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Der Irrtum

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Dem Depressiven, der im Begriff ist, Selbstmord zu begehen, ist alles leer und schal und hohl geworden. Damit erfährt er genau die Realität seines Ichs: Es ist leer und schal und hohl. Es ist eben eine große Seifenblase oder, anders ausgedrückt, eine Illusion. Das Ich hat gar keine Realität, es hat nie eine gehabt, es hat keine eigene Kraft, nie gehabt, auch wenn es das vorgibt. Auch der Verstand steht ihm nicht zur Verfügung, was das Ich ebenfalls nicht glauben kann, was aber jedes Vergessen z. B. eines Namens, beweist. Und über die Emotionen sind die meisten überhaupt nicht Herr, sondern ihnen hilflos ausgeliefert, wie jeder Wutausbruch zeigt. Was das Ich eines Menschen ausmacht, ist nur die Vorstellung von einem Ich, nur die Vorstellung, dass ich mein Leben gestalten kann, wie ich es will, die nun in der Depression zusammengebrochen ist, und damit ist das Ich zusammengebrochen, das diese Vorstellung hatte. Aber das war immer schon eine Illusion, und wer sich selber auf den Grund geht, der weiß es auch. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass man sein Leben in der Hand hat und alles in den Griff bekommen kann. Wir haben überhaupt nichts in der Hand, es ist alles gefügt. Wir ignorieren das nur. Jedes Kennenlernen des künftigen Partners ist gefügt und man hat selber überhaupt nichts dazu getan. Man ist vielleicht zum Tanzen gegangen, aber man kann es nicht tun, in der Absicht, den Menschen kennen zu lernen, der der künftige Lebenspartner werden wird. Der Verfasser des Lola-Prinzips erzählt von sich, dass er erst dann den Partner seines Lebens gefunden hat, als er es aufgegeben hat, danach zu suchen. Genau das vermittelt die richtige Sicht und gibt die Erkenntnis wieder, die mit Wuwei – Nicht-Handeln - gemeint ist: Die Dinge, die wichtig sind im Leben, kann man nicht willentlich herbeiführen. Ich kann vielleicht ein Studium willentlich beginnen, wobei die meisten sich keine Rechenschaft darüber geben, warum sie gerade dieses Studium gewählt haben. Meistens hat das ganz tiefliegende Gründe, die den wenigsten bewusst sind, wie z. B. dass sie sich vor vielen Jahren über einen ungerechten Richterspruch erregt haben, was so sehr im Hintergrund gewirkt hat, dass sie nun Jura studieren. Auch hier könnte man zeigen, wie sehr die willentliche Entscheidung von Faktoren beeinflusst ist, die einem nicht bewusst sind. Ob der Arbeitsplatz einem später zusagen wird, dahingehend hat man überhaupt nichts willentlich in der Hand. Es ist reine Fügung, wenn man wohin kommt, wo es einem eine bedeutende Lebensqualität bringt; ihr gegenüber ist die einzig richtige Haltung Dankbarkeit.

Da wir das alles aber nicht sehen und unbeirrt daran festhalten, unser Schicksal selber aus eigener Kraft meistern zu können, versetzt es dem Menschen einen regelrechten Schock, wenn er gezwungen wird, anerkennen zu müssen, dass sein Leben nun einen Weg eingeschlagen hat, wo er nichts mehr in der Hand hat und der alles andere als seinen Wünschen und Vorstellungen entspricht. Dass er nichts in der Hand hat, hätte er aber immer schon begreifen können, weil er sieht, wie viele Menschen von einer tödlichen Krankheit betroffen werden, wie ein Partner oder das eigene Kind tödlich verunglücken kann. Da stürzt für uns ja immer eine Welt zusammen, weil wir heute so weit davon entfernt sind zu sagen: Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, gepriesen sei der Name des Herrn. Aber genau das würde die richtige Haltung ausdrücken, genau zu dieser Haltung muss sich der Mensch durchfinden. Sie können sich selber testen, wie Sie in Ihrem Ich stehen, wenn Sie sich prüfen, wie Sie diese Haltung anmutet! Je weiter Sie so eine Haltung von sich weisen und als unmöglich ablehnen, umso mehr stehen Sie im Ich. In der Unmöglichkeit, so eine Haltung einnehmen zu können, erleben Sie Ihr Ich-Sein. Und Sie werden Ihre Haltung nicht aufgeben, es sei denn, Sie werden dazu gezwungen, wie es in der Depression der Fall ist.

Wer an diese Grenze kommt, der muss! D. h. es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder man zerbricht oder man stellt sich. Stellen kann man sich nur, wenn man überzeugt ist, dass es nicht Sinn des Lebens sein kann, zu zerbrechen. Da heute bei den meisten Menschen kein tragfähiger religiöser Hintergrund mehr vorhanden ist, an dem sie Halt finden könnten, ist das Zerbrechen näher gerückt

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