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Milax

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Magiermeister Milax hatte sich zwar in den letzten Wochen ganz gut im Magierturm eingelebt, doch so richtig wohl fühlte er sich immer noch nicht. Ihm fehlten sein Haus in Thlaspi, seine Schüler und die ruhigen Stunden in denen er in gewohnter Umgebung seine Studien über Illusionsmagie weiterführen konnte.

Sicher, ihm war die Ehre zuteil geworden, in Abwesenheit des Meisters Duwock dessen Platz im Turm einzunehmen, aber der alte Magier machte sich nichts vor. Seine einzige Aufgabe hatte darin bestanden, den gedanklichen Kontakt zu seinem langjährigen Freund Sorbus aufrecht zu erhalten.

Als dieser nach absehbarer Zeit abbrach, fühlte Meister Milax sich wie ein alter, abgenutzter Stiefel, den man in die Ecke gestellt und dort vergessen hatte.

Niemand kümmerte sich ernsthaft um seine Bedürfnisse und seine Sorgen, denn jeder im Turm war viel zu sehr mit sich selbst und seinen Forschungen beschäftigt.

Und Sorgen machte sich Meister Milax sehr viele. Dass sein alter Freund, Meistermagier Sorbus, dazu auserwählt war diesen abtrünnigen Tmarus zu jagen, erfüllte ihn zwar mit einem gewissen Stolz, doch er wußte um die Gefährlichkeit dieses Unterfangens.

Tmarus war ein skrupelloser Schwarzmagier, der gezeigt hatte, dass ihm das Leben anderer Menschen nichts wert war. Und Sorbus hatte zwar schon bewiesen, dass er diesem Verräter standhalten konnte, doch um ihn zu besiegen, war sicherlich Hilfe nötig. Und die fand er nur in zwei talentierten, aber doch unerfahrenen Meisterschülern. Immerhin hatte sein Freund noch einige Soldaten als Begleitschutz dabei, doch ob das reichen würde?

Milax zweifelte von Tag zu Tag mehr und fragte sich, warum nicht mehr Magier ausgesendet worden waren. Ob der Rat den Schwarzmagier so sehr unterschätzte? Das konnte oder wollte er glauben.

Um sich von seinen Grübeleien abzulenken verbrachte er die meiste Zeit in der Bibliothek und versuchte die aufkommende Langeweile und Unruhe mit Büchern und unleserlichen Schriftrollen zu ersticken.

Ein aussichtsloses Unterfangen, wie er schnell feststellte. Seine Gedanken kreisten viel mehr um seine Lehrlinge und Meisterschüler in Thlaspi, die während seiner Abwesenheit mit Sicherheit schon dem lockeren Müßiggang verfallen waren – so wie es nun mal bei jungen Menschen normal war.

Dabei war es nicht so sehr die Furcht davor bei seiner Heimreise ein Chaos vorzufinden, als viel mehr die Sorge, dass die jungen Menschen, für die er die Verantwortung übernommen hatte, wertvolle Zeit verloren. Und Meister Milax nahm diese Verantwortung sehr ernst.

Doch ebenso ernst schätzte er die Lage ein, in der sich sein Freund Sorbus und auch dieses entzückende kleine Mädchen befanden. Nur dies hielt ihn davon ab, nach hause zu eilen, um dort nach dem Rechten zu sehen.

Irgendetwas wollte er noch tun, eine Aufgabe erfüllen, um seinem Freund zu helfen. Das Mindeste war, auf ein Lebenszeichen von Sorbus zu warten. Also blieb er; unbeachtet, still, aber aufmerksam für alles, was um ihn herum vorging.

Gespannt hatte er die Diskussionen und die anschließende Abstimmung im Ratssaal verfolgt. Für ihn war es keine Frage gewesen, der Entscheidung der obersten Räte beizupflichten, doch das Ergebnis war für ihn absolut überraschend. Nie hätte er geglaubt, dass ausgerechnet im Magierturm, in dem die vielerorts verehrte und bewunderte Elite des Magiertums lebte, so viele dem Rat entgegentraten. Für einen Provinzmagier wie ihn war das nahezu unvorstellbar.

Wage dämmerte dem alten Magier, wie naiv und blind er all die Jahre der Politik gegenüber gestanden hatte. Es beruhigte ihn keineswegs, dass er damit wohl nicht alleine stand. Zumindest von Meister Sorbus wusste er, dass sich dieser ebenfalls mehr der Ausbildung zahlreicher Schüler, als der Politik gewidmet hatte.

Nun, es war sicherlich so, dass nur wirklich ehrgeizige Personen einen Platz im Magierturm anstrebten, versprach dieser doch Ehre, Ansehen und – natürlich – auch Macht. Und Ehrgeiz war häufig gepaart mit Egoismus und dem Streben nach Macht.

Umso bewundernswerter empfand es Meister Milax, dass zumindest die Mitglieder des obersten Rates diesem Egoismus abgeschworen hatten. Sie bildeten eine Einheit. Eine Macht, die aus acht unterschiedlichen Geistern bestand und damit Egoismus ausschloss.

Zum ersten Mal in seinem Leben begriff Meister Milax, was dies bedeutete und seine Achtung und Verehrung für die acht Räte stieg noch mehr.

Am Tag nach der Entscheidung verkündete Meister Rumex, dass die Befragungen bereits am nächsten Morgen beginnen sollten.

Meister Milax nahm diese Ankündigung sehr gelassen auf. Er hatte nichts zu verbergen und fand dass es besser war, das Ganze so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.

Um sich bis dahin abzulenken, zog er sich in die Bibliothek zurück.

Wie so oft war er hier alleine und ungestört, so dass er sich ganz seiner Lektüre widmen konnte.

Die Bibliothek nahm zwei komplette Turmetagen des mittleren Turmes ein und gliederte sich in unzählige kleine Räume, die mit Regalen, Büchern und Schriftrollen voll gestopft waren. Ein unermesslicher Reichtum an Schriften war hier gelagert, einzigartig auf den gesamten Festlanden. Allein die Magierschule der Insel Darien konnte mit dieser Fülle an geschriebenem Wissen konkurrieren.

Es war wirklich zum Erbarmen, dass vergleichsweise wenige Menschen auf Ruan um den Wert dieser Sammlung wussten und ihn schätzten. Neben den Magiern gab es nur eine Handvoll Schriftgelehrte und Adelige, die sich dafür interessierten.

Die meisten Menschen waren eher damit beschäftigt ihr Tagewerk zu verrichten, um sich zu ernähren. Da blieb wenig Zeit sich für Geschichte, geschweige denn „Wissenswertes“ zu interessieren. Der normale Sterbliche war ohnehin des Lesens und Schreibens unkundig.

Meister Milax zog sich in „seine“ Ecke zurück, in eines der hinteren Zimmer, geschützt vor Blicken durch hohe Bücherstapel, nahe einem der schmalen Fenster, die den Raum nur spärlich erhellten. Es war für den alten Magier eine leichte Übung mittels seiner magischen Fähigkeiten in der aufziehenden Dunkelheit mühelos weiterzulesen. Das Sehen in Dunkelheit war eine Grundfertigkeit, die schon Lehrlinge beherrschten und einen alten Magier kaum forderte.

Einer der seltenen Momente der letzten Wochen trat ein: Meister Milax vergaß die Zeit und verlor sich in den uralten Schriften vergangener Jahrhunderte.

Leises Gemurmel drang nur nach und nach in sein Bewusstsein und zog ihn schließlich in die Realität zurück.

Inzwischen war es dunkel geworden.

Milax lauschte in sich hinein. Sein Zeitgefühl, trainiert seit Jahrzehnten, sagte ihm, dass es früher Abend war, noch weit vor Mitternacht.

Der Magiermeister rieb sich die ermüdeten Augen und wandte seine Aufmerksamkeit dann den Stimmen zu, die ihn aus seiner Konzentration gerissen hatten.

Es waren fünf oder sechs Personen, die leise miteinander diskutierten.

Meister Milax erkannte keine der Stimmen und nur vereinzelte Satzfetzen drangen an sein Ohr. Es war nicht viel was er hörte, doch das was er verstand, beunruhigte ihn aufs Höchste.

Unter halb geschlossenen Lidern musterte Meister Sicyos die Versammelten. In einem offenen Halbkreis hockten fünf in Meisterkutten gehüllte Männer vor ihm und warteten gespannt darauf, dass er das Wort ergriff.

Er hatte nicht lange gebraucht, sie zu diesem Treffen zu überreden. Meister Sicyos kannte seine Kollegen lange genug um zu wissen, welche Worte er wählen musste. Wie er, waren alle im mittleren Alter und damit in der Blüte ihrer Leistungsfähigkeit. Und wie er glaubten sie alle daran, dass der Rat und seine hehren Ziele längst überholt und überflüssig waren.

Einer nach dem anderen hatte sich zu der vereinbarten Stunde in die Bibliothek begeben, sorgsam darauf achtend, dass niemand sie sah und vielleicht aufmerksam wurde. Denn zu dieser Zeit waren die Räume der Bibliothek normalerweise dunkel und einsam. Nur selten harrte ein Magier im Kerzenlicht noch über Büchern aus.

An diesem Abend flackerte kein Kerzenlicht. Die Bibliothek lag totenstill und in tiefe Dunkelheit getaucht.

Allen kam es wie Donnergetöse vor, als Meister Sicyos leise die Stimme erhob, was sicherlich auch ihrem schlechten Gewissen zuzuschreiben war.

„Ich habe euch hierher gebeten, weil ich glaube, dass ihr meine Befürchtungen teilt. Der Rat wird entgegen unserer Ablehnung diese unselige Befragung durchführen.“

Er musterte jeden Einzelnen sekundenlang und sah zusammengepresste Lippen, versteinerte Gesichter.

Sicyos lächelte zufrieden und nickte.

„Wie ich sehe, teilt ihr meine Begeisterung. – Nun, ich denke, um diese Befragung zu verhindern, genügt kein lauter Protest. Wir müssen wohl zu drastischeren Mitteln greifen.“

In dem einen oder anderen Gesicht zuckte es, aber niemand widersprach.

„Tatsache ist, dass der Rat abgelenkt werden muss“, fuhr Meister Sicyos fort. „Doch um das zu bewerkstelligen, muss man ihn direkt treffen – und beschäftigen.“

Es gab keinen, der nicht wusste, worauf der Meistermagier hinauswollte, und noch immer gab es keinen Widerspruch. – Nach einer kurzen Pause fragte einer:

„An wen dachtet Ihr?“

Meister Sicyos grinste zufrieden in sich hinein. Besser konnte es kaum laufen.

„Nun, am besten ist es, wenn wir sie nicht nur verwirren und beschäftigen, sondern auch so sehr schwächen, wie nur möglich.“

„Dann kommt wohl nur einer in Frage.“

Meister Sicyos Grinsen vertiefte sich.

„Ich sehe, wir verstehen uns.“

„Es ist nicht einfach, einen Meistermagier zu töten“, wagte ein anderer einzuwerfen. „Erst recht nicht einen aus dem Rat. Man weiß nie, wer gerade mit wem in Kontakt steht. So etwas bedarf reiflicher Planung.“

„Dazu haben wir keine Zeit“, unterbrach ihn Meister Sicyos. „Zum einen beginnt die Befragung morgen und zum zweiten birgt jede längere Planung die Gefahr der Entdeckung und des Verrats in sich. Nein, wir müssen noch heute Nacht handeln. Alles andere wäre zu spät.“

„Habt Ihr denn schon einen Plan?“

„Nun, ich kenne zumindest die Regeln, an die wir uns halten müssen, um erfolgreich zu sein. Erstens: keine starke Magie, die Aufmerksamkeit erregen könnte. Zweitens keine Magie gegen unser Ziel selbst. Er würde es mit Sicherheit bemerken. Schlafzauber und derlei Spielchen scheiden somit aus. Drittens, wir müssen seinen Wachzauber mit dem sein Zimmer gesichert ist, neutralisieren. Viertens, es muss schnell gehen. Er darf keine Zeit bekommen, die anderen Räte zu warnen. Nicht zuletzt müssen wir nach der Ausführung so schnell wie möglich verschwinden.“

„Aber werden sie dann nicht die Befragung erst recht durchführen?“ wagte einer zu zweifeln.

„Sicher, aber zunächst werden sie alles verschieben, und das wird uns Zeit geben, weiter zu planen. – Hat irgendjemand etwas bis hierher einzuwenden?“

Alle schwiegen.

„Gut, dann sollten wir uns jetzt möglichst schnell beschließen, was zu tun ist. – Ich habe mir folgendes überlegt.“

Gespannt lauschten die Verschwörer Meister Sicyos Ausführungen. Anschließend erhob sich ein wildes Getuschel. Verbesserungsvorschläge wurden gemacht und wieder verworfen, neue Gedanken aufgegriffen und bewertet.

Meister Sicyos war selbst überrascht mit wieviel Hingabe seine Kollegen an dem Mordplan feilten. Offenbar hatte jeder der Anwesenden schon heimlich solche Gedanken gehegt. Kein Wunder, dass sie eine Abneigung gegenüber der Geistesbefragung hegten.

Es dauerte keine Stunde, bis sie sich geeinigt hatten.

Leise huschten sie hinaus, um ihre Vorbereitungen zu treffen.

Meister Sicyos blieb als Letzter zurück und lachte zufrieden in sich hinein.

Hätte er geahnt, wie einfach seine Kollegen zu lenken waren, hätte er vielleicht schon früher gehandelt. Doch wahrscheinlich hatte die drohende Befragung den entscheidenden Ausschlag gegeben und ihm so unnötige Mühen erspart.

Wie auch immer, diese Nacht würde eine Entscheidung bringen – auf die eine oder andere Weise.

Er erhob sich und stockte dann. Aufmerksam lauschte er in die Dunkelheit. Es war nur ein Gefühl, das ihn misstrauisch machte. Kein Laut, kein Lebenszeichen drang an sein Ohr. Vielleicht sollte er sich doch noch einmal vergewissern, dass niemand Zeuge dieser Verschwörung gewesen war.

Langsam und mit wachsamen Sinnen betrat er den angrenzenden Nachbarraum.

Als die Stimmen verstummten, hielt Meister Milax unwillkürlich die Luft an und wagte nicht sich zu rühren. Die Geräusche, die an sein Ohr drangen, verrieten ihm, dass die Verschwörer den Nachbarraum verließen. Doch irgendjemand betrat den Raum, in dem Meister Milax hockte, und die Schritte verrieten, dass er langsam den Raum abging. Meister Milax schloss die Augen und seine Lippen formten lautlose Worte. Diese webten ein feines, dichtes Gespinst um den Magier und verliehen ihm das Aussehen eines unordentlich aufgetürmten Bücherstapels. Es war einfache Magie. Einfaches Gewirk, doch gestützt und gefestigt von der Erfahrung eines alten, durch zahlreiche Schüler geprüften und strapazierten Magiers. Eine Magie, die in dem von starker Magie durchtränkten Magierturm einfach verschluckt wurde.

Die dunkle Gestalt, die zu Meister Milax hinüberspähte, nahm diese Magie nicht wahr. Sie erblickte nur Bücher und schritt vorbei.

Milax hielt den Atem an, bis die Gestalt diesen und den angrenzenden Raum durchsucht hatte und dann eilig zum Ausgang schritt.

Erst als alles still war, stieß der alte Magiermeister pfeifend die Luft aus und ließ die Illusion verblassen. Ein gewisser Stolz durchzuckte ihn. Immerhin hatte er einen Meistermagier des Turms getäuscht. Doch dieses Gefühl währte nicht lange an. Besorgt grübelte er über das Gehörte nach. Irgendjemand sollte getötet werden – welch ein Verbrechen -, doch wer das sein sollte, das hatte er nicht mitbekommen. Nur, dass es mit Hilfe von Magie geschehen sollte.

Die Gedanken des Meister Milaxs wirbelten aufgewühlt durcheinander. Noch immer war er fassungslos darüber, dass Meister der Magie die Regeln und die Ordnung der Magiergilde mit Füßen traten.

Mord war ein abscheuliches Verbrechen, aus welchen Motiven auch immer. Und dass die Motive dieser abtrünnigen Magier nicht edel waren, das hatte er herausgehört. Zu häufig war das Wort Macht gefallen.

Der Magier schüttelte die Lähmung ab, die ihn gefangen gehalten hatte, und richtete sich mit leisem Ächzen auf. Seine alten Knochen schmerzten und riefen ihm erneut ins Gedächtnis, dass er den Höhepunkt seiner Kraft längst überschritten hatte. So leise er konnte schlurfte er zur Tür. Als er im Treppenaufgang stand, atmete er erleichtert auf und wandte sich nach unten.

An wen sollte er sich wenden? Zu wem konnte er Vertrauen haben?

Nun, zurzeit kamen da wohl nur die Ratsmitglieder in Frage, und das war für den alten Magier nicht unbedingt leicht. Der Respekt vor den obersten Räten saß tief in seinen morschen Knochen. Doch sein alter Freund Sorbus hatte es geschafft, die Achtung und das Gehör der Räte zu erringen. Warum sollte es ihm da nicht auch gelingen?

Meister Milax straffte die Schultern und machte sich auf den Weg zum Wohnturm. Es war allgemein bekannt, dass der Wohnsitz der Ratsmitglieder dort in der achten Etage lag.

Dämonenherr

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