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Der Kleiderschrank, das Bett, der Herd, der Kühlschrank, das Geschirrservice, die Badewanne mit Löwenfüßen … und dann dieses Little Book of the Apartment – »Handbuch für die Gäste der Rue Edgar-Charellier«, das gut sichtbar auf dem Plexiglassofatisch lag und Adressen und Fotos aller Restaurants, Lebensmittelläden, Bäckereien, Cafés, Banken, Métrolinien und Bushaltestellen der Nachbarschaft enthielt. Madame Renard machte tatsächlich keine halben Sachen und hatte die siebenunddreißig begeisterten Kommentare auf der Webseite wohlverdient. Die Wohnung bestand aus zwei Zimmern in einer Flucht – Wohn- und Schlafzimmer –, dazu Küche, Bad und ein kleiner Balkon, auf dem zwei Stühle, ein Bistrotisch und eine Topfpflanze standen. In der Ferne meinte Bob zwischen den dunklen Umrissen der Wohnhäuser die Kuppel der Sacré-Cœur zu erkennen. Das würde er am nächsten Morgen bei Tageslicht überprüfen. Es war alles perfekt, und sein Paris-Aufenthalt begann unter den besten Vorzeichen. Es war ein Glücksfall, dass er so schnell zu jemandem nach Hause eingeladen worden war, und noch dazu von einem echten Pariser. Er hatte schon drei Bekannte im Haus, die bereit waren, ihm über die Stadt Auskunft zu erteilen. Goldie wäre stolz auf ihn gewesen. Bevor er sich eine nach zehn Flugstunden wohlverdiente Dusche gönnte, machte er sich daran, seinen Koffer auszupacken. Er nahm die Lederweste des »H.O. G., Chapter Eagles of Milwaukee« heraus und hängte sie sorgfältig über eine Stuhllehne. Dann öffnete er einen weißen Umschlag, den er die ganze Reise lang bei sich getragen hatte und der dreitausend Dollar in Hunderterscheinen enthielt – sein Taschengeld für die Woche in Paris. Gleich am nächsten Morgen würde er losgehen, um sie in Euro umzutauschen.

Auf der anderen Seite der Wand hörte Magalie gedämpft das Plätschern der Dusche ihres neuen Nachbarn. Sie zog das Laken über die eingerollte Katze, die sie unter der linken Brust trug. Die Tätowierung stellte Amenophis III. dar, den Kater ihrer Großmutter mütterlicherseits, die sie aufgezogen hatte. Sechs Stockwerke tiefer saß Julien in seiner Wohnung am Computer und machte sich Notizen zu einer Cocktail-Neuschöpfung. Er dachte an das Veilchenparfum, das Magalie trug und das er gerochen hatte, als er sie vorhin zum ersten Mal auf beide Wangen geküsst hatte, als sie sich verabschiedeten.

Sie hatten die Flasche bis auf den letzten Tropfen geleert, der Wein hatte die Zungen gelöst, und Hubert hatte schon lange keinen so netten Abend mehr verbracht. Er hatte sogar sein Familienalbum hervorgeholt und für seine Gäste die Fotos aus dem Jahr 1954 gesucht. Wie Magalie vermutete, hatte das Wohnzimmer sich kaum verändert. Man sah auf den Bildern seine Großeltern, seinen Vater als Unteroffizier, der 1954 seinen Militärdienst leistete, Kinder der Familie, die im Wohnzimmer mit dem Hund Pitch spielten – es hieß, der Basset seines Großvaters pinkelte nie beim Spazierengehen, sondern wartete, bis er zurück war, um seine Notdurft auf der Fußmatte zu verrichten. Hubert war drauf und dran gewesen, allen einen grünen Chartreuse anzubieten, als den drei Hausbewohnern einfiel, dass ihr amerikanischer Freund sich vielleicht etwas ausruhen müsste. An der Tür hatte Hubert Julien die Hand geschüttelt und wollte gerade mit Bob dasselbe tun, als dieser sagte: »Hug, Hubert!«, Hubert in die Arme schloss und ihm auf den Rücken klopfte. Diese Amerikaner wussten wirklich, wie man es machen musste: Wenn sie jemanden mochten, nahmen sie ihn in die Arme und drückten ihn wie Kinder ihr Kuscheltier. Es war spontan und warmherzig. Sehr weit entfernt von unserem kalten europäischen Händeschütteln und einem kalten, konventionellen »Vielen Dank, Monsieur«. Da er schon mal dabei war, hatte Hubert sogar Abby auf die Wangen geküsst – und dabei bemerkt, dass sie nach Veilchen roch. Ein amerikanischer Harley-Fahrer, eine Nachbarin im Gothic-Look und ein Barmann aus Harry’s Bar. »Das sind mal originelle Leute! Das sind Freunde!«, sagte Hubert vor sich hin, während er die Weingläser mit lauwarmem Wasser spülte. In der Sofreg würde er sicher keine solchen Bekanntschaften machen. Seit achtzehn Jahren war er in einer der größten Immobilienverwaltungsfirmen Frankreichs für die Abteilung »Paris intra muros« verantwortlich. Ihm unterstanden fünf Mitarbeiter, und er brachte seine Tage damit zu, die Marktentwicklung zu verfolgen, Mieteingänge zu überwachen und für seine Kunden den Erwerb neuer Immobilien in der Hauptstadt zu betreuen. Am nächsten Morgen hatte er um zehn Uhr einen Termin mit Archibald Van Der Broeck, einem Belgier, der im Einzelhandel zu Geld gekommen war und seit Jahren in Pariser Immobilien investierte. Einmal im Jahr reiste Van Der Broeck an, um mit Hubert über seine französischen Geschäfte Bilanz zu ziehen. Übergewichtig und kurzatmig, wie er war, geruhte der Belgier nicht, zum Sitz der Sofreg zu kommen, sondern lud zum Geschäftsfrühstück in seine Suite im Hotel Meurice ein. Die Dalí-Suite. Die größte der Luxusherberge, ausgestattet mit Kopien von Gemälden des verstorbenen Genies des Surrealismus sowie mit einer riesigen Terrasse mit Blick auf die Tuilerien. Mietunterlagen und laufende Kaufverträge befanden sich wohlsortiert in Huberts Aktentasche und warteten nur noch auf die Unterschrift des Belgiers. Würden sie auf der Terrasse frühstücken können? Er ging zum Fenster, zog die Gardine beiseite und schaute aufs Thermometer. Neun Grad um elf Uhr abends. Vielleicht wäre es am nächsten Morgen schön und warm genug. Sein Blick fiel auf die Straße und das Ladenschild Bouvier – Metzgerei und Feinkost – seit 1954. Das Geschäft war seit drei Monaten geschlossen. Man hatte die Schaufenster mit großen Spanplatten verschlossen und begonnen, innen alles herauszureißen. Hubert lächelte traurig. 1954, das war das Jahr, aus dem der Wein stammte – es würde wirklich bald nichts mehr übrig sein aus dieser Zeit. Der Laden sollte von einem Mobilfunkhändler übernommen werden, hatte er gehört.

Ein Tropfen vom Glück

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