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Die treibende Kraft

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Wie gesagt, sehe ich eine treibende Kraft in der gesamten Entwicklung. Diese treibende Kraft zeigt sich im Menschen in der Tatsache, dass er auf der Suche ist. Er ist auf der Suche nach dem, was man allgemein vielleicht als Glück bezeichnen kann. Ich bevorzuge den Ausdruck „Erfüllung“. Alle Menschen wollen ein erfülltes Leben haben.

Wir gestalten unser Leben in der Absicht, glücklich zu werden, also Erfüllung zu finden. Und wir glauben das dadurch bewerkstelligen zu können, dass wir uns einige Dinge beschaffen, die wir dazu brauchen. Dazu gehört ein gehobener Lebensstandard, ein gesichertes Einkommen, eine Partnerin, Familie und all die Annehmlichkeiten, von denen wir heute überzeugt sind, dass sie notwendig sind zu einem zufriedenen Leben. Und nun haben wir weitgehend alle diese Dinge und stellen fest – wenn wir ehrlich sind -, dass die Erfüllung ausbleibt.

In den ersten Lebensjahren ist die Erfüllung noch leicht zu finden: Die Mutterbrust reicht, um Sättigung und Geborgenheit und damit Zufriedenheit zu vermitteln. Aber mit etwa zweieinhalb Jahren tritt das Ich hervor und damit verbunden Wünsche an das Leben, die nun nicht mehr alle erfüllt werden können. Und nun kommt Unzufriedenheit auf, weil die Wünsche nicht mehr erfüllt werden. Aber der Anschein täuscht: Selbst wenn alle Wünsche erfüllt würden, bliebe immer noch ein Unbefriedigtsein.

Ich will Ihnen das jetzt gar nicht beweisen, weil meine Erfahrung aus vielen Gesprächen zeigt, dass alles, was ich an Argumenten vorbringen könnte, anders gedeutet werden kann. Ich möchte Ihnen aber zeigen, warum ich das so sehe.

Die Wünsche erstrecken sich bei den meisten Menschen auf materielle Güter. Aber auch geistige Güter, wie ein großes Wissen oder Reisen, gesellschaftliches Leben oder Familienleben können Inhalt dessen sein, wovon sich Menschen die Erfüllung erhoffen. Wer bei sich genau hinschaut und sich nichts vormacht wird entdecken, dass die eigentliche Erfüllung bei all seinen Unternehmungen letztlich ausbleibt. Es gibt zwar viele schöne Momente im Leben, wenn man einen sportlichen, beruflichen oder privaten Erfolg hat, aber es sind nur kurze, vergängliche Momente; im Grunde sehnt man sich nach einer bleibenden Erfüllung, und allmählich merkt man, dass diese ausbleibt.

Manche glauben nun, dass das Nicht-Finden der Erfüllung daran liegt, dass man noch nicht genügend hat. So versucht man, immer mehr zu bekommen, das Neueste, das Schönste, das Teuerste und so artet die Suche nach der Erfüllung in Gier aus. Das ist für mich das deutlichste Kennzeichen dafür, dass das Verlangen ein unendliches ist, das durch nichts, was der Mensch haben kann, erfüllt wird. Dadurch wird jedes Verlangen maßlos.

Das Ich in seinem Verlangen wird auch da sichtbar, wo Menschen glauben, rational zu handeln und gar nicht merken, wie sehr ihr Handeln vom Irrationalen, Unbewussten bestimmt ist. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Obwohl das Auto noch völlig in Ordnung ist und das Geld knapp ist, glaubt jemand unbedingt ein neues Auto kaufen zu müssen. Und er findet viele rationale Gründe, warum das notwendig ist: Es hat schon Rost am Kotflügel; es war kürzlich eine Reparatur fällig, die werden sich in Zukunft häufen usw.. Ich denke, jeder kennt das, aber kaum einer ist sich bewusst, wie sehr sein Ich es ist, das die rationalen Gründe vorschiebt. Der tiefere Grund ist einfach das Verlangen nach einem neuen Auto. Es ist das unbedingte Wollen von etwas, was man im Grunde gar nicht braucht. Aber man rechtfertigt es, hat rationale Argumente dafür. Dennoch sind es nur Scheinargumente um zu verbergen, dass man einem unbewussten Drängen erliegt. Dieses Drängen ist ein Verlangen nach mehr, nach etwas, was so nicht zu finden ist. Es ist eine treibende Kraft am Werk, die den Menschen nicht zur Ruhe kommen lässt.

In einem weiteren Punkt sehe ich die über das Ich-Sein hinausdrängende Kraft: in der Tatsache, dass der Mensch nie zufrieden ist.

Der Mensch ist zutiefst unzufrieden; er sehnt sich nach etwas, was es so, auf der horizontalen Ebene nicht gibt; was durch alles Haben an Gütern, durch alles Haben, was durch menschliches Streben erreichbar und machbar ist, nicht erreicht werden kann. Dazu gehören auch Reisen, Wissen, Sex, künstlerisches Schaffen und spirituelles Suchen. Nichts vermag dieses unstillbare Verlangen auszufüllen.

Dass ein Mensch nicht zufrieden ist mit dem Leben, das er führt, dass er immer auf der Suche ist, scheint mir ein entscheidender Unterschied zum Tier zu sein. Ein Tier ist mit dem Leben, in dem es sich befindet, zufrieden. Es verwirklicht sich in dem Maße, in dem es sich in seinen Gegebenheiten vorfindet: Ein Löwe jagt, eine Kuh grast, ein Vogel fliegt durch die Lüfte und ein Fisch schwimmt im Wasser - und sie scheinen in der Erfüllung ihrer Gegebenheiten ein befriedigendes Leben zu führen. Anders der Mensch: Er ist nicht zufrieden mit dem Zustand, in dem er sich vorfindet: Er will den Luftraum erobern, er will die Hintergründe der Welt wissen, er strebt danach, mehr zu werden, als er ist – mehr zu haben, mehr zu sein und auch mehr zu scheinen. Er ist nicht zufrieden mit den Gegebenheiten, in denen er sich vorfindet. Es scheint ein Wesensmerkmal des Menschen zu sein, nicht zufrieden zu sein. Er strebt nach etwas, was er gar nicht benennen kann. Alles Streben nach mehr Wissen, mehr Haben, mehr Sein scheint nur Ausdruck eines Verlangens zu sein, von dem der Mensch letztlich nicht weiß, wonach ihn verlangt.

Denn wenn er erreicht hat, was er erstrebt hat, dann ist er nicht, wie man meinen möchte, zufrieden, sondern kaum ist das Ziel erreicht, drängt es ihn schon wieder nach neuen Zielen, die es zu erreichen gilt. Wir in der westlichen Welt haben es heute zu einem Wohlstand und einem angenehmen Leben gebracht, wie ihn sich frühere Generationen nicht im Traum hätten vorstellen können. Aber hat uns das glücklicher gemacht? Sind wir durch diesen hohen Lebensstandard zufriedene Menschen geworden? Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass das Glück bis zu einer gewissen Grenze mit zunehmendem Einkommen steigt, sich dann aber nicht mehr steigern lässt. Für mich ein deutliches Zeichen, dass der Mensch nach mehr verlangt.

Sehnsucht und Verlangen sind ein Hauptkennzeichen des menschlichen Lebens.

Der Mensch erhofft sich die Erfüllung immer vom nächsten. Er verweilt gar nicht bei einer Sache, sondern richtet seinen Blick und seine Erwartung sofort auf das nächste.

Weil die Sehnsucht unauslöschlich ist! Es ist ein so tiefes Sehnen im Menschen, ein so großes Verlangen nach Erfüllung, dass er jedem glaubt, der ihm diese Erfüllung verspricht, und sei es noch so banal, wie z. B. durch die Werbung.

Viele, die – in der Regel unbewusst - die Hoffnungslosigkeit dieser Sehnsucht nach Erfüllung erahnen, greifen zu Drogen, und zwar im weitesten Sinn. Dazu zähle ich alles, was die Sehnsucht zu betäuben versucht. Das kann im Grunde alles sein, ob Alkohol, Arbeitswut, Kaufrausch, Computerspiele – alles kann dazu verhelfen, sich nicht dem stellen zu müssen, dass man im Grunde ein unerfülltes Leben führt.

Aus dem unendlichen Verlangen nach Erfüllung ergibt sich die Maßlosigkeit. Da das unendliche Verlangen nicht durch eine noch so große Anhäufung von Gütern befriedigt werden kann, wird das Verlangen immer maßloser. Das ist die Gier, die in der Finanzkrise der Jahre 2008/2009 so offensichtlich geworden ist. Diese Maßlosigkeit zeigt sich genau so im Leerfischen der Meere, im rücksichtslosen Roden der (Regen-) Wälder wie im Konsumrausch der Menschen. Ich wäre nicht verwundert, wenn diese Gier die Menschheit zerstören würde, denn sie braucht rücksichtslos die Ressourcen auf, ohne an die Nachwelt zu denken. Die Verzweiflung darüber, das nicht bekommen zu können, wonach sich der Mensch so sehr sehnt, endet in der Selbstzerstörung. Es sei denn, es geschieht doch noch das im großen Stil, was mit Umkehr gemeint ist (Jesu Aufruf an die Menschen). Ich habe meine Zweifel.

Der Mensch im Ich ist ein Verzweifelter, weil er den Weg nicht finden kann, der ihn aus seiner misslichen Lage befreit. Wie sonst ist es erklärbar, dass Menschen, die alles haben, mürrisch und ständig gereizt durchs Leben gehen und durch jede Kleinigkeit, die nicht nach ihren Vorstellungen läuft, aus dem Gleichgewicht geraten.

Wer da nachdenklich wird und vielleicht schon lange den Verdacht hat, dass die ersehnte Erfüllung so nicht zu finden ist, der wendet seine Suche ins Spirituelle. Nun glaubt er, durch Meditation, Yogaübungen, Tai Chi und vieles andere die Erfüllung zu finden, die durch seine bisherige Lebensführung ausgeblieben ist. Aber auch hier wird er enttäuscht werden, aus dem einfachen Grund, weil er der gleiche Mensch ist. Er ist es, der sich bemüht, der die Übungen macht, der an sich arbeitet, der nach höherer Erkenntnis strebt – aber dieser „er“ ist das Problem.

Spiritualität - ganz ohne Spiritualität

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