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Lebenswende-Situationen
ОглавлениеIn Lebenswende-Situationen – Berufs- oder Studienwahl, Eheschließung, Scheidung, unerwünschte Schwangerschaft u. v. a. – steht der Mensch vor Entscheidungen, deren Ausmaß er nicht abschätzen kann. Das Ich ist überfordert, es kann nicht mehr alles managen, es wird ihm alles zu viel, es verliert den Überblick. Es gerät in Panik, weil ihm die Dinge entgleiten, weil es spürt, dass seine Spannweite nicht ausreicht, um die Dinge im Griff zu behalten. Gerade in Zeiten des Umbruchs, wo es die Folgen seiner Entscheidungen nicht abschätzen kann, wo es für viele Möglichkeiten überzeugende Gründe sieht, aber keinen Anhaltspunkt für die richtige Entscheidung, wo es keine Sicherheit mehr gibt, da gerät gerade das sensible, verletzliche Ich in völlige Konfusion; die Folge ist eine weitgehende Dissoziation des Ichbewusstseins.
Dass Schizophrenie häufig im Zusammenhang mit Wendestationen im Leben einhergeht, ist nur logisch: Es sind die für das Ich besonders anfordernden, weil nicht überschaubaren Lebenssituationen. Im Grunde sind es unlösbare Situationen, für deren weitere Entwicklung es keine Sicherheit gibt, auf die ein Ich so bedacht ist. Ob der Partner für mich der richtige ist, da kann mir niemand raten; es ist ein absolutes Wagnis und Risiko. Und wenn dann noch widersprüchliche Informationen von Freunden und Eltern hinzukommen, so sitzt man noch tiefer in der Klemme. Jeder sagt anders, ich selbst weiß es nicht genau – was Wunder, dass besonders ein sensibler Mensch überfordert ist und das kognitive System zusammenbricht. Das gleiche gilt für die Studien- oder Berufsentscheidung: Ich kann nicht beurteilen, ob der Beruf / das Studium mein Leben ausfüllen wird, ob er nicht in Eintönigkeit enden wird oder ob ich überhaupt eine Anstellung finden werde. Auch hier ist man völlig auf sich gestellt, niemand kann einem letztlich raten und man selbst ist völlig unsicher. Gerade wer sensibel ist und die Risiken und das Wagnis sieht, reagiert mit Angst, Verunsicherung und letztlich Panik. Psychose ist eine Paniksituation, in der die gewohnten Mechanismen versagen, besonders dann, wenn immer schon Unsicherheit in Kommunikation und Lebensfragen vorherrschten.