger in sein Zimmer, die ihn kastrierten. Abelard wurde Mönch im Kloster St.-Denis, während Héloïse in das Nonnenkloster von Argenteuil eintrat.

Abelard unterstützte Héloïse aus seinen Einkünften als Privatlehrer, und die beiden nahmen ihre Beziehung in Form einer erbaulichen Korrespondenz wieder auf. Einer von Abelards längsten Briefen, den er einige Jahre später schrieb, hat den Titel Historia Calamitatum („Leidensgeschichte“). Er ist die Hauptquelle unserer Informationen über sein Leben bis zu diesem Zeitpunkt und die lebhafteste Autobiografie zwischen Augustinus’ Bekenntnissen und dem Tagebuch von Samuel Pepys.28

Während er in St.-Denis lebte, setzte Abelard seine Unterrichtstätigkeit fort und begann theologische Abhandlungen zu schreiben. Die erste von ihnen, die Theologie des höchsten Gutes, geht auf das Problem ein, über das Anselm und Roscelin nicht einig werden konnten: das Wesen der Unterscheidung zwischen den drei göttlichen Personen der Trinität, die innergöttliche Beziehung zwischen den Triaden „Macht, Weisheit und Güte“ und „Vater, Sohn und Geist“. Abelard bekam dadurch, wie Roscelin, Schwierigkeiten mit der Kirche. Auf einer Synode in Soissons wurde die Abhandlung im Jahre 1121 als schlecht fundiert verworfen. Er musste sie eigenhändig verbrennen und wurde für kurze Zeit in einem Strafkloster gefangen gehalten.

Kurz nach seiner Rückkehr nach St.-Denis geriet Abelard schon bald in erneute Schwierigkeiten, weil er bestritt, dass der Patron des Klosters jemals Bischof von Athen gewesen war. Er musste St.-Denis verlassen und gründete in einer Kapelle, die er auf dem Lande in Champagne erbaute und dem Parakleten (dem Heiligen Geist) widmete, eine neue Schule. Von 1125 bis etwa um 1132 war er Abt von St.-Gildas, einem heruntergekommenen Kloster ohne Disziplin in der Bretagne, wo man seine Bemühungen um Reformen mit Todesdrohungen beantwortete. Héloïse war zwischenzeitlich zur Äbtissin von Argenteuil ernannt worden. Als sie und ihre Nonnen im Jahre 1129 heimatlos wurden, ließ Abelard sie in seiner dem Parakleten gewidmeten Kapelle wohnen.

Irgendwann zu Beginn der 1130er Jahre kehrte Abelard nach Paris zurück und unterrichtete erneut auf dem Mont-Ste.-Geneviève. Dort verbrachte er den größten Teil seiner restlichen Lebenszeit, gab Unterricht in Logik und Theologie und schrieb unermüdlich. Er verfasste einen Kommentar zum Römerbrief sowie eine ethische Abhandlung mit dem sokratischen Titel Erkenne dich selbst. Ferner sammelte er maßgebliche Texte zu wichtigen theologischen Themen und fasste sie unter dem Titel Sic et Non („Ja und Nein“) zu Gegensatzpaaren zusammen. Er entwickelte die Ideen seiner Theologie des höchsten Gutes in mehreren aufeinanderfolgenden Versionen, deren definitive Fassung den Titel Die Theologie der Gelehrten hatte. Er beendete sie um die Mitte der 1130er Jahre.

Durch dieses Buch geriet er in Konflikt mit dem heiligen Bernhard, dem Abt von Clairvaux und zweiten Gründer des Zisterzienserordens, der später zum zweiten Kreuzzug aufrief. Bernhard entnahm dem Buch (manchmal zu Recht und manchmal zu Unrecht) 19 verschiedene Häresien und ließ sie 1140 auf einem Konzil von Sens verwerfen. Zu den verworfenen Aussagen gehörten einige, die ziemlich explosiv waren, wie zum Beispiel: „Gott sollte und kann Böses nicht verhindern“ und „Die Gewalt zu binden und zu trennen wurde nur den Aposteln und nicht ihren Nachfolgern gegeben“ (DB 375, 379). Abelard legte gegen die Verurteilung in Rom Einspruch ein, mit dem Ergebnis, dass ihm der Papst ewiges Schweigen auferlegte. Mittlerweile hatte er sich in das Kloster von Cluny zurückgezogen, wo er zwei Jahre später starb. Der Abt, Petrus Venerabilis, beschrieb seinen friedlichen Tod in einem Brief an Héloïse.


Héloïse und Abelard, im Tod vereint, auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris.

Abelard ist zweifellos einer der berühmtesten mittelalterlichen Philosophen, der Allgemeinheit ist er jedoch nicht als origineller Denker, sondern wegen seiner tragischen Liebe zu Héloïse bekannt. Dennoch nimmt er in der Geschichte der Philosophie einen wichtigen Platz ein, und dies besonders aus zwei Gründen: wegen seiner Beiträge zur Logik und seines Einflusses auf die scholastische Methode.

Drei seiner logischen Abhandlungen sind uns erhalten geblieben. Die ersten beiden tragen den Titel „Logik“ und werden anhand der ersten Wörter ihres lateinischen Textes voneinander unterschieden: Die eine ist die Logica Ingredientibus und die andere die Logica Nostrorum Petitioni. Die dritte trägt den Titel Dialectica. In der Forschung wurde lange angenommen, die dritte Abhandlung sei die maßgebliche Version, da sie aus Abelards letzten Lebensjahren stammt. Einige neuere Forscher haben dagegen die These vorgeschlagen, dass sie aus einer wesentlich früheren Periode stammt, zum Teil aus dem wenig überzeugenden Grund, dass es unwahrscheinlich ist, dass Beispiele wie „Möge meine Freundin mich küssen“ und „Peter liebt sein Mädchen“ nach der Affäre mit Héloïse in ein Lehrbuch aufgenommen worden seien.29 Als Abelard seine Texte schrieb, standen nur sehr wenige der logischen Werke von Aristoteles in lateinischen Übersetzungen zur Verfügung, und insofern befand er sich, verglichen mit den Autoren folgender Jahrhunderte, im Nachteil. Es ist daher ein umso größeres Verdienst seiner eigenen Einsicht und Originalität, dass er seine Beiträge zur Logik auf eine Weise leistete, die ihn als einen der größten der mittelalterlichen Logiker zu erkennen gibt.

Eines der Werke Abelards, das in der Folgezeit den größten Einfluss hatte, war seine Schrift Sic et Non, in der zum selben Thema Texte jeweils verschiedener Autoritäten der Bibel oder der Kirchenväter einander gegenübergestellt wurden. Diese Sammlung wurde nicht in skeptischer Absicht zusammengestellt, um etwa Zweifel an der Autorität der heiligen und kirchlichen Autoren zu wecken, sondern die paarweise systematisch angeordneten Texte sollten dazu dienen, seine eigenen und die Gedanken anderer zu den behandelten Fragen anzuregen.

Später, in der Blütezeit der mittelalterlichen Universitäten, war die bevorzugte Unterrichtsmethode die akademische Disputation. Hierbei wählte ein Lehrer einen seiner Schüler, einen fortgeschritteneren Studenten, und ein oder zwei jüngere Studenten zur Erörterung einer bestimmten Frage aus. Der fortgeschrittenere Student hatte die Aufgabe, eine bestimmte These zu verteidigen, wie zum Beispiel dass die Welt in der Zeit erschaffen worden war, beziehungsweise ihr Gegenteil. Von den anderen Schülern wurde diese These dann angegriffen und die gegenteilige Behauptung vorgestellt. Der Lehrer schlichtete dann den Streit, indem er zu bestimmen versuchte, was an den angeführten Argumenten des einen der Wahrheit entsprach und welche der von den anderen vorgebrachten Kritikpunkte stichhaltig waren. Viele der berühmtesten Meisterwerke der mittelalterlichen Philosophie – wie beispielsweise die Mehrzahl der Schriften Thomas von Aquins – behalten in der Schriftform das Schema dieser mündlichen Disputationen bei.

Abelards Sic et Non ist der Vorläufer dieser mittelalterlichen Disputationen. Das wichtigste Lehrbuch der mittelalterlichen Theologie, die Sentenzen Peter Lombards, sind ähnlich strukturiert wie dieses Werk Abelards, und es förderte diese Standardform der Diskussion in den Schulen. Es lässt sich daher behaupten, dass letztlich Abelard dafür verantwortlich ist, dass die Struktur philosophischer Diskussionen eine Form annahm, die mehr auf Konfrontation als auf gemeinsame Nachforschung angelegt war, wobei die Schüler die Rolle von Anwälten spielten und der Lehrer sich in derjenigen eines Richters befand. Obwohl er selbst nie mehr als Leiter einer Schule war, gab Abelard den akademischen Professoren auf diese Weise bis zur Renaissance einen bestimmten Denkstil vor.

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