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Maimonides

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Viele Elemente im Leben von Averroes wiederholten sich im Leben von Maimonides (1138–1204). Beide wurden als Söhne religiöser Richter in Córdoba geboren, beide hatten Jurisprudenz und Medizin studiert und beide führten ein Wanderleben, in dem sie von der Gunst von Fürsten und der Unbeständigkeit toleranter Zustände abhingen. Im Alter von 13 Jahren wurde Maimonides von den fundamentalistischen Almohaden aus Córdoba vertrieben und zog mit seinen Eltern zunächst nach Fez, dann nach Acre und lebte schließlich in Kairo. Dort war er fünf Jahre lang Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, und ab 1185 war er der Hofarzt des Wesirs von Saladin.

Zu Lebzeiten beruhte seine Berühmtheit hauptsächlich auf seinen rabbinischen Studien: Er schrieb eine Kurzfassung der Thora und stellte eine definitive Liste der göttlichen Gebote zusammen (die nicht 10, sondern 613 Anweisungen umfasste). Seinen nachhaltigen weltweiten Einfluss verdankt er jedoch einem Buch, das er erst zu einer späteren Zeit seines Lebens in arabischer Sprache schrieb: dem Führer der Unschlüssigen. Es hatte sich zum Ziel gesetzt, die scheinbaren Widersprüche zwischen Philosophie und Religion auszugleichen, die gebildeten Gläubigen Sorgen bereiteten. Er behauptete, dass die Lehre der Bibel und philosophisches Studium einander ergänzen: Ein umfassendes Verständnis der Bibel ist nur möglich, wenn man eine wirkliche Kenntnis der Philosophie besitzt. Wo die beiden sich zu widersprechen scheinen, können diese Schwierigkeiten durch eine allegorische Interpretation des heiligen Textes behoben werden.

Maimonides gab freimütig zu, welche Einsichten er muslimischen und heidnischen Philosophen verdankte. Sein Interesse an der Philosophie erwachte schon früh, und im Alter von 16 Jahren stellte er unter dem Einfluss von al-Farabi ein logisches Vokabular zusammen. Er las auch Avicenna, fand ihn jedoch weniger beeindruckend. Am meisten verdankte er Aristoteles, dessen Genie er als den höchsten Punkt rein menschlicher Intelligenz ansah. Er schrieb jedoch, es sei unmöglich, Aristoteles ohne die Hilfe der Reihe von Kommentaren zu verstehen, deren beste diejenigen von Averroes seien.

Maimonides’ Projekt der Versöhnung von Philosophie und Religion hängt von seiner äußerst agnostischen Sicht des Wesens der Theologie ab. Wir können über Gott positiv nichts aussagen, da er mit Menschen wie uns nichts gemeinsam hat: Er verfügt über keine Materie und ist reine Aktualität, er unterliegt keinen Veränderungen und hat keine Eigenschaften. Gott ist von den Geschöpfen unendlich weit entfernt. Er ist eine einfache Einheit und hat keine bestimmten Attribute wie Gerechtigkeit und Weisheit. Wenn wir dem göttlichen Namen Attribute hinzufügen, indem wir zum Beispiel sagen „Gott ist weise“, sagen wir in Wirklichkeit, was Gott nicht ist: Wir meinen, dass Gott nicht töricht ist. Der Versuch, Gott zu preisen, indem wir ihm lobende Beinamen geben, gleicht dem Versuch, einen König, dessen Schatz aus lauter Gold besteht, für seine Silbersammlung zu preisen.

„Die Bedeutung von ‚Wissen‘, ‚Ziel‘ und ‚Voraussicht‘ ist eine andere, wenn wir sie statt auf uns selbst auf Ihn anwenden. Wenn wir annehmen, die beiden Voraussichten oder Wissen oder Ziele haben dieselbe Bedeutung, kommt es zu Schwierigkeiten und Zweifeln. Wenn hingegen bekannt ist, dass alles, was wir uns zuschreiben, verschieden ist von allem, was Ihm zugeschrieben wird, wird die Wahrheit deutlich.“ (Führer der Unschlüssigen, 3. 20)31

Maimonides vertrat die Auffassung, dass wir Gott auf keine andere Art als durch Negationen beschreiben können. Wenn wir nicht einem Götzenglauben verfallen wollen, müssen wir sämtliche anthropomorphen Texte der Bibel als Metaphern oder Allegorien erklären.

Wenn die Religion mit dem Aristotelismus in Einklang gebracht werden soll, müssen auf beiden Seiten Zugeständnisse gemacht werden. Um uns zu veranschaulichen, wie Maimonides bei diesem Versöhnungsprojekt vorgeht, wollen wir uns zwei Beispielen zuwenden: den Lehren von der Schöpfung und von der Vorsehung. Im Falle der Schöpfungslehre muss Aristoteles’ Kosmologie nachgeben; im Fall der Vorsehung muss der traditionellen Frömmigkeit Nüchternheit beigebracht werden.

Da er an die jüdische Lehre von der Erschaffung der Welt in der Zeit glaubt, verwirft Maimonides Aristoteles’ Auffassung von der Ewigkeit des Universums und kritisiert philosophische Argumente, die beweisen sollen, dass die Zeit keinen Anfang gehabt haben kann. Er glaubte jedoch nicht, dass die menschliche Vernunft für sich allein und ohne Hilfe die Wahrheit der Schöpfungslehre ermitteln könne. Menschen können den Ursprung der Welt ebenso wenig aus der Welt ableiten, wie sie jetzt ist, wie ein Mann, der niemals eine Frau getroffen hat, sich ausdenken könnte, wie Menschen auf die Welt kommen. Maimonides verwarf Aristoteles’ Ansicht, dass die Welt aus unveränderlichen und notwendigen Arten besteht. Es sei skandalös zu behaupten, Gott sei nicht in der Lage, die Flügellänge einer Fliege zu ändern.

Andererseits sollten wir auch nicht annehmen, dass Gottes Regierung des Universums sich auf jedes einzelne Ereignis erstreckt: Gottes Vorsehung umfasst jeden einzelnen Menschen, die anderen Kreaturen jedoch nur im Allgemeinen.

„Die göttliche Vorsehung wacht nur über die zur Menschheit gehörenden Individuen, und nur bei dieser Art stehen sämtliche Lebensumstände der Einzelnen und das Gute und Böse, das ihnen zustößt, im Verhältnis zu demjenigen, was sie verdient haben. Bezüglich aller anderen Tiere, und umso mehr der Pflanzen und anderen Dinge, bin ich der Ansicht von Aristoteles. Denn ich glaube weder, dass dieses bestimmte Blatt zu Boden fiel, weil die Vorsehung darüber wacht, noch dass diese Spinne diese Fliege verschlungen hat, weil Gott etwas bezüglich dieser Individuen bestimmt und gewollt hat. […] Denn all dies ist nach meiner Meinung Ergebnis eines reinen Zufalls, genau wie Aristoteles annimmt.“ (Führer der Unschlüssigen, 3. 17)32

Dennoch war Maimonides’ Absicht die eines orthodoxen, ja frommen Juden. Das Ziel des Lebens besteht ihm zufolge darin, Gott zu erkennen, zu lieben und nachzuahmen. Das Wenige, was wir über Gott wissen können, kann der Prophet schneller als der Philosoph lernen. Wissen sollte zu Liebe führen: einer Liebe, die sich in der nüchternen Nachahmung des göttlichen Wirkens ausdrückt, die wir in den Lebensläufen der biblischen Propheten und Gesetzgeber finden. Diejenigen Menschen, die weder Propheten noch Philosophen sind, müssen mit Geschichten, die nicht vollkommen wahr sind (wie zum Beispiel dass Gott Gebete erhört und durch Sünden erzürnt wird), zu einem guten Lebenswandel überredet werden.

Genau wie Averroes geriet auch Maimonides mit konservativen Gläubigen in Konflikt, die seine Interpretation heiliger Texte für gotteslästerlich hielten. Im Gegensatz zu Averroes zeigten die Religionsgenossen von Maimonides jedoch nach seinem Tod weiterhin Interesse an seinen Werken und bewahrten ihm – ebenso wie die lateinischen Christen – ein ehrendes Andenken.

1 Siehe Kapitel 5.

2 Siehe Kapitel 7.

3 Sämliche Zitate aus De civitate dei stammen aus oder sind angelehnt an: A. Schröder, Des heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus ausgewählte Schriften 1–3, Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 1 (München: N. N., 1911–16).

4 Vgl. Band I, Seite 60.

5 Anm. d. Übers.: Früchte eines mythischen Baumes, der am Ufer des Toten Meeres wachsen sollte, die schmackhaft aussahen, aber zu Asche zerfallen sollten, wenn man sie zu essen versuchte.

6 Anm. d. Übers.: Der englische Historiker E. Gibbon veröffentlichte zwischen 1776 und 1789 eine sechsbändige Geschichte über den Verfall und Untergang des Römischen Reiches (The History of the Decline and Fall of the Roman Empire).

7 Sämtliche Zitate aus Boethius’ Trostschrift stammen aus: Boethius, Trost der Philosophie, übersetzt und herausgegeben von K. Büchner (Reclam: Stuttgart, 1974).

8 Die Anfangszeilen des Gedichts lauten: „Der du die Welt regierest nach ewigen, weisen Gesetzen, Der du die Erde, den Himmel erschufst, und aus dem ewigen Urquell, Führest die Zeiten, des Alls unwandelbarer Beweger!“

9 Boethius’ Argument wird in Kapitel 9 ausführlich erörtert.

10 Leider ist unser Wissen über Hypatia sehr begrenzt. Charles Kingsley hat aus dem Wenigen, das wir haben, in seinem Roman Hypatia das meiste gemacht.

11 Die Einzelheiten von Philoponos’ Physik werden in Kapitel 5 erörtert.

12 Der große theologische Disput des folgenden Jahrhunderts betraf die Verehrung von Bildern oder Ikonen. Man hätte erwarten können, dass die ikonoklastische Kontroverse interessante Beiträge zur Semiotik, der philosophischen Theorie der Zeichen, hervorbringen würde. Allein diese Hoffung scheint, verschafft man sich einen kurzen Überblick über die Literatur, vergeblich gewesen zu sein.

13 Vgl. J. J. O’Meara, Eriugena (Oxford: Clarendon Press, 1988), Kapitel 1 und 2.

14 Ausführlicher erörtert wird die Theologie Eriugenas in Kapitel 9.

15 Vgl. O’Meara, Eriugena, 214–16.

16 Anm. d. Übers.: Dem heutigen Urfa.

17 Vgl. W. L. Craig, The Kalam Cosmological Argument (London: Macmillan, 1979).

18 Ausführlicher darauf eingehen werden wir in Kapitel 5.

19 Vgl. Band I, Seite 257.

20 Zitiert in J. L. Esposito, Islam: The Straight Path (New York: Oxford University Press, 1991), 57.

21 Avicenna, The Life of Ibn Sina, übersetzt von W. E. Gohlman (Albany: State University of New York Press, 1974).

22 Al-Farabis und Avicennas Philosophie des Geistes werden in Kapitel 7 ausführlich erläutert.

23 Einige Autoren haben behauptet, diese Unterscheidung gehe auf Aristoteles zurück, doch dies ist zweifelhaft (vgl. Band I, Seite 236).

24 Einzelheiten von Avicennas Metaphysik werden in Kapitel 6 erörtert.

25 Damianis seltsame Ansichten über die Allmacht werden in Kapitel 9 erörtert.

26 Genauer analysiert wird Anselms Argument in Kapitel 9.

27 Zitiert nach: Anselm von Canterbury, Proslogion, herausgegeben von P. F. S. Schmitt O.S.B. (Stuttgart-Bad Cannstatt, frommann-holzboog, 1995).

28 Anm. d. Übers.: Samuel Pepys (1633–1703) war Staatssekretär und Abgeordneter des englischen Parlaments. Sein postum veröffentlichtes, viel zitiertes Tagebuch gewährt einen freimütigen Einblick in das Londoner Alltagsleben des 17. Jahrhunderts.

29 Zur Datierung der Werke Abelards vgl. J. Marenbon, The Philosophy of Peter Abelard (Cambridge: Cambridge University Press, 1997), 36–53.

30 Eine detaillierte Beschreibung von Averroes’ Lehre über den Intellekt findet sich in Kapitel 7.

31 Nach der englischen Übersetzung von S. Pines, 2 Bände (Chicago: Chicago University Press, 1963).

32 Nach der englischen Übersetzung von S. Pines, 2 Bände (Chicago: Chicago University Press, 1963).

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