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Wir sind Eingeschlossene

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Im Grunde sind wir in uns eingeschlossen. J.-P. Sartre hat ein Theaterstück geschrieben: Die Eingeschlossenen. Ich habe es in den Münchner Kammerspielen in der Weise aufgeführt gesehen, dass die Eingeschlossenen in einer Tonne saßen und in einer völlig beziehungslosen Weise miteinander sprachen. Dieses Eingeschlossensein in sich selbst ist das entscheidende Kennzeichen des Menschen im Ich. Es wird auch in einem Grimm’schen Märchen „Der Eisenofen“ thematisiert, wo ein Königssohn in einem Eisenofen eingesperrt ist und nur durch die Liebe einer Königstocher befreit werden kann.

Wieso kommt es zu diesem Zaun um mich herum, zu dieser Barriere, die mich gegen die anderen und meine eigene Tiefe abschottet und mich zum Eingeschlossenen macht? Es ist die nackte Angst um meine Selbsterhaltung, die Angst um den eigenen Bestand. Alles dient dem Schutz des eigenen Haltes, der so schwach ist und den man jederzeit zu verlieren glaubt und den man bedroht sieht durch den anderen (ausführlich dargelegt in „Mein Weg aus der Ausweglosigkeit“).

Und diese Angst hat den Grund darin, dass man um die Zerbrechlichkeit seines Ichs weiß und sie zu schützen glaubt durch das Errichten hoher Mauern, hinter denen man Zuflucht sucht. Und diese Angst, den Halt zu verlieren, ist berechtigt, denn den Halt, den das Ich hat, gibt es sich selbst. Das Ich aber existiert so gar nicht, es ist eine Illusion, nur der Gedanke des „Ich bin“. Und dieser Gedanke hat keine Substanz und keine Energie. Und das kann man nicht sehen bzw. will man nicht wahrhaben, und daraus resultiert die gesamte Misere des Lebens. Denn man tut alles, um sich seines Selbstseins zu vergewissern, braucht unentwegt Bestätigung, Lob und Anerkennung, und dennoch ist es nie genug. Würde man sich dem stellen, dass man als Ich nur ein Fähnchen im Winde, eine armselige, hilflose Kreatur ist, dann würde man zum ersten Mal der Realität begegnen. In der Depression passiert einem genau das, weil die wenigsten von sich aus diesen Schritt tun können. In der Depression wird er ihnen aufgezwungen. Sie werden ungefragt und ungewollt mit der Tatsache konfrontiert, dass sie sich einer Lebenslüge hingeben, die darin besteht, dass ihr selbstgezimmertes Lebendgebäude nur ein hohles Kartenhaus ist.

Vor dieser Erkenntnis ist man schon immer davon gelaufen; deshalb flüchten sich so viele in Aktivitäten – Workaholic – oder betäuben sich, um sich dieser Tatsache nicht stellen zu müssen. Die meisten laufen vor sich selbst und der Erkenntnis ihrer Nichtigkeit davon, weil das der bequemere Weg ist, bzw. weil einem instinktiv klar ist, dass man über dieser Erkenntnis zerbrechen müsste. Aber irgendwann – vielleicht erst in einem nächsten Leben – holt es einen ein. Und wen es in diesem Leben einholt, der ist entsetzt, verzweifelt, hilf- und ratlos und denkt an Selbstmord. Das ist die Depression.

Warum ich schreibe ist, dass ich Menschen, denen ihr bisheriges Lebensgebäude zusammengebrochen ist, zeigen möchte, dass nur ihr Ich-Gebäude zusammengebrochen ist und dass es ein Jenseits dieses Ichs gibt, das erst das wahre Menschsein ausmacht. Der Mensch ist viel umfassender als nur der Teil, den er von sich weiß und den er als sich – als Ich - empfindet. Darin liegt ja die Einseitigkeit, dass sich der Mensch nur mit seinem bewussten Verstand und Willen, also mit seinem Ichbewusstsein identifiziert und daher seine Tiefe, die weit ins kollektive Unbewusste hineinreicht, ausschließt, nicht als zu sich gehörend betrachtet und damit den Widerstand dieser unbewussten Kräfte heraufbeschwört. Woher kommt denn die Kraftlosigkeit, die ein durchgehendes Kennzeichen der Depression ist? Es ist Ausdruck dafür, dass sich der Mensch derart in sein Ich-Sein eingeschlossen und damit von den unbewussten Kräften abgekoppelt hat, dass er nun am Ende seiner Kraft ist. Denn die Kraft, die Lebensenergie fließt dem Menschen vom Unbewussten her zu. Im Ich schirmt er sich aber gegen diese Lebensenergie ab; ich habe es als regelrechtes Abschnüren in der Körpermitte erlebt, was mit oft unerträglichen Kreuzschmerzen einherging. Im Ich hat der Mensch gar keine Energie, sie kommt ihm zu, sie ist ihm sozusagen nur geliehen. In der Depression wird das lediglich deutlich sichtbar. Die interessante Frage ist, warum so viele Menschen – denn es stehen alle im Ich – keine Depressionen haben. Das zu erörtern würde aber zu weit abführen. Tatsache ist, dass Depressionen drastisch zunehmen. Derzeit gibt es in Deutschland ca. acht Millionen.

Selbstmord muss nicht sein -

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