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Die Subjekt-Objekt-Spaltung

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Die Grundgegebenheit des Ich-Seins besteht in der Subjekt-Objekt-Spaltung. Das meint die Spaltung der einen Welt, zu der ich gehöre, von der ich ein Teil bin, in Ich und Welt, wobei das Ich dann der Welt gegenübertritt. Ich bin damit nicht mehr Teil innerhalb dieser Welt, sondern stehe der Welt gegenüber. Die Welt ist nun Objekt und ich bin das Subjekt. Jetzt habe ich eine Welt und bin nicht mehr Teil dieser Welt. Ich bin ein anderer. Und damit geht ein tiefer Riss durch die eine Welt, von der ich eigentlich ein Teil bin. Und ich habe nun nicht nur die Welt als Objekt, sondern sogar mich selbst. Ich kann mich selbst zum Objekt meines Nachdenkens machen. Damit bin ich Subjekt und Objekt zugleich, ich bin gespalten in Subjekt und Objekt. Damit ist der, der nachdenkt ein anderer als der, über den er nachdenkt. Die Kluft geht durch den Menschen selbst. Er ist von sich selbst abgespalten, getrennt. Er ist somit nicht nur von der Welt getrennt, sondern auch von sich selbst. Der Mensch ist sich selbst entfremdet, er ist sich fremd geworden und erlebt sich als getrenntes Wesen – getrennt von der Welt, der Natur, dem Mitmenschen und sich selbst. Die ursprüngliche Einheit mit der Welt und damit mit dem anderen Menschen und mit sich selbst ist verloren gegangen. Nun leidet der Mensch an dem Verlust der Einheit mit sich selbst, dem Verlust seiner Ganzheit.

Der Verlust dieser Einheit mit sich selbst ist die tiefste Ursache für seine Unfähigkeit, ein erfülltes Leben zu führen. Es ist einzig und allein das verloren gegangene Einssein mit sich selbst, nach dem der Mensch auf der Suche ist, und dieses Einssein findet der Mensch durch nichts, was er sich aneignen könnte. Alles Suchen ist ja immer die Suche in anderem und damit in einem anderen als man selbst. Und dadurch verfehlt man gerade das, was einen allein befreien würde von der Suche: nämlich sich selbst. Da man es in einem oder etwas anderem sucht, kann man es nicht finden, denn finden könnte man nur, wenn man in sich selbst suchen würde. Und da ist der Mensch völlig hilflos und weiß gar nicht, wie er es anstellen sollte, sich selbst zu finden, eins mit sich zu werden. Er kann nicht begreifen, dass er dadurch nicht eins mit sich ist, weil er immer sucht, denn das, was er sucht, ist er selbst.

Schon die Tatsache, dass er sich selbst sucht, ohne sich dessen bewusst zu sein, zeigt die tragische Spaltung: denn der, der sucht, ist ein anderer, als der, den er sucht. Wenn ich mich suche, wenn ich mit mir eins werden soll, wer ist dann ich und wer ist der, mit dem ich eins werden soll? Ist das der gleiche oder ist das ein anderer? Die Tragik besteht darin, dass der, der sucht, schon der ist, den er sucht, ohne es zu wissen.

Die Spaltung, der Kern des Übels, ist im Denken begründet: Indem der Mensch über sich nachdenkt, besteht schon die Spaltung. Der, der nachdenkt, ist ein anderer als der, über den nachgedacht wird. Und damit ist die Urspaltung gegeben, die im Denken nicht überwunden werden kann. Die Überwindung der Spaltung ist keine Möglichkeit des Denkens, sondern nur des Lebens und sie setzt den Tod des Ichs, das sich ganz entscheidend im Denken erlebt, voraus.

Da der Mensch in der Regel die grundlegende Ursache seines Unglücklichseins – die Getrenntheit von sich selbst – nicht kennt, aber von der Unruhe und Sehnsucht nach dem Einssein, das er ebenfalls nicht als solches erkennt, gequält wird, läuft er immer Dingen hinterher, ohne jemals die Erfüllung zu finden.

Es gibt nur eine einzige Weise, wie der Mensch Erfüllung finden kann: In der Einheit mit sich selbst, d. h. in der Überwindung der Spaltung in Subjekt und Objekt.

Dass der Mensch nur zur Erfüllung seines Menschseins gelangen kann, wenn die Spaltung überwunden wird, beweist mir unser konkretes Leben, das bei einem überwiegenden Teil der Menschen in einer rastlosen Jagd nach Gütern, bei einem anderen Teil in einem verzweifelten Resignieren, das sich in einer Zunahme an Depressionen zeigt, besteht. Ich wage zu behaupten, dass wir im Westen - mit einigen Ausnahmen - keine Ahnung von diesem Hintergrund haben, also von der Gespaltenheit unserer Existenz und der damit verbundenen Unmöglichkeit, Erfüllung zu finden und deshalb gar nicht sehen können, wo wir suchen sollten.

Und selbst wer anfängt, die wahren Zusammenhänge zu begreifen, kann aus sich heraus die Spaltung nicht überwinden. Die Trennung ist so tiefgehend, die Spaltung ist ein so tiefer Riss, dass sie weder durch Einsicht noch durch angestrengtes Bemühen zu überwinden ist. Denn es ist immer die Einsicht und das Bemühen eines Ichs, das sich im Denken befindet, und das hebelt das Ich nicht aus.

Diese Subjekt-Objekt-Spaltung wirkt sich auch dahingehend aus, dass im Ich-Zustand alles – die Welt und der eigene Körper - nur im Denken existiert. Ich habe keinen unmittelbaren Zugang mehr zum Leben, sondern alles ist mir durch mein Denken vermittelt. Es ist das Hauptkennzeichen eines Lebens im Ich, dass sich alles nur im Denken abspielt. Daher hat der Mensch im Ich keinen Zugang zum Leben, ist vom Strom des pulsierenden Lebens abgeschnitten.

Diese Spaltung ist eine Grundgegebenheit des menschlichen Daseins; sie bestimmt sein Leben und führt im Extremfall zu Schizophrenie, Depression oder Autismus.

Wie in dem Märchen, wo dem Helden alles zu Gold erstarrt, das er mit den Händen anfasst, so wird alles, was sich der Mensch aneignet, zum Objekt, und das Einswerden – die Voraussetzung für vollkommene Erfüllung – misslingt. Daher misslingt auch in der sexuellen Vereinigung das Einswerden, da der andere immer Objekt bleibt. Trotz Annäherung an den anderen durch Einfühlung und Hingabe bleibt der andere Objekt und damit bleibt letzte Erfüllung verwehrt.

Da es für den suchenden Menschen aber gar keine andere Möglichkeit gibt, als als Subjekt diese Spaltung zu überwinden, dies aber nicht gelingen kann, gerät er, ob er es begreift oder nicht, in eine immer verzweifeltere Lage.

Spiritualität - ganz ohne Spiritualität

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