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Warnungen

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Fürstin Salde schreckte hoch und lauschte in die Nacht hinein. Irgendetwas hatte sie geweckt, aber was? Nur das Schnarchen Fürst Podons drang an ihr Ohr sowie die üblichen nächtlichen Burggeräusche.

Leise wälzte sie ihren schweren Leib zur Seite und stemmte sich auf die Füße. Ihre Hände ruhten zärtlich auf dem geschwollenen Bauch. Dies würde ihr Zweitgeborenes werden. Vielleicht war es dieses Mal ein Mädchen. Das Ungeborene war jedenfalls quicklebendig, und Salde wurde häufig von plötzlichen Tritten und Stößen überrascht. Vielleicht war dies auch der Grund für ihr Erwachen gewesen.

Auf Zehenspitzen betrat sie den Nebenraum und ging zu dem kleinen Bettchen, das in einer Wandnische stand. Liebevoll betrachtete sie den blonden Schopf ihres kleinen Sohnes, der unter der Bettdecke hervorlugte. Er war erst zwei Jahre alt, zeigte aber schon jetzt die gleiche Dickköpfigkeit wie sein Vater.

Salde brachte ihren Körper wieder in Schwung und trat zum Fenster. Die Luft war lau, aber gegenüber der Tageshitze angenehm kühl. Eine milde Brise zerzauste ihre blonden Locken.

Seufzend erinnerte die junge Fürstin sich an ihre erste Schwangerschaft. Damals hatte sie über ihre Unbeweglichkeit und ihren dicken Bauch gestöhnt, doch gegenüber jetzt war sie damals geschwebt wie eine Elfe. Ihr derzeitiges Format zwang sie zu einem trägen Watschelgang, zumindest hatte sie das so im Gefühl – auch wenn ihr alle das Gegenteil versicherten. Doch wer konnte schon dem Gerede seiner Untertanen Glauben schenken?

Keiner würde es wagen, seine Fürstin als watschelnde und unförmige Ente zu bezeichnen.

Salde kicherte leise bei dieser Vorstellung. Doch das Kichern blieb ihr buchstäblich im Halse stecken, als sich eine dunkle Gestalt über die Fensterbrüstung schwang und in ihr Zimmer sprang. Die Fürstin brauchte einige Sekunden, bis sie den Eindringling erkannte. Erleichterung durchflutete sie.

„Kenjo“, flüsterte sie. Dann fiel sie ihm mit einem leisen Schrei in die Arme.

Kenjo zog sie eng an sich und atmete tief ihren Duft ein. Wie immer, wenn er diese Frau so nahe spürte, regte sich seine Männlichkeit. Doch er bezwang sich, wie schon die letzten Male.

Salde war nicht seine Partnerin – und er achtete Fürst Podons Anspruch.

Er schob sie von sich und betrachtete ihren Leib. Ein zufriedenes Lächeln huschte über sein Gesicht. Salde stand kurz vor ihrem zweiten Wurf, das war gut so. Aber dies war nicht der Grund seines Kommens.

„Du hast mich also geweckt“, flüsterte Salde. „Warum kommst du so heimlich?“

„Ich mag es nicht, wenn man mich anstarrt.“

Das war nichts Neues für Salde, und sie musste es wohl akzeptieren.

„Wartet Nuur draußen?“

Kenjo nickte. „Ja, er grüßt dich und findet es gut, dass du einen zweiten Wurf in dir trägst.“

Salde errötete, doch eher vor Stolz, als aufgrund dieser ungewöhnlichen Ausdrucksweise. An diese hatte sie sich mittlerweile gewöhnt.

„Du warst schon lange nicht mehr hier“, tadelte sie.

„Wir waren jagen, weit oben im Norden. Und wir bringen schlechte Nachrichten.“

Kenjos Stimme klang beunruhigend ernst.

In Salde streckte sich sofort die Fürstin und sie wartete ruhig auf seine nächsten Worte.

Kurz und knapp berichtete der junge Mann von den Dämonen und dem Beschluss der Berglöwen. Salde konnte seine Ausführungen kaum glauben.

Aber dann fiel ihr die wachsende Anzahl an Meldungen ein, die von grausamen Überfällen und Toten im Norden der Steppe berichteten.

Ob da ein Zusammenhang bestand? Aber Dämonen!

Salde teilte die Abneigung aller Vitreaner gegenüber Magie und somit auch gegenüber allen Geschichten, die damit zusammenhingen. Doch warum hatte noch niemand sonst von Dämonen berichtet?

Als sie Kenjo ihre Bedenken mitteilte, schüttelte er ernst den Kopf.

„Wer sollte davon berichten? Ich glaube nicht, dass viele Menschen Waffen besitzen, die den Dämonen trotzen können. Auch ich habe wohl nur überlebt, weil Fürst Podon mir das Messer überließ. Ohne dieses würde ich nicht mehr vor dir stehen und auch mein Volk wäre nicht gewarnt.“

Das leuchtete Salde ein, aber es versprach düstere Aussichten.

„Wir müssen es dem Fürsten sagen.“

Kenjo nickte zustimmend.

„Was müsst ihr mir sagen?“ knurrte eine unwirsche Stimme von der Tür her.

„Und welcher Kerl wagt es, sich nachts mit meiner Gemahlin zu treffen – und dann auch noch in meinen eigenen Gemächern?“

Kenjo trat näher an Fürst Podon heran, so dass dieser ihn in der Dunkelheit besser erkennen konnte. Der Fürst stand mit in die breiten Hüften gestemmten Fäusten in der Tür und versuchte die dunkle, groß gewachsene Gestalt zu erkennen.

Kenjo musste unwillkürlich lächeln, als er die wuchtige Gestalt des Fürsten betrachtete.

Fürst Podon war in den letzten Jahren deutlich in die Breite gegangen, was auch das weiße, fürstliche Nachthemd nicht verstecken konnte, und er bot in der Dunkelheit ein herrliches Ziel.

„Es ist Kenjo, mein Fürst“, erklärte Salde schnell. „Er bringt uns unheilvolle Nachrichten.“

Auf Fürst Podons Gesicht erschien ein zufriedenes Grinsen.

„Kenjo! Es ist gut, dass du uns besuchst. Ich habe einiges mit dir zu besprechen.“

„Mein Fürst, vielleicht solltet Ihr ihn erst einmal anhören“, eilte sich Salde zu sagen. Sie wusste nur zu gut, was für Ideen Fürst Podon bezüglich Kenjo hatte. Aber diese zielten im Wesentlichen nur darauf ab, wie er mit Hilfe von Kenjo und dessen Beziehung zu den Berglöwen seine Macht weiter ausbauen konnte, und Salde war sich sicher, dass Kenjos Bericht wichtiger war.

Fürst Podon runzelte die Stirn und warf ihr einen ärgerlichen Blick zu.

Er wusste, dass sie ihn damit von seinem Anliegen abbringen wollte. Darin war sie mittlerweile sehr gut geworden. Immerhin besaß sie einen klugen Kopf und wusste zumeist, wie weit sie damit gehen durfte.

Trotzdem, - manchmal waren ihre geschickten Manipulationen überaus lästig.

„Werte Salde“, knurrte Fürst Podon. „Mir ist durchaus klar, dass unheilvolle Nachrichten wichtig sind. Vielleicht sollten wir uns zunächst in ein anderes Zimmer begeben, wo wir auch Licht machen können.“

Salde war froh, dass die Dunkelheit ihre verlegene Röte verbarg. Zwar war sie seine knurrige Art gewöhnt, aber es war immer schwer abzuschätzen, wie wütend er wirklich war. Also eilte sie sich ins Schlafzimmer zu kommen, um dort ein Licht zu entzünden.

Schweigend lauschte Fürst Podon Kenjos Bericht und ihm kamen die gleichen Zweifel wie Salde. Aber auch ihm leuchteten Kenjos Argumente ein. Außerdem, warum sollte dieser Junge lügen? Soweit Fürst Podon wusste, waren Angehörige des Berglöwenvolkes dazu gar nicht fähig.

„Es freut mich natürlich, dass dir der Dolch solch wertvolle Dienste geleistet hat“, meinte er nachdenklich. „Er ist tatsächlich mit Magie behaftet, welcher Art auch immer diese ist. Aber die Umstände, die zu seiner Nützlichkeit führten, sind wahrlich bedrückend. Du glaubst also wirklich, dass Dämonen aus dem Norden in Vitrea ihr Unwesen treiben?“

„Wie weit sie schon gekommen sind, weiß ich nicht. Doch meine Brüder und Schwestern berichten, dass sie schon nahe der Grenze tote Verwandte und anderes Getier gefunden haben.“

„Denkt an die Berichte von den verwüsteten Anwesen und den verstümmelten Toten“, warf Salde ein. „Vielleicht waren auch das Dämonen, und das hieße, dass sie schon in Vitrea sind.“

Fürst Podon schwieg lange Zeit. Es war nicht leicht, diese Nachrichten zu verdauen.

Schließlich meinte er:

„Und wie, bei allen Göttern, sollen wir die Bevölkerung warnen ohne Gelächter oder Panik zu verbreiten? Und wie sollen sich die Leute verteidigen? Ich weiß von keinen magisch bewanderten oder bewaffneten Leuten in Vitrea. Dieses Land kam Jahrhunderte, wenn nicht gar jahrtausendelang ohne Magie aus, und diese scheint nach Kenjo‘s Erzählung das einzig Wirksame zu sein.“

„Vergesst nicht, dass wir auch dem König berichten müssen“, erinnerte Salde. „Vielleicht kann er Hilfe schicken. Immerhin gibt es in Thlandian doch Magier.“

Fürst Podon knurrte nur unwirsch.

Der Gedanke daran, auf die Hilfe von diesen eingebildeten Magiern angewiesen zu sein, war höchst unerquicklich. Aber wie meistens hatte seine Gemahlin recht.

Er räusperte sich.

„Das vergesse ich nicht, werte Salde. Ebenso vergesse ich auch nicht das Berglöwenvolk. Es will also zu uns nach Süden ausweichen?“

Kenjo nickte.

„Ja, mein Volk hat den Dämonen nichts entgegen zusetzen. Es ist zwar bereit, gegen diese Ungeheuer zu kämpfen, aber es braucht Unterstützung. Mein Dolch alleine reicht nicht.“

Fürst Podon schnaufte belustigt.

„Das ist mir klar. Doch was mir ebenso Kopfzerbrechen macht ist die Anzahl der Dämonen. Gibt es irgendwelche Hinweise, wie viele von diesen Wesen sich in den Bergen herumtreiben?“

Kenjo schüttelte den Kopf. „Nein. Aber es scheinen nicht wenige zu sein. Ihre Opfer wurden in allen Teilen der Nordberge gefunden, und es werden immer mehr.“

„Herrje“, fluchte Fürst Podon und schritt unruhig in dem Zimmer umher. „Ich kann es eigentlich immer noch nicht glauben. Dämonen in Vitrea! Wo kommen diese Biester nur her?“

Weder Kenjo noch Salde konnten ihm darauf antworten, aber das hatte er auch nicht erwartet.

„Das Dumme ist, dass ein Bote nach Thlandian mit Sicherheit zwei Wochen braucht, und bis eine Antwort eintrifft, oder gar Hilfe, ist ein Monat vergangen. Wie ich die Beschlussfreudigkeit diverser Räte kenne, dauert es wahrscheinlich sogar doppelt oder dreimal so lang.“

„Vielleicht solltet Ihr auch eine Ratsversammlung einberufen“, schlug Salde vorsichtig vor.

„Jaja“, knurrte Fürst Podon. „Daran komme ich wohl kaum vorbei. Na, vielleicht hat ja einer meiner Hochwohlgeborenen ausnahmsweise einen guten Gedanken. Bis jetzt waren diese Holzköpfe nur eifrig im Intrigenspinnen und mit Machtspielchen beschäftigt.“

Salde verkniff sich die Bemerkung, dass er selbst darin auch nicht ganz unbedarft war. Sie war sogar davon überzeugt, dass ihr Gemahl in diesen Bereichen zu den Erfolgreichsten gehörte. Das war auch nötig, denn die vitreanischen Adeligen hatten schon immer eine Liebe zu Arroganz und Intrigen gezeigt, auch wenn sie in den anderen Fürstentümern eher als Bauern angesehen wurden.

„Wirst du warten, bis wir zu einem Entschluss gekommen sind?“ erkundigte sich der Fürst.

Er war zufrieden, als Kenjo zustimmte.

„Gut, dann werde ich morgen früh sofort eine Ratsversammlung einberufen. Brauchst du einen Schlafplatz?“

„Nein, ich werde bei Nuur bleiben.“

„Nun, dann schicke ich einen Boten nach draußen, sobald sich etwas Neues ergibt.“

Kenjo nickte und wandte sich dem Fenster zu. Geräuschlos verschwand er in der Nacht.

Fürst Podon winkte seiner Frau.

„Kommt, werte Salde. Wir haben morgen einen anstrengenden Tag vor uns. Ich möchte Euch bei der Beratung dabei haben.“

Salde neigte zustimmend den Kopf und folgte ihm ins Bett.

Am nächsten Vormittag versammelten sich zehn der angesehensten Adeligen im Audienzsaal und lauschten mit wachsendem Unglauben den Worten ihres Fürsten. Anschließend brach ein lautes Stimmengewirr aus.

Fürst Podon beobachtete die Männer erst leicht amüsiert, aber dann mit steigendem Unmut. Es war wirklich traurig, dass seine ranghöchsten Untertanen nicht mehr Diskussionsfähigkeiten besaßen, als gewöhnliche Bauern. Zugegeben, die Nachrichten waren ungewöhnlich, aber immerhin waren diese Männer dazu erzogen worden Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu tragen.

Er seufzte und schielte zu seiner Frau. Fürstin Saldes Gesicht zeigte keinerlei Gefühlsregung, aber in ihren Augen stand Ungeduld und der gleiche Ärger wie bei ihrem Gemahl. Der Fürst grinste innerlich. Nicht zum ersten Mal gratulierte er sich selbst, dass er es geschafft hatte, diese Frau an sich zu binden. Sie hatte mehr Verstand, als all diese Hofschranzen zusammen. Nun, hoffentlich setzte sie ihn an diesem Tag auch ein.

Wieder sah er auf die Ratsmitglieder und seufzte erneut. Dies würde tatsächlich ein anstrengender Tag werden.

Es war spät am Abend, als Kenjo vor den Rat gerufen wurde. Aufmerksam lauschte er den Worten des Fürsten. Ein Bote war bereits nach Thlandian unterwegs, um die Hilfe des Königs zu erbitten. Außerdem sollten am nächsten Tag Reiter in ganz Vitrea die Warnung vor den Dämonen verbreiten.

Zwar war nicht abzusehen, wie die Bevölkerung reagieren würde, doch momentan schien das die einzige Möglichkeit zu sein, die Menschen zu warnen. Außerdem sollten die Reiter die Ankunft der Berglöwen verkünden. Immerhin hatten mittlerweile die meisten der Vitreaner Geschichten über Kenjo und seinen Löwenbruder gehört, so dass zu hoffen war, dass die Menschen diese riesigen Raubtiere eher akzeptieren würden, als noch vor wenigen Jahren.

„Das Volk der Berglöwen mag hier in Vitrea Schutz suchen“, verkündete Fürst Podon. „Indes erwarten wir, dass die Herden Vitreas nicht dem Hunger der Jäger zum Opfer fallen. Sonst kann ich nicht für die Friedfertigkeit meines Volkes garantieren.“

Kenjo akzeptierte diese Bedingung sofort. Inzwischen wusste er, wieviel Wert die Menschen ihrem Vieh beimaßen.

„Ich werde es meinem Volk mitteilen“, versprach er. „Kein Mensch und kein Vieh wird durch uns zu Schaden kommen.“

Später verabschiedete er sich von Salde. Sie standen im Burggarten, nahe der Mauern und Salde umfasste seine Hände.

„Wann wirst du wiederkommen? Und wie können wir dich erreichen?“

„Ich weiß nicht, wann ich wiederkehre. Zuerst muss ich meinem Volk berichten und wir müssen uns erneut beraten. Dass wir eure Herden nicht anrühren dürfen, verstehe ich, doch müssen wir überlegen, wie wir uns ernähren können. Es gibt nicht viel freies Wild in den Steppen. Deshalb werde ich auch zu Borago gehen. Er kennt sich hier am besten aus und weiß, wo es jagdbares Wild gibt.“

„Das ist eine gute Idee. Doch vergiss nicht, auch dir gehören mehrere Herden. Vielleicht können die euch helfen. Doch würde ich erst den alten Timor zu Rate ziehen. Er weiß wieviel Tiere die Herden entbehren können.“

Kenjo lächelte. Saldes Idee war gut.

„Falls ihr in der Nähe deines Gutes seid, könnten wir dich da auch am besten erreichen“, sponn die junge Fürstin ihre Gedanken weiter. „Und falls du nicht da bist, kann dich vielleicht einer der Löwen erreichen?“

Dies war mehr eine Frage und Kenjos Lächeln verstärkte sich.

„Du bist sehr klug. Fürst Podon hat sich wirklich eine gute Partnerin ausgesucht. – So soll es also sein. Ich reise zu Borago und dann zu meinem Volk.“

„Pass auf dich auf“, bat Salde. Kenjo strich ihr über die Haare.

„Ich habe Nuur und den Dolch. Mir wird nichts passieren. Doch achte du darauf, dass deinen Wurflingen nichts geschieht, damit wir ihnen eines Tages das Jagen beibringen können.“

Er wandte sich ab und schwang sich über die Mauer. Salde legte die Arme um ihren Bauch und starrte noch lange in die dunkle Nacht hinaus.

Leise Furcht legte sich um ihr Herz. Furcht um Vitrea und um ihren Nachwuchs. Sie wünschte sich sehnlichst, dass ihre Kinder tatsächlich eines Tages von Kenjo das Jagen erlernen konnten, und nicht von dem drohenden Unheil verschlungen wurden.

Dämonenherr

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