Читать книгу Ein Tropfen vom Glück - Antoine Laurain - Страница 9

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Mog, der Kater des Hauses, war der Jahreszeit voraus und lag in einem tiefen, vorwinterlichen Komaschlaf auf der Wohnzimmerheizung. Als Hubert den Raum betrat, öffnete er ein Auge, um es sofort wieder zu schließen und sich weiter seinen Katzenträumen hinzugeben. Hubert strich ihm übers Fell, der Kater antwortete mit einer Schwanzbewegung. Allein in seiner Wohnung grübelte Hubert bei einem Whisky über diese Kelleraufräumaktion nach, die Madame Merlino vorgeschlagen hatte und die von allen anstandslos angenommen worden war, als sein iPhone klingelte und auf dem Display Charlotte erschien, der Vorname seiner Frau. Es war Mitte September, und Charlotte verlängerte die Sommerferien mit ihrer Kindheitsfreundin Chantal in ihrem Haus in Noirmoutier. Fern von ihren Ehemännern und Kindern ließen es sich die beiden Frauen ganz offensichtlich gut gehen: Sie waren auf einem Trödel- und auf einem Biomarkt gewesen und probierten jetzt ein Fischrezept aus einem alten Kochbuch der regionalen Küche aus, das sie auf dem Flohmarkt gekauft hatten.

»Du kochst dir doch heute Abend etwas, oder?«

»Ja, ja, natürlich«, antwortete Hubert und bemerkte nebenbei, dass die Frage seiner Frau eher wie ein Vorwurf klang, ja wie ein Befehl, den er besser schnellstens ausführen sollte.

Nachdem er aufgelegt hatte, dachte Hubert, dass seine Kinder, Camille und Olivier, in letzter Zeit nicht viel von sich hören ließen. Sie studierten beide fern von der Rue Edgar-Charellier.

Er öffnete den Kühlschrank und betrachtete schweigend dessen Inhalt. Er hatte es versäumt, einkaufen zu gehen, und was übrig war, erschien ihm wenig verlockend. Er schloss die Tür wieder und löschte das Küchenlicht. Aus dem Schubfach der Flurkommode nahm er einen Schlüsselbund, eine Taschenlampe, und schlug die Wohnungstür hinter sich zu.

Die Tür seines Kellers öffnete sich mit einem unheimlichen Knarzen. »Mein Gott«, murmelte Hubert, »es ist schlimmer als in meiner Erinnerung.« Der Strahl der Taschenlampe schweifte über einen zusammengewürfelten Haufen, der über zwei Meter hoch war und aus verschiedensten Dingen bestand, von Camilles altem Kinderhochstuhl bis hin zu der französischen Flagge, die bei der Befreiung von Paris geschwenkt worden war, über eine Standuhr ohne Zeiger, die er noch nie bemerkt hatte, und einen Soldatenhelm von 1914. Hubert verfluchte seine Vorfahren, die es ihm überlassen hatten, über hundert Jahre Unordnung aufzuräumen. Tastend suchte er nach der alten Handlampe, um sie an einen Nagel zu hängen und im Flur anzuschließen. Das Licht ergoss sich mit einem Schlag über das Gerümpel, als wollte es sagen: Hier! Alles für dich!

»Was für ein Wahnsinn«, schimpfte Hubert vor sich hin, als er Hunderte von Ausgaben der Zeitschrift L’Illustration aus den Jahrgängen ab 1910 fand.

Warum zum Teufel hatten sie diese Stapel von Zeitschriften behalten, von denen jeder so schwer hochzuheben war wie ein schlafender Labrador? Hätten sie sie nicht in den Papierkorb werfen können, nachdem sie sie gelesen hatten, wie alle Welt es tat? Angelruten, die wohl zwischen den Kriegen bei Landpartien dabei gewesen waren, lagen vor einer Wand auf dem Boden. Er ließ den Blick über staubbedeckte Schwarzweißstiche wandern, die Szenen eines Schlosslebens zeigten: Abendessen bei Kerzenlicht mit gepuderten Perücken, Blindekuh-Spiele im Park. Huberts Anzug bedeckte sich mit dem Staub der Jahrzehnte, und er musste niesen, dabei stolperte er über den Stiel einer Schaufel und fiel der Länge nach in einen Haufen, der aus Zinntellern, einem Kandelaber, einem Nachttisch, einer Winde und alten Bücherkisten bestand, die seinen Sturz bremsten. Mit beiden Händen auf den gestampften Lehmboden gestützt, wollte er gerade wieder aufstehen, als sein Blick von einer staubigen Flasche angezogen wurde, die in einer Ecke neben ein paar zusammengerollten Plakaten auf der bloßen Erde stand. Hubert griff nach ihr, richtete sich ächzend auf und hielt sie ins Licht der Lampe, die seit seinem Sturz leise schaukelte. Er wischte vorsichtig den Staub weg, das Glas wurde glänzend wie Tinte und auf dem Etikett war nun zu lesen: Château Saint-Antoine, 1954. Domaine Jules Beauchamps. Hubert kniff die Augen zusammen und betrachtete die Flüssigkeit im Licht – sie wirkte nicht getrübt, und vor der Glühbirne tanzten hübsche karmesinrote Reflexe. Die Flasche hatte auch nicht unter der zeitbedingten Verdunstung gelitten, dem Schwund, der poetisch als der »Anteil der Engel« bezeichnet wird. In diesem Moment spürte Hubert einen Luftzug, dann knallte die Tür heftig zu, und der Schlüssel drehte sich im Schloss.

Hubert erstarrte. Das Bild der nunmehr geschlossenen Tür brauchte gut anderthalb Sekunden, bis es zu seinem Bewusstsein vordrang.

»He! Was ist hier los?«, und er hörte wildes Getrappel im Flur.

»Los, schnell! Ich hab einen Typen eingeschlossen, wir müssen abhauen!«, hörte er aus der Ferne.

»He! Wer sind Sie? Machen Sie auf!«, schrie Hubert und hämmerte gegen die Tür. »Ich rufe die Polizei!«

Er griff mit der Hand in seine Jackentasche, um festzustellen, dass er sein Handy auf dem Küchentisch hatte liegenlassen. Jetzt war es also so weit. Die kaputten Türen der Kelleröffnung waren nicht unbemerkt geblieben, und er war im Keller eingesperrt, während diese Gauner die Keller seiner Nachbarn ausräumten.

»Ich rufe die Polizei!«, schrie Hubert erneut. »Die Wache ist nur zwei Straßen von hier entfernt!«

Er stieg über das Gerümpel seiner Vorfahren und stellte sich an das Lüftungsgitter, das auf den Hof hinausging.

»Ist da jemand?«, schrie er. »Hier ist Monsieur Larnaudie, es sind Einbrecher im Haus! Ich bin in meinem Keller eingesperrt! Madame Da Silva? Maria?«

Nur die Stille antwortete ihm. »Herrgott, sie ist schon wieder zum Essen bei ihrer Schwester«, fluchte Hubert. Und die anderen Hausbewohner hatten an diesem frischen Septemberabend alle ihre Fenster geschlossen und würden ihn sicher nicht hören.

Ich bin eingesperrt, dachte Hubert, eingesperrt in zwölf Quadratmetern. Der Gedanke nahm in seinem Geist Gestalt an. Die Möglichkeit, dass er die Nacht auf dem Gerümpel seiner Ahnen eingerollt verbringen müsste, war nicht mehr auszuschließen.

Ein Tropfen vom Glück

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