Читать книгу Ein Tropfen vom Glück - Antoine Laurain - Страница 8

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»Die Leitung der Sitzung wird sicher wieder Monsieur Larnaudie übernehmen, nehme ich an«, sagte Mademoiselle Prusin mit ihrer Kopfstimme.

Die vierzehn Personen, die im großen Versammlungssaal der Hausverwaltung Foncia am Tisch saßen, nickten.

»Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen«, begann Hubert Larnaudie. »Lassen Sie uns die einzelnen Punkte dieser Versammlung gemeinsam durchgehen. Zunächst möchte ich Monsieur Julien Chauveau begrüßen, unseren neuen Miteigentümer, der im Erdgeschoss links zur Hofseite eingezogen ist, in die frühere Wohnung von Monsieur Berlier. Monsieur Chauveau ist Barmann in der berühmten Harry’s Bar in Paris.« Julien nickte lächelnd und begegnete dem Blick Magalies, die ihm zuzwinkerte. »Ich bedaure die Abwesenheit von Madame Renard«, fuhr Hubert fort, »die ihre Wohnung im sechsten Stock für meinen Geschmack etwas zu oft über Airbnb vermietet – ich begegne regelmäßig mit Koffern beladenen Leuten im Treppenhaus, die alle behaupten, Cousins von Madame Renard zu sein. Unsere Miteigentümerin scheint also Cousins jeden Alters auf der ganzen Welt zu haben. Doch dazu später mehr. Folgende Eigentümer sind heute abwesend und haben mir Vollmacht erteilt: Madame Renard, Monsieur Mercier und Madame Merlino. Beginnen wir mit der Prüfung der Abrechnung für das vergangene Jahr.«

Vorsitzender des Verwaltungsbeirats – dieses Ehrenamt verdankte Hubert seiner herausragenden Kenntnis der Rue Edgar-Charellier Nummer 18: »Ich bin seit 1868 hier«, pflegte er zu sagen, was seine Gesprächspartner zu der Annahme verleiten konnte, dass Hubert die Grenzen der Zeit erstaunlich gut konserviert überwunden hatte – mit seinen hundertachtundvierzig Jahren würde man ihn auf knapp fünfzig schätzen. Mit diesem Satz, den er stets mit einem verständnisinnigen Lächeln begleitete, wollte Hubert ausdrücken, dass seine Familie dieses Haus zur Zeit der großen Haussmann’schen Umgestaltungen hatte erbauen lassen. Die Rue Edgar-Charellier war damals ein riesiges freies Feld, auf dem man noch die Ruinen der während der Revolution zerstörten Abtei Saint-Martin erkennen konnte. Hubert besaß sogar einen Stich mit dem schlichten Titel: »Durchbruch der Rue Edgar-Charellier – 1868«. Darauf sah man einen auf einem Fass stehenden Bauleiter mit einem Plan in der Hand, der unter den Blicken einiger Schaulustiger die neue Straßenführung präsentierte. Im Hintergrund sah man Männer bei Erdarbeiten und dem Abriss der übrigen Abteiruinen, auf denen die Nummer 18 errichtet werden sollte.

In der guten alten Zeit hatten die sechs Stockwerke des Vorderhauses und das fünfstöckige Hinterhaus ganz den Larnaudies gehört. Brüder, Schwestern, Cousins, Neffen, Großeltern hatten sich die Etagen aufgeteilt und vermieteten die übrigen Wohnungen an Bürger, die sich in diesem neuen Viertel niederließen. Im sechsten Stock waren die Dienstmädchen untergebracht, die sich um die ganze kleine Gesellschaft kümmerten. Im Laufe der Generationen, der Hochzeiten und der Umzüge hatten die Larnaudies nach und nach verkauft. Hubert wurde nie müde, angesichts der aktuellen Quadratmeterpreise den Unverstand seiner Familie zu beklagen: Bis in die fünfziger Jahre hatte ihr der dritte Stock auf der Hofseite noch gehört, doch sein Großvater hatte ihn überstürzt und weit unter Preis verkauft, um seine schlechte Anlage in Aktien des Suez-Kanals, die sich in Rauch aufgelöst hatten, zu kompensieren. Nach sechs Generationen waren von diesem fabelhaften Familienbesitz nur noch der dritte Stock zur Straßenseite, ein Dachboden und ein Keller übrig.

Hubert bewahrte in einem Schrank mit den Familienunterlagen die Originalpläne des Hauses auf, von den Architekten des Second Empire mit der Feder gezeichnet; er wusste, wo sich die tragenden Wände der Etagen befanden, wie die Mädchenkammern aussahen, bevor man sie in Studios umgewandelt hatte, wo sich die Schornsteinrohre der verschwundenen Kamine und die Wasseranschlüsse befanden, die früher dem Personal gedient hatten, er kannte sogar die Namen der Mieter und der Concierges, die lange vor seiner Geburt dort gelebt hatten, weil sein Vater oder sein Onkel von ihnen erzählt hatte. Er übernahm es auch höchstpersönlich, dreimal im Jahr die Fahrstuhlkabine mit Wachs zu polieren. Der Mechanismus war zwar im Lauf der Jahre komplett ausgewechselt worden, aber an der Mahagonikabine mit ihrer Deckenleuchte aus Lalique-Kristall, ihren Glastüren mit den Messinggriffen in Blumenform hatte sich nichts geändert. Sie stammte von 1911. In jenem Jahr hatte Anatole Larnaudie, Huberts Ururgroßvater, Hausältester und alter Griesgram, beschlossen, den Sprung in die Modernität zu wagen und die Nummer 18 mit einem Fahrstuhl auszustatten. Der Familienrat war dagegen. Allein gegen den Willen seiner Nachfahren hatte Anatole Larnaudie die beträchtliche Summe, die der Einbau eines Fahrstuhls damals kostete, aus eigener Tasche bezahlt. Davon zeugte die eisige Ironie der Inschrift, die er ins Holz der Kabine hatte gravieren lassen: Gestiftet von ihrem Wohltäter Anatole Larnaudie – erste Auffahrt in den fünften Stock am 21. September 1911. Die dankbaren Eigentümer und Mieter.

Nachdem er die Abrechnung für das vergangene Jahr vorgelegt und die derzeitigen Tunnelarbeiten unter dem Gebäude angesprochen hatte, die in den Kellern Risse verursachen konnten, kam er zu einem Punkt, den er als absolut dringlich erachtete.

»Die Türen der Kelleröffnung zur Straßenseite sind kaputt. Es muss schleunigst ein Schlosser beauftragt werden, denn so kann Hinz und Kunz in unsere Keller eindringen. In der Nachbarschaft sind Einbrüche gemeldet worden …«, schloss Hubert in düsterem Ton.

»Wofür sind diese Türen eigentlich gut?«, fragte Monsieur Berthier.

»Für Kohlelieferungen natürlich«, antwortete Hubert, als verstünde sich das von selbst. »Jeder Keller besaß sein Kohlenlager, und alle Wohnungen hatten in jedem Raum einen Kaminofen.«

Die Miteigentümer nickten und dachten verwundert an ihre verschwundenen Kaminöfen.

»Die Schlosserei TTS wird gleich morgen früh beauftragt, Monsieur Larnaudie«, erklärte Mademoiselle Prusin. »Punkt Sieben: Zusammenleben im Haus. Madame Merlino, die nicht anwesend ist und Monsieur Larnaudie ihre Vollmacht erteilt hat, weist darauf hin, dass der Gemeinschaftskeller mit Gerümpel vollsteht, das die Eigentümer seit Jahren dort gelagert haben. Wir könnten – ich zitiere die E-Mail von Madame Merlino – unsere Keller aufräumen, in den Gemeinschaftskeller stellen, was wir nicht behalten wollen, und eine Entrümpelungsfirma kommen lassen, um das alles abzutransportieren. Was halten Sie davon?«, fragte Mademoiselle Prusin.

Hubert dachte an seine beiden Keller, in denen sich ein unglaubliches Sammelsurium stapelte, das weit über beide Weltkriege zurückreichte. Niemals hatte er seinen Vater daran rühren sehen, niemals hatte er selbst daran gerührt. Die Gegenstände häuften sich an und bildeten die geologischen Schichten der Generationen. Man warf in jener Zeit nichts weg; man »stellte es im Keller unter«. Hubert hatte es genauso gemacht: Auch er hatte seinen Beitrag zur Familiengeschichte geleistet, indem er Kinderfahrräder, Kuscheltiere, Spieltische, Hocker, Bücherkisten, Aquarien und Plattenspieler darin abstellte. Ordnung da hineinzubringen verhieß ein anstrengendes Wochenende voller Staub, Spinnweben und Melancholie.

Ein Tropfen vom Glück

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