Читать книгу Selbstmord muss nicht sein - - Anton Weiß - Страница 9

Kampf muss sein

Оглавление

Wir sind es nicht mehr gewohnt, zu kämpfen. Gerade in einer Zeit, in der alles leicht gemacht wird, in der es für jedes Wehwehchen ein Medikament gibt, der Zahnarzt eine Spritze setzt, bevor er bohrt, gegen jedes kleine Kopfweh eine Schmerztablette und gegen Schlaflosigkeit ein Medikament genommen wird, bleibt es völlig unverständlich, dass man jetzt selber etwas tun muss. Auch neigen wir dazu, die Ursache für unser Unbehagen immer bei anderen zu suchen: Mir geht es nicht gut, weil mich mein Chef gerügt hat, ein Kollege sich lustig über mich gemacht hat, meine Frau nicht mein Lieblingsgericht gekocht hat usw. Immer machen wir andere dafür verantwortlich, wie es uns geht und wir kommen überhaupt nicht auf die Idee, uns selbst in einer Tiefe zu verankern, die es uns ermöglicht, dass uns die Rüge des Chefs nicht umhaut, wir dem Kollegen humorvoll erwidern können und der Frau dankbar sind, dass wir uns auf unser Lieblingsgericht das nächste Mal richtig freuen werden. Dass wir die Ursache für unsere Unzufriedenheit immer an äußeren Umständen und anderen Menschen festmachen, anstatt sie in uns zu suchen, halte ich für eine grundlegende Tatsache des Ich-Seins. Hier eine Änderung herbeiführen zu wollen, halte ich für ein Erfordernis eines anspruchsvollen Menschseins. Damit würde eine Auseinandersetzung beginnen, die einen an den Rand des Menschseins bringt, in deren Gefolge sich Depression, Schizophrenie oder Selbstmordgedanken befinden, weil das eben die Folge ist, wenn man aus einem Geflecht von Lebenslügen heraus nun anfängt, sich seiner Realität zu stellen.

Man müsste Durchhalten und die Erfahrung machen, dass das, was gedroht hatte, auseinander zu brechen, nicht auseinander bricht. SuE 241 Wer keinen Ausweg mehr sieht, müsste die Neugierde aufbringen, sehen zu wollen, wie es nun weiter geht. Und dieses Sehen wollen ist möglich. Es ist die Fähigkeit, die den, der am Ende ist, doch die Schritte tun lässt, die den Selbstmord herbeiführen. Er ist also noch zu etwas in der Lage, er ist nicht völlig gelähmt; er weiß nur nicht, dass die Ausweglosigkeit, vor der er sich sieht, nur eine Ausweglosigkeit des Ichs ist und nicht seines Menschseins.

Weil unser ganzes Leben so ausgerichtet ist, dass man immer Leistung bringen muss, ist man überzeugt, dass man wertlos ist in den eigenen Augen und in den Augen der anderen, wenn man seine Schwächen und Unzulänglichkeiten klar sieht. Es scheint einem unmöglich, weiter zu leben mit diesen Defiziten, die man hat, die man aber immer schon gehabt hat, nur jetzt schieben sie sich so in den Vordergrund, man sieht sie so klar, dass man davor nicht mehr bestehen kann. Man ist sich selbst unerträglich. Aber das Scheitern ist nur ein Scheitern der Vorstellungen, mit denen man bisher sich selbst und andere beurteilt hat. Und anstatt die Vorstellungen zu überprüfen und sich neu auszurichten, läuft man davon. Denn Selbstmord ist ein Davonlaufen. Man ist sich selbst zu einer solchen Belastung geworden und ist überzeugt, dass man auch für die anderen, gerade für die, die man liebt, zu einer unerträglichen Belastung geworden ist, dass man lieber den Tod vorzieht als einen neuen Anfang zu setzen, seine Vorstellungen zu überprüfen und der eigenen Realität ins Auge zu schauen, die eben nicht so ist, wie man sie gerne hätte. Man hat immer schon sich und anderen etwas vorgemacht, und jetzt ist die Kraft verschwunden, dies aufrecht zu erhalten. Und man kann sich nicht eingestehen, dass man Geld ausgegeben hat, das man gar nicht besessen hat.

Gerade wer sehr auf sich bezogen ist, hat nur Meinungen davon, was andere über ihn denken. Im Grunde ist es nur die Meinung, die er von sich selber hat; was andere über ihn denken, hat er gar nie auf ihren Realitätsgehalt hin überprüft, hat gar nie nachgeschaut, ob die anderen wirklich das denken, was er glaubt, dass sie über ihn denken. Häufig würde sich zeigen, dass dem gar nicht so ist. So lebt er unter einer Last, die oft nur eingebildet ist und sich aus dem Kreisen um sich selbst nährt.

Selbstmord muss nicht sein -

Подняться наверх